Poldi gab es
für die Pfadfinder ab diesem Tag nicht mehr, nur noch Leo.
Franjo und
das Friedenslicht VI
Jeder Mensch ist ein einmaliger Mensch und tatsächlich, für sich gesehen,
das größte Kunstwerk aller Zeiten." (Thomas Bernhard)
„ Pfadfinder
verschmähen Nägel und Schrauben, wenn sie ihr Lager aufbauen.“
„Du mit
deinen Knoten“, sagte Adrian, „Palstek, Kreuzknoten, Webleinenstek,
Achterknoten, Doppelter Schotstek, Stopperstek, Roringstek, Zimmermannsschlag,
Prusikschlinge und wie das ganze Zeug heißt.“
„Tja, wer
Zelt und Lagerküche aufbauen will, muss eben Knoten können“, erwiderte Roberto,
„dafür haben wir ja auch lange genug geübt.“
„Trotzdem,
die Knüppelei nervt langsam.“
„Sieh dir
doch mal Franjo an, hat der jemals widersprochen“, fragte Roberto und grinste.
„Kunststück,
der kann ja auch nicht reden.“
Franjo ist
stark hörbehindert und ein begeisterter Pfadfinder. Seine Begeisterung für die
Pfadfinderei wird höchstens noch von der Liebe zum Fußball übertroffen. Als kleiner Junge schon war er von allem was
einem Ball ähnelte hingerissen. Auf den Fußballplatz wollten ihn die größeren
Kinder nicht haben, sie hielten ihn wegen seiner Hörbehinderung für blöd. Da er
kaum etwas hörte, konnte er auch nicht sehr verständlich reden. Kein Wunder,
denn für ihn war es fast unmöglich die Tonhöhe und die Artikulation selber zu
kontrollieren. Nachdem man ihn ein paar Mal vertrieben hatte, ging er nicht
mehr auf den Fußballplatz, obwohl er sich danach sehnte mit den anderen
zusammen zu kicken. Er lief mit dem Ball durch den Ort. Bürgersteig rauf und
runter, über Gräben und Wege, immer hatte man das Gefühl, dass der Fußball mit
einem Gummiband an seinem Bein befestigt war.
Als Roberto
Leo in die Pfadfindergruppe aufgenommen hatte, fasste Frau Winter sich ein Herz
und sprach den Pfadfinderleiter an.
„Ach, Herr
Fischer, sie haben doch den kleinen Sedlaczek aufgenommen, wäre es dann nicht
möglich noch jemanden aufzunehmen?“
„Wen sollten
wir denn noch aufnehmen“, fragte Roberto, dem nichts Gutes schwante.
„Ach, der
kleine Franjo ist immer so allein, dem könnte die Gesellschaft hier in der
Gemeinde bestimmt gut tun. Sicher ist ihnen der auch schon mal aufgefallen. Es
ist der Junge, den man immer mit dem Fußball sieht.“
„Der, den
kenne ich vom Sehen. Aber den werde ich nicht fragen.“
„Wieso denn
nicht“, Frau Winter war sichtlich verärgert.
„ Der kann
ja nicht mal grüßen. Nachdem wir hier
hergezogen waren, ist mir den Junge aufgefallen. Er hat bestimmt Talent zum
Fußballspielen aber jedes Mal wenn ich ihn grüßte, nahm er überhaupt keine
Notiz von mir. Ich habe ihn angesprochen doch der hat ja nicht mal hergesehen.“
„Aber das
geht doch gar nicht, er ist doch taub.“
Roberto war
etwas verlegen. Auf diese Idee war er nicht gekommen.
„Früher, als
Franjo noch ein Säugling war, habe ich bei seinen Eltern sauber gemacht. Er hat
oft geschrieen und niemand, auch nicht der Hausarzt, hat gemerkt, dass er
Entzündungen im Mittelohr hatte. Als er krabbeln konnte, ist mir mal ein
Malheur passiert. Mir fielen einige Teller in der Küche herunter und
zersprangen. Franjo war auch in der Küche, doch er nahm keine Notiz davon. Als
ich das merkte, habe ich es seiner Mutter gesagt. Die ging mit ihm zum
Ohrenarzt, und der stellte fest, dass die Hörfähigkeit durch mehrere
Entzündungen stark eingeschränkt ist. Ich habe den Jungen wirklich lieb. Als
die Diagnose feststand, haben Franjos Eltern mir gekündigt und den Kontakt
abgebrochen, als ob ich etwas für seine
Behinderung kann. Sehen sie, ich habe weder Kinder noch Enkel, da hatte ich
immer gehofft, dass ich mich an ihm freuen kann. Haben sie doch bitte ein
Einsehen und nehmen den Jungen auf.“ Frau Winter war überhaupt nicht mehr die
harsche Person, für die Roberto sie immer gehalten hatte. Er versprach mit den
Pfadfindern zu reden und Franjo zu fragen, ob er eine halbe Stunde später zur
Pfadfinderstunde dazukommen würde.
Bei den
Pfadis gab es heiße Diskussionen. Sie konnten sich nicht vorstellen wie man
sich mit einem Jungen, der fast nichts hören kann, verständigt.
Leo, der
eigentlich total neu war, war am meisten dagegen. „Wenn wir Fußball spielen und
ich rufe abgeben, dann kann er mich ja gar nicht hören. Denkst du denn, er
spielt mir dann den Ball zu?“
„Hat denn
schon mal jemand den Ball zu dir geschossen, weil du Abgeben gerufen hast?“,
fragte Adrian.
„Eigentlich
nicht.“
„Na also,
ich bin dafür, dass wir ihn aufnehmen“, Kerstin war die erste, die das sagte, „
Wenn wir nicht probieren ob wir mit ihm klar kommen, dann werden wir es auch
nicht wissen.“
Franjo
klopfte an. Er kam wie auf Stichwort. Alle waren erst einmal etwas unsicher.
Niemand, selbst Roberto, wusste was er sagen sollte.
„Du gehen
auch auf eine Schule“, versuchte Robert ein Gespräch anzufangen.
„Mann,
meinst du, dass er dich besser versteht, wenn du Idiotendeutsch mit ihm
sprichst?“, raunzte Adrian Robert an.
Kerstin
hatte den besten Einfall. Sie zeigte auf sich und sagte dann deutlich, indem
sie Franjo ansah: „ Kerstin“. Jeder stellte sich so vor und zuletzt auch
Franjo. Er kann die Tonhöhe nicht kontrollieren und manches ist undeutlich,
doch alle verstanden seinen Namen. Es dauerte eine Weile bis man miteinander
zurecht kam. Besonders Kerstin legte große Findigkeit an den Tag um mit Franjo
zu kommunizieren. Ehe man sich versah war die Zeit heran, da es aufs
Fußballfeld ging. Leo und Adrian schlossen eine Wette ab wie hoch die Niederlage
dieses Mal wird. Franjo gehörte auch zur Pfadfindermannschaft. Er war so froh
endlich auf den Fußballplatz zu dürfen.
Andreas und Thomas machten sich natürlich über die Truppe lustig, besonders
über den Neuzugang. Roberto dachte daran, dass Jesus mal gesagt hatte:“ Selig
sind die um meines Namens willen Leid tragen“, aber der Bibelspruch tröstete
ihn überhaupt nicht. Auf diese Tat der Nächstenliebe hätte er gern verzichtet.
Doch dann dachte er, dass es sich als Christ nicht gehört, Behinderte auszuschließen.
„ Franjo ist
Taub“, ich bitte euch darauf Rücksicht zu nehmen“, sagte er.
„Kann die
Taube auch fliegen“, fragte Andreas und grinste.
Es kam aber
anders als es alle gedacht hatten. Franjo war nicht nur ein Ballkünstler,
sondern auch noch ein exzellenter Spielmacher. Selbst Leo bekam den Ball von
ihm ohne, dass er „hier, hier“ rufen musste. Das, was der Quirlige Kleine nicht
hören konnte, sah er. Er sah auch dass Andreas, der mittlerweile sauer wurde,
weil er überhaupt nicht zum Zuge kam, einen derben Schuss voll auf ihn
abfeuerte. Franjo ließ sich fallen und zog dabei die Beine in Richtung Ball.
„Tor, Tor“ schrieen die Pfadfinder auf. Der erste Treffer an diesem Tag. „Das
war sicher der erste Fallrückzieher, den dieser Fußballplatz bisher gesehen
hat“, mutmaßte Roberto. Andreas und Thomas wollten das nicht auf sich sitzen
lassen. Beine stellen wirkte nicht, Franjo sprang darüber. Dann attackierten
sie Franjo so, wie sie immer Roberto außer Gefecht gesetzt hatten. Der Kleine war aber viel schneller als
Roberto und hatte die Beine schon weg als die beiden zutreten wollten. Das
hatte zur Folge, dass sie diesmal blaue Flecken an den Schienbeinen
davontrugen.
„Diese
kleine Taube muss heute noch fliegen.“ Als Andreas diesen Satz sagte, wusste
Thomas, dass jetzt die Quetschaktion dran war. Franjo lief aufs Tor zu und die
beiden wollten, mit ihm, natürlich völlig unbeabsichtigt, zusammenprallen.
Roberto sah was die Beiden vor hatten. Er blieb wie gelähmt stehen. Eigentlich
wollte er „Franjo, bleib stehen“ rufen, doch dann fiel ihm ein, dass der das
nicht hören kann. Schon sah er Franjo im Krankenwagen mit gebrochenen Knochen
zur Klinik fahren. „Herr Jesus, hilf“, entfuhr ihm ein Stoßgebet. Mehr konnte
er nicht sagen. Franjo rannte mit dem Ball zum Tor und Unaufhaltsam kamen
Andreas und Thomas näher. Schon waren sie seitlich hinter ihm. Gleich werden
sie ihn einquetschen, dachte Roberto noch, doch da stoppte Franjo und lies sich
fallen. Seine beiden Kontrahenten prallten mit voller Wucht gegeneinander. Während
der Kleine aufpasste, von ihrem Sturz nicht in Mitleidenschaft gezogen zu
werden, gingen die Großen zu Boden. Mit schmerzverzerrtem Gesicht stand Andreas
wieder auf. Er hatte sich die Schulter ausgekugelt. Damit war das Spiel
beendet. Zum ersten Mal hatten die Pfadfinder gesiegt.
„Na hab ich
es euch nicht gleich gesagt, Franjo ist das Beste was uns passieren konnte“,
jubelte Leopold.
„Eh, ich
hatte das aber völlig anders in Erinnerung“, sagte Adrian laut.
„Naja, aber
gedacht ich hab mir das immer schon gedacht“ erwiderte Leo.
Komisch,
dachte Roberto, während alle sich mühten die Lagereinrichtung zu bauen, heute
fragt keiner mehr danach ob Fanjo hören kann oder nicht. Jeder hat seinen
eigenen Weg gefunden mit ihm zu reden. Besonders Kerstin, die sich mit
Gebärdensprache beschäftigt, kann sich gut mit ihm unterhalten. Und alle
erzählen ihm ihre großen und kleinen Probleme. Wahrscheinlich, weil sich
niemand vorstellen kann, dass er etwas weitererzählt.
Jesus hat
die Tauben geheilt. Das können wir nicht, so Robertos Fazit, aber wir können
mit Franjo umgehen als ob er einer von uns wäre.
Wäre???
Franjo und
das Friedenslicht VII
Die Menschen
muss man nehmen wie sie sind, nicht wie sie sein sollen.
Franz
Schubert
Endlich war
es so weit. Nach dem Mittagessen begann die Schatzsuche. Roberto hatte schon in
der vergangenen Woche das Geländespiel vorbereitet. Drei Gruppen zu je zwei
Scouts sollten an unterschiedlichen Orten losgehen. Nach Robertos Vorstellung
sollten die drei Gruppen von ihren Startpunkten aus zu einer Kreuzung gehen.
Von dort aus gab es nur noch einen Weg für alle um zum Schatz zu gelangen..
Zuerst hatte er Wegzeichen gelegt. Äste oder Steine, die einen Pfeil ergeben
oder Zeichen, die in den Boden geritzt werden, sollten die Pfadfinder zu der
Kreuzung führen. Bei der Kreuzung wurde
von ihm ein verstecktes Zeichen angebracht, dass schwer zu finden war. Er hatte
lange überlegt, wie die Fährte aussehen soll. Sollte er Grasbüschel verknoten
und mit dem Ende den Weg weisen oder eine falsche Frucht an einen Baum hängen
oder doch lieber Pflöcke einschlagen die unterschiedlich groß sind?
Adrian und
Leo bildeten eine Gruppe genau so wie Franjo und Karsten. Kerstin war sauer,
dass sie mit Robert gehen musste. Roberto brachte die ersten zwei Gruppen zu
ihren Startpunkten und Miriam nahm Karsten und Franjo mit zum Auto, zu deren
Start. Unterwegs fragte sie Karsten wie es kommtt, dass er so gerne singt.
„Ach,
eigentlich singe ich gar nicht so gerne. Meine Mutter hat früher immer zu Hause
gesungen. Wenn du und Kerstin singen fühle ich mich so wie damals als Mutti
noch gesund war. Jetzt hat sie Depressionen. Da singt sie nicht mehr. Sie liegt
den ganzen Tag auf dem Sofa und sieht fern. Wenn es klingelt, dann rennt sie ins
Schlafzimmer und schließt sich vor Angst ein.“
„Aber wer
macht denn dann den Haushalt bei euch, dein Vater?“
„Das geht
nicht, er ist in der Woche auf Montage. Er bekommt keine Arbeit in der
Nähe. Ich mache alles, und am Wochenende
machen wir gemeinsam, was liegen geblieben ist.“
„Ist denn
deine Mutter in ärztlicher Behandlung?“
„Ja, aber
das hat nichts geholfen.“
„ Es gibt
doch Spezialkliniken.“
„Sie lag auf
der psychiatrischen Abteilung im Kreiskrankenhaus, aber als sie entlassen
wurde, war es genau so wie vorher.“
Miriam war
erschrocken. Sie wusste von Roberto, dass Karsten nie viel gesagt hatte, doch
das sich so etwas dahinter verbarg, hätte sie nie gedacht.
Zum
verabredeten Zeitpunkt starteten die Gruppen. Adrian und Leo spurteten los. Sie
sahen Robertos Pfeile und Hinweise. Schnell waren sie an der Kreuzung. Mitten
auf der Kreuzung lagen zwei verdorrte Äste. Ob das das Zeichen war?
„Wohin“,
fragte Adrian. Leo zeigte in die vermutete Richtung. Beide wussten, dass die
Pfadfinder irgendwann einem gemeinsamen Weg folgen werden. Leo sah Adrian an
und lächelte. „Denkst du, was ich denke?“ „Sicher, doch“, sagte Adrian und
grinst zurück. Jeder nahm einen Ast und sie legten die Äste so, dass die in
eine falsche Richtung zeigten. „Schnell
weg“, sagte Adrian, „sonst erwischt uns noch jemand.“
Kerstin war
immer noch sauer. Robert humpelte hinter ihr her und maulte. Er wäre doch
lieber zu Hause geblieben. Ihm taten die Beine weh. Kerstin hatte dann klar und
unmissverständlich zu ihm gesagt, dass sie das Spiel gewinnen will. Zur Not
würde sie Robert allein im Wald lassen. Dazu hatte er auch keinen Bock. Nach
Kerstins Standpauke lief er zwar schneller, aber immer noch lustlos. Als die beiden an der Kreuzung ankamen sah er
die Äste und trat voller Wut davor. Sie flogen ins Gebüsch. Kerstin achtete
nicht darauf, sonst hätte er die nächste Abreibung bekommen. Gemeinsam suchten
sie nach dem versteckten Zeichen, doch sie fanden es nicht. Robert ließ sich
dann an den Wegrand fallen und blies Trübsal. Ach, zu Hause hätte ich jetzt
Labyrinth spielen können oder das Spiel in dem man das Monster besiegt, das
jeder Zeit kommen kann, um mich zu fressen. Als sein Blick nach oben ging, sah
er, dass an einem Ast zweierlei Blätter hingen.
„Kerstin“
„Hilf mir
lieber suchen.“
„Keerstin“
„Du sollst
nicht immer rumjammern.“
„Kerstin,
komm mal, ich sehe was.“
Kerstin kam
und sah das Zeichen, das Robert gefunden hatte. „Robert, du bist ja genial.“
Robert hatte
plötzlich keine schlechte Laune mehr und Kerstin hatte einen Einfall.
„Weißt du
das ist genau so wie in einem Computerspiel, nur in echt. Wir spielen so etwas
wie Labyrinth. Nur wer die Zeichen erkennt kommt ins nächste Level“
Robert
raffte sich auf und begann, gemeinsam mit Kerstin, das Abenteuer Schatzsuche.
Manchmal zuckte er zusammen wenn irgendwo ein Ast knackte und nahm Ausschau
nach dem anrückenden Monster. Mit der Zeit begann das Spiel Spaß zu machen und
die Blasen taten lange nicht mehr so weh, wie vorher.
Karsten und
Franjo wollten loslaufen, während Miriam noch schnell mit dem Auto in den
Supermarkt fahren wollte. Roberto hatte so unglücklich in einer Pfütze geparkt,
dass ein Vorderrad durchdrehte und das Auto nicht von der Stelle kam. Karsten
und Franjo wollten helfen und schoben. Leider führte das auch nicht zum Erfolg.
Miriam stieg aus und Franjo, der leichteste von allen, sollte lenken und Gas
geben. Nun brauchte es einige Zeit bis sie ihm erklärt hatte, was er machen
sollte. Franjo brauchte etwas Zeit ehe er verstand, was Miriam wollte. Endlich
war das Auto startklar und die Jungen liefen so schnell sie konnten um doch
noch den Schatz zu finden. Als sie an der Kreuzung ankamen, waren Kerstin und
Robert schon lange weg. Sie suchten und suchten, doch Robertos verstecktes
Zeichen fanden sie nicht. Karsten und Franjo einigten sich darauf dass jeder
einen Weg lief und an der nächsten Kreuzung oder Einmündung suchte ob er dort
etwas fände. Beide rannten los. Karsten war an einer Einmündung angelangt und
suchte genau ob er einen Hinweis finden könne, als ihn plötzlich Franjo am
Ärmel zog. Er hatte den Weg gefunden. Beide rannten weiter, so schnell sie
konnten.
Adrian und
Leo liefen und liefen. Irgendwie hatte Roberto schwere Zeichen eingesetzt. Mal,
ein angeknickter Ast, mal nur eine Kuhle, es war richtig schwierig. Keiner
dachte daran, dass sie sich vielleicht verlaufen hatten. Und wenn ja, hätte es
keiner der Beiden zugegeben.
Kerstin und
Robert kamen gut voran. Seit Robert begriffen hatte, dass das Geländespiel
wirklich ein Spiel ist, und keine Last, entdeckte er Robertos Zeichen viel
leichter. Trotzdem war er auf der Hut ob nicht doch irgendwo ein Monster
auftauchte. Plötzlich…, Robert zuckte
zusammen. Es knackte hinter ihnen. Er überlegte wo er die Axt oder die Bomben
hatte, da fiel ihm ein, dass sie im realen Leben waren. Hinter ihnen tauchten
Karsten und Franjo auf. Sie begrüßten sich so herzlich, als ob sie sich eine
Ewigkeit nicht gesehen hatten. Zu Aller Erstaunen fanden sie jetzt Robertos
Zeichen „graben“. Nach ein paar Spatenstichen kam die Kiste zum Vorschein.
Franjo und Kerstin nahmen die Schatzkiste an den Henkeln und Karsten half
Robert, dem die Füße mittlerweile wirklich weh taten.
Miriam war
unterdessen wieder im Lager. Roberto war gerade dabei die Feuerstelle in der
Kothe vorzubereiten. „Weißt du Schatz, es gibt sieben Arten ein Feuer
aufzubauen. Je nach Zweck.“
„Roberto,
das kannst du alles deinen Pfadfindern erzählen. Wenn wir besser bei Kasse
sind, fahren wir ans Meer oder in die Berge, aber wir schlafen im Hotehel.“
„Danke, dass
du mitgefahren bist. Ich weiß ja, dass das Leben in der Natur nicht unbedingt
dein Ding ist.“ „Naja, ich hab´s nur für
dich getan.“
„Ich weiß“,
Roberto gab Miriam einen Kuss.
„Hoho“, rief
Kerstin. Die Vier Schatzsucher betraten die Lichtung.
„Wo sind
denn die anderen“?
„Keine
Ahnung“, sagte Kerstin, „die bekommen auch nichts ab.“
Die
Schatzfinder setzten sich ans Feuer und Roberto hatte jemanden, dem er erklären
konnte, auf welch unterschiedliche Weise man ein Feuer anlegen kann.
Nach einer
halben Stunde war von den beiden Fehlenden immer noch kein Zeichen zu sehen.
Roberto machte sich Sorgen.
„Wir machen
uns auf und suchen die beiden. Wer kommt mit?“
Karsten,
Franjo und Kerstin kamen mit, während Robert seine wunden Füße pflegte.
Gemeinsam gingen sie den Weg bis zur Stelle an der der Schatz war. Niemand war
zu finden. Alle pfiffen und riefen. Nicht alle. Franjo konnte nicht pfeifen. Da
er nicht hören kann, weiß er auch nicht, wie er man pfeift. Franjo rief nach
Adrian und Leo, auch wenn sich das komisch anhörte.
„Vielleicht haben
die beiden den Schatz übersehen und sind weitergegangen“, sagte Roberto. Da der
Weg sich hinter der Schatzstelle gabelte, einigte man sich darauf, dass die
drei Pfadfinder den linken Weg gemeinsam nahmen und Roberto den rechten.
„Wenn es
dämmert, haltet ihr euch Richtung Straße. Auf der Straße lauft ihr zum Auto und
dann zum Lager.“ Nach diesen Anweisungen liefen alle los.
Adrian und
Leo dämmerte es inzwischen, dass sie sich verlaufen hatten. Auch sie hatten die
Idee sich in Richtung Straße zu orientieren. „So eine Schande“, schimpfte
Adrian, „Pfadfinder, die sich verlaufen.“
Nachdem die
drei eine Weile gesucht hatten, sah Kerstin auf die Uhr und schlug vor zur
Straße zu gehen. Als sie an der Straße ankamen, sahen sie in der Dämmerung zwei
Gestalten.
„Auch
verlaufen“, fragte Adrian und grinste. Karsten wollte etwas sagen, bekam aber
Kerstins Ellenbogen in die Rippen. Kerstin nickte, Franjo verstand nicht um was
es ging. Wortlos gingen sie ins Lager. Roberto war kurz vor den anderen
eingetroffen und machte sich schon große Sorgen. Er war erleichtert als die
Fünf eintrafen.
„Sag mal
Adrian, wo seid ihr denn lang gegangen.“
„Na wir sind
bis zur Kreuzung gegangen wo die Stöcke lagen.“
„Was für
Stöcke“, fragte Kerstin.
„Na die, die
wir in die falsche Richtung gelegt haben“, rutschte es Leo raus.
„Da waren
keine Stöcke“, sagte Kerstin. Robert erinnerte sich daran, dass er mit zwei
Stöcken vor Wut Fußball gespielt hatte, behielt das aber für sich.
„Wieso habt ihr denn die Stöcke umgelegt?“
Kerstin presste die Augenlider zusammen und sah die beiden durch die Schlitze an. „Ich denke, wir teilen den
Schatz unter uns vier auf und ihr macht zur Strafe Küchendienst.“
Die beiden
Angesprochenen widersprachen nicht. Sie fügten sich in ihr Schicksal. Roberto
war froh, dass alles so abgegangen war und Miriam sagte: „Wer andern eine Grube
gräbt fällt selbst hinein.“
Franjo und
das Friedenslicht VIII
In jeder
Minute, die man mit Ärger verbringt, versäumt man sechzig glückliche Sekunden.
William
Somerset Maugham
„Wie viel Nudeln brauchen wir eigentlich?“,
fragte Leo.
„Na, komm,
ich zeig es dir.“ Miriam half den beiden zum Küchendienst verdonnerten, dass
das Abendbrot nicht noch zum Desaster wurde.
Inzwischen
machten es sich die anderen am Lagerfeuer bequem. Die Scouts saßen im Kreis um
das Feuer und hinter ihnen standen Fackeln, die alles beleuchteten. Der
Gulaschkessel hing über der Glut und auf dem Gaskocher wurden die Nudeln in
essbaren Zustand versetzt.
„Du,
Roberto“, sagte Leo, ich kann auch beim Rühren zuhören, „du kannst ruhig
erzählen, wie es mit Joseph weiterging.“
„Ich höre
auch zu und Franjo hat ja seinen Zettel mit der Geschichte“, rief Kerstin, die
mit Franjo beim Fackelschein Mühle spielte. Roberto hatte ihm in großen
Buchstaben den Bibeltext ausgedruckt, dass er dem Gespräch über Joseph auch bei
schlechtem Licht folgen konnte. „ Wir
hören auf mit Spielen auf.“
„Na gut“,
meinte Roberto, der nichts anderes vorhatte.
„“Joseph war
der oberste Gefangene. Ich weiß nicht, wie viele Jahre er im Knast verbrachte.
Eines Tages wurden zwei hohe Beamte des Pharaos in Untersuchungshaft gesteckt. Das eine war der Mundschenk, also
der, der dafür verantwortlich war, dass genügend Getränke, und immer die
richtigen guten Tropfen, für den Pharao bereitstanden. Der andere war der
oberste Bäcker. Beide hatten sich irgendetwas zu Schulden kommen lassen. Der
Gefängnisdirektor gab ihnen Joseph zur Bedienung, denn die Gefangenen waren von
hohem Rang. Sie lagen schon einige Zeit im Gefängnis als sie eines Nachts,
jeder, einen Traum hatten. Am Morgen waren beide bedrückt und Joseph fragte
sie, was sie hätten. Nacheinander erzählten sie von ihren Träumen.“
„Na, an
Josephs Stelle hätte ich aber die Sache überhört. Er ist ja selber in die Misere geraten weil
er geträumt hatte. Und jetzt kommen die beiden und fangen mit der gleichen
Scheiße an.“
„Rühr deine
Nudeln, dass sie nicht anbrennen“, sagte Robert, „und lass Roberto weiter
erzählen.“
„ Joseph ist eben nicht wie du, Leo, er hat
sich nicht verbittern lassen sondern sah nach vorn. Er fragte den Mundschenk
was sein Traum war. Dann sagte er, dass der Oberste über die Getränke in drei
Tagen in Amt und Würden sein würde. Mit der Bitte, dass er ihn nicht vergessen
und beim Pharao ein gutes Wort einlegen sollte wandte er sich zum Bäcker. Der
erzählte auch seinen Traum. Dazu erklärte Joseph, dass der oberste Bäcker in
drei Tagen erhängt würde.“
„Is ja nicht
wahr“, meinte Kerstin, „voll krass, wenn dir jemand vorhersagt dass du in drei
Tagen aufgehängt wirst.“
„ Es war
krass, dass die Vorhersagen eintrafen“,
sagte Roberto. „Der Mundschenk vergaß Joseph und erzählte dem Pharao nichts von
ihm. Nach zwei Jahren hatte dann der
Pharao zwei Träume. Er sah sieben schöne fette Kühe aus dem Wasser steigen und
am Nil weiden. Eigentlich waren es Wasserbüffel. Danach stiegen aus dem Nil
sieben magere Wasserbüffelkühe und fraßen die fetten auf.
Der Pharao
wachte beunruhigt auf, merkte, dass es ein Traum war und schlief wieder ein. Er träumte erneut. Dieses Mal sah
er sieben Ähren aus einem Halm wachsen, die waren voll und dick. Dann sah er
sieben versengte, magere Ähren, die die dicken verschlangen. Wieder erwachte er
und merkte, dass es ein Traum war. Am nächsten Tag rief er seine Traumdeuter
und alle seine Weisen zusammen um zu hören was diese Träume bedeuteten. Alle
rätselten herum, doch niemand hatte eine Antwort. In dieser Konfusion fiel dem
Mundschenken ein, dass ihm zwei Jahre zuvor von Joseph ein Traum richtig
gedeutet worden war. Er berichtete dem Pharao davon, der Joseph holen ließ. Er
konnte die Träume deuten und sagte sieben außerordentlich gute Jahre mit
reichen Ernten voraus, die dann von sieben schrecklichen Jahren mit Missernten
gefolgt werden. Er brachte den Vorschlag vor, dass sich der Pharao jemanden
suchen sollte, der Kornhäuser einrichten lassen sollte in denen man die Ernten
der guten Jahre sammelt, um die schlechten zu überstehen. Dem Pharao fiel
nichts Besseres ein als Joseph zum Obersten Mann in Ägypten, gleich unter ihm
selber, zu machen. Er gab ihm eine Frau und
außerdem bekam er einen Dienstwagen.“
„Einen
Dienstwagen, was ist den da Besonderes dran“, fragte Leo.
„ Sind die
Nudeln endlich weich? Denk daran, dass sie nicht matschig werden. Vorher
abgießen und ein wenig Butter untermischen“, sagte Miriam.
„Ja, so ein
Dienstwagen war zu Josephs Zeiten eine besondere Ehre. Es war ein zweispänniger
Streitwagen, eigentlich der Zweitwagen des Pharaos, in dem man stehend fuhr.
Kam Joseph vorbei rief man: Der ist des Landes Vater! Das war schon eine Ehre,
die niemand sonst als der Pharao bekam.“
„Man der hat
es ja dann doch ganz schön weit gebracht“, meinte Leo.
„ Er hat
sich eben nicht aufgegeben. Ich weiß nicht, ob ich so durchgehalten hätte“,
sagte Kerstin.
„Was ist
denn schon dabei“, fragte Adrian, „ er konnte doch gar nicht anders.“
„ Ach was“,
warf Robert ein, „ man hat immer mehrere Möglichkeiten, das ist wie bei einem
Computerspiel.“
„Du schon
wieder“, fuhr ihn Adrian an.
„Und sie
lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende“, Leo erhob den Kochlöffel
wie einen Zeigestock.
„Und die
Brüder“, Franjo, der der Geschichte ganz gut folgen konnte, erhob seine Stimme.
Da dieser
Satz, durch Franjos ungewöhnlicher Art zu reden, aus dem Gespräch fiel, war die
Frage für alle unüberhörbar.
„Ach, der
hat die ein paar Mal an der Nase herumgeführt und dann hat er sie nach Ägypten
geholt.“ Adrian war stolz, dass er den anderen ein wenig überlegen zu sein
schien.
„ Ich glaube
nicht, dass er die Brüder an der Nase herumgeführt hat“, sagte Roberto.
„Wieso denn
nicht, erst hat er sie eingeladen und dann so getan, als wolle er sie ins
Gefängnis stecken. Wenn das nicht Verarsche ist?“ Adrian regte sich ein klein
wenig auf.
„Ich bleibe
dabei, er hat sie nicht verarscht. Stell dir mal vor, von dem Verkauf bis zum
Amtsantritt sind 13 Jahre vergangen. Dann mindestens sechs Jahre, in denen es
viel Getreide gab und mindestens ein Hungerjahr, also 20 Jahre. Erst dann kamen
die Brüder.“
Franjo
nickte. Die Scouts hatten sich schon so daran gewöhnt, dass sie alle
Handbewegungen machten wenn sie mit Franjo sprachen. Manchmal bewegten sie ihre
Hände auch wenn sie sich untereinander unterhielten. Miriam sagte mal zu
Roberto, dass er sie zu richtigen kleinen Italienern erzieht.
„Derr muss
doch wissen, was sie heute denken.“ Franjos Einwurf war für alle
nachvollziehbar.
„Genau,
Joseph wollte wissen, ob seine Brüder immer noch fähig sind einen der Ihren zu
verkaufen. Außerdem wollte er Brüder haben, und keine Schleimer, die sich nur
beim zweitmächtigsten Mann von Ägypten anbiederten. Als die Brüder das erste
Mal bei ihm waren, hat er sie mit Getreide nach Hause geschickt. Bei diesem
Besuch war Josephs einziger richtiger Bruder nicht dabei.“
„Wieso
richtiger Bruder? Bruder ist doch Bruder“, sagte Kerstin.
„ Maannn“,
erwiderte Adrian, „die anderen waren Halbbrüder.“
„Halbe
Brüder, wo gibt’s denn so was“, fragte Robert, der sich gerade ausmalte, wie
das aussah.
„Joseph und
Benjamin hatten nicht nur den gleichen Vater, sondern auch die gleiche Mutter.
Die anderen hatten andere Mütter. Da Josephs Mutter die Lieblingsfrau des
Vaters war, waren die beiden Söhne auch die Lieblingskinder.“
„Brüder hin,
Brüder her, erzähl doch endlich mal wie die Geschichte weiterging“, drängte
Kerstin.
„Maan, du
kennst die doch aus der Christenlehre, und wenn nicht, dann lies doch in
Franjos Bibeltext nach.“ Adrian sah Kerstin herausfordernd an.
„Adrian
Steinbrecher ich hasse dich.“
„Kerstin
Blümler, das hatten wir heute noch nicht.“
„Wenn ihr
mit dem Austausch von Nettigkeiten fertig seid, kann ich ja weiter machen. Als
das Korn zur Neige ging, zogen die Brüder ohne Benjamin nach Ägypten, um was zu
Essen zu holen. Dort lud Joseph sie an seinen Tisch ein um sie nach allen
Regeln der Kunst auszufragen. Die Brüder hatten nichts gemerkt, sich natürlich
gewundert, dass so ein hoher Mann alles von ihnen wissen wollte. Vor allem fragte er, als ob er irgendwie
Ahnung von der Familie hätte. Nachdem er den Brüdern das Versprechen abgenommen
hatte, das nächste Mal mit Benjamin zu kommen, ließ er sie ziehen. Sicherlich
hatten die Brüder nicht vor noch einmal nach Ägypten zu reisen, doch
letztendlich hatte sie der Hunger hingetrieben. Sie mussten Benjamin mit auf
die Reise nehmen und versprachen ihrem Vater, alles zu tun, dass ihm nichts
passierte. In Ägypten waren sie wieder bei Joseph zu Gast, der es kaum schaffte
seine Rührung zu verbergen. Trotzdem ließ er seinen goldenen Becher in
Benjamins Getreidesack legen. An der Grenze wurden die Brüder gefangen
genommen. Wieder bei Joseph angekommen wollte der Benjamin ins Gefängnis
stecken. Die Brüder hielten dieses Mal zusammen, einer wollte sogar die Strafe für Benjamin absitzen. Da erkannte
Joseph, dass sie anders geworden waren. Er gab sich ihnen zu erkennen. Dabei
musste er so sehr weinen, dass es die Diener, die er vorher aus dem Raum
geschickt hatte, draußen hörten.“
„Jetzt ist
alles in Ordnung“, sagte Franjo.
„Essen ist
fertig“, riefen Adrian und Leo im Chor.
„Denkt aber
nicht dass ihr um den Abwasch herumkommt“, rief Kerstin.
„ Ich dich
auch“, bemerkte Adrian.
Franjo und
das Friedenslicht IX
Das
Entscheidende ist nicht das, was ich einem Menschen sage, sondern das, was ich
ihm bin.
Wilhard Becker
„Heute Abend
könnten wir mal zusammentragen, welche Pfadfinder euch bekannt sind.“
Die
Pfadfinder hatten sich um das Lagerfeuer in der Kothe gesetzt und schon einige Lieder gesungen.
„Christliche
oder unchristliche Pfadfinder“, fragte Robert.
„Ich würde
diese Frage so nicht formulieren“, sagte Roberto. „Die Ideale der Pfadfinder
sind eigentlich die gleichen wie die christlichen, wobei die christlichen
Pfadfinder an Gott glauben, und in Verantwortung vor ihm leben wollen. Es gibt
Pfadfindergruppen, die sich mehr an die Christlichen Gemeinden halten und
andere, die nicht daran angebunden sind. Außerdem gibt es auch katholische
Pfadfinder, die sich stärker an die katholische Kirche halten, und im Bund St.
Georg zusammengeschlossen sind. Mir geht es aber heute um Pfadfinder allgemein.
Von wem wisst ihr, dass er Pfadfinder ist oder war?“
„Tick, Trick
und Track“, kam es von Robert wie aus der Pistole geschossen.
„Wer“,
fragte Roberto.
„Na Tick,
Trick und Track“, antwortete er als müsste jeder die drei kennen.
„Kann mir
mal jemand sagen wer Tick, Trick und Track ist“, Roberto sah in die Runde.
„Maan, du
kennst Tick, Trick und Track nicht“, Adrian schüttelte den Kopf.
„Na die
Neffen von Donald Duck. Sie sind Pfadfinder beim Fähnlein Fieselschweif und haben immer das
Schlaue Buch bei sich, das die Antworten zu
fast allen gestellten und ungestellten Fragen enthält.“
„Woher soll
ich denn das wissen“, versuchte Roberto sich zu rechtfertigen.
„Ich kenn
die auch“, machte Franjo deutlich. Manchmal las er Comics. Nur mit Trickfilmen
konnte er nichts anfangen, da er weder Worte noch Hintergrundmusik hören konnte
und ihm so die Spannung der Filme entging.
„Ich kenn
die nicht“, sagte Roberto, ein klein wenig ärgerlich, „und jetzt könnten wir
mal richtige Pfadfinder
zusammentragen.“
„Also“,
Kerstin holte tief Luft, „Königin Elisabeth von England, Königin Beatrix von
Belgien, Fürstin Marie von und zu Liechtenstein, Prinzessin Margret von
England, Königin Margarethe die II. Königin von Dänemark, „
„Ach, hör
doch endlich mit deinen Königinnen auf “, sagte Adrian, „ du kannst ja nach England fahren und dann sagen: Majestät, will auch mal
Königin werden, Pfadfinderin bin ich schon.“
Kerstin
überhörte Adrians Frechheit, holte tief
Luft und sagte. „und Tick, Trick und Track.“
Karsten war
an der Reihe: „ der 43. Präsident der USA George W. Bush jr., der 42..Bill
Clinton, , der 32. Frank Delore Rooswelt, der 26. Theodore Rooswelt, der letzte
russische Zarewitsch Alexej Nicolaus Romanow und Tick, Trick und Track.“
Adrian
fielen auch gleich verschiedene Showmaster ein: „ Stefan Raab, Thomas
Gottschalk, Harald Schmidt, Ottfried Fischer, Frank Elsner und ehe ich’s
vergesse Tick, Trick und Track.“
„Leo, jetzt
du?“, Adrian rempelte Leo an.
„Natürlich,
Mark Spitz, der berühmte Schwimmer, Werner Pohl, der Direktor der spanischen
Hofreitschule, Regina Helmich, die Boxerin, David Beckham, der Fußballer und so
weit ich mal gehört habe Tick, Trick und
Track.“
Franjo war
an der Reihe und alle waren gespannt was er sagen würde. „ Der ehemalige
Bundespräsident Köhler und Tick, Trick und Track.“
Als letzter
war Robert dran. Er machte es spannend. Zuerst reckte er seine Arme aus, dann
tat er so als ob er sich erinnern müsste. „Ääh, Heinz Zemanek.“
„Wer soll
den das sein“, fragten die Scouts im Chor.
„Kennt ihr
den denn nicht? Das war doch ein Computerpionier, außerdem Bill Gates. Der ist
so berühmt, da kommen die anderen gar nicht mit, außer vielleicht Tick, Trick
und Track.“
„Wenn ihr
noch einmal Tick, Trick und Track erwähnt, schicke ich euch sofort in die
Falle.“, kündigte Roberto halb im Scherz, halb im Ernst an. Alle lachten. Aber
auch ohne die drei Pfadfinder aus dem Comic wurde es noch ein schöner Abend am
Lagerfeuer.
„Weißt du,
Roberto, die ganze Beterei gehr mir langsam auf den Wecker.“ Leo störte sich am
Tischgebet, das Roberto vorm Frühstück sprechen wollte. „Vor jeder Mahlzeit
beten. Früh, mittags und abends. Betest du denn auch noch, wenn du aufs Klo
gehst?“
„Was stört
dich denn daran?“
„Meinst du
Gott interessiert sich dafür, dass du jedes Mal Danke sagst, egal was auf dem
Tisch steht?“
„Na ja, als
ihr gestern gekocht habt, war ich schon ganz froh darüber, dass wir vorm Essen
gebetet haben.“, sagte Kerstin.
„Wieso?“
„In der
Bibel steht doch irgendwas darüber, dass es uns nicht schadet, wenn wir was
Schlechtes essen. Ihr habt zwar nicht schlecht gekocht, aber sicher ist sicher,
besser, wenn man Gott daran erinnert“, Kerstin grinste.
„Kerstin“,
sagte Adrian, „das kriegste wieder.“
„Nun mal
Spaß beiseite“, Roberto schaltete sich ein. „Als wir die Josephsgeschichte
besprochen haben, dachte ich daran wie es ist, wenn man nichts zu Essen hat.
Sieben Jahre in Saus und Braus, und dann sieben Jahre nichts Richtiges zu
beißen. Am Ende haben die Menschen sich selbst in die Leibeigenschaft verkauft,
nur für ein wenig Brot. Ich danke Gott für mein Essen. Damit tue ich mir
wahrscheinlicht einen größeren Gefallen als Gott. Jedes Mal, wenn ich bete, erinnere ich mich
daran, dass es mir gut geht, auch wenn es mir manchmal nicht schmeckt.“ Miriam
räusperte sich. „Schatz, so war es nicht gemeint, ich habe an die Kantine gedacht.
Wenn ich bete, dann mache ich keine große Show drum. Manchmal muss ich mir
bewusst machen, dass ich nicht nur etwas daherplappere, sondern wirklich mit
den Gedanken dabei bin. Mir tut es auch gut wenn ich mit Freunden zusammen bin,
wenn wir das Essen gemeinsam mit einem Gebet beginnen und nicht jeder loslegt,
wann er gerade will.“
„Trotzdem“,
sagte Leo, „man kann’s auch übertreiben.“
„Kann sein,
dass du Recht hast. Vielleicht versuchst du es mit dem Tischgebet und betest
monatelang rum, ohne recht zu wissen, was du machst. Eines Tages siehst du im
Fernsehen fast verhungerte Kinder in Afrika oder Menschen, die von Kriegen oder
Naturkatastrophen heimgesucht werden. Auf einmal begreifst du, wie kostbar es
ist, wenn man jeden Tag satt wird. Ich glaube, dass die nächsten Kriege in
unserem Jahrhundert wegen Öl und wegen Wasser geführt werden. Ohne Energie und
ohne Wasser gibt es Hunger, Durst und anderes Elend. Kann ja sein, dass du
dich, immer wenn du betest fragst, was du machen kannst, damit der Hunger in
der Welt eingedämmt wird. Vielleicht wirst du daraufhin Agraringenieur, der
forscht wie man in Halbwüsten essbares wachsen lassen kann. Da hätte sich das
Tischgebet doch schon gelohnt oder?“
„Oder du
wirst Maschinenbauer und baust bessere Pumpen, die das Wasser fördern.“, fügte
Adrian hinzu.
„Oder du
konstruierst Meerwasserentsalzungsanlagen“, kam von Karsten.
„ Oder du
wirst Politiker, der sich darum kümmert, dass alles besser verteilt wird“, kam
von Kerstin.
„Du
bekämpfst den Hunger.“, Franjo machte eine Faust und zeigte damit auf Leo.
„Oder du
wirst General und wir erschießen alle, die uns was wegnehmen wollen.“
„Rooobert“,
Kerstin fasste ihn behutsam am Arm und sprach zu ihm wie mit einem Kind „wir
wollen doch friedlich bleiben.“
„ Jedenfalls
kann so ein kleines verachtetes Tischgebet Erstaunliches auslösen.“ Roberto
faltete die Hände und die Pfadfinder mit ihm. Er dankte Gott nicht nur für das
Essen, sondern
auch für das
gemeinsame Wochenende. Alle sagten laut, Amen, dazu.
Franjo und
das Friedenslicht X
Die Liebe,
die Du vermisst, reklamiere sie nicht, lebe sie!
Chris P.
Tian
Roberto
freute sich schon auf die nächste Pfadfinderstunde. Das Wochenende war prima
verlaufen, sicher würden die Pfadfinder heute auch wieder viel Spaß haben. Er
war sehr erstaunt, als er feststellen musste, dass anscheinend zwischen Adrian
und Leo, die sich so prima verstanden hatten,
dicke Luft herrschte. Nachdem die Pfadfinder einige Lieder gesungen
hatten sprach Roberto sie darauf an.
„Was ist
denn mit euch los? Seit wann herrscht denn Funkstille zwischen euch?“
Adrian sah
nach rechts und Leo nach links.
„Redet
überhaupt jemand mit mir?“
Franjo gab
Adrian einen Knuff und zeigte auf dessen Mund. Adrian schüttelte den Kopf. Da
er zwischen den beiden saß, bekam jetzt Leo einen Knuff. Der wiederum schien
auf dieses Zeichen gewartet zu haben.
„Ja, bei den
Pfadfindern, da bin ich dein Freund, da geht es nur Leo hinten und Leo vorn,
aber in der Schule da bin ich Poldi, mit dem man besser nichts zu tun hat“, Leo
sah , um Franjo herum, zu Adrian.
„Du weißt,
dass das nicht wahr ist“, sagte Adrian und sah seinerseits auch um Franjo herum
zu Leo.
„Könnte mir
endlich einer von euch beiden sagen, was hier los ist“, rief Roberto.
„Naja“,
sagte Adrian kleinlaut, „wir wurden heute in der Schule umgesetzt. Leo wollte
sich neben mich setzen, aber ich wollte nicht.“
„Sag ich
doch“, beeilte sich Leo zu sagen, „hier bist du mein Freund, und in der Schule
kannst du mich nicht leiden. Das ist so als würdest du Sonntag in die Kirche
gehen und Montag sagen: Es gibt keinen Gott.“
„Das ist
überhaupt nicht wahr. Ich wollte mich neben Torsten setzen, weil er in Mathe
besser ist als ich.“
„Ach, und
ich bin doof?“
„Quatsch,
aber du kannst mir auch nicht helfen, wenn ich nicht weiterweiß.“
„Na,
vielleicht könnten wir dann zusammen die Antwort suchen?“
„Aber wenn
Torsten schon die Lösung hat?“
„ Aber wenn
ihr die Lösung gemeinsam sucht, habt ihr mehr davon als wenn du die Lösung
vorgesagt bekommst. Mach dir´s schwer, dann hast du´s leicht“, gab Roberto zu
bedenken. Zu Leo gewandt sagte Adrian: „Mensch, gut, ich rede morgen mit
Staupitz (dem Lehrer), aber wehe, wenn du mir nicht bei Mathe helfen kannst.“
Franjo hatte
zwar nicht ganz mitbekommen worum es ging, doch er spürte, dass sich die zwei
wieder vertragen wollten. So nahm er die Hände der beiden und fügte sie vor
sich zusammen.
„Ach, wenn
es doch immer so leicht wäre sich zu vertragen“, seufzte Kerstin.
„Ist es
nicht“, sagte Roberto. „Aber erstens wollten die beiden und zweitens gibt es
keine Alternative dazu, sich zu verzeihen.“
„Wieso“,
fragte Leo.
„Der, der
nicht verzeihen kann, tut sich selber immer am meisten weh“, war Robertos
Antwort. „Jesus sagte mal, dass wir sieben mal siebzig Mal verzeihen sollen.“
Kerstin
rechnete schnell:„Na, da müsste ja man Buch führen.“
„Eben, so
war’s gemeint, besser immer verzeihen als ständig zu rechnen“, Roberto dachte
damit das Thema beenden zu können.
„So einfach
ist das nicht“, ereiferte sich Leo, „ wenn der Klügere immer nachgibt, regieren
die Dummen.“
„Zugegeben,
Unrecht muss angesprochen werden und, so möglich, verändert. Wenn man sich
gegenseitig verletzt hat, kann man nicht immer zur Tagesordnung zurückkehren
und tun als ob nichts geschehen wäre. Um Entschuldigung bitten und wieder gut
machen, was geht. Wenn man nur labert wird man unglaubwürdig. Hat man sich
gegenseitig verletzt, kann das noch lange Zeit nachwirken, selbst wenn man sich
scheinbar versöhnt hat.“
„Wie meinst
du das schon wieder“, fragte Leo.
„Du kannst
dich doch an die Jakobsgeschichte erinnern“, fragte Roberto.
„Natürlich“.
„Als Josephs
Vater gestorben war, bekamen die Brüder Fracksausen. Nach der Beerdigung haben
sie jemanden mit einer Botschaft zu Joseph geschickt. Dein Vater hat gesagt,
dass du uns verzeihen sollst. Nach so langer Zeit in Ägypten, ließen sie Joseph
ausrichten, dass es ihnen Leid tut. `Vergib deinen Brüdern, dass sie so übel an
dir getan haben. Nun vergib doch diese Missetat uns, den Dienern des Gottes,
deines Vaters!“.
„Und was hat
das, bitteschön, schon wieder mit Gott zu Tun“, stöhnte Leo.
„Es hat eben
alles mit Gott zu tun“, schmunzelte Roberto.
„Na,
vielleicht will Gott ja, dass wir miteinander versöhnt leben“, überlegte
Kerstin.
„Ich glaube
sogar, dass es drei Bereiche gibt in denen wir immer wieder Versöhnung
brauchen. Das Betrifft unser Verhältnis zu Gott, das Verhältnis zu den
Menschen, mit denen wir zu tun haben, und auch das Verhältnis zu uns selber.“
„Roberto,
ich habe mir selber nichts zu verzeihen“, sagte Leo.
„Du
glücklicher“, antwortete Roberto, „ es gibt viele Menschen, die sagen: Das und
das kann ich mir nicht verzeihen, oder sie schlagen sich mit Fehlern aus der
Vergangenheit rum.“
„Und was
bitteschön sollen wir Gott verzeihen“, Leo hat immer noch Probleme mit der
Existenz Gottes.
„ Auch hier
gibt es zwei Seiten. Manche Menschen tragen großen Groll auf Gott in sich. Es
kann sein, dass sie Zornig darüber sind, wie ihr Schicksal verlaufen ist. Es
kann auch sein, dass sie mit ihrer Familie, ihrem Aussehen oder ihren
Lebensumständen unzufrieden sind und Gott deswegen hassen. Andrerseits hat Gott
Vorstellungen davon, wie wir unser Leben führen sollen. Der ist auch sauer wenn
wir ihn nicht respektieren und gegen seine Regeln verstoßen. Gottes Zorn ist
auch keine Kleinigkeit. Hier braucht´s eben auchVersöhnung.“
„Mit den
Menschen um uns rum, das kann ich schon verstehen. Wenn man nicht immer wieder
aufeinander zugeht fliegen bald überall die Fetzen“, sagte Kerstin, „Trotzdem
möchte ich mal wissen was du machst wenn du dich mit jemanden gestritten hast?“
Roberto kratzte
sich am Hinterkopf: „Das ist ganz unterschiedlich. Ich bemühe mich so schnell
wie möglich mit dem anderen…“ „Und der anderen“, fügte Kerstin ein. „Und auch
mit der“, Roberto nickte, „ ins Reine zu kommen. Manchmal mache ich das mit
einem kleinen Geschenk oder Blumen“. „Sicher bei Miriam“, Leo grinste. „Grins
nicht“, sagte Roberto in Richtung Leo, „ wenn wir früher, als Pfadfinder, über
die Stränge geschlagen haben, rief einer: Scharmoffensive und wir versuchten
unseren Mist damit gutzumachen, dass wir besonders nett waren.“
„Was hat
denn Joseph gemacht als ihn die Brüder um Verzeihung gebeten haben?“ Leo war
es, der das fragte. „Joseph brach in Tränen aus, als ihm die Botschaft der
Brüder gebracht wurde.“
„Wieso?“
„Na, er
hatte ihnen schon längst vergeben.“
Franjo, der
nur Bruchstücke der Unterhaltung mitbekommen hatte hob den Finger, machte dann
ein Handzeichen, das aussah, als streichelte die rechte Hand den linken
Handrücken und
sagte in seiner eigentümlichen Art in die
Runde:
„Vergeben
und Verzeihen.“
Franjo und
das Friedenslicht XI
Verzeihen
ist der Schönste Sieg.
Deutsches
Sprichwort
Eine Person
in der Kirchgemeinde beobachtete die Pfadfinder immer mit Argusaugen, Frau
Winter. In der Kirchgemeinde gab es zwei Putzfrauen, Frau Winter und Frau
Sommer. Man könnte meinen, dass sie ihre Aufgabenbereiche nach ihren Namen
ausgesucht hätten. Während Frau Sommer die Kirche putzte, somit hauptsächlich
in der warmen Jahreszeit zu tun hatte, war Frau Winter für das Gemeindehaus
zuständig in dem sich in der kalten Jahreszeit fast alles abspielte. Beide
Frauen waren etwa gleich alt und konnten sich nicht besonders gut leiden. Frau
Sommer nahm es, gelinde gesagt, nicht so genau. Frau Winters Kommentar: „Die
Sommern kennt nur runde Ecken.“ Stattdessen war Frau Winter die Gründlichkeit
in Person. Während Frau Sommer sich gern mal auf ein Plauschchen abhalten ließ,
war Frau Winter während ihrer Arbeit nicht so gesprächig. Eines hatten sie
gemeinsam, sie wussten alles. Frau Steinbrecher, Adrians Mutter, hatte kein
gutes Verhältnis zu Frau Winter. Bei der Putzfrau schien es ein elftes Gebot zu
geben: Du sollst das Gemeindehaus mit alten klappernden Blecheimern
putzen. Vom Beachten dieses Gebotes war
sie nicht abzubringen. Da Frau Steinbrecher als Krankenschwester im
Schichtdienst stand, war sie mehr als einmal sehr verärgert über das Geklapper,
dass in der Pfarrwohnung zu hören war. Pfarrer Steinbrecher dagegen, war sehr
froh darüber, dass er eine Putzfrau wie Frau Winter hatte. „Die Gemeinde findet
leichter einen guten Pfarrer als eine gute Putzfrau“, waren seine Worte.
Besonders schätzte er ihr Entgegenkommen. Da es bekannt war, wie gründlich sie
putzte, hatte Frau Winter schon viele Angebote bekommen. Man bot ihr das
doppelte Gehalt, doch sie blieb der Kirchgemeinde, beim halben Geld, treu. „Ich mach das doch für den Herrn Jesus“,
hatte sie zum Pfarrer gesagt. Das waren keine leeren Worte, denn bei ihrer
kargen Rente hätte sie das Geld wirklich brauchen können. Außerdem hatte sie
ein großes Herz für die Gemeinde. Als
die Pfadfindergruppe im Entstehen war, sah sie das mit gemischten Gefühlen.
Wenn das wieder so eine Gruppe war, die viel Dreck rein brachte, bei der aber
nichts für die Gemeinde heraussprang, wollte sie nicht länger widerspruchslos
allen Schmutz wegmachen. Von Anfang an beobachtete sie die Pfadfinder, ob sie
mit dreckigen Schuhen ins Gemeindehaus kamen oder nicht. Deshalb richtete sie
es immer so ein, dass sie in der Gemeindeküche etwas vorzubereiten hatte, wenn
die Pfadfinderstunde begann. Als Franjo, ihr heimlicher Liebling, zu den
Pfadfindern fand entspannte sich das Verhältnis zu Roberto und den Scouts ein
wenig doch sie blieben in Beobachtung.
Es war ein
kalter, vernieselter Oktobertag. Roberto war schlecht gelaunt. Bei diesem
Wetter war er froh, dass die Gruppe keinen Fußball spielen wollte. Die
Pfadfinder trafen sich immer vor der Stunde an der Bushaltestelle und warteten
auf Roberto, der dort vorbei kam. „Heute bleiben wir im Gemeinderaum. Wir
könnten uns ja mal darüber unterhalten, wie man Konflikte friedlich löst.“ Das
Interesse der Scouts schien nicht besonders groß zu sein. An der Tür zum
Pfarrgelände erschien, rein zufällig, Frau Winter mit einem Blick auf die
Schuhe der Pfadfinder. Gemeinsam ging es zum Pfarrhaus. Als sie die Tür
öffneten dachten sie, es trifft sie der Schlag. Ein Kirchgemeinderat wollte in
der letzten Woche einen Kleiderhaken im Flur anbringen, traf aber versehentlich
eine Elektroleitung beim Bohren. Um Geld der Kirchgemeinde zu sparen, erklärten
sich ein Elektriker und ein Maurer der Gemeinde bereit die alten Elektrokabel
im Flur, im Ehrenamt, zu erneuern. Warum auch immer, die beiden hatten sich
nicht besonders in Acht genommen. Die Tür zum Gemeinderaum war auch noch
aufgeblieben, und die Beiden hatten
keine Zeit, den Dreck wegzumachen. Niemand wusste von dieser Aktion, so
waren die Pfadfinder und Frau Winter völlig überrascht. Frau Winter begann zu
zetern: „Mit der Alten kann man es ja machen, die räumt den Dreck schon weg.
Ist ja schön, wenn man so ein dummes Dreckputtel hat. Nur drauf auf die Alte.“
Roberto und die Pfadfinder verzogen sich klammheimlich nach draußen und ließen
Frau Winter im Pfarrhaus stehen. Auf dem Dorfplatz, vor dem Pfarrhaus, bauten
sie sich einen Parcours auf und übten mit dem Fußball Dribbeln. Man gab sich
dem Spiel hin. Da es aufgehört hatte zu
nieseln begann es sogar Spaß zu machen. Roberto zeigte seine Künste links,
rechts, links und dann Schuss. Er zielte auf das Holztor am Pfarrgelände. Es
gab einen richtigen Schlag.
„Wenn ihr
nicht augenblicklich aufhört, hole ich die Polizei.“, Frau Winter war außer
sich.
„Ach, das
brauchen sie nicht, wir sind schon genügend.“ Kaum hatte er diese freche
Bemerkung gemacht, tat es Roberto auch schon wieder leid. Er sah durch die Tür
und bemerkte wie Frau Winter ein Taschentuch aus der Kittelschürze holte und
damit über ihre Augen wischte. Roberto blickte zu den Pfadfinder und rief:
„Scharmoffensive.“
Die
Pfadfinder stürmen ins Pfarrgelände. „Kommen sie, Frau Winter, wir helfen
ihnen“, sagte Kerstin freundlich. Jetzt
begann sie zu kommandieren und teilte die Jungs ein. „Leo und Adrian, ihr packt den Putz in Eimer und
schafft ihn raus. Karsten und Franjo, schnappt euch die Besen Roberto, du
schraubst die Lampen ab und du Robert wischt Staub.“
„Aber ich
weiß doch nicht wie das geht“, kam kläglich von Robert. „Komm ich zeig
dir´s“ Kerstin nahm ihn mütterlich unter
ihre Arme, obwohl er nur ein reichliches Jahr jünger war als sie. Es war ein
Gewusel im Pfarrhaus, Frau Winter konnte es nicht fassen. Alle waren
beschäftigt und Flur, Gemeinderaum und Gemeindeküche waren schon fast sauber
als Adrian auffiel, dass Frau Winter fehlte. „Typisch“, sagte er, dem die
Abneigung seiner Mutter gegen Frau Winter nicht verborgen geblieben war, „wir
schuften und die verdrückt sich.“ Kaum hatte er das gesagt, kam Frau Winter mit
zwei Behältern in den Händen durch die Tür des Pfarrhauses. Sie brachte
Vanilleeis und im anderen Behälter Himbeeren. Nachdem die Räume wieder klinisch
rein waren gab es Vanilleeis mit Himbeeren. Mit diesem Festmahl haben Frau
Winter und die Pfadfinder Frieden geschlossen. Was keiner wusste: Himbeeren sind
Frau Winters Lieblingsfrüchte. Sie kaufte sich aber niemals welche, sondern
nahm nur die, die in ihrem Garten wuchsen. Ihren Jahresvorrat fror sie ein, um
sich an besonderen Momenten mit Himbeeren zu belohnen. Diesen Jahresvorrat
stellte sie jetzt bereitwillig den Pfadfindern zur Verfügung. „Herr Fischer, ich war ja sehr skeptisch, ob
sie die Pfadfinder wirklich christlich erziehen oder nur so einen Larifari
machen“, sagte Frau Winter zu Roberto, als die Scouts schon weg waren. „Aber
ich glaube, sie machen das schon.“
Als Roberto
die Geschichte zu Hause Miriam erzählte, fragte die: „Wolltest du nicht über
friedliche Konfliktlösung reden?“.
Seit dieser
Zeit ließ Frau Winter nichts mehr über die Pfadfinder kommen.
Franjo und
das Friedenslicht XII
„Was ihr
getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan“
Jesus
Christus Matthäus
25, 40
„Roberto,
kochst du mir einen Tee“, Miriam sah ihren Mann an. Seit sie in ihrem Haus
wohnten, hatten sie es sich zur Gewohnheit gemacht im Herbst/ Winter samstags
Nachmittag Dämmerstunde zu halten. Sie schoben ihre gepolsterten Stühle mit den
Armlehnen so nebeneinander, dass sie durch das Verandafenster zum
gegenüberliegenden Wald sehen konnten. Auf dem, vor ihnen stehenden, Tisch
brannte eine Kerze. Nur zwischen den
Baumkronen und dem oberen Ende des Fensters sah man den Himmel. Langsam wurde
es Dunkel. Bei klarem Wetter begannen, mit der Zeit, ein paar Sterne zu
leuchten. Im Zimmer wurde es immer gemütlicher. Roberto sammelte gern Kräuter
und Beeren, um daraus Tee zu machen.
„Was für
einen Tee?“
„Roberto
Speziale, mit Honig gesüßt.“
Als beide
beim Dämmerlicht saßen, sagten sie eine Zeit lang gar nichts. Jeder hing seinen
Gedanken nach. Miriam erinnerte sich an ihre ersten Begegnungen. Die
Eigenschaft Robertos, die sie am meisten beeindruckte, war seine Art, die Dinge
in Ruhe anzugehen. Er wiederum liebte ihre Spontaneität. Gegensätze ziehen sich
eben an. Später war es manchmal gar nicht einfach, diese Gegensätze
auszuhalten. Roberto kam nicht aus der Soße und Miriam war ihm zu sprunghaft.
Nach einigem Hin und Her fanden sie einen Weg, um miteinander klar zu kommen.
Eigentlich ergänzten sie sich inzwischen ganz prima. Seit vier Jahren wünschten
sie sich ein Kind. Sie hatten oft
darüber geredet, schon daran gedacht einen Arzt einzuschalten, aber Roberto
konnte sich nicht dazu entschließen.
„Na, dieses
Weihnachten wird es nun nichts mehr mit einem Christkind“, Miriam versuchte
ihrer Stimme einen beiläufigen Klang zu geben.
„Ein
Christkind i.A. könnte es aber noch werden.“
„Wie i.A.?“
„Na, in
Arbeit.“
„Da müssten
wir uns aber anstrengen.“, Miriam lächelte ihn an.
„Na, wenn du
mich darum bittest, könnte ich es ja mal versuchen“, Roberto blickte
verschmitzt zurück.
„Ach, ich
weiß nicht, wenn du dich da mal nicht überanstrengst.“ In Miriams Augen
funkelte der Schalk.
„Darüber
brauchst du dir keine Sorgen zu machen.“
Plötzlich
klingelte es. Beide sahen sich fragend an. Vor der Haustür stand Karstens
Vater.
„Entschuldigen
sie die Störung“, er wusste nicht, wie er das Gespräch beginnen sollte.
„Ach kommen
sie doch erst einmal herein“, sagte Miriam freundlich lächelnd.
„Wollen sie
einen Tee, mein Mann hat gerade welchen gemacht.“
Miriam lud
ihn ein, am Tisch Platz zu nehmen: „Was führt sie denn zu uns“?
Roberto, der kein besonders freundliches
Gesicht machte, bekam einen kleinen Tritt unter dem Tisch.
„Sehen,
sie“, Karstens Vater rang nach Worten,
„als sie mit den Pfadfindern zum Zeltwochenende waren, hat ihnen mein
Sohn von meiner Frau erzählt. Sie ist schon seit zwei Jahren krank. Auch das
Krankenhaus konnte ihr nicht helfen. Ich weiß einfach nicht mehr weiter. Wenn
ich könnte, wie ich wollte, würde ich mich viel mehr um Karsten kümmern, aber
ich bekomme in der Nähe keine Arbeit. Von Sonntagabend bis Freitagabend bin ich
nicht da und er muss den Haushalt alleine führen. Wenn ich dann zu Hause
bin, muss ich das nötigste besorgen und
schon ist das Wochenende rum. Sie können sich nicht vorstellen, wie mies ich mich
fühle.“
Karstens
Vater sah unglücklich aus“
„Und was
können wir für sie tun?“, fragte Miriam.
„ Ich habe
mit unserem Hausarzt gesprochen und er hat einen Platz in einer Spezialklinik
besorgt, wie sie das vorgeschlagen hatten. Ich weiß nun aber nicht, wo Karsten
unter der Woche bleiben soll.“
Roberto
wollte fragen: „Wie ging es denn bis jetzt“, doch Miriam antwortete spontan:
„Natürlich kann er während der Woche bei uns bleiben, so lange wie seine Mutter
im Krankenhaus ist.“ Roberto wollte etwas sagen, doch da bekam er seinen
zweiten Tritt unter dem Tisch.
„Ach, da bin
ich ihnen aber dankbar.“ Karstens Vater erhob sich. Wir sprechen morgen noch
mal ausführlich drüber, jetzt muss ich zu meiner Frau. Vielen Dank, vielen,
vielen Dank.“
„Was war
denn das“, fragte Roberto verärgert als
der Gast fort war.
„Die Familie
braucht Hilfe, und wir helfen.“
„Du hättest
mich ja wenigstens mal fragen können.“
„Und was
hättest du dann gesagt?“
„Weiß
nicht.“
„Aber die
zwei brauchen die Antwort nicht in drei Tagen. Natürlich weiß ich, dass das für
dich viel zu schnell geht, natürlich erinnere ich mich dran, dass du, selbst
als ich bei dir eingezogen bin,
Schwierigkeiten damit hattest, dass ein anderer Mensch in deiner Nähe ist. Aber
inzwischen bist du sauer, wenn ich ein paar Tage nicht da bin.“
„Das gibt
dir trotzdem nicht das Recht, so über meinen Kopf hinweg zu entscheiden.“
„ Schau,
Jesus hat doch gesagt: Wer eines dieser Kinder aufnimmt, nimmt mich auf.“
„ Schatz“,
dieses „Schatz“ Robertos klang ein wenig aggressiv, „ Erstens hast du dieses Zitat aus dem
Zusammenhang gerissen und zweitens kann ich es überhaupt nicht ausstehen, wenn
man Bibelstellen dazu benutzt um die eigenen Taten zu rechtfertigen oder um
andere damit in eine beliebige Richtung zu drängen. Bibelstellen sind
Wegweiser, gehen muss man freiwillig.“
„Na komm, es
gibt doch genug Stellen in denen Jesus uns aufruft zu helfen.“
„Das ist mir
egal.“
„Ich weiß
nicht ,was du hast.“
„Was ich
habe? Was ich habe, das will ich dir sagen. Stell dir vor Karsten kommt auf
dumme Gedanken und knackt in der Zeit, in der er bei uns ist, ein Auto und
fährt es zu Schrott, oder er freundet sich mit einem Mädchen an und sie wird
schwanger. Das ist dann Verletzung der Aufsichtspflicht.“
„Oder er
beschafft sich ein Gewehr und erschießt seinen Lehrer.“, Miriam sah ihren Mann
lange an. „kann es sein, dass du Angst hast.“
„Ja, ich
habe Angst, Angst davor, dass jemand in unserem Haus ist, Angst davor, dass
jemand dabei ist wenn ich mit dir reden will, eben Angst davor, dass sich ein
Fremder einnistet.“
„Ach komm,
wir packen das schon.“ Miriam streichelte ihm über den Kopf. „Wenn Jesus sagt:
`wer eines dieser Kinder aufnimmt, nimmt mich auf´, dann verspricht er doch bei
uns zu sein. Klar, Karsten ist ein völlig fremder Mensch für uns. Natürlich
brauchen wir Gottvertrauen wenn wir uns um andere kümmern, weil so viel schief
gehen kann. Wir müssen sogar mit Undank rechnen wenn wir helfen. Sollte uns das
abhalten nach Jesu Wort zu handeln? Freiwillig! Wo er uns doch seine Nähe
verspricht?“
Roberto
brummelte etwas vor sich hin. „Außerdem können wir da schon einmal üben, wie
das ist, wenn wir eine dritte Person im Haus haben.“
„Ich hätte
aber neun Monate Zeit mich auf eine dritte Person, die ich meine, vorzubereiten.“
„Kann schon
sein aber mit Karsten gibt’s wahrscheinlich keine schlaflosen Nächte.“
„Hoffentlich
hast du Recht.“
Roberto
regte sich langsam ab. „Sag mal, hält uns ein Dauergast eigentlich davon ab,
etwas für die Zukunft unserer Familie zu tun?“
„Heute bestimmt nicht“, antwortete Miriam und zwinkerte mit einem Auge.
Franjo und
das Friedenslicht XIII
Kein Streit
würde lange dauern, wenn das Recht oder das Unrecht nicht auf beiden Seiten
wäre.
François de
La Rochefoucauld
„ Ich hab dir´s ja gleich gesagt.“, Roberto
war sehr aufgebracht. Er hatte sich zwar
damit abgefunden für einige Wochen einen Dauergast zu haben, doch mit Karstens
Musik kam er überhaupt nicht zurecht. „ Du hast ja gesagt und jetzt haben wir
den Salat.“
Seit Montag
drang laute Musik aus Karstens Zimmer und Roberto bekam die Krise.
„Du weißt
genau, dass ich erst einmal meine Ruhe brauche, wenn ich nach Hause komme. Ich
bin schon froh, wenn ich keine Überstunden machen muss, um das Projekt noch vor
Weihnachten ordentlich abzuschließen. Ich muss von früh bis abends Gas geben
und bin fertig wenn ich heim komme. Früher bin ich gern nach Hause gekommen,
aber wenn unser jugendlicher Terrorist mich weiter so beschallt, dann raste ich
noch aus.“
„Was heißt
hier, du rastest noch aus? Du bist doch schon ausgerastet.“
Sonntagabend
war Karsten in Miriams und Robertos Gästezimmer eingezogen. Natürlich war man
sich erst einmal fremd und unsicher. Karsten war sehr zurückhaltend und Miriam
meinte, dass man ihm erst einmal Zeit lassen sollte, sich einzugewöhnen.
Karsten hatte seine Stereoanlage mitgebracht und seine Musik. Ab Montag dröhnte
dann laute Musik durch das Haus. Am ersten Abend hatte Roberto sich das noch
gefallen lassen. Er stand in der Firma sehr unter Druck. Das Projekt, das er
betreute war sehr anspruchsvoll. Ständig wollte jemand etwas wissen, Probleme
mit den Auftraggebern, all das führte dazu, dass er am Abend fix und fertig
war. Nach zwanzig Minuten Ruhe ging es ja wieder, doch diese zwanzig Minuten
brauchte er unbedingt. Als der musikalische Terror auch am Dienstag nicht
nachließ, begann Roberto zu kochen. Am Mittwoch eskalierte die Situation.
Roberto ging wutentbrannt in Karstens Zimmer und wollte dem langhaarigen
Bombenleger zeigen, wer hier der Herr im Haus ist.
„So lange du
die Beine unter meinen Tisch steckst, bleibt die Musik aus.“ Karsten hatte zwar
die Musik ausgemacht, doch heute am Donnersteg war sie wieder in voller
Lautstärke zu hören, wenn nicht sogar noch lauter. Karsten fühlte sich
unverstanden, außerdem wollte er sich unter keinen Umständen unter Druck setzen
lassen. Sollten sie ihn doch rausschmeißen.
Bisher kam er alleine ganz gut zu recht, da würde er eben wieder
ausziehen. Er war von Roberto bitter enttäuscht. Bei den Pfadfindern hatte er
immer so auf Jugendversteher gemacht, und hier zu Hause war er so ein Tyrann.
„Komm, wir
gehen ein paar Schritte“, Miriam wusste, dass Roberto bei dieser Musik keinen
klaren Kopf bekommen würde.
„Das fehlte
noch, dass ich mich aus meinem eigenen Haus vertreiben lasse.“
„ Ich
brauche frische Luft und ich würde mich freuen wenn du mitkommst.“ Miriam würde
alle diplomatischen Register ziehen müssen, um die Situation zu retten. Sie zog
sich an und Roberto folgte ihr widerwillig. „Ach, was soll’s, bei der Musik,
bei der man denkt jemand schmeißt ständig Geschirr in die Küche, kann ich
sowieso keinen klaren Gedanken fassen.“
Miriam
verkniff sich jegliche Bemerkung. Beide gingen wortlos nach draußen. Im
Dämmerlicht liefen sie durchs Dorf, die Straßenlaternen gingen an. Roberto sagte
immer noch nichts. Miriam kannte ihren Mann inzwischen so gut, dass sie auch
nichts sagte und geduldig darauf wartete, dass er zu sprechen anfing. Vorher
wäre alles Reden sinnlos. Es dauerte exakt zwanzig Minuten.
„ Ich weiß
nicht was ich noch machen soll.“ Roberto war jetzt versöhnlicher.
„Mit Karsten
reden.“
„Hat doch
schon mal nicht geklappt.“
„Da warst du
ja auch in Brast. Wenn du sauer bist, sagst du Sachen, die dir hinterher leid
tun.“
„Soll ich
hingehen und sagen: Ja, Karsten, war alles richtig, mach nur so laut du kannst,
ist ja egal wie ich meine Arbeit schaffe, wenn ich durchdrehe und mein Chef
mich rausschmeißt dann hören wir uns gemeinsam das Zeug an, das du dir
reinziehst?“
„Roberto,
habe ich dir schon gesagt, dass du einen Hang zum theatralischen hast?“
„Ja.“
„Versuch
dich doch mal in Karstens Situation zu versetzen.“
„Bin ich
etwa schon so alt?“
„Das hat
doch damit nichts zu tun. Er war so lange Zeit mit seiner Mutter allein.
Karsten ist viel erwachsener als die Teenies in seinem Alter. Meinst du es ist
leicht den ganzen Haushalt zu besorgen,
mit einer kranken Mutter zusammen zu leben und für sie da zu sein? Er ist jetzt
13 und die ganze Sache geht schon fast zwei Jahre. Und nun auf Knall und Fall ist
er in einer völlig anderen Situation. Er war bisher der Herr im Haus und nun…“
„Tut mir ja
auch leid“ Roberto begriff worauf Miriam anspielte. „Meinst du, wir finden einen Kompromiss?“
„Ich glaube
es geht hier nicht nur um einen Kompromiss“, Miriam blieb stehen und sah ihrem
Mann ins Gesicht, „wir müssen lernen miteinander zu leben, nicht nebeneinander.
Denkst du noch an die Bibelstelle mit dem Kind?“
„Wer eines
dieser Kinder aufnimmt, nimmt mich auf?“
„Genau die.
Du sagst, du bist Christ. Du behauptest, dass du Jesus in dein Leben aufnimmst.
Beschäftigst dich mit dem, was er gesagt und getan hat, fragst dich, was er an
deiner Stelle tun würde, redest mit ihm…“
„Ja und?“
„Wenn wir
Karsten, sei es auch nur für ein paar Wochen, aufnehmen, dann müssen wir unser
Leben mit ihm teilen wie wir unser Leben mit Jesus teilen.“
„So habe ich
das noch nicht gesehen. Ich weiß aber nicht ob ich das will.“
„Wir müssen
ihn doch nicht in unser Schlafzimmer lassen, aber Anteil geben, an dem, was uns
bewegt und vor allem auch für ihn da zu sein. Ich glaube, dass es ihm schwer
fallen wird sich zu öffnen und das auszusprechen, was ihn belastet oder was ihn
froh macht. Eigentlich war er Jahre lang allein.“
Roberto
schwieg. Dieses Mal war es kein Trotz sondern Nachdenklichkeit.
Die beiden
machten sich auf den Heimweg.
„Du, mir
kommt da noch so ein Gedanke. Vielleicht braucht er die Musik wirklich“, sagte
Miriam in die Stille hinein.
„Den Lärm,
wozu denn?“
„ Am Montag
ist er bei uns eingezogen, alles ist fremd, eigentlich hat er bei uns nichts
was ihn an sein Zuhause erinnert. Vielleicht sollte er irgendein Möbelstück
holen. Unser Leben verläuft anders als sein bisheriges. Da ist die schreckliche
Musik vielleicht das Einzige, was ihm geblieben ist. Kann doch sein, dass er
beim Hören von dem Zeugs das Gefühl hat: Die Musik, das bin ich. Wir hatten bisher nicht darüber gesprochen,
ob sein Vater Kostgeld abgibt. Mir ist das egal. Wir bekommen ihn auch ohne
satt...“
„ In dem
Alter hauen die Jungs schon ganz schön rein, aber deswegen mach ich mich doch
auch nicht verrückt“, pflichtete Roberto Miriam bei.
„ Kann aber
sein, dass er sich verrückt macht.“
„Wieso?“
„Er hat
bisher, wenn auch nicht finanziell, für sich selber gesorgt. Was ist, wenn er
sich jetzt als Almosenempfänger vorkommt?“
„ Meinst
du?“
„Ich hole
ihn nachher zum Abendbrot runter. Wir werden versuchen, einfach Zeit
füreinander zu haben.“
„ Und wenn
er mauert und nichts sagt?“
„Geduld,
Karsten hat noch nie viel gesagt. Lass mich mal machen, ich werde einfach
vorsichtig fragen. Außerdem könntest du ihm sagen, dass dir dieser blöde Satz
leid tut.“
„Welcher?“
„Der mit den Beinen unterm Tisch. Erkläre ihm
lieber deine Situation und bitte um Verständnis. Sprich ihn auf das Kostgeld
an, bitte ihn um Mithilfe im Haushalt und frage ob er dich im nächsten Jahr
beim Garagenbau unterstützt.“
„Na,
hoffentlich klappt das. Ich hatte schon
richtig Angst vor der nächsten Pfadfinderstunde. Zu Hause brodelt es und bei
den Scouts „Heile Welt“, so was will ich nicht.“
Kurz vor der
Haustür sagte Roberto zu seiner Frau: „Ich weiß jetzt, warum du keine
Kompromisse magst. Das Verhandeln, dass jeder zu seinem Recht kommt, ist eben
nur die zweitbeste Lösung. Aufeinander zugehen, versuchen sich zu verstehen und
füreinander da sein ist besser.“
Franjo und
das Friedenslicht XIV
Man kann
ohne Liebe Holz hacken, man kann aber nicht ohne Liebe mit Menschen umgehen.
Leo Tolstoi
Roberto war
froh, dass er inzwischen mit Karsten klar kam. Auch, wenn es nicht die große
Liebe war, ihr Verhältnis war entwicklungsfähig. Miriams Vorschlag, Karsten
verschiedene Pflichten zu übertragen, kam gut bei ihm an. Die Pflichten gaben
ihm das Gefühl dazu zu gehören. Karsten hörte seine Musik, so lange Roberto auf
Arbeit war, wobei Miriam den Geräuschpegel bestimmte. Der war zwar höher als
Roberto ihn ertragen hätte, aber doch etwas niedriger als vorher. Sie hatte
Angst, Karsten könnte Hörschäden davon tragen. Da sie an Franjos Probleme
erinnerte, hatte Karsten das auch akzeptiert.
Dieses
Problem war gelöst, da tat sich schon wieder ein neues auf. Franjos Mutter
stellte ihren Sohn vor die Wahl: entweder Pfadfinder oder Fußball. Sie hatte
Angst, dass er zu oft unterwegs war und seine schulischen Leistungen darunter
litten. Andreas und Thomas bewunderten Franjos Fußballkünste seit seinem ersten
Erscheinen auf dem Sportplatz. Nachdem er sie das Fürchten gelehrt hatte, gab
es nur ein Ziel für sie: Franjo muss in ihre Mannschaft. Drei mal pro Woche
luden sie ihn zum Fußballtraining ein. Franjos Traum schien sich erfüllt zu
haben. Nun sollte er entscheiden was ihm wichtiger war. Franjo stand vor einer
schwierigen Wahl. Niemand wusste wie er
sich entscheiden würde. Er wusste es selbst nicht.
Als er die
Sache den Pfadfindern während ihrer Stunde erklärte, waren alle wie vom Donner
gerührt. Nach anfänglicher Lähmung standen die Scouts auf und redeten auf ihn
ein. Franjo war von den Freunden umringt, die fast alle einen Kopf größer waren
als er. Natürlich verstand er kein Wort. Außerdem war er so aufgeregt, dass er
nichts aus ihren Gesten ablesen konnte. Auf einmal stellte sich Karsten vor
ihn, legte die Hände auf seine Schultern und sah ihm ins Gesicht. Karsten hatte
Tränen in den Augen. „Franjo, wir brauchen dich doch.“ Franjo verstand zwar
Karstens Worte nicht, aber trotzdem wusste der Bescheid. Er sah Karstens
Tränen, er erinnerte sich daran, dass fast jeder schon mit Franjo gesprochen
und sein Herz bei ihm ausgeschüttet hatte. Auch Franjos Augen wurden feucht.
Die Pfadfinder wurden still, man konnte
eine Stecknadel fallen hören. Er sah jedem ins Gesicht. Karsten, Kerstin,
Adrian, Leo und sogar Robert, der sonst nicht so viel mit Franjo zu tun hatte,
schauten erwartungsvoll zu ihm. Da kam Roberto auf Franjo zu und hielt ihm die
Hand hin. Karsten ging zur Seite. Franjo schlug in Robertos ausgestreckte Hand
ein. Alle Pfadfinder legten ihre Hände auf Franjos und Robertos Hand. „Einer
für alle, alle für einen“, rief Robert. „Man, das waren doch die drei
Musketiere“, sagte Adrian und schluckte, um seine Rührung zu verbergen. „Na,
wir sind doch die sechs Pfadfinder“, sagte darauf Leo, der auch schluckte, um
seinerseits nicht uncool zu erscheinen.
Franjo
erklärte Andreas und Thomas, dass er sich für die Pfadfinder entschieden hatte.
Warum musste es nur sein, dass er sich einerseits für etwas entschied, das er
mochte und damit gleichzeitig gegen etwas anderes, was ihm auch ans Herz
gewachsen war? Trotzdem er nun wusste, dass er gute Freunde gewonnen hatte,
fiel es ihm schwer das Fußballtraining abzusagen. Er tröstete sich damit, dass
die Scouts fast nach jedem Treffen zum Fußballplatz gehen.
Thomas und
Andreas wollten sich aber nicht so einfach geschlagen geben. Irgendwie wollten
sie Franjo dazu bringen die Pfadfinder zu verlassen. Pünktlich zum nächsten
Treffen der Pfadfinder kamen die beiden und setzten sich zu den Scouts. Beide
saßen am Tisch. Die blanke Ablehnung stand in ihren Gesichtern geschrieben. Wie
versteinert, mit verschränkten Armen und verächtlichem Blick, vergiftete ihre
Anwesenheit die Atmosphäre. Roberto hatte sich vorgenommen mit den Pfadfindern
die Handzeichen, mit denen man das Alphabet für Gehörlose darstellt, zu üben.
Außerdem sollte Franjo noch einige Handbewegungen zeigen, um sich besser
verständigen zu können. Diese Mauer des Schweigens war für Roberto so
schrecklich, das er ein paar Mal fast die Fassung verlor. Die Scouts gaben sich
besonders viel Mühe mitzumachen und sie lachten künstlich, wenn Roberto
versuchte einen Witz zu reißen. Besonders schwer war es für Franjo. Er wusste
natürlich, dass die beiden seinetwegen gekommen waren und ihn bewegen wollten,
die Pfadfinder in den Wind zu schießen. Er sollte wieder auf den Fußballplatz
kommen. Die Pfadfinderei war ihnen egal.
Die Stunde war schrecklich. Die Beiden blieben bis zum Schlussgebet. Roberto hatte
Angst vor dem, was nun kommen würde. Doch danach gingen die beiden. Kaum waren
sie draußen, begann es unter den Pfadfindern zu brodeln. Wären die zwei nicht
älter als sie, und außerdem so kräftig, hätte Leo vorgeschlagen jeden einzeln
zu verprügeln. „Die spinnen wohl, die gehören überhaupt nicht hier her“, Leo
regte sich auf. „Wenn ich könnte, wie ich wollte…“, Adrian lief rot im Gesicht
an. „Die Blödmänner“, rief Kerstin verärgert. Karsten ging zu Franjo und legte
den Arm um seine Schulter. Franjo verlor die Fassung, lehnte sich an Karstens
Schulter und schluchzte laut. Keinem wäre es in den Sinn gekommen, darüber zu
lachen. „Wir gehen nie, nie wieder auf den Sportplatz.“ Normalerweise hätten die anderen Robert für
diese Bemerkung ausgelacht, weil jeder wusste, dass er nichts für Fußball übrig
hat. Doch dieses Mal stimmten alle zu. Selbst Franjo, dem man Roberts Worte
aufschreiben musste, nickte heftig dazu.
Als sie sich etwas beruhigt hatten, einigten sich die Pfadfinder darauf,
Franjo heute gemeinsam nach Hause zu bringen. Als alle weg waren, musste sich
Roberto erst einmal setzen. Die Stunde saß ihm noch in den Knochen. Wie wird
das denn weitergehen?
„Segnet, die
euch fluchen“, hat Jesus gesagt. Fluchen die beiden jetzt auf uns? Da müsste
ich sie ja segnen. Als er sicher war, dass ihn niemand sah, kniete er vor dem
Altar nieder. Aber auch da fiel es ihm schwer einen klaren Gedanken zu fassen.
„ Herr Jesus, ich würde den beiden am liebsten die Fresse polieren. So kann man
sich doch nicht benehmen. Das ist unmöglich! Du hast gesagt: `segnet, die euch
fluchen´, ich kann’s nicht. O K, o K, segne du sie, irgendwie sind sie dir ja
auch ans Herz gewachsen. Natürlich liebst du sie. Mehr kann ich nicht. Amen.“
Franjo und
das Friedenslicht XV
Gott ist
nahe, wo Menschen einander Liebe zeigen.
J. H.
Pestalozzi
„Endlich
wieder Kerstinnachmittag“, Kerstin saß mit Miriam in der Küche und beide
bastelten Sterne für den Basar der
Kirchgemeinde. Karsten war außer Haus und die beiden Frauen machten es sich so
richtig gemütlich.
„Dafür, dass
ich gar nicht zu den Pfadfindern gehöre, stecke ich ganz schön tief drin“,
sagte Miriam.
„Natürlich
gehörst du zu uns. Was soll ich denn
ohne dich machen.“
„Die
Pfadfinder sind Robertos Ding.“
„Da bist du
eben Ehrenmitglied. Aber sag mal, wieso trennst du das eigentlich so genau?
Macht man nicht immer alles gemeinsam wenn man sich liebt?“
„Roberto und
ich waren uns immer einig, dass es viele Gemeinsamkeiten geben muss, sonst
sieht es für eine Beziehung trübe aus. Aber genau so einig sind wir uns, dass
jeder auch etwas Eigenes braucht. Ich bastle gern. Roberto bekomme ich nicht
dazu. Deshalb muss ich das doch nicht aufgeben. Roberto sammelt mit
Leidenschaft Kräuter und Früchte für Tee. Meine Leidenschaft beschränkt sich da
nur aufs Trinken. Ich würde nie mitgehen oder ihn begleiten wenn er sich mit
anderen Sammlern austaucht. Als Roberto eure Gruppe begann, dachte ich, ich
helfe nur ein klein wenig bis ihr allein klarkommt.“
„Und jetzt?“
„Fühle ich
mich manchmal wie die Mutter der Nation.“
„Bist du
unglücklich darüber?“
„ Eigentlich
nicht. Ich habe gern ein offenes Haus und
ich mag euch sehr. Aber wenn mir das Zelten erspart bliebe, wäre ich
sehr dankbar.“
„Aber noch
mal zu den Gemeinsamkeiten. Wieso ist das so wichtig etwas Eigenes in der
Beziehung zu haben“, Kerstin spricht gern über Beziehung.
„Das
Verhältnis zwischen Nähe und Distanz in einer Beziehung muss jedes Paar selber
herausfinden. Es kann aber weder sein, dass man nur nebeneinander her lebt,
noch dass man so zusammenklebt, dass gar nicht mehr als Person wahrgenommen
wird, sondern nur noch als Paar. Ich jedenfalls käme mir saublöd vor wenn alle
nur noch Robertos Frau in mir sehen und nicht Miriam.“
„Halt, die
Schleife muss von unten nach oben geführt werden, nicht von oben nach unten.
Ist wie bei den Pfadfinderknoten.“
„Bei
welchem?“
„Wenn du
mich nicht verpetzt sage ich dir ein Geheimnis.“
„Ehrenwort,
ich sage kein Sterbenswörtchen.“
„Ich weiß
nicht mehr wie der Knoten hieß.“
Die beiden
lachten. Ganz schnell war ihre gemeinsame Zeit vorbei und Kerstin ging. Kaum
hatte sie das Haus verlassen, klingelte es schon wieder.
„Hast du was
vergessen“, rief Miriam.
Sie öffnete
die Tür, doch zu ihrem Erstaunen stand Leo davor. Er sah schlimm aus. Seine
Augen waren rot, die Gesichtsfarbe ganz komisch.
„Komm erst
mal rein.“
Leo kam ins
Haus. Miriam nahm ihn mit in die Küche.
„Willst du
einen Tee?“ Leo nickte mit dem Kopf.
Miriam ließ
sich Zeit bei der Zubereitung. Leo musste anscheinend erst einmal zur Ruhe
kommen. Als sie sich umdrehte, hatte er die Arme auf den Tisch gelegt und sein
Gesicht darinnen verborgen. Miriam stellte die Tasse auf den Tisch und nahm
neben ihm Platz.
„Was ist
denn los?“
„Meine
Mutter ist bei uns ausgezogen.“
„Wieso?“
„Mein Vater
hatte eine Freundin. Wahrscheinlich ging das schon ein paar Jahre so. Gestern
hat’s Mutti gemerkt.“
Miriam
schwieg. Leo legte den Kopf wieder auf die Arme.
„Und nun?“
Er zuckte
mit den Schultern.
„Ich weiß
nicht. Vati bleibt in der Wohnung und ich muss ja auch.“
„Ist das so
schlimm?“
„Ich kenne
meinen Vater gar nicht richtig. Für mich ist es als ob ich mit einem Fremden
zusammen bin.“
„Warum denn
das?“
„Er hatte
nie Zeit. Mutti sagt immer er müsse viel zu viel arbeiten. Dabei war er immer
nur bei der da.“
„Aber
vielleicht ändert sich jetzt etwas.“
„Ich glaube,
er hasst mich.“
„Wie kommst
du denn darauf?“
„Gestern
Abend, als ich im Bett lag haben sie sich gestritten. Komisch, dass die
Erwachsenen denken, wir bekommen nichts mit. Heute, als ich aus der Schule kam,
war Mutti fort und mein Vater hat auf mich gewartet. Er hat mir dann alles
erzählt.“
„Und du?“
„Ich hab ihm
das gesagt, was du im Pfadfinderlager zu uns gesagt hast.“
„Was habe
ich denn damals gesagt?“
„Sex ohne
Liebe, und eine tragfähige,
vertrauensvolle Beziehung, ist nicht besser als billiges Fastfood. Und: Wenn
das Gras auf der anderen Seite des Zaunes grüner erscheint, dann musst du bei dir düngen und wässern.“
„Und dein
Vater?“
„Hat mir
eine geknallt.“
Jetzt erst
fiel Miriam auf, dass Leos linke Wange etwas dicker war als seine rechte.
„Und dann
bin ich abgehauen. Unterwegs habe ich Franjo getroffen. Der hat mich zu euch
geschickt.“ Miriam war zwar froh, dass die Pfadis anscheinend so großes
Vertrauen hatten, doch sie wusste auch keinen Rat. So saßen die zwei schweigend
in der Küche und warteten darauf, dass der Tee abkühlte. Da klingelte es.
Miriam ging zur Tür und öffnete. Draußen stand ein fremder Mann.
„Ist Leopold
hier? Der Stumme hat mir gesagt, dass er bei ihnen ist.“
Miriam fand
diese Bemerkung witzig, doch zum Lachen war ihr nicht zu Mute.
„Leo ist in
der Küche.“
„Darf ich
eintreten?“ Zögernd gab Miriam den Weg frei. Leopold saß immer noch am Tisch,
den Kopf in die verschränkten Arme gelegt.
„Leopold, es
tut mir leid. Komm bitte mit nach Hause.“
Leo sah
fragend zu Miriam. Die nickte vorsichtig. Er stand langsam auf und ging zu
seinem Vater. Der drehte sich um und ging schon los. Leopold faltete die Hände
und zeigte sie Miriam. Bete für mich, sollte das heißen. Wenn das alles nicht
so traurig wäre würde ich mich freuen, dachte Miriam. Leo, der Skeptiker, der
gern mit den Worten beginnt: Vorausgesetzt Gott existiert…, bittet sie darum
dass sie für ihn betet. Als die beiden fort waren setzte sie sich an den
Küchentisch und betete: Herr Jesus, die
ganze Situation ist total verfahren. Mir tut das so leid, dass die Kinder immer
ausbaden müssen, was die Erwachsenen nicht gebacken bekommen. Hilf du, dass das
gut ausgeht und zeige mir was ich tun kann, Amen.“
Sie sah die
Tasse mit dem Tee, der mittlerweile kalt geworden war. Wahrscheinlich werde ich
doch noch die Mutter der Nation!
Franjo und
das Friedenslicht XVI
Und wenn du
denkst, es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Lichtlein her.
Sprichwort
„Na, ich
sehe doch, dass sie die Kleinen lieb haben.“
Mit diesen
Worten hatte Frau Winter etwas in Roberto ausgelöst. Er dachte den ganzen
Heimweg vom Pfarrhaus darüber nach. Irgendwie schien sie Recht zu haben. Als er
mit der Gruppe begonnen hatte, hätte er sich nicht träumen lassen, dass er die
Jugendlichen so sehr ins Herz schließen würde. Natürlich könnte er jeden der
Pfadfinder mit seinen schlechten Seiten charakterisieren. Adrian mir seiner
große Klappe, Kerstin, die Zicke, Karsten den Schweiger, der nie den Mund
aufbekam, Leo, der Skeptiker, der nichts gelten lassen konnte Franjo, der
Hörgeschädigte, der nur das verstand was er verstehen wollte und Robert der
Faulpelz, der jeder körperlichen Anstrengung aus dem Weg ging. Aber er konnte
auch ganz anders über sie sprechen. Adrian, der es verstand immer wieder mit
einem Witz aufzuheitern, Kerstin, die mitfühlend und warmherzig sein konnte,
Karsten, der viel tiefer als andere über Dinge nachdachte, Leo der nach der
Wahrheit suchte und sich nicht abspeisen lies, Franjo, der Hörgeschädigte, der
für die anderen ein offenes Ohr hatte und Robert, der mit seiner Gemütlichkeit
beruhigend auf andere wirkte.
Egal wie
Roberto die Sache bedachte, Kerstin und die Jungs waren ihm nicht egal. Gerade
kam er am Bushäuschen vorbei, da hörte er Adrians Bass, nach gerade vollendetem
Stimmbruch. Gleich darauf erklang Kerstins: „Ich hasse dich.“
Roberto
schüttelte mit dem Kopf. Auch wenn er sich manchmal über sie ärgerte, er hatte
das Gefühl, dass die Jugendgruppe trotzdem ein Geschenk Gottes an ihn war. Aber
genau das verursachte auch seine Probleme. Er fühlte sich hilflos angesichts
der Schwierigkeiten, die sie hatten. `Ich werde mit Miriam reden und wir beten
ab heute jeden Abend für jeden einzelnen und wir werden sie und ihre Probleme
Gott immer wieder vortragen bis es sich bessert´. Als ihn dieser Gedanke kam,
fühlte er eine grimmige Entschlossenheit. Wenn Karsten will, kann er gern mit
dazukommen.
Sonntagabend
fragten Miriam und Roberto Karsten, ob er mit ihnen beten würde. Der
wiederum war froh, dass er gemeinsam mit
den beiden für seine Freunde beten konnte. Zu Hause hatte Karsten noch nie
gebetet. Doch als er bei Fischers einzog, dachte er schon daran, das Mal zu
auszuprobieren. Da die Klinik seiner Mutter in der ersten Zeit der Therapie
keinen Kontakt nach außen gestattete, fühlte er sich völlig verlassen. Damals
kam ihm der Gedanke abends, vorm Schlafen gehen für seine Mutter zu beten. Er
überlegte wie Roberto es machen würde.
Mit „Herr Jesus“, wie Roberto das sagte, konnte er nichts anfangen. Die Anrede“
Himmlischer Vater“, gefiel ihm besser, auch wenn sie ein bisschen verstaubt
klang. Karsten kniete sich vor seinem Bett nieder, das hatte er im Fernsehen
mal so gesehen, und bat Gott darum, dass seine Mutter wieder gesund wird. Er
hatte schon verschiedenes über Depressionen gelesen. Deshalb schien es ihm,
dass es wohl nötig wäre, für eine Heilung seiner Mutter zu beten. Nachdem die
Spannungen zwischen Roberto und Karsten halbwegs beigelegt waren, saßen sie
nach dem Abendessen noch zusammen und redeten über den Tag. Karsten war sehr
feinfühlig. Da er nicht stören wollte, ging er nach einer Weile, damit die beiden ungestört miteinander
beten konnten. Karsten betete dann in seinem Zimmer für seine Mutter. Er freute
sich sehr darüber, dass er von seinen „Ersatzeltern“ zum gemeinsamen Gebet
eingeladen wurde.
Es gab aber
noch andere, die für die Pfadfinder beteten. Frau Winter wusste ja immer alle
Neuigkeiten im Dorf, doch im Gegensatz zu Frau Sommer tratschte sie nicht
darüber. Sie nahm sich jeden Abend eine Stunde Zeit um mit Gott über all das zu
reden was im Ort geschehen war. Egal ob ein Kind geboren wurde, jemand krank
war oder im Sterben lag oder ob es in den Familien Zank und Streit gab, Gott
musste sich das alles anhören. Sie hatte ihre Anliegen richtig in Listen aufgenommen,
aus denen sie auch alles ausstrich, was in ihren Augen erledigt war. Wenn die
Liste kein Ende nahm, war sie immer traurig darüber. Für manche „Problemfälle“,
wie zum Beispiel Franjo, betete sie schon seit Jahren. Doch nicht nur Frau
Winter betete für die Pfadfinder. Pfarrer Steinbrecher traf sich ein Mal pro
Woche mit Frau Winter zu einer halben Stunde Gebet. Meist informierte die
Putzfrau den Pfarrer darüber was es Neues im Ort gab und beide brachten die
Probleme der Gemeinde vor Gott. Das Gebet für die Pfadfinder nahm immer großen
Raum ein. Pfarrer Steinbrecher
seinerseits besuchte jede Woche ein Mal Herrn Grosser. Herr Grosser war neunzig
Jahre alt. Er lag schon Jahre lang zu Hause und die, die ihn kannten erwarteten
seinen baldigen Tod. Als der Pfarrer vor zehn Jahren den Dienst antrat besuchte
er Herrn Grosser. Bald kam er regelmäßig zu diesem außergewöhnlichen Mann. Herr
Grosser hatte damals einen Schlaganfall erlitten und konnte nicht mehr aus dem
Haus. Die Besuche des Pfarrers taten beiden gut. Sicher waren auch die
Gespräche der Beiden ein Grund dafür, dass Frau Winter die Predigten des
Pfarrers für unvergleichlich gut hielt. Herr Grosser erkundigte sich von Anfang
an regelmäßig nach den Scouts. Immer noch kannte er zwar keinen von ihnen, doch
alle waren ihm vertraut. Im Gegensatz zu Frau Winter hatte er keine Listen. Er
hatte seine eigene Art zu beten. Eigentlich war er nur für Gott da und erinnerte sich dabei an die Menschen, die ihm
wichtig waren.
Trotz dieser
vielen Gebete verging die Woche bis zur nächsten Stunde und Roberto war immer
noch niedergeschlagen. Er wusste nicht was er mit den Pfadfindern anstellen
sollte. Am Donnerstagabend saß er ratlos mit Miriam und Karsten zusammen. Auch
die beiden konnten ihm nicht helfen.
„Mensch, du
hast doch sonst immer so gute Ideen. Fällt dir denn überhaupt nichts ein“,
fragte Miriam.
„Mein Kopf
ist einfach leer. Egal was ich sagen werde, es wird nichts helfen.“
„Mann, bald
ist Weihnachten“, sagte sie zu ihrem Roberto, „gibt es denn nichts Spezielles,
was die Pfadfinder zu Weihnachten machen?“
Roberto
schlug sich mit der flachen Hand vor den Kopf.
„Mensch, das Friedenslicht.“
Er sprang
auf und lief in sein Büro. Dort verschanzte er sich den ganzen Abend.
„Habt ihr
schon mal was vom Friedenslicht gehört“, fragte Roberto seine Pfadfinder. Die
sahen sich ratlos an.
„Das
Friedenslicht wird in jedem Jahr in Bethlehem in der Geburtsgrotte, unter der
Geburtskirche entzündet. In der Grotte ist eine Nische, wie eine Art Altar
darunter ist ein Stern aus Blech, mit vielen Zacken, im Boden eingelassen. In
der Mitte kommt ein Flämmchen heraus. Dort entzündet eine Pfadfindergruppe das
Friedenslicht. Diese Aktion wird vom Österreichischen Rundfunk und den
Pfadfindern getragen. Nach dem Aussendungsgottesdienst in Wien und regionalen
Sendungsgottesdiensten wird das Friedenslicht in ganz Europa verteilt. In
vielen Bahnhöfen kann man es abholen. Viele Pfadfindergruppen holen das Licht
ab und bringen es in die Krankenhäuser, Altersheime, zu den Bürgermeistern
ihrer Orte oder verteilen es am Heiligen Abend in der Kirche. Das Licht
erinnert uns an Jesus, der von sich sagte: `Ich bin das Licht der Welt´. Als
Christen sollen wir den Menschen von Jesus erzählen. Ich finde es toll, die
Botschaft von Jesus auch sichtbar zu machen. Es ist zwar nur eine unscheinbare
Flamme, doch die kleine Flamme, die von Jesus kommt kann die Dunkelheit in
unserem Leben vertreiben.“ Roberto hatte sich warm geredet. „Ihr kennt sicher
die olympische Flamme. Ein Licht wird durch alle Länder verteilt und soll zu
friedlichem Zusammenleben und Fairness aufrufen. Das Friedenslicht bedeutet mir
mehr. Wir verteilen das Licht, das von Jesus kommt und wünschen allen Menschen,
dass es hell in ihrem Leben wird.“
Gerade als
Roberto gerade erklären wollte, wie die Pfadfindergruppe sich in diese Aktion
einbringen könnten, da sagte Franjo: „Ich hole das Licht.“
„Wir werden
das Licht doch hoffentlich gemeinsam vom Bahnhof abholen“, sagte Roberto.
„Ich hole
das Licht“, wiederholte sich Franjo.
Roberto
konnte nichts mit Fanjos Worten anfangen. „Ich habe mich erkundigt, am 22.
Dezember wird das Friedenslicht am Bahnhof in der Kreisstadt verteilt.“
„Ich hole
das Friedenslicht aus Bethlehem.“
Roberto war
zuerst einmal sprachlos. Dann begann er zu argumentieren, dass man so die ganze
Aktion kaputt machen würde, wenn jeder auf eigene Faust nach Bethlehem reisen würde. Franjo ließ sich
nicht beirren. Dann sagte er zu Franjo, dass der bestimmt keinen Pass haben
würde. „Habe ich“, sagte Franjo.“ Dann fragte Roberto ihn, ob er genügend Geld
hätte. „Ich habe hundert Euro in der Sparbüchse“, war Franjos Antwort.
„Na damit
kommst du aber nur bis zum Flughafen, außerdem wirst du wohl kaum jemanden
finden, der dich kurz vor Weihnachten nach Israel begleitet.“
„Dann bete
ich eben.“
Roberto
wusste nicht mehr, was er sagen sollte. Er wollte den Pfadfindern beibringen,
dass sie sich mit allen Problemen vertrauensvoll an Gott wenden können. Franjo
hatte aber eine fixe Idee und schien Gott für seine Zwecke einspannen zu
wollen. Das geht doch nicht.
„Franjo, man
kann sich nicht irgendetwas in den Kopf setzen und von Gott verlangen, dass er
unsere Träumereien wahr macht.“
Adrian
schaltete sich ein. „Der alte Gamaliel
hat doch gesagt: `wenn es von Menschen ist, dann wird es untergehen, ist
dieses Vorhaben von Gott, dann könnt ihr es nicht vernichten´, oder so.“
„Wer oder
was ist denn Gamaliel“, fragte Roberto.
„Mein Vater
hat gesagt: Ein kluger Mann aus der Bibel.“
Da Roberto
in dem Augenblick nicht wusste, wer dieser obskure Gamaliel war, schwieg er
lieber dazu.
„Na, ich
denke wir sollten es mal versuchen“, sagte Leo.
„Was denn
versuchen“, fragte Roberto.
„Wir beten
und sehen mal, was dann wird.“
Roberto
wurde es mulmig zu Mute, zumal er ahnte, dass Leo hier austesten wollte was an
der Sache mit Gott dran war.
Die
Pfadfinder waren sich einig und beteten trotz Robertos Widerstand dafür, dass
es Franjo das Friedenslicht zum Weihnachtsfest aus Bethlehem holt.
Als die
Pfadfinder voller Tatendrang das Gemeindehaus verließen, stand Frau Winter
wieder mal im Flur.
„Kennen sie
Gamaliel“, fragte Roberto ratlos.
Franjo und
das Friedenslicht XVII
Sicher ist,
dass nichts sicher ist. Selbst das nicht.
Joachim
Ringelnatz
„Kennen sie
Gamaliel“, hatte Roberto Frau Winter gefragt.
„Natürlich,
sie nicht?“
„Im Moment
kann ich nichts mit ihm anfangen.“
„Der steht
doch in der Apostelgeschichte.“
Roberto war
zwar nicht zum Scherzen aufgelegt, doch Frau Winters Antwort nervte ihn. So
fragte er: „Mit beiden Beinen?“
„Ach Bruder
Fischer, sie sind ja ein richtiger Witzbold“.
„Frau
Winter, ich bin überhaupt nicht zum Witze machen aufgelegt. Können sie sich
vorstellen, was mir eben passiert ist?
Ich habe den Pfadfindern vom Friedenslicht erzählt und Franjo hat sich
jetzt in den Kopf gesetzt, nach Bethlehem zu fahren und es zu holen.“
„Was ist
denn das Friedenslicht?“
Roberto
erklärte ihr, was es mit dem Friedenslicht auf sich hat.
„Und was hat
das mit Gamaliel zu tun?“
„Ach, halt“,
sagte Frau Winter ehe Roberto antworten konnte, „ die Pfadfinder wollen, dass
er das tut und sie wollen das nicht.“
Roberto
hätte ihr diese Kombinationsgabe nicht zugetraut.
„Na sehen
sie doch, so ein Unsinn. So etwas ist völlig aussichtslos. Um so was zu machen
braucht es nicht nur ein Wunder, da müsste gleich ein ganzes Dutzend her.“
Roberto
wartete auf Frau Winters Zustimmung.
„ Ach, das
ist so eine Sache, man weiß ja nie, wenn ein Wunder kommt und wenn nicht.“
„Eben
darum“, sagte Roberto, „ ich bin froh, dass ich meinen Scouts verklickert habe,
dass man sich mit all seinen Problemen an Gott wenden kann und jetzt fangen die
mit so einem Mist an. Klappt es nicht mit dem Licht, und das wird so sein, dann
schließen die draus, dass Gott nicht helfen will oder kann.“
„Oder, dass
es keinen Gott gibt“, ergänzte Frau Winter. „Ich weiß da auch keinen Rat“,
sagte sie zu Roberto, „am Dienstag
treffe ich mich mit Pfarrer Steinbrecher hier im Gemeinderaum, kommen sie doch
dazu, da können wir doch darüber beten.“
Roberto
hatte überhaupt keine Lust, mit Frau Winter `darüber´ zu beten, doch er kam
dann doch am Dienstag. Vielleicht hatte Pfarrer Steinbrecher einen guten
Vorschlag.
Nachdem Frau
Winter und der Pfarrer über verschiedene Probleme in der Gemeinde geredet
hatten und dafür gebetet, sollte Roberto die Situation erklären. Er bemühte
sich, die Lage so sachlich wie möglich darzustellen und erhoffte die Zustimmung
der beiden.
„Gamaliel?
Sie können sich gar nicht vorstellen wie es mich freut, dass sich Adrian an den
erinnert. Da kann ich als Vater doch nicht alles falsch gemacht haben.“
Roberto war
es im Augenblick völlig egal, was Pfarrer Steinbrecher richtig oder falsch
gemacht hatte. Mit Franjo fing es an und mit Gamaliel ging es weiter. Und
irgendwann will Franjo das Friedenslicht aus Bethlehem einfliegen. Da kann doch
der Pfarrer nicht tatenlos zusehen und sich freuen, dass sein Sohn weiß, wer
Gamaliel ist.
„Die Kinder
erwarten nicht mehr und nicht weniger als ein Wunder“, sagte Roberto
aufgebracht.
„Eine Serie
von Wundern“, bemerkte der Pfarrer dazu,“ aber das ist ihnen heute noch nicht
bewusst.“
„Doch wenn
sie merken, dass es nicht so geht, wie sie denken, werden sie Gott die Schuld
geben…“
„Oder sagen,
dass es keinen Gott gibt“, ergänzte Frau Winter Robertos Satz.
„Tja, wenn
es ein Wunder gäbe…“ sagte Roberto.
„…dann
bliebe immer noch die Vermutung das es ein Zufall war.“ Pfarrer Steinbrecher
holte tief Luft.
„Und wenn
die Sache schief geht…“
„… dann ist
noch lange nicht erwiesen, dass die Kinder nie wieder etwas von Gott wissen wollen.“
Roberto konnte nicht glauben dass der Pfarrer solche Ansichten vertrat.
„Vertrauen
sie doch auf das, was sie ihnen beigebracht haben“. Roberto fragte sich, was er
den Pfadfindern überhaupt beigebracht hat.
„ Ich habe
mich als junger Pfarrer auch für jedermanns Glauben verantwortlich gefühlt.
Mittlerweile weiß ich, dass das nicht geht. Ich kann nur das vermitteln, was
ich von Gott weiß und versuchen das vorzuleben, was ich sage, trotz meiner
Fehlerhaftigkeit. In wie weit die Menschen Gott, oder Jesus, in ihr Leben
einlassen, kann ich nicht bestimmen. Ich kann keinen Glauben machen und sie
auch nicht, Bruder Fischer.“ Roberto zuckte bei Bruder Fischer, zusammen. Er
konnte es nicht leiden so angesprochen zu werden.
„Aber ich
habe doch eine Verantwortung.“
„Natürlich,
trotzdem können sie nicht Gott spielen. Letztendlich ist jeder für sich selbst
verantwortlich. Meinen sie nur nicht, mir fällt es leicht, das zu akzeptieren.
Ich hoffe und bete jeden Tag, dass mein Sohn den Weg einschlägt, den ich für
richtig halte, aber ich muss ihn gehen lassen wohin er sich entscheidet.
Glauben sie mir, das kann sehr wehtun.“
Roberto
spürte, dass ihm der Pfarrer Einblick in sehr persönlichen Gefühle und Gedanken
gegeben hatte. Trotzdem war er enttäuscht, dass ihm hier die Unterstützung
gegen Franjos Projekt nicht so entgegengebracht wurde, wie er wollte.
„Aber wie
soll das jetzt weitergehen?“
„ Gamaliel
sagte: Ist’s nicht von Gott, dann stirbt es von alleine und ist es von Gott,
könnt ihr es nicht verhindern. Stellen sie doch eine Liste von allem auf, was
Franjo für die Reise braucht und was organisiert werden muss. Vielleicht
verlieren sie dann den Mut, wenn sie das Ausmaß des Vorhabens kennen.
Irgendwann müssen sie ja entscheiden, was sie wollen.“
Am Freitag
fragte Roberto die Pfadfinder danach, was Franjo alles für sein Vorhaben
brauchen würde.
Pass- erledigt
Geld- nicht
erledigt
Erwachsener/
Begleiter nicht erledigt
Flugticket nicht erledigt
Hotelreservierung nicht erledigt
Auto im Land nicht erledigt
Organisation
der Reise nicht erledigt
Befreiung
von der Schule nicht erledigt
Laterne fürs
Licht nicht erledigt
Als sie die
einzelnen Punkte diskutierten, ging es hoch her. Kerstin schlug vor, Plätzchen
zu backen und zu verkaufen, um die Reisekasse aufzubessern. „Wie teuer wird
denn das alles“, fragte Adrian. „Na, Flug, Hotel, Auto, da muss man schon mit
einem Tausender, mindestens, rechnen. Kommt auch auf die Aufenthaltsdauer an,
da können schon mal locker 1600 Euro zusammenkommen. Wenn du dann noch den Begleiter
rechnest…“, Roberto freute sich auf die Wirkung seiner Worte.
„Na, dann
kannste aber Plätzchen backen, dass die Schwarte kracht.“
„Haste einen
besseren Vorschlag, du Klugscheißer“, Kerstin fauchte Adrian an.
„Unsere
ganzen alten Spielsachen bei e-bay verscherbeln.“
„Oh, e-bay
ist aber überhaupt nicht berechenbar“, sagte Robert. „Zuerst würde ich mal
sehen wo wir sparen können. Es ist nämlich nicht immer billiger, wenn man
direkt fliegt. Über Wien oder Zürich, mit Umsteigen spart vielleicht einen Hunderter.
Mal zwei sind schon zweihundert.“
„Woher weißt
du denn das“, fragte Leo erstaunt.
„Internet“,
lächelte Robert.
„Ich denke,
du spielst nur rum“, sagte Leo.
„Sparen,
sparen“, schaltete Adrian sich wieder ein. „Wenn du hier ein paar Hunderte
sparst und dort ein paar Hunderte, bekommt Franjo am Ende noch etwas raus, wenn
er nach Bethlehem fliegt.“
„Außerdem
brauchen wir uns mit der Laterne nicht zu behängen“, sagte Karsten, „wir haben
noch eine Sturmlaterne zu Hause, die kann Franjo haben.“
„Irrtum“,
erwiderte Roberto, „in deiner Sturmlaterne ist eine brennbare Flüssigkeit.
Denkst du die lassen Franjo mit einer brennbaren Flüssigkeit und offenem Licht
ins Flugzeug? Da springt die Sicherheit doch im Dreieck.“
Darüber
hatte noch niemand nachgedacht.
Plötzlich
klopfte es an der Tür. Pfarrer Steinbrecher trat herein. Adrian bekam einen
ärgerlichen Gesichtsausdruck. Bei den Pfadfindern war der einzige Ort, an dem
er Adrian war und nicht der Sohn des Pfarrers. Jetzt musste sich sein Vater
hier auch noch einmischen.
„Habt ihr
schon jemanden, der eine Laterne für das Friedenslicht baut?“
Die
Pfadfinder schüttelten die Köpfe.
„Ich hätte
jemanden, Herr Grosser will es sich nicht nehmen lassen, die Laterne zu bauen.“
„Der ist
doch schon fast tot“, kam es patzig aus Adrian hervor.
„ Herr
Grosser liegt schon lange im Bett und wird bald sterben. Für ihn wäre es eine
große Ehre und sein letzter Wunsch, eure Laterne bauen zu können. Er hat schon
vor vielen Jahren die Einzelteile für eine Laterne vorbereitet und braucht sie
nur noch zusammenzubauen. Dabei muss ihm aber jemand von euch helfen.“
Die
Pfadfinder saßen mit gesenkten Köpfen um den Tisch herum. Plötzlich sagte
Karsten:“ Ich gehe am Montag zu ihm.“
Der Pfarrer
bedankte sich und ging. Roberto hatte schon wieder das Gefühl, dass ihm der
Pfarrer in den Rücken gefallen war. Da
die Pfadfinder mit den anderen Punkten auf der Liste nicht weiterkamen,
vertagten sie ihre Beratung, jedoch nicht ohne noch einmal inbrünstig dafür zu
beten, dass das Friedenslicht zu
Weihnachten bei ihnen scheint.