Dienstag, 31. Januar 2012

Doch noch, weiße Weihnacht!

Eigentlich hat kaum jemand damit gerechnet, dass wir weiße Weihnachten bekommen. Hatten wir ja auch nicht, mal abgesehen vom Schnee beim letzten Gottesdienst in der Weihnachtszeit, dem musikalischen Abschlussgottesdienst. Das, was wir im letzten Jahr zu viel an Schnee hatten, hatten wir in diesem Jahr zu wenig. Die Adventszeit begann für uns, genau wie letztes Jahr, im Dorfgemeinschaftshaus in Großschwabhausen.  Dieses Mal gab es nach dem Gottesdienst Mittagessen. Wir hatten noch Fleisch von unserem Posaunenchorjubiläum übrig. Das haben wir kurzerhand der Gemeinde vererbt. So wurde aus dem Nachmittagsgottesdienst mit Kaffee ein Vormittagsgottesdienst mit Mittag.  Doch vor dem Essen kommt bekanntlich die Arbeit.
Natürlich ist der Posaunenchor bei einem musikalischen Gottesdienst nicht wegzudenken. Doch auch dieses Mal hat mir die Fußbodenheizung einen Streich gespielt. Sei es, dass sie ein Grad zu viel hatte, sei es, dass ich sie nicht vertrage, ich hatte ein wenig Beklemmungen beim Blasen. Beim Essen waren die dann wieder weg. Im Urlaub hatte eine Heilsarmeemajorin mir von der Entstehungsgeschichte des Liedes „Macht Hoch die Tür“ erzählt. Zum Glück gibt es ja Email. Sie hat mir die Geschichte zukommen lassen und ich habe sie meinem Pfarrer gegeben. Er war froh, dass wir so eine schöne Geschichte hatten. Die Konfirmanden, allen voran unser Jungbläser Niclas, haben die Geschichte vom Herrn Sturgis aus Königsberg aufgeführt, und wir das Lied dazu gespielt.
Am zweiten Advent hatten wir dann „nur“ Gottesdienst in Kötschau. Unser Doc hat sich da wieder mal etwas erlaubt, was nicht so schnell vergessen werden sollte. Der Doc ist ein Original. Ich kannte früher verschiedene Originale und war immer der Meinung, sie wären mittlerweile ausgestorben. Es dauerte eine Weile bis ich begriffen hatte, dass es doch noch eines gibt. Ein ehrlicher, liebevoller und mitfühlender Mensch ist unser Doc, der einen manchmal zur Weißglut bringen kann. Meist bereichert er uns durch seine originelle Art. Manchmal lachen wir über ihn, doch niemand lacht ihn aus. Am zweiten Advent vereinbarte er mit unserem Ingo, dass sie gemeinsam am Ende des Gottesdienstes ein Lied spielen. Der Doc mit der Flöte, der Ingo auf dem Harmonium.  Der Gottesdienst war zu Ende, Ingo drehte sich fragend um. Es dauerte eine Weile bis sich der Doc daran erinnerte, dass er seine Flöte hervorholen müsse. Als er seine Flöte zückte und am Harmonium ankam, erinnerte er sich nicht mehr welches Lied er eigentlich spielen wollte und spielte prompt das auf der falschen Seite. Ingo ist locker, nach dem ersten Fehlversuch zeigte er dem Doc das richtige Lied. Nun spielten die beiden schon mal die gleichen Noten. Auch ganz gut, doch irgendetwas klappte nicht. Ingo hat manchmal sein eigenes Tempo und der Doc spielt doch lieber ganz ohne Noten. Mitten im Stück setzten beide ab, um noch einmal von vorn zu beginnen. Entschuldigend sagte der Doc, dass er doch hätte einmal üben sollen. Nun, in dem kleinen Kötschauer Gemeinderaum mit etwa 10 Gemeindegliedern ist das nicht so schlimm. Wir kennen uns ja. Der nächste Versuch war gar nicht so schlecht. Harmonium und Blockflöte klingen erstaulich gut zusammen. Der Doc war aber immer noch  unzufrieden. Ein Ton würde bei der Flöte nicht gehen. So etwas hatte ich bis dato noch nicht gehört. Der Doc inspizierte seine Flöte kritisch und entdeckte, dass er seinen Flötenreiniger drin gelassen hatte. Wir konnten uns vor Lachen kaum einkriegen. Der Sonntag war gerettet.
Am Dritten Advent hatten wir, wie jedes Jahr, unsere Weihnachtsfeier gehabt. Dieses Jahr haben wir in Großschwabhausen geblasen um unserem Jürgen gleich noch ein Geburtstagsständchen zu bringen. Nach dem Kaffeetrinken im Isserstedter Gemeinderaum, ging es in den Ort, um nach den Ständchen wieder im Gemeinderaum zu Abend zu essen. Als wir in Isserstedt spielten, stieß unser Doc zur Ständchentruppe hinzu. Seit seine Frau gestorben ist, sucht er Anschluss in der Kirchengemeinde. Niclas ist faktisch sein Großneffe und wir sehen den Doc gern bei uns. Irgendwie klappt es immer, dass er bei unseren Feiern, rein zufällig, dabei ist. Ich überlegte noch, wo ich meine Leute zum zweiten Ständchen in Isserstedt hin beordern würde, da meinte der Doc: „könnt ihr nicht beim Karlheinz spielen?“. Karlheinz ist fast sechzig Jahre alt und vor einigen Jahren beim Apfelpflücken von der Leiter gefallen.  Eigentlich waren es nur ein paar Stufen, doch zum Wirbelbruch und zur Querschnittslähmung hat es gereicht. Inzwischen hat ihm  sein Sohn ein kleines Häuschen gebaut in dem er leben kann denn seine Hände kann er nicht mehr gebrauchen. Der Vorschlag vom Doc hat mich berührt. Zu denen gehen, die nicht von selber kommen können, das ist echte Posaunenmission. Selten habe ich mich selber so über ein Ständchen gefreut. Vielleicht war da ein Gefühl dabei mit Jesu Willen im Einklang zu sein.
Dann kam der Heilige Abend. Ich hatte mich gemeldet einen Gottesdienst zu übernehmen. und wurde nach Hohlstedt beordert, unserem Nachbarort, einen Kilometer entfernt. Da ich wusste, die Beleuchtungssituation ist schwierig, brachte ich unsere Posaunenchorstrahler mit. Als ich in der Kirche auf die Empore stieg, um die Strahler aufzustellen, hörte ich wie der Doc mit der Flöte auf dem Glockenboden „Maria durch ein Dornwald ging“ spielte. Sofort warf ich mein Programm um. Das Vorspiel des Posaunenchores fiel aus, stattdessen spielte der Doc. Das war eine sehr gute Idee. So war, nachdem drei Leute Psst gemacht hatten, Ruhe in der Kirche. Eigentlich blase ich am Heiligen Abend lieber mit den anderen zusammen, ja es ist für mich wichtig, dass wir an diesem Abend noch einmal gemeinsam musizieren. Niclas hatte sich die Hand beim Reiten gebrochen, trotzdem kam er nach Hohlstedt und war an diesem Abend bei uns.  Das habt mich besonders gefreut.
Nun, meine Bläser spielten auf der Empore genau gegenüber dem Altar. Ich stand am Altar. Da war es mir kaum möglich mitzuspielen. Beim „O du fröhliche“,am Schluss, hielt es mich aber nicht mehr, ich ging durch die gefüllte Kirche die Treppe hinauf um bei meinen Leuten zu sein. Diethart in der Ersten Stimme nahm das zum Zeichen, dass ich mit der Posaune zur zweiten Strophe Melodie spielen wollte und setzte ab. O, das war wieder mal so eine Schrecksekunde. Ich spähte zwischen den Rücken hindurch auf die Noten. Sie waren ja sooo weit weg. Nur gut, dass „O du fröhliche“ auch fast aus dem Kopf geht.
Der Gottesdienst war im Ganzen richtig gelungen. Für mich war schon die Vorbereitung ein Erlebnis. Eigentlich predige ich nicht gern am Heiligen Abend. Lieber sieben Leute, die wissen was ich meine, als einhundert bei denen man nicht weiß wo man anfangen soll. In diesem Jahr hatte ich eine Entdeckung in der Volxbibel gemacht und hätte gern darüber gesprochen. Doch im Urlaub, im November, betete ich, dass der HERR mir zeigen sollte, was dran ist. Nun, wenn man so etwas betet, dann muss man auch damit rechnen, dass Gott das ernst nimmt. Meine Predigt war völlig anders als vor zwei Monaten angedacht. Schon die Länge war unverantwortlich, doch die Leute haben trotzdem zugehört. Das Schlussgebet hatte ich als das große Weihnachtsgebet angekündigt und alle gebeten den Satz „Herr wir bitten Dich…“ nur bei  Bitten zu sprechen, die ihnen wichtig sind. Man hörte welche Bitten den Leuten am Herzen lagen. Meine Nachbarin, die ich sonst nicht in der Kirche sehe, hat sich mit ganzer Energie für das Krippenspiel eingebracht.  Alle Kinder haben laut und deutlich gesprochen, nicht nur ihre eigenen. Am nächsten Tag erzählte der Doc mir, dass jemand behauptet hätte, ich hätte das besser gemacht als ein Pfarrer. Ein befreundeter Professor, dessen Meinung ich in vielen Dingen schätze, schrieb mir in einer Email, er und sein Kollege sind der Meinung, dass es das Beste war, was sie bisher dieserart erlebt haben. Nur ich bin nicht ganz glücklich. Ich wollte doch die Menschen ansprechen. Ob das gelungen ist? Da zweifle ich noch.
Am 6. Januar war unsere Gemeinde mit dem Bus ins Erzgebirge gefahren. Über 600 Metern gab es wirklich Schnee. Die Fahrt war sehr gelungen. Sicher lag das auch daran, dass unser Pfarrer  aus dem Erzgebirge kommt und die Reiseleitung hatte. Man spürte Herzblut. Als wir in Neudorf einem Vortrag über die Herstellung von Räucherkerzen lauschten, waren wir alle wie gebannt. Der Vortragende war ein Jugendfreund unseres Pfarrers.  Er konnte so lebhaft Geschichten zu den Räucherkerzen erzählen. Als Unterhalter lieferte er handwerklich gesehen, eine tolle Show ab. Inhaltlich war es sehr viel mehr. Lebensweisheit, Liebe zur Heimat, Achtung vor den Menschen und dem Leben, auch eine Portion Glauben, gepaart mit viel Humor haben diese Stunde unvergesslich gemacht. Am Ende konnten wir natürlich den kleinen Laden besuchen. Obwohl man uns nicht belatschert hatte die Räucherkerzen zu kaufen, gingen einige über den Ladentisch. Nebenbei hörte man schon die Ankündigung, dass in der nächsten Stunde Räucherkerzen mit Gästen hergestellt werden würden. Uns traf das nicht, denn der Bus wartete schon darauf, dass wir einstiegen. Alle waren glücklich auf ihrem Platz gelandet, nur der Doc nicht. Wir vermuteten, dass er noch im Laden war aber niemand kam mehr aus dem Laden heraus. Unser Pfarrer sah nach dem Rechten. Er fand ihn dann auch. Unser Doc saß im Vortragsraum und wartete darauf, dass die Räucherkerzenherstellung begann. Endlich war die Reisegruppe komplett und es ging  nach Schwarzenberg. Dort in der Kirche hatten die Schwarzenberger, am 6. Januar, ihr bergmännisches Krippenspiel mit Bergmannsparade. Für uns waren sogar Plätze reserviert. Besonders gelungen war die Reservierung für mich, konnte ich doch durch ein geöffnetes Fenster in der Kirche zu den Jungbläsern sehen, die an diesem Abend die Lieder begleiteten. Ich sah natürlich, wie sie ein wenig herumalberten und sich ein bisschen neckten. Wie bei uns zu Hause, dachte ich. Besonders beeindruckend waren für mich die erzgebirgischen Weihnachtslieder. Die Noten haben wir auch. Wir spielen sogar daraus. Doch diese Folklore war mir trotzdem fremd. „Weihnachten is, stille Nacht, härt när wies Holz in Ufen kracht…“, das erschien mir bis dahin wie eine Parodie auf ein Weihnachtslied. Auf einmal singen die Leute in einer rappelvollen Kirche dieses Lied mit Inbrunst. Das hat mir ein ganz anderes Verständnis dieser Lieder eröffnet.
Eine Woche drauf war ich mit meinem Pfarrer und den Vorkonfirmanden in Weimar. Johannes Falk, der Dichter des „O, du fröhliche“, lebte hier und hat 500 Waisenkinder ernährt und erzogen. Von den Acht Vorkonfirmanden hatten sich zwei im Vorfeld abgemeldet, am Ende erschienen nur vier. Der Vereinsvorsitzende des Falk Vereins, Paul Andreas Freyer, hat den Vortrag hervorragend gehalten. Ich fand ihn toll und jugendgemäß. Ob das die Vorkonfirmanden auch so sahen war nicht zu eruieren. Da Falks „O, du fröhliche“ ein Dreifeiertagslied war, hatte Herr Freyer nach den kirchlichen Feiertagen gefragt. Selbst bei Weihnachten musste er noch Hilfestellung geben. Nach dem Besuch von Falks Grab im historischen Friedhofe und der orthodoxen Kapelle, gleich nebenan, mussten zwei schnell nach Hause. Sie hatten einen Termin. Ich vermute, dass mindestens einer der Übriggebliebenen das darauffolgende Kickerspielen im Pfarrhaus für die Beste Aktion des Tages gehalten hat.
Langsam kam der Abschluss der Weihnachtszeit heran. Für unsere Jungbläser war es das erste Mal, dass sie das Plewka Medley vollkommen spielen würden. Das Weihnachtsliedermedley hat Frank Plewka extra für uns geschrieben. Wenn das gut läuft ist uns der Applaus sicher, doch dafür muss man üben. Lisa konnte dem Stück überhaupt nichts abgewinnen, was sie auch lautstark kundtat. Es wäre nicht das erste Mal, das etwas am Anfang bei ihr durchfiel um am Ende zur Kategorie „Lieblingsstücke“ zu gehören. Unser Pfarrer hatte auch noch zwei Lieder in D- Dur ausgesucht, die wir eifrig üben mussten. D- Dur hatten unsere Jungen bisher kaum gespielt. Man, hatte unser Pfarrer ein Glück, dass  er bei dieser Probe gefehlt hat.  
Am letzten Sonntag in der Weihnachtszeit gab es doch wirklich noch Schnee. Letzes Jahr hatte dieser Abschlussgottesdienst das Gefühl ausgelöst: „vier Wochen zu spät“. Dieses Mal war das anders.  Es war noch mal richtig weihnachtlich. Unser Ingo fing mit einem Stück an, das uns sehr fröhlich eingestimmt hat. Am Weihnachtsbaum die Lichter brennen. Es brannte in jazzigem Gewandt. Der Großschwabhäuser Männerchor sang. Seit ein Rußlanddeutscher diesen Chor leitet, ist er nicht nur gut zu hören, er beeindruckt. Unser Projektchor war dabei und hat gut gesungen. Ein Glück, dass unsere Pfarrfrau so schön zweite Stimme singen kann. Sie war alleine in ihrer Stimme und hat den Laden hervorragend geschmissen. Nur der Kinderchor war sehr dezimiert. Wahrscheinlich war die Gruppe der Übenden groß gewesen, doch nun waren die Einen krank und die Anderen hat der Schnee, der endlich lag, zum Rodeln verleitet. Trotzdem gab es einen  Rest, der sich tapfer geschlagen hat. Maria hat prima Gitarre gespielt. Das Umgreifen ging schon ganz gut. Sie hat ja auch tüchtig geübt. Statt einer Predigt hat unser Pfarrer davon erzählt, wie Johannes Falk dazu kam, sein Lied zu schreiben. Dazu gab es Bilder, die mit dem Beamer für alle sichtbar gemacht wurden. Es war richtig toll. Ob in Weimar ein Funke zu den Vorkonfirmanden übergesprungen war wird wohl nie zu erfahren sein, dass Falk auf unseren Pfarrer Eindruck gemacht hat war zu spüren. Wenn mehr Kinder dagewesen wären, wäre das ein prima Familiengottesdienst gewesen. Aber so war es verblüffend zu sehen, wie die Sänger des Männerchores, die Sangesbrüder unseres Pfarrers, an seinen Lippen hingen.
Auch der Posaunenchor gab sein Bestes.  In den Unterstimmen hatten wir bisher kaum Personalprobleme. Neuerdings ist das leider öfter mal der Fall. Tenöre und Bässe waren nur sehr wenige da. Unser Tubist hatte Geburtstag und das Haus voll. So blieb sein Platz leer. Aber unsere Jungen werden immer besser. Das macht Freude. Nach über einer Stunde erklang dann endlich unser Plewka Medley. Ganz schlecht klang es nicht.
Es wurde Kühl in der Kirche. Der Glühwein, den es im Anschluss nach dem Gottesdienst gab, hat das nicht ganz ausgleichen können. Trotzdem kann man sagen, dieser Gottesdienst und die vergangene Weihnachtszeit haben das Herz erwärmt.

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