Sonntag, 8. März 2015

Franjo und das Friedenslicht restliche Geschichten

Franjo und das Friedenslicht XVIII
Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
Eines der Worte Jesu am Kreuz                      
Roberto kam am Montag später nach Hause. Sein Projekt sollte bis zum ersten Advent abgeschlossen sein, das brachte Überstunden mit sich.
Nachdem er eine Weile bei Miriam in der Küche saß, fragte er nach Karsten.
„Als ich vorhin heimkam, war in seinem Zimmer kein Licht. Ist er noch unterwegs?“
„Glaub ich nicht, sagte Miriam. Er war heute bei diesem Herrn Grosser, der die Laterne für das Friedenslicht bauen will, und kam, als es dunkel wurde nach Hause. Kerstin war bei mir, Karsten ging sofort nach oben. Aber, komisch, jetzt wo du es sagst, er hat überhaupt keine Musik angemacht.“
„Ach, langsam nervt dich das Geheule wohl auch?“
„Wer Teenager im Haus hat braucht starke Nerven.“
„ Aber komisch ist das schon. Er hat überhaupt nichts gesagt?“
„Nein, wenn ich dir es doch sage. Du, Roberto, hol ihn doch zum Abendessen runter, dann wissen wir mehr.“
Roberto ging in die obere Etage. Er klopfte an Karstens Zimmertür.
„Darf ich hereinkommen?“
„Ja“
„Warum hast du denn kein Licht an?“
Karsten blieb stumm.
„Hast du was dagegen, wenn ich welches anmache?“
„Nein“
Als Roberto das Licht angeschaltet hatte, sah er Karsten, der blass und verstört auf der Bettkante saß.
„Du warst doch heute bei Herrn Grosser?“
Karsten nickte.
„Was ist denn passiert?“
Karsten sagte kein Wort.
„Komm erst mal runter zum Essen.“
Beide gingen nach unten. Auch Miriam war erschrocken, als sie Karsten sah.
„Setz dich erst mal“, sagte sie. Roberto und Miriam setzten sich neben Karsten und versuchten herauszubekommen, was mit ihm los war.
Erst nach zehn Minuten konnten sie sich ein Bild machen.
Karsten war bei Herrn Grosser, wie vereinbart, erschienen.
Es war nicht schwer, die Laterne zu finden. Seine Tochter nahm ihn mit in die alte Tischlerwerkstatt. Er war beeindruckt von der Ordnung, die darin herrschte. Jedes Ding hatte seinen Platz. Es brauchte kaum eine Minute, da waren die Laternenteile gefunden. Herr Grosser wollte, seiner kleinen Tochter diese Laterne zum Martinstag bauen. Dazu kam es aus irgendwelchen Gründen damals nicht mehr und so hatte er die Teile über Jahrzehnte aufgehoben. Das Zusammensetzen würde keine große Mühe machen, doch Herr Grosser wollte es unbedingt selber erledigen. Er lag im Bett und war sehr schwach. Zuerst einmal begann er zu erzählen warum er unbedingt die Laterne bauen wollte. Mit schwacher Stimme, unterbrochen von vielen Pausen berichtete er:
„Als ich noch ein kleiner Junge war, hatte ich einen Freund, Alfred. Alfred und ich waren Nachbarskinder. Seine Eltern hatten einen kleinen Bauernhof, meine die Tischlerei. Wir wurden am gleichen Tag geboren und waren auch wie Brüder, vielleicht sogar mehr als das.  Viele Brüder verstehen sich nicht so gut, wie wir uns verstanden. Als wir klein waren, wollten wir immer im gleichen Zimmer schlafen. Unsere Eltern hatten  nicht viel Platz und so kam es, dass wir manchmal in Alfreds und manchmal in meinem Bett schliefen. Als wir dann in die Schule mussten hingen wir zusammen wie die Kletten. Damals gab es noch die Prügelstrafe und wenn einer von uns bestraft werden sollte, ging der andere mit nach vorn. Und wir mussten oft nach vorn… Unsere Konfirmation feierten wir gemeinsam. Als wir dann zur Tanzstunde, später zu Tanze gingen, waren wir immer noch unzertrennlich. Gab es mal eine Rauferei, dann stand einer dem anderen bei. Dann kam der Krieg und wir mussten nach Russland. Auch dort blieben wir zusammen. Wir konnten es immer so drehen, dass wir nicht getrennt wurden. So kam es, dass wir gemeinsam im Schützengraben steckten. Es waren Wochen in eisiger Kälte. Wir hatten kaum etwas zu essen, und froren. Ständig waren wir in Angst davor, dass wir von Granatsplittern getroffen werden. Man kann sich nicht vorstellen, wie schrecklich es ist, in  so einem Schützengraben zu liegen. Um uns gegenseitig Mut zu machen träumten wir von einer besseren Zukunft. Wir überlegten welche Mädchen wir nach dem Krieg heiraten würden, wie wir Hof und Tischlerei miteinander verknüpfen könnten und wie schön es wäre, wenn wir Kinder hätten, die sich dann auch wieder so gut verstehen würden, wie wir. Vielleicht ein Junge und ein Mädchen, die dann heiraten könnten. Jeden Tag klammerten wir uns an solche Träume und machten uns gegenseitig Mut. An einem Morgen fingen unsere Feinde wieder mit dem Granatbeschuss an und plötzlich wurde ich von einem Granatsplitter getroffen. Ich konnte mich nicht rühren und rief Alfred zu, dass er zu mir kommen sollte. Gerade als er mich erreicht hatte, traf ihn ein Querschläger. Er rief laut „Mutter“ und fiel tot auf mich. Ich lag unter meinem toten besten Freund und konnte mich nicht rühren. Niemand kam mir zu Hilfe. Da der Beschuss über Stunden dauerte, spürte ich, wie sein Körper langsam kalt wurde. Er kam mir immer schwerer vor, bis ich die Besinnung verlor. Ich wachte erst im Lazarett wieder auf.“
Als die ganze Geschichte raus war, sagte Roberto:
„Es tut mir leid, wir hätten dich da nicht hinlassen dürfen. So etwas ist viel zu schwer zu verkraften für dich.“
„Viel zu schwer? Viel zu schwer? Weißt du überhaupt was Kinder auf der ganzen Welt verkraften müssen?“ Miriam schüttelte erregt den Kopf. „Sie gehen mit ihren Freunden über eine Wiese, da werden sie von einer Landmine zerrissen. Oder sie heben ein Spielzeug auf, es explodiert und sie verlieren die Hand. Oder sie werden in eine Uniform gesteckt und müssen auf Menschenschießen? Neulich habe ich einen Bericht gehört, da wurden Kinder gezwungen ihre eigenen Eltern zu töten.“
„Ja Miriam das ist schrecklich, aber da kann doch Karsten nichts dafür.“
„Das weiß ich, aber ich fühle mich ohnmächtig, wenn ich all das höre und ich habe jetzt eine  riesige Wut im Bauch.“
„Ach, Miri, wir haben bald Weihnachten. Da feiern wir, dass Gott Mensch wird. Er hat das alles auch erlebt. Er hat das alles freiwillig mit sich machen lassen, was uns kaputt macht. Er ließ sich anspucken, verhöhnen, schlagen und töten. Weihnachten ist etwas völlig anderes als wir es landläufig feiern. Ich glaube, dass ich dieses Jahr kein Engelchen mit Flügelchen sehen kann,  ohne darüber in Wut zu geraten.“
„ Das war doch noch nicht alles“, sagte Karsten.  „Als Herr Grosser nach Hause kam, hat er immer wieder davon geträumt. Immer wieder, dass sein toter Freund auf ihm lag und er nichts machen konnte. Er hat ihn nachts im Schlaf immer wieder schreien hören. Als er fünfzig Jahre war, wollte er sich das Leben nehmen, weil er es nicht mehr aushalten konnte. Ordentlich, wie er war, wollte er noch all seine Sachen sortieren. Dabei fiel ihm seine Konfirmationsbibel in die Hände. Er las einige Geschichten von Jesus. Dabei fühlte er sich ein wenig ruhiger. Er hatte bis dahin nichts mit dem Glauben am Hut. Doch als er merkte, dass es ihm gut tat in der Bibel zu lesen, hat er das jeden Tag gemacht. Später ging er oft zum Pfarrer, um mit ihm zu reden und zu beten. Aber es brauchte noch viele Jahre bis er keine Alpträume mehr hatte. Herr Grosser hatte vom Pfarrer erfahren, dass Franjo das Friedenslicht aus Bethlehem holen will. Nun will er unbedingt die Laterne beisteuern und außerdem, dass wir das Friedenslicht unter das Kriegerdenkmal stellen, in dem Alfreds Name eingehauen ist. Er sagt: das ist das Einzigste, was ich für Alfred machen kann. Er weiß ja nicht mal, wo er beerdigt worden ist. Vielleicht hat er gar kein Grab. Es ist sein letzter Wunsch und nun hat er mich darum gebeten, dass wir uns beeilen. Er will das Licht sehen bevor er stirbt.“ Karsten umarmte Roberto: „Wir müssen das Friedenslicht unbedingt holen. Wir müssen das schaffen.“
Roberto sagte: „Ja“ und dachte, wenn ich nur wüsste, wie wir das anstellen sollen.


Franjo und das Friedenslicht XIX
Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur du denkst…
Sprichwort

Endlich Freitagabend. Roberto kam vom Pfadfindertreffen. Karsten war mit seinem Vater zu Hause und Roberto und Miriam hielten Dämmerstunde. Auf dem Tisch brannte eine Kerze und beide hatten eine Tasse mit Robertos Spezialtee in der Hand.
„Ach, bin ich froh, dass die Woche rum ist. Die blöden Überstunden machen mich ganz kaputt. Und wenn die Geschichte mit dem Friedenslicht nicht wäre, ginge es mir auch besser.“ Zur Pfadfinderstunde hatte Karsten die Geschichte von Herrn Grosser erzählt, obwohl sie sie alle schon kannten, die Telefone der Pfadfinder waren in der letzten Woche heißgelaufen. Alle waren von der Geschichte  ergriffen und wollten, dass die Laterne „Alfreds Laterne“ hieß. Das war das einzige greifbare Ergebnis. Es gab zwar viele Diskussionen darüber, was man tun müsste, doch am Ende kam nichts heraus als ein Gebet, dass alle voller Hingabe beteten. 
„Irgendwann kommt das böse Erwachen wenn sie merken, dass sie kein Stück weiterkommen. Ich weiß nicht wie ich sie dann auffangen soll.“, stöhnte Roberto.
„Ach mach dich nicht verrückt, kommt Zeit, kommt Rat“, sagte ‚’Miriam.
Draußen klingelte es.
„Erwartest du jemand?“, fragte Miriam.
„Du etwa?“
Beide schüttelten den Kopf.
Roberto ging an die Tür und draußen stand Robert.
„Du, ich muss mal mit dir reden.“
„Komm rein, was hast du denn?“
 „Ich habe da mal im Internet nachgesehen.“
„Setz dich. Trinkst du einen Tee mit“, Miriam sah Robert an, Robert verneinte.
„Also, ich habe verschiedene Hotels rausgesucht. Am Besten wird es sein, wenn ihr in der Umgebung von Jerusalem übernachtet. Die Kibbuzhotels sind teilweise recht günstig. Schätze mal, dass ihr mindestens drei Tage braucht, vielleicht auch vier.“
„Moment mal“, sagte Roberto, „ wer ist ihr? Ich fahre nicht mit. Ich habe ab ersten Advent ein neues Projekt.  Da ist überhaupt nichts drin.“
„Na, dann eben die, die fahren. Irgendjemand wird sich schon finden, der mit Franjo mitfährt. Ich habe auch schon die Autovermietungen abgeklappert. Eigentlich könnte ich schon alles festmachen.“
„Wie alt bist du“, fragte Roberto.
„Na zwölf:“
„Robert, du bist doch überhaupt nicht geschäftsfähig“, rief Miriam.
„Na das ist doch prima. Wenn es nicht klappt brauch´ ich keine Strafe zu bezahlen.“
„Sag mal, spinnst du“, fragte Roberto erschrocken. „Wenn man Aufträge erteilt, die man nicht bezahlen kann, dann ist das eine Sauerei. Das gehört sich nicht, vor allem nicht für Pfadfinder.“
„Ich hab’s ja nur gut gemeint“, sagte Robert kleinlaut.
„Das Gegenteil von gut ist gut gemeint“, bemerkte Roberto.
„Bist eben mal übers Ziel hinausgeschossen“, beschwichtigte Miriam, „aber trotzdem gut, dass du dir Gedanken gemacht hast.“
 „Ich habe mich auch schon mal erkundigt“, sagte Roberto, „ Ich habe einen Pfadfinder in Jerusalem, der würde alles organisieren. Ihm kommt es zwar komisch vor, dass Franjo nach Bethlehem will, aber mir zuliebe…“
„Ach deshalb war unsere Telefonrechnung, trotz Flatrate  so hoch.“ Miriam sah zu Roberto.
„Telefonierst du nicht über das Internet“, wunderte sich Robert, „da kann man doch kostenlos telefonieren. Ich bin bei Skype in der Community, da habe ich gleich noch Bildübertragung dabei. Wenn du willst, installiere ich dir das.“
Miriam lächelte Roberto an. „Tja, wir werden alt.“
„Wenn ich dich brauche, gebe ich Bescheid“, sagte Roberto.
Robert verabschiedete sich.
Kaum war er weg, klingelte es schon wieder.
„Na, was vergessen?“, Roberto grinste und öffnete die Tür. Vor ihm stand aber nicht Robert sondern Pfarrer Steinbrecher.
„Bruder Fischer, ich wollte noch mal mit ihnen reden.“
„Kommen sie doch herein und sagen sie lieber Roberto zu mir.“
Als der Pfarrer sich gesetzt hatte, wusste er nicht so recht wie er anfangen sollte.
„ Ich weiß ja, dass sie die Sache mit dem Friedenslicht nicht gutheißen, aber ich wollte ihnen sagen. Dass sie sich keine Sorgen machen müssen.“
„Keine Sorgen machen müssen?“, Roberto regte sich auf, „Ich kann sie nicht verstehen. Sehen sie denn nicht wohin dass alles läuft? Ich bin doch auch Christ, deshalb muss ich doch diesen Wahnsinn nicht mitmachen. Die Kinder beten und beten und meinen, Gott müsse ihre Schnapsidee wahr machen. Lässt sie das denn kalt?“
Roberto war bei diesen Worten laut geworden, Miriam legte ihre Hand auf seinen Arm.
„Ich kann sie vollkommen verstehen. Trotzdem sage ich ihnen, am Heiligen Abend bringt Franjo das Friedenslicht, das er in Bethlehem geholt hat, zum Altar.“
Hätte Roberto einen Keks gegessen, wäre der ihm aus dem Gesicht gefallen. Sein Mund stand offen.  Er schlug die Hände vors Gesicht. 
„ Bin ich denn der einzig Normale hier?“
„Ich kann sie gut verstehen. Aber glauben sie mir, es wird so kommen.“
„Wie kommen sie denn darauf“, Miriam mischte sich ein.
„ Es gab in meinem Leben ein paar Augenblicke, da wusste ich, dass Gott etwas will. Das war nicht oft, aber jedes Mal traf es ein. Das ist so ein Augenblick.“
Roberto schüttelte den Kopf.
„ Ach Bruder Fischer, ähm Roberto, ich bin so froh, dass Franjo das Licht holen will. Adrian leidet sehr darunter, dass ich Pfarrer bin. Manchmal glaube ich, er hasst mich, er hasst meinen Beruf und er hasst Gott.  Als er mir vom Friedenslicht erzählte, sah ich dem Triumph in seinen Augen. Es ist als wolle er mir sagen, ich kann auch beten und Gott hört jetzt auch auf mich. Und glauben sie, er spricht wieder viel öfter mit mir als bisher. Selbst wenn es für ihn jetzt ein Konkurrenzkampf zwischen uns zu sein scheint, er beginnt eine Beziehung zu Gott aufzubauen. Das macht mich so froh.“
„Ihren Glauben möchte ich haben“, stöhnte Roberto.
„ Sein sie froh, dass sie das nicht müssen. Morgen muss ich eine Mutter von zwei kleinen Kindern beerdigen. Wir haben am Krankenbett gebetet dass Gott hilft. Und er hat nicht eingegriffen. Ich weiß nicht, was ich morgen sagen soll. Vor allem macht mir zu schaffen, dass Gott das Gebet eines kleinen Jungen erhört, ein Flämmchen aus Bethlehem zu holen,  während die junge Mutter sterben musste.“
Der Pfarrer verabschiedete sich und Roberto konnte nicht glauben was der gesagt hatte.
„Der spinnt. Ganz eindeutig hat der eine Meise!“
„ Weißt du, dass du in guter Gesellschaft bist“, fragte Miriam.
„In was für eine Gesellschaft bin ich denn geraten?“
„ Du könntest eigentlich Thomas heißen.“
„Kannst du dich auch mal normal mit mir unterhalten?“
„Thomas heißt: der Zweifler. Einer der zwölf Jünger hieß Thomas und der zweifelte daran, dass Jesus auferstanden war. Erst als Jesus ihm das bewiesen hatte, hörte Thomas mit zweifeln auf.“
„Wenn die Probleme gelöst werden und das Friedenslicht am heiligen Abend in der Kirche leuchtet, kannst du Thomas zu mir sagen.“
Draußen klingelte es schon wieder.
„Thomas?“, fragte Miriam.
Franjo und das Friedenslicht XX
Die Menschen stolpern gelegentlich über die Wahrheit, aber die meisten lesen sich selbst wieder auf und eilen davon, als ob nichts geschehen wäre.
Winston Churchill

„Thomas?“, fragte Miriam und sah Roberto lächelnd an.
„ Es klingelt, und ich weiß zwar nicht wer kommt“, sagte Roberto, „ doch mit Bethlehem hat es sicherlich nichts zu tun.“
Roberto ging zur Tür. Draußen stand Franjos Mutter.
„Sie?“, Roberto war überrascht.
„Kommen sie doch herein.“
Einen Tee wollte Roberto nicht mehr anbieten, der war inzwischen kalt geworden.
„Nehmen sie doch Platz, was führt sie zu uns?“
„Es ist so“, Franjos Mutter wusste nicht, wie sie anfangen sollte. „Mein Sohn, ähm, ich fange noch mal anders an. Mein Mann muss dringend auf eine Geschäftsreise nach Russland. Die Geschäftspartner legen großen Wert darauf, dass ich, als seine Ehefrau, mitkomme. Als ich in der Schule fragte ob sie Franjo drei Wochen schulfrei geben, damit er auch mit kann, hat der Direktor abgelehnt. Ich kann das ja auch verstehen. Deshalb hatte ich ihm vorgeschlagen, dass er ein Schülerprojekt über Russland machen könnte. Drei Wochen sind zu viel, er wäre vielleicht bereit Franjo für eine Woche zu beurlauben. Ich weiß, es klingt komisch, da fiel mir ein, dass mir mein Sohn von der Sache mit dem Friedenslicht erzählt hat. Ich habe mich zwar gefragt, warum sie ihm diesen Floh ins Ohr gesetzt haben, doch ich habe dem Direktor davon erzählt.  Eine Kerze in Bethlehem zu entzünden und das Licht dann in der Kirche zu verteilen das ist in meinen Augen völlig unsinnig.  Doch dem Direktor hat die Geschichte mit dem Friedenslicht gefallen. Wenn das klappt, bekommt Franjo eine Woche frei, aber er muss das Licht und ein paar Fotos mit in die Schule bringen. Ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass er es bis Bethlehem schafft, aber von mir aus kann er dort hin, wenn er das Geld dazu aufbringt und ihn jemand begleitet. Von uns bekommt er dafür nichts. Angst habe ich keine, ich glaube wenn wir in Russland sind, kann ihm genau so viel passieren wie in Israel.“
„Entschuldigen sie mal“, sagte Roberto, der erst jetzt zu Wort kam, „ich habe ihm diesen Floh nicht ins Ohr gesetzt. Seit ich vom Friedenslicht erzählt habe. will er unbedingt nach Bethlehem und lässt sich nicht mehr von dieser Schnapsidee abbringen.“
„ Oh, das habe ich nicht gewusst, entschuldigen sie bitte“, sagte Franjos Mutter, „ich habe aber trotzdem ein großes Anliegen an sie.“
Roberto spitzte die Ohren.
„Eigentlich wäre meine Freundin in den nächsten drei Wochen bei Franjo geblieben aber sie ist krank geworden.  Einen Babysitter für so eine lange Zeit habe ich auch nicht auftreiben können. Jetzt weiß ich nicht, wohin mit ihm. Da der Junge immer so begeistert von ihnen spricht, hätte ich die Bitte, dass sie ihn in den nächsten drei Wochen aufnehmen. Wenn das mit der Reise nach Bethlehem doch noch klappen sollte, bräuchten sie nur noch in der Schule anzurufen. Sie müssen sich auch keine Sorgen um die Kosten für Kost und Logis zu machen. Das ist überhaupt kein Problem. Wir kommen für alles auf.“
Ehe Roberto etwas sagen konnte, bekam er einen Tritt unter dem Tisch. „Ihr Vertrauen ehrt uns“, sagte Miriam, „natürlich nehmen wir Franjo auf, wenn er bei uns bleiben möchte.“
Die Frauen unterhielten sich noch eine Weile über die Details. Auch darüber unter welchen Bedingungen Franjo nach Bethlehem reisen darf. Als Franjos Mutter gegangen war, sagte Miriam triumphierend: „Streich schon mal den Punkt Schule von deiner Liste.“
„Egal was du auch sagst, das war Zufall. Franjo wird es nicht bis Bethlehem schaffen “, sagte Roberto, „Ich gehe jetzt ins Bett, denn morgen muss ich bis Mittag arbeiten. Aber dann ist das Projekt wenigstens abgeschlossen.“
„Gute Nacht, und vergiss nicht vom Friedenslicht zu träumen.“, lachte Miriam.
„Ich befürchte, ich bekomme eher Alpträume.“
„Wieso dass?“
„Heute war der Chef der Firma bei uns, die für uns das neue Projekt  hat.“
„Na und?“
„Ich habe ein ganz dummes Gefühl dabei. So lange er da war, hatte ich das Gefühl, dass jemand neben mir steht und ständig Lügner, Lügner flüstert.“
„Hast du das deinem Chef gesagt?“
„Ja und der hat mich beschuldigt ich hätte zur Arbeit keine Lust.“
Am Samstagmittag kam Roberto völlig geschafft nach Hause.
„Wie siehst du denn aus? Ich denke, du hast das Projekt abgeschlossen. Wieso bist du dann nicht froh und glücklich wie immer?.“
„Ich kann mich überhaupt nicht freuen. Der komische Auftrag geht mir nicht aus dem Kopf. Der Chef hat sich zwar über die Firma erkundigt, und alles scheint sauber zu sein, aber ich glaub nicht dran. Wenn mit dem Auftrag etwas schief geht, geht unsere Firma den Bach runter. Ich weiß nicht, was ich machen soll.“
„Wenn du`s nicht weißt? Wer ist denn von uns der Pfadfinder?“
„Das ist es! Danke, Schatz.“
Roberto sprang auf, lies den Teller halb voll stehen, gab Miriam einen flüchtigen Kuss und verschwand in seinem Büro.
Nachdem sie eine halbe Stunde gewartet hatte, wollte Miriam nach dem Rechten sehen. Vielleicht war Roberto im Büro eingeschlafen. Gerade wollte sie leise die Bürotür öffnen, da hörte sie wie Roberto schrie: „ Die Drecksau.“
Miriam zog es vor wieder nach unten zu gehen und zu warten bis Roberto aus dem Büro kam.
Nach zwei Stunden kam Roberto die Treppe herunter.
„Du kannst dir nicht vorstellen was ich rausbekommen habe. Diese D…“
„Du kannst mir das alles auch ohne Kraftausdrücke erzählen.“, fiel ihm Miriam ins Wort.
„Ja, ja, ich weiß, bei uns zu Hause nicht.  Also, dieser Lump hat schon einige Firmen auf dem Gewissen. Er ist aber so gerissen, dass ihm keiner was nachweisen kann.“
„Und woher weißt du das?“
„Habe ich dir schon mal von meinem Freund Hubs erzählt? Ich war mit ihm bei verschiedenen Pfadfinderleiterseminaren zusammen. Frag mich, was wir zusammen angestellt haben.“
„Was habt ihr denn zusammen angestellt?“
„Ach, frag lieber nicht. Also, Hubs ist ehrenamtlicher Stadtrat in der Stadt, in der die Firma sitzt. Wir zwei hatten uns zwar aus den Augen verloren aber nach einigen Telefonaten hatte ich seine Nummer. Dann stellte sich heraus, dass er diese Firma schon lange auf der Liste hat. So ein schwarzes Schaf ist nicht gut fürs Image der Stadt. Jedenfalls hat er einen Ordner mit Zeitungsartikeln und verschiedenen internen Papieren des Stadtrates angelegt. Als ich ihn anrief, konnte er mir genau sagen, mit welchem Trick dieser Lump seine Geschäftspartner aufs Kreuz legt.“
„ Hast du deinen Chef informiert?“
„ Na der war vielleicht sauer.“
„ Auf den Betrüger?“
„Nein auf mich. Er dachte, ich wolle ihm nur den Auftrag vermiesen. Zum Glück hat Hubs mir verschiedene Sachen rübergemailt. Ich habe sie gleich weitergeleitet. Glaubst du, ich konnte ihn kaum überreden, den Computer anzuwerfen und die Sachen durchzulesen. Ich habe ihm eindrücklich sagen müssen, dass er alles einbüßt wenn er sich auf die Sau einlässt.“ Miriam sah Roberto strafend an. „Tschuldige. Dann jedenfalls  war klar, dass ich die Wahrheit sage.“
„Und nun“, fragte Miriam.
„Der Chef lässt am Montag die Vertragsunterzeichnung platzen. Da er keine unnötigen Diskussionen will, werde ich in der nächsten Woche meinen Schreibtisch leer arbeiten und dann  bekomme ich bis Neujahr frei. Resturlaub, Überstunden und ein paar geschenkte Tage für  meine Verdienste. Somit hat er keine Kapazitäten für den Auftrag.“
Miriam holte tief Luft.
„Sag mal Schatz“, sagte sie nach einer Weile, „ wenn du Urlaub hast, könntest du doch Franjo nach Bethlehem begleiten?“
„Natürlich“, sagte Roberto im Überschwang. Er freute sich, dass er diesen Betrüger entlarvt hatte. „außerdem wird es nicht dazu kommen, vergiss nicht wir haben kein Geld für die Reise.“
„Thomas?“, fragte Miriam.

Franjo und das Friedenslicht XXI
Wenn du Gott lachen hören willst, dann erzähl ihm von deinen Plänen.
Arno Backhaus

„Also dieses Wochenende geht in die Geschichte ein“, Roberto wollte endlich den gemütlichen Abend mit Miriam nachholen, den sie am Freitag verpasst hatten, da klingelte es schon wieder.
„Schatz, freundlich lächeln und daran denken, dass du bald Urlaub hast“, sagte Miriam.
An der Tür stand Frau Winter. Roberto traute seinen Augen kaum. Frau Winter, die sonst so korrekt auftrat, stand vor ihm mit wirrem Haar und eigenartigem Blick. Jetzt ist sie durchgedreht, war sein erster Gedanke.
„Ach, Bruder Fischer, ich bin ja so durcheinander.“
Beinahe hätte Roberto gesagt:“ Das sehe ich.“ Im letzten Moment riss er sich zusammen und bat Frau Winter herein.
Auch Miriam erschrak bei ihrem Anblick. „Können wir ihnen helfen? Soll ich ihnen einen Tee machen?“
„Ach ja, irgendetwas Warmes kann ich gebrauchen. Ich hätte auch nichts gegen einen Schnaps.“
Frau Winter trinkt Schnaps? Roberto konnte es nicht fassen.
Nachdem Miriam in ihren Vorräten Eierlikör gefunden, und einen Tee gekocht hatte, ging sie wieder ins Wohnzimmer wo Frau Winter und Roberto schweigend saßen.
„Eigentlich trinke ich gar nicht und wenn, dann nur Eierlikör. Aber hätten sie nicht etwas Stärkeres?“
Roberto und Miriam sahen sich an. Das hätten sie Frau Winter nicht zugetraut. Roberto bot ihr einen Whisky an, da entschied sie sich dann doch lieber für Eierlikör. Endlich war sie so weit, zu erzählen, was los war.
„Wissen sie, ich komme aus einer gläubigen Familie. Für meine Eltern war es Sünde Lotto zu spielen. Meine Mutter sagte immer: Wer Lotto spielt ist auf dem breiten Weg direkt in die Hölle. Ich glaube nicht daran, aber ich spiele auch kein Lotto. Sehen sie, Gott hat mich immer versorgt, da erscheint mir es undankbar zu sein, wenn ich ihm mit Lottospielen nachhelfe. Ich arbeite lieber und vertraue darauf, dass der Herr Jesus mich versorgt und spiele nicht.“
Miriam und Roberto sahen sich fragend an. Keiner wusste, worauf Frau Winter hinauswollte.
„Heute habe ich im Lotto gewonnen.“
„Aber ich denke, sie spielen nicht“, fragte Miriam.
„Mache ich ja auch nicht“, antwortete Frau Winter.
Roberto dachte, jetzt ist sie doch durchgedreht.
Als Frau Winter in die Gesichter der beiden blickte, merkte sie, dass sie in Rätseln sprach.
„Achso, also: Mein Mann, der Herbert, war ein ganz lieber Kerl. Wir hatten jung geheiratet. Kurz nach unserer Hochzeit hatte er einen Unfall und konnte seitdem nicht mehr arbeiten und Geld verdienen. Wir waren trotzdem glücklich miteinander. Seine kleine Invalidenrente und mein kleines Gehalt haben gerade so gereicht. Große Sprünge konnten wir nicht machen, aber wir haben uns bis zu seinem Tode immer gut verstanden. Das war mir mehr wert als alles Geld. Leider haben wir keine Kinder, das war das einzige, das mir gefehlt hat. Wie gesagt, Herbert konnte seit seinem Unfall nicht für mich sorgen und hat darunter gelitten. So kam er darauf, dass er pro Woche einen Tipp in der Lotterie gemacht hat, damit er mir auch mal das bieten kann, was andere Männer ihren Frauen bieten können. Jede Woche hat er gespielt, bis zu seinem Tode.  Samstag für Samstag gab er seinen Tipp ab und sagte dann: Wirst sehen, diese Woche klappts. Ich kann mich daran erinnern, dass er sich immer auf den Gewinn gefreut hat wie ein Kind auf den Weihnachtsmann. Wenn er dann am Montag die Lottozahlen erfahren hat, und  merkte, dass es wieder nichts geworden war, sagte er: Liebling, hat nicht geklappt aber beim nächsten Mal.  Jetzt ist er schon einige Jahre tot. Jedes Jahr, am Samstag vor seinem Geburtstag, spiele ich einen Tipp und höre ihn sagen: Wirst sehen, diese Woche klappts. Am darauf folgenden Samstag gehe ich immer in die Annahmestelle und lasse den Schein kontrollieren. Die Verkäuferin sagt mir dann immer: Leider kein Gewinn. Da höre ich Herbert sagen:  Liebling, hat nicht geklappt aber beim nächsten Mal. Ich habe dann immer das Gefühl, dass er noch bei mir ist.  Nur dieses Mal war es anders. Dieses Mal hat sie gesagt, dass ich gewonnen habe. Was soll ich nur mit all dem Geld machen? Ich habe schon überlegt es „Brot für die Welt“ zu geben. Aber ich bin so durcheinander. Da dachte ich, ich frage sie erstmal.“
„Kommen sie, Frau Winter, wir trinken noch einen Eierlikör zusammen und mein Mann und ich machen das Abendessen. Sie bleiben doch zum Essen?“
Frau Winter nickte. Auch zum Eierlikör sagte sie nicht nein.
In der Küche sagte Roberto zu Miriam.
„ Also, ich weiß nicht, jetzt müssen wir uns die Geschichte vom seligen Herbert anhören und vom Lottogewinn. Ich hatte nicht vor den ganzen Abend, wegen Zweieurofünfzig, mit Frau Winter zu verbringen.“
„Man, manchmal bist du richtig herzlos. Ich finde das ist eine richtig tolle Geschichte. Wenn ich mal alt bin, wäre ich froh, ich könnte sagen, dass du mich so geliebt hast, wie der selige Herbert seine Frau. Merkst du denn nicht, dass die Frau, die sich uneigennützig um alle kümmert, einsam ist?“
Roberto zuckte mit den Achseln.  Miriam hatte Recht. Wenn man jung ist, hat man vielleicht nicht immer das richtige Verständnis für so etwas. Als die beiden in der Stube erschienen, hatte sich Frau Winter langsam entspannt.
„Sie wollen wohl gar nicht wissen wie viel Geld es ist?“
Beinahe hätte Roberto gesagt: „Es wird schon in ihr Portmonee passen“, da ereilte ihn ein Blick von Miriam. Frau Winter zeigte Miriam den Zettel, auf dem die Verkäuferin die Summe geschrieben hatte. Miriam wurde blass. Sie musste sich setzen. Jetzt wurde Roberto neugierig. Als er die Summe sah, blieb auch ihm die Spucke weg.  Es dauerte einige Zeit bis jemand etwas sagen konnte.
„Ganz schönes Sümmchen“, meinte Roberto. „Was wollten sie damit machen?“
„Eigentlich wollte ich das Geld spenden. Der Herr wird auch ohne Lottogewinn für mich sorgen. Wenn ich das Geld annehme, hätte ich das Gefühl, ich würde Gott nicht mehr vertrauen.“
„Was wäre denn, wenn sie das Geld Franjo und seinem Begleiter zur Verfügung stellen würden“, fragte Miriam. Über Frau Winters Gesicht fuhr ein Leuchten.
„Na, das Geld würde auch bequem für drei reichen“, bemerkte Roberto. „eigentlich müssten sie auch mitkommen, aber sicherlich haben sie keinen Pass.“
„Doch, ich habe einen Pass. Kurz vor Herberts Tod wollten wir ins Ausland fahren.  Dafür hatte ich den Pass machen lassen. Leider starb er vorher.“
„Da könnten sie doch mit nach Bethlehem“, sagte Miriam.
„ Ach, Schwester Fischer, ich weiß nicht. Ich bin eine alte Frau, das ist doch nichts mehr für mich.“
Miriam spürte, dass Frau Winter eigentlich doch gern mitwollte.
„Frau Winter, wie viele Jahre haben sie für wenig Geld in der Kirchgemeinde sauber gemacht? Für wie viele Menschen haben sie sich aufgeopfert und keiner hat ihnen das gedankt?“
„ Ja wenn sie das so sehen? Ich habe oft geputzt und gerackert und keiner hat’s gemerkt. Wenn jemand einen Kuchen oder einen Salat mitgebracht hat, haben alle gesagt: Der schmeckt aber gut. Wenn jemand ein Lied gesungen hat, dann wurde er gelobt. Zu mir hat noch niemand gesagt: Du hast die Toiletten aber schön sauber gemacht. Die Putzfrau bekommt nur zu hören, wenn sie etwas nicht richtig gemacht hat.“
„Sehen sie, ich glaube, der Herr Jesus zeigt ihnen mit dem Lottogewinn, dass er genau sieht wie sie sich aufgeopfert haben und dass sie die Toiletten mit Liebe geputzt haben. Fahren sie nur mit ruhigem Gewissen mit. Wir essen noch gemeinsam, dann bringt sie Roberto nach Hause und sieht nach, ob ihr Pass noch gültig ist.“
Roberto sah nicht glücklich aus als er wieder zu Hause ankam. Die Aussicht, Frau Winter mitnehmen zu müssen, schien ihn gar nicht zu gefallen. Zu Miriam sagte er: „ Wir müssen mindestens eine Woche fahren. Der Pass muss bei Einreise wenigstens noch ein halbes Jahr gültig sein. Wenn wir nicht sechs Tage vor Entzündung des Lichtes in Israel sind, lassen die Frau Winter nicht rein. Ich hätte nichts dagegen, wenn sie zu Hause bliebe, aber du hast ihr so viel Hoffnung gemacht, da müssen wir sie doch mitnehmen.“
„Habe ich dir eigentlich schon gesagt, dass die Finanzierung der Fahrt gesichert ist“, fragte Miriam.
„Wir haben das Friedenslicht noch lange nicht hier“, sagte Roberto.
„Na stell dich schon mal darauf ein, dass wir dich umtaufen in Thomas“
„Das könnte dir so passen
 
Franjo und das Friedenslicht XXII
Mut ist, wenn man Todesangst hat, aber sich trotzdem in den Sattel schwingt.
Miriam stand am Bügelbrett. Bald würde Roberto nach Hause kommen. Heute ist sein letzter Tag auf Arbeit, morgen eingemeinsamer Tag daheim, dann wird er nach Israel reisen. Sie hatte das Radio an. Die leise Musik versetzte sie in eine fröhliche Stimmung.
Platzsch, machte es und Miriam fuhr aus ihren Gedanken auf. Franjo hatte wieder mal einen Salto gemacht. Da er mit nackten Füßen auf die Fliesen in der Küche aufkam, gab es dieses Geräusch.
„Franjo, wie oft habe ich dir gesagt, dass du keinen Salto im Haus machen sollst.“
Seit Franjo im Sportunterricht gelernt hatte, wie man einen Salto macht, machte er immer einen, wenn er sich freute. Miriam fiel ein, dass der kleine Schelm nicht hören konnte, was sie sagte. Obwohl, sicher war sie sich nicht. Sie wusste, dass er ein wenig hören kann und manches mitbekam, wenn er die Lippen der Sprechenden sah. Aber wenn er etwas nicht mitbekommen wollte, dann verstand er überhaupt nichts. Na warte, dachte sie sich, diesen Zahn werde ich dir ziehen. Sie ging auf Franjo zu, zog ihm am Ärmel, legte die Hände auf seine Schultern, sah ihm in die Augen und sprach langsam: „Du sollst im Haus keinen Salto machen. Ist das klar.“ Franjo sah sie an, als ob er nichts verstanden hätte. Miriam nahm ihre Hände zu Hilfe. Auch wenn sie keine Gebärdensprache konnte, waren ihre Handbewegungen eindeutig.  Beim zweiten:“ Ist das klar“, nickte Franjo. „So und jetzt ab in die Dusche, bevor Roberto und Karsten heimkommen.“ Er hätte ja gern noch mal einen Salto probiert doch, in Miriams Gegenwart traute er sich nicht, so ging er in die Dusche. Voller Stolz über diesen Erfolg ging Miriam wieder an ihr Bügelbrett. Da wurde sie aufmerksam auf das, was der Nachrichtensprecher sagte: „Tel Aviv: Die Anzahl der Toten nach dem gestrigen Terroranschlag auf eine Diskothek stieg auf vierzig. Laut Nachrichtenagentur Reuters bekannte sich die radikalislamische Hamas zu diesem Anschlag. Ein Sprecher der Hamas wird mit den Worten zitiert: Dies war nur der Anfang. Israel wird in den nächsten Wochen eine intefada erleben wie  sie bis dahin noch nie da gewesen ist.“ Miriam wurden die Beine schwach. Zum Glück hatte sie ihren Bügelstuhl sonst wäre sie vielleicht gefallen. Übermorgen werden Roberto, Franjo und Frau Winter in dieses Land reisen. Was, wenn sie nun Opfer eines Terroranschlages würden? Miriam schossen die Tränen in die Augen. Plötzlich war sie nicht mehr sicher, ob die Sache mit dem Friedenslicht wirklich so eine gute Idee war. Sie hatte das Gefühl als wenn ihr jemand den Boden unter den Füßen wegzog. Wenn doch Roberto schon da wäre, da hörte sie den Schlüssel in der Haustür.
Karsten war, wie jeden Tag, bei Herrn Grosser. Er hätte sich nie gedacht, dass er eines Tages freiwillig bei einem alten Mann sitzen würde, um ihm Gesellschaft zu leisten. Nach der Schule kam Karsten und half Herrn Grossers Tochter, ihn zu waschen. Die intensive Pflege, die er seit einigen Wochen brauchte, hatte an ihren Kräften gezehrt. Sie war froh, dass Karsten ihr half. Nach dem Waschen war Herr Grosser  erschöpft und musste ruhen. Karsten machte dann seine Hausaufgaben. Herrn Grossers Tochter war froh, dass Karsten da war, denn ihr Vater wollte nicht mehr allein sein. So lange Karsten ihm Gesellschaft leistete, konnte sie ihre Aufgaben erledigen oder mal zur Nachbarin gehen, um mit ihr zu reden und sich ein wenig zu erholen. Wenn Herr Grosser wieder zu Kräften kam, war Karsten meist mit seinen Aufgaben fertig und die beiden redeten miteinander. Karsten hatte eigentlich keine Großeltern. Die Eltern seines Vaters waren schon tot, und die Eltern seiner Mutter hatten nur einen Lieblingsenkel, Karstens Cousine. Die Gespräche mit Herrn Grosser waren für ihn etwas Besonderes. Er war zwar körperlich  schwach, aber geistig völlig klar. Wenn Karsten redete, hörte er genau zu und unterbrach ihn nur gelegentlich, um nachzufragen. Meist sagte er wenig, doch das Wenige hatte es in sich. Außerdem tat es Karsten gut, endlich mal jemanden zu haben, der nur für ihn da war und zuhörte. An diesem Abend sprach Herr Grosser mehr als gewöhnlich. Er erzählte Karsten, dass er schon über dreißig Jahre für eine bestimmte Sache betete. Er bat Gott um eine kleine Gemeinde von Christen, die Gott wirklich ernst nahmen. Keine Gläubigen, die sich von frommen Sprüchen einlullen ließen, eher solch, die jedes Wort nachprüften. „Gegen Pfarrer Steinbrecher würde ich nie etwas sagen, aber ich habe schon andere erlebt, die meinten sie könnten die Gläubigen mit  salbungsvollen Worten einseifen, aber in Wirklichkeit war nichts dahinter“, sagte Herr Grosser und warnte Karsten vor solchen Leuten. „Als mir der Herr Pfarrer von den Pfadfindern erzählte,  hatte ich das Gefühl, dass der Herr mein Gebet erhört hat.“ Karsten konnte es kaum glauben. Er dachte an Adrian, der bestimmt kein Musterchrist war und an Kerstin, die ab und zu rumzickte. An Leos Zweifel wollte er sich gar nicht erinnern und über Robert könnte er auch nichts Positives sagen.  Herr Grosser merkte, dass Karsten anderer Meinung war. „Junge, nicht die, die ihre Frömmigkeit zu Markte tragen sind die, von denen ich spreche. Zweifel gehören zum Glauben, genau wie Angst und Schuld. Die, die wissen wohin mit Zweifel, Angst, Problemen und Schuld sind die, die ich meine. Eine Gruppe, die zusammenkommt und sich gegenseitig akzeptiert und hilft, das habe ich mir immer gewünscht. Jeder einzelne ist unvollkommen, das wird auch so bleiben. Hauptsache man reicht sich immer wieder die Hand und vergisst nicht, dass wir den Herrn Jesus brauchen um miteinander klar zu kommen. Selbst die großen Männer in der Bibel haben Mist gebaut, aber sie haben sich trotzdem an Gott gehalten. Wenn ihr das macht, gibt es vielleicht so manches Gewitter unter euch, aber am Ende seid ihr doch die Gemeinschaft, die ich in euch sehe. Karsten war nachdenklich geworden. Herr Grosser setzte in die Pfadfinder großes Vertrauen, obwohl er sie doch gar nicht richtig kannte. Könnte es sein, dass gerade solches Vertrauen einem Mensch oder einer Gruppe dabei hilft  über sich hinauszuwachsen? Wird ein Mensch vielleicht ein anderer, wenn man ihn so behandelt, wie er erst werden soll?
„Karsten, es ist schon dunkel, du musst heim“, Herrn Grossers Tochter kam herein. Karsten packte seine Sachen und ging. Jedes Mal wenn er ging, dachte er daran, dass Franjo das Friedenslicht für Herrn Grosser holen würde.
Als er zu Hause ankam sah er, wie Roberto in der Küche neben Miriam saß und Miriam heulte. Es dauerte nicht lange, da wusste er warum. „Was ist denn, wenn man euch erschießt? Ich will dich nicht verlieren. Meinst du, dass das so leicht ist, und was sage ich dann Franjos Eltern?“, Miriam schnäuzte in ihr Taschentuch.
„Weißt du, bis jetzt habt ihr mir gesagt, ich müsse auf Gott vertrauen. Guter Ratschlag, aber wenn man dann selber vertrauen soll, dann ist das was anderes“, sagte Roberto.
„Aber wenn ihr in Israel umkommt?“
„Weißt du, am Sonntag haben wir in der Kirche gesungen:
Der Wolken Luft und Winden gibt Wege Lauf und Bahn, der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann.“
„Am Schreibtisch kann man solche Lieder schön dichten.“
„Nichts, am Schreibtisch, der, der das gedichtet hatte, hat während des dreißigjährigen Krieges gelebt. Er hatte den Krieg praktisch vor der Haustür. Ich glaube, der wusste was es heißt auf Gott zu vertrauen.“ Robertos Worte schienen nicht zu fruchten. Karsten war klar, dass Roberto nicht fahren würde, wenn Miriam etwas dagegen hat. So rief er die Pfadfinder an und binnen zehn Minuten saßen sie alle am Küchentisch. Alle redeten durcheinander. Plötzlich schlug Robert mit der flachen Hand auf den Tisch. Alle waren still.
„Habt ihr denn noch nie Angst gehabt? Ich kann verstehen, dass Miriam Angst hat. Und wenn Roberto und Franjo einem Anschlag zum Opfer fallen, was dann?“
Alle sahen Robert an, das hätte ihm keiner zugetraut.
„Ach, du, du hast ja noch nie viel vom Friedenslicht gehalten. Du bist nur ein Mitläufer, da fällt es auch leicht so etwas zu sagen“, giftete Kerstin Robert an.  Beinahe hätte sie: „Du Fettsack“ angefügt, doch zum Glück konnte sie sich beherrschen.
„Aber auch wenn wir uns das noch so wünschen“, sagte Leo, „das müssen Miriam und Roberto selbst entscheiden. Es kann doch sein, dass sie sterben. Wenn wir sie überredet haben und sie werden erschossen, dann werden wir auch nie wieder froh.“
„Und Franjo“, fragte Karsten, „was sagt eigentlich Franjo dazu?“
Franjo kam gerade aus der Dusche und wunderte sich, dass plötzlich ein Pfadfindertreffen in der Küche stattfand.  „Ist heute schon Freitag“, fragte er.
Kerstin stand auf und erklärte ihm die Situation. Franjo nickte zum Zeichen, dass er alles verstanden hatte. „Willst du jetzt noch nach Bethlehem?“
Franjo senkte den Kopf, er blickte zu Roberto. Der sah zu Miriam und alle Pfadfinder wussten, dass es jetzt von ihr abhing, ob die beiden nach Israel fahren würden oder nicht. Es Franjo und das Friedenslicht XXII
Mut ist, wenn man Todesangst hat, aber sich trotzdem in den Sattel schwingt.
John Wayne
Miriam stand am Bügelbrett. Bald würde Roberto nach Hause kommen. Heute ist sein letzter Tag auf Arbeit, morgen eingemeinsamer Tag daheim, dann wird er nach Israel reisen. Sie hatte das Radio an. Die leise Musik versetzte sie in eine fröhliche Stimmung.
Platzsch, machte es und Miriam fuhr aus ihren Gedanken auf. Franjo hatte wieder mal einen Salto gemacht. Da er mit nackten Füßen auf die Fliesen in der Küche aufkam, gab es dieses Geräusch.
„Franjo, wie oft habe ich dir gesagt, dass du keinen Salto im Haus machen sollst.“
Seit Franjo im Sportunterricht gelernt hatte, wie man einen Salto macht, machte er immer einen, wenn er sich freute. Miriam fiel ein, dass der kleine Schelm nicht hören konnte, was sie sagte. Obwohl, sicher war sie sich nicht. Sie wusste, dass er ein wenig hören kann und manches mitbekam, wenn er die Lippen der Sprechenden sah. Aber wenn er etwas nicht mitbekommen wollte, dann verstand er überhaupt nichts. Na warte, dachte sie sich, diesen Zahn werde ich dir ziehen. Sie ging auf Franjo zu, zog ihm am Ärmel, legte die Hände auf seine Schultern, sah ihm in die Augen und sprach langsam: „Du sollst im Haus keinen Salto machen. Ist das klar.“ Franjo sah sie an, als ob er nichts verstanden hätte. Miriam nahm ihre Hände zu Hilfe. Auch wenn sie keine Gebärdensprache konnte, waren ihre Handbewegungen eindeutig.  Beim zweiten:“ Ist das klar“, nickte Franjo. „So und jetzt ab in die Dusche, bevor Roberto und Karsten heimkommen.“ Er hätte ja gern noch mal einen Salto probiert doch, in Miriams Gegenwart traute er sich nicht, so ging er in die Dusche. Voller Stolz über diesen Erfolg ging Miriam wieder an ihr Bügelbrett. Da wurde sie aufmerksam auf das, was der Nachrichtensprecher sagte: „Tel Aviv: Die Anzahl der Toten nach dem gestrigen Terroranschlag auf eine Diskothek stieg auf vierzig. Laut Nachrichtenagentur Reuters bekannte sich die radikalislamische Hamas zu diesem Anschlag. Ein Sprecher der Hamas wird mit den Worten zitiert: Dies war nur der Anfang. Israel wird in den nächsten Wochen eine intefada erleben wie  sie bis dahin noch nie da gewesen ist.“ Miriam wurden die Beine schwach. Zum Glück hatte sie ihren Bügelstuhl sonst wäre sie vielleicht gefallen. Übermorgen werden Roberto, Franjo und Frau Winter in dieses Land reisen. Was, wenn sie nun Opfer eines Terroranschlages würden? Miriam schossen die Tränen in die Augen. Plötzlich war sie nicht mehr sicher, ob die Sache mit dem Friedenslicht wirklich so eine gute Idee war. Sie hatte das Gefühl als wenn ihr jemand den Boden unter den Füßen wegzog. Wenn doch Roberto schon da wäre, da hörte sie den Schlüssel in der Haustür.
Karsten war, wie jeden Tag, bei Herrn Grosser. Er hätte sich nie gedacht, dass er eines Tages freiwillig bei einem alten Mann sitzen würde, um ihm Gesellschaft zu leisten. Nach der Schule kam Karsten und half Herrn Grossers Tochter, ihn zu waschen. Die intensive Pflege, die er seit einigen Wochen brauchte, hatte an ihren Kräften gezehrt. Sie war froh, dass Karsten ihr half. Nach dem Waschen war Herr Grosser  erschöpft und musste ruhen. Karsten machte dann seine Hausaufgaben. Herrn Grossers Tochter war froh, dass Karsten da war, denn ihr Vater wollte nicht mehr allein sein. So lange Karsten ihm Gesellschaft leistete, konnte sie ihre Aufgaben erledigen oder mal zur Nachbarin gehen, um mit ihr zu reden und sich ein wenig zu erholen. Wenn Herr Grosser wieder zu Kräften kam, war Karsten meist mit seinen Aufgaben fertig und die beiden redeten miteinander. Karsten hatte eigentlich keine Großeltern. Die Eltern seines Vaters waren schon tot, und die Eltern seiner Mutter hatten nur einen Lieblingsenkel, Karstens Cousine. Die Gespräche mit Herrn Grosser waren für ihn etwas Besonderes. Er war zwar körperlich  schwach, aber geistig völlig klar. Wenn Karsten redete, hörte er genau zu und unterbrach ihn nur gelegentlich, um nachzufragen. Meist sagte er wenig, doch das Wenige hatte es in sich. Außerdem tat es Karsten gut, endlich mal jemanden zu haben, der nur für ihn da war und zuhörte. An diesem Abend sprach Herr Grosser mehr als gewöhnlich. Er erzählte Karsten, dass er schon über dreißig Jahre für eine bestimmte Sache betete. Er bat Gott um eine kleine Gemeinde von Christen, die Gott wirklich ernst nahmen. Keine Gläubigen, die sich von frommen Sprüchen einlullen ließen, eher solch, die jedes Wort nachprüften. „Gegen Pfarrer Steinbrecher würde ich nie etwas sagen, aber ich habe schon andere erlebt, die meinten sie könnten die Gläubigen mit  salbungsvollen Worten einseifen, aber in Wirklichkeit war nichts dahinter“, sagte Herr Grosser und warnte Karsten vor solchen Leuten. „Als mir der Herr Pfarrer von den Pfadfindern erzählte,  hatte ich das Gefühl, dass der Herr mein Gebet erhört hat.“ Karsten konnte es kaum glauben. Er dachte an Adrian, der bestimmt kein Musterchrist war und an Kerstin, die ab und zu rumzickte. An Leos Zweifel wollte er sich gar nicht erinnern und über Robert könnte er auch nichts Positives sagen.  Herr Grosser merkte, dass Karsten anderer Meinung war. „Junge, nicht die, die ihre Frömmigkeit zu Markte tragen sind die, von denen ich spreche. Zweifel gehören zum Glauben, genau wie Angst und Schuld. Die, die wissen wohin mit Zweifel, Angst, Problemen und Schuld sind die, die ich meine. Eine Gruppe, die zusammenkommt und sich gegenseitig akzeptiert und hilft, das habe ich mir immer gewünscht. Jeder einzelne ist unvollkommen, das wird auch so bleiben. Hauptsache man reicht sich immer wieder die Hand und vergisst nicht, dass wir den Herrn Jesus brauchen um miteinander klar zu kommen. Selbst die großen Männer in der Bibel haben Mist gebaut, aber sie haben sich trotzdem an Gott gehalten. Wenn ihr das macht, gibt es vielleicht so manches Gewitter unter euch, aber am Ende seid ihr doch die Gemeinschaft, die ich in euch sehe. Karsten war nachdenklich geworden. Herr Grosser setzte in die Pfadfinder großes Vertrauen, obwohl er sie doch gar nicht richtig kannte. Könnte es sein, dass gerade solches Vertrauen einem Mensch oder einer Gruppe dabei hilft  über sich hinauszuwachsen? Wird ein Mensch vielleicht ein anderer, wenn man ihn so behandelt, wie er erst werden soll?
„Karsten, es ist schon dunkel, du musst heim“, Herrn Grossers Tochter kam herein. Karsten packte seine Sachen und ging. Jedes Mal wenn er ging, dachte er daran, dass Franjo das Friedenslicht für Herrn Grosser holen würde.
Als er zu Hause ankam sah er, wie Roberto in der Küche neben Miriam saß und Miriam heulte. Es dauerte nicht lange, da wusste er warum. „Was ist denn, wenn man euch erschießt? Ich will dich nicht verlieren. Meinst du, dass das so leicht ist, und was sage ich dann Franjos Eltern?“, Miriam schnäuzte in ihr Taschentuch.
„Weißt du, bis jetzt habt ihr mir gesagt, ich müsse auf Gott vertrauen. Guter Ratschlag, aber wenn man dann selber vertrauen soll, dann ist das was anderes“, sagte Roberto.
„Aber wenn ihr in Israel umkommt?“
„Weißt du, am Sonntag haben wir in der Kirche gesungen:
Der Wolken Luft und Winden gibt Wege Lauf und Bahn, der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann.“
„Am Schreibtisch kann man solche Lieder schön dichten.“
„Nichts, am Schreibtisch, der, der das gedichtet hatte, hat während des dreißigjährigen Krieges gelebt. Er hatte den Krieg praktisch vor der Haustür. Ich glaube, der wusste was es heißt auf Gott zu vertrauen.“ Robertos Worte schienen nicht zu fruchten. Karsten war klar, dass Roberto nicht fahren würde, wenn Miriam etwas dagegen hat. So rief er die Pfadfinder an und binnen zehn Minuten saßen sie alle am Küchentisch. Alle redeten durcheinander. Plötzlich schlug Robert mit der flachen Hand auf den Tisch. Alle waren still.
„Habt ihr denn noch nie Angst gehabt? Ich kann verstehen, dass Miriam Angst hat. Und wenn Roberto und Franjo einem Anschlag zum Opfer fallen, was dann?“
Alle sahen Robert an, das hätte ihm keiner zugetraut.
„Ach, du, du hast ja noch nie viel vom Friedenslicht gehalten. Du bist nur ein Mitläufer, da fällt es auch leicht so etwas zu sagen“, giftete Kerstin Robert an.  Beinahe hätte sie: „Du Fettsack“ angefügt, doch zum Glück konnte sie sich beherrschen.
„Aber auch wenn wir uns das noch so wünschen“, sagte Leo, „das müssen Miriam und Roberto selbst entscheiden. Es kann doch sein, dass sie sterben. Wenn wir sie überredet haben und sie werden erschossen, dann werden wir auch nie wieder froh.“
„Und Franjo“, fragte Karsten, „was sagt eigentlich Franjo dazu?“
Franjo kam gerade aus der Dusche und wunderte sich, dass plötzlich ein Pfadfindertreffen in der Küche stattfand.  „Ist heute schon Freitag“, fragte er.
Kerstin stand auf und erklärte ihm die Situation. Franjo nickte zum Zeichen, dass er alles verstanden hatte. „Willst du jetzt noch nach Bethlehem?“
Franjo senkte den Kopf, er blickte zu Roberto. Der sah zu Miriam und alle Pfadfinder wussten, dass es jetzt von ihr abhing, ob die beiden nach Israel fahren würden oder nicht. Es war still im Raum. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Sekunde um Sekunde verrann, es kam allen wie eine Ewigkeit vor.
Auf einmal stimmte Roberto das Lied an: „Der Wolken Luft und Winden gibt Wege Lauf und Bahn, der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann.“
Wieder war es still im Raum. Dann nickte Miriam, mit Tränen in den Augen. Die Pfadfinder atmeten erleichtert auf.
war still im Raum. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Sekunde um Sekunde verrann, es kam allen wie eine Ewigkeit vor.
Auf einmal stimmte Roberto das Lied an: „Der Wolken Luft und Winden gibt Wege Lauf und Bahn, der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann.“
Wieder war es still im Raum. Dann nickte Miriam, mit Tränen in den Augen. Die Pfadfinder atmeten erleichtert auf.

Franjo und das Friedenslicht XXIII
Verstehen kann man das Leben nur rückwärts. Leben muss man es vorwärts.
Søren Kierkegaard


„Morgen fliegen sie.“ Adrian war schon vorzeitig in der Bushaltestelle, um auf die anderen zu warten.
„Ich wäre auch gern dabei“, sagte Kerstin. Auch sie war zu früh am Treffpunkt. Bei Adrian zu Hause war dicke Luft. Seine Mutter hatte schlechte Laune, da war es ihm lieber in der kalten Bushaltestelle auf die anderen zu warten. Kerstin hielt es zu Hause auch nicht aus. Ihr Bruder hatte schon wieder einen schweren Anfall und bekam fast keine Luft. Alles drehte sich um ihn und ihre Eltern waren fruchtbar aufgeregt. Ach, wenn der doch endlich diese Kur bekommen würde, da könnten sich alle etwas erholen.
„Bist du sauer, dass ich dieses Jahr im Krippenspiel Maria mache?“ Als feststand, dass Miriam dieses Jahr das Krippenspiel leiten würde, hatten sich die Pfadfinder bereit erklärt mitzumachen. Kerstin fiel die Maria zu.
„Ach, ich habe schon mit Hässlicheren zusammen gespielt, außerdem ist das immer noch besser als wenn Robert die Rolle übernommen hätte.“ Kerstin wusste nicht, was sie von diesen Worten halten sollte. Da aber niemand dabei war, war das keine von Adrians üblichen Frechheiten, vielleicht sogar, für seine Verhältnisse, ein Kompliment. Sie beschloss das so zu bewerten.
„Bei Robert bräuchte man weinigsten kein Kissen unterzuschieben. Aber danke für das Kompliment.“
Adrian war froh, dass es im Bushäuschen wenig Licht gab, so konnte Kerstin nicht sehen, dass er rot wurde. Er hatte auf einmal den Wunsch ihr den Arm um die Schultern zu legen. Aber er traute sich nicht. Die beiden schwiegen und die Stille wurde bedrückend.
„Sag mal, ist das immer noch so schlimm mit deinem Vater“, fragte Kerstin nach einer Weile.
„Was heißt schon schlimm, er schlägt mich nicht und sonst tut er mir ja auch nichts.“
„Du weißt schon, ich habe gemeint, weil er Pfarrer ist.“
„Naja, dafür kann er doch nichts. Und was soll er schon machen, er hat doch nichts anderes gelernt.“
„ Ist ja fast so wie bei mir“, sagte Kerstin, „mein Bruder hat sich die blöde Mukoviszidose auch nicht ausgesucht.“
„Na, mein Vater wollte Pfarrer werden, das ist schon ein Unterschied. Aber damals hat es mich noch nicht gegeben.“ Adrian hatte keine Lust weiter darüber zu reden und war froh, als er hörte, dass die anderen kamen. Miriam, Roberto, Karsten und Franjo kamen gemeinsam und brachten Frau Winter mit. Seit sich herumgesprochen hatte, dass sie Franjos und Robertos Reise bezahlt, und mitfährt, hatten die Pfadis sie zur Ehrenpfadfinderin gemacht. Robert kam auch noch angehetzt. Er hatte den Laptop seines Vaters unter dem Arm. Jetzt fehlte nur noch Leo. Als der eintrudelte, gingen sie gemeinsam ins Pfarrhaus. Im Pfarrhaus angekommen, stürmten sie in den Gemeinderaum. Leo hatte schmutzige Schuhe an, doch dieses Mal würdigte Frau Winter dies keines Blickes. Robert schaltete den Laptop an und zeigte was er im Internet gefunden hatte.
„Man, so ein teures Teil, da würde mir mein Vater aber was erzählen“, sagte Adrian.
„Ach, meine Eltern sagen da nichts“, erwiderte Robert. Er hatte sich die Sache richtig gut ausgedacht. Er zeigte über Google Earth die Weltkugel und man sah Deutschland und Israel. Robert stellte die Erdkugel auf Israel ein und  es ging immer tiefer. Leider konnte er Bethlehem nicht gleich finden. Nichts leichter als das, dachte er und gab Bethlehem in das Suchfeld ein. Auf einmal drehte sich die Erdkugel und man landete in Amerika.
„Ooch, du hast aber ein blödes Programm“, maulte Adrian.
„Sei froh, dass er sich die Mühe macht, du hast so was nicht drauf“, fauchte Kerstin, die sich über Adrians Genöle ärgerte.
Robert suchte noch ein wenig. Um Adrians Gemaule aus dem Weg zu gehen, drehte er das Bild zurück nach Jerusalem und zeigte verschiedene Fotos von der Stadt.
„Das hier ist die Klagemauer“, sagte er.
„Was hängen da für komische Pflanzen raus“, fragte Kerstin.
„Das sind Kapern, hat mir mein Freund Lukas erzählt, der schon einige Jahre in Jerusalem wohnt und arbeitet.“, antwortete Roberto. „ Die Kapernpflanze ist bei den Beduinen etwas ganz besonderes. Sie wächst an Felsen in der Wüste und hat schon manchmal Leben gerettet. Man sagt, wer eine Kapernpflanze zerstört ist des Todes.“
Robert zeigte noch etliche Bilder von der Klagemauer, da meldete sich Frau Winter zu Wort: „Ich habe mal in einem Vortrag gehört, dass die Besucher in die Ritzen der Klagemauer Zettel mit Bitten stecken.“
„So was habe ich auch schon gehört, aber ich halte das für Aberglaube“, sagte Roberto barsch.
„Ist das sowas, wie Weihnachten, wo man einen Wunschzettel schreibt“, fragte Robert.
„Ich denke nicht“, erwiderte Frau Winter, „Schau mal, Weihnachten wünscht man sich eine Puppe, ein neues Fahrrad oder ein Spiel“.
„oder Playmobil, eine Playstation, eine x-Box oder ein Handy“, ergänzte Leo.
„Hier handelt es sich aber um Gebete“, erläuterte Frau Winter, „wenn jemand krank ist oder  wenn sich Eltern ein Kind wünschen oder wenn man Sorgen hat oder wenn sich jemand um den Weltfrieden sorgt.“
„Was ist denn daran Aberglaube“, fragte Kerstin, „ man kann doch Gott bitten wenn man ein Problem hat, und danken wenn es das Gebet hilft.“
„Ja, natürlich kann und soll man das. Mit Aberglauben meinte ich, dass die Zettel in der Klagemauer besonders erhört werden sollen“, sagte Roberto.
„ In dem Vortrag im Seniorenkreis hieß es, dass die Klagemauer die Rückseite des alten Tempels ist, der vor 2000 Jahren hier gestanden hat. Und die Stelle, an der die Männer beten, ist die Rückseite es Allerheiligsten Raumes, der Gott und in dem der Hohepriester, der nur ein Mal im Jahr in diesem Raum sein durfte.“
„Was, Gott darf nur einmal im Jahr in das Allerheiligste?“, fragte Kersten.
„Quatsch, der Hohepriester“, mischte sich Adrian ein.
„ Die Frauen beten zwar auch an der Klagemauer, aber sie haben daneben ihren eigenen Platz, etwas weiter weg vom Allerheiligsten. Ich weiß aber nicht, ob man bei den Frauen auch Zettel in die Mauerritzen steckt“, fuhr Frau Winter fort.
„Da haben wir es wieder, die Männer, immer wieder die Männer. So eine Ungerechtigkeit“, Kerstin ereiferte sich.
„Ach, unsere Emanze schon wieder“, lachte Adrian.
„Adrian Steinbrecher, ich hasse dich.“ Adrian winkte nur ab. Im Stillen tat es ihm Leid, das er schon wieder mit Kerstin aneinander geraten war. 
Leo mischte sich ein: „Sag mal Roberto, man sagt doch auch, dass Jerusalem die Stadt Gottes ist?“
„Ja“, Roberto wurde hellhörig, denn in Leos Stimme war so etwas…
„ Na, dann ist das doch ein Ortsgespräch, wenn man mit Gott in Jerusalem redet?“
Am nächsten Morgen brachten die Pfadfinder Frau Winter, Franjo und Roberto zum Zug. Natürlich waren alle vorsichtshalber zu früh im Bahnhof.
„Wo steckt denn Franjo schon wieder“, fragte Roberto ärgerlich.
„Kerstin ist auch weg“, sagte Miriam.
„Die sind wahrscheinlich auf dem Klo“, sagte Leo beiläufig.
„Zusammen“, fragte Roberto, aber da kamen sie gemeinsam wieder.
„ Man wo steckt denn Franjo jetzt schon wieder“, regte sich Roberto ein wenig später auf, doch da kam er mit Leo zur Gruppe zurück.
„ Also, ich werde noch verrückt, der ist schon wieder weg“, Roberto wurde richtig laut. Dieses Mal kam Franjo mit Adrian zurück.
„ Noch ein Mal und wir bleiben zu Hause“, sagte Roberto.
Endlich kam der Zug. Alle verabschiedeten sich, als würden die drei auf Weltreise gehen. Miriam hatte Tränen in den Augen. Sie umarmte und küsste Roberto und flüsterte ihn ins Ohr: „Vergiss den Zettel nicht.“
Im Flughafen war es, besonders für Frau Winter, aufregend. Durch den Bombenanschlag und die Ankündigung der Hamas waren die Sicherheitsvorschriften verschärft worden. Jeder musste zwei Mal durch die Sicherheitskontrolle. Frau Winter hatte eine Trinkflasche mit Wasser dabei. Das Wasser musste sie austrinken, denn es hätte eine explosive Flüssigkeit sein können. Dann musste sie auch noch zur Leibesvisitation. Zum Glück passte Alfreds Laterne in Robertos Hartschalenkoffer, das brachte keine Probleme mit sich. Roberto fragte sich, was das wohl werden wird, wenn  sie wieder zurück fliegen. Im Flugzeug hatten sie dann ihre Plätze eingenommen. Als die Triebwerke aufheulten, krallte sich Frau Winter am Vordersitz fest und sah ganz ängstlich aus.
„Ach, Frau Winter, sie brauchen keine Angst zu haben“, sagte Roberto, „ bis jetzt sind alle Flugzeuge wieder runtergekommen.“ Sie sah ihn mit großen Augen an, dann lachte sie ein wenig und entspannte sich. Franjo war Fliegen gewöhnt, er hatte einen Fensterplatz und sah interessiert nach draußen.
Endlich setzte das Flugzeug zur Landung an. Frau Winter taten, vom langen Sitzen, die Beine weh. Als sie ausgestiegen waren, war sie froh endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.
Hoffentlich kniet sie jetzt nicht nieder, um das heilige Land zu küssen, dachte Roberto. Frau Winter sah aber irgendwie enttäuscht aus. Die Rollbahn aus Beton, in der Ferne ein paar Palmen, in absehbarer Nähe die Abfertigungshalle, all das hinterließ einen unheiligen, tristen Eindruck bei ihr.
„Keine Angst, das ist nicht das ganze heilige Land, es wird schon noch schöner.“
„Ach, wissen sie, Bruder Fischer, das ist ja dumm von mir. Irgendwie habe ich mir das heilige Land anders vorgestellt, aber hier, wo die Flugzeuge starten und landen kann ja keine Kirche stehen.“
„Meinen sie denn, dass das Land heilig ist, wenn an jeder Ecke eine Kirche steht?“
„Das nicht“, sagte sie, „aber der erste Eindruck hat so gar nicht meinen Erwartungen entsprochen. Nun ja, schön warm haben die es ja hier.“
Die Abfertigung bei der Einreise war ganz schön schwierig. Schon im Flugzeug wurden Fragebögen ausgeteilt. Da sie in Englisch waren, musste Roberto alle drei ausfüllen. Bei Frau Winter achtete man besonders darauf, ob sie vor 1928 geboren wurde, doch dafür war sie zu jung. Robertos Freund, Lukas, der in Jerusalem lebte und arbeitete, hatte die Reise organisiert und keine Reiseorganisation, deshalb fiel die Befragung durch die Beamten besonders gründlich aus. Man hatte derzeit besonders viel Angst vor Terroranschlägen. Da half es nichts, dass die drei so harmlos aussahen. Endlich waren sie aus dem Flughafengebäude heraus. Franjo machte einen Salto. Man, wenn der auf den Kopf fällt, dachte Roberto, da fiel ihm ein, dass sie keine Reisekrankenversicherung hatten. Hoffentlich geht das alles gut.
„Herzlich willkommen in Israel“, rief Lukas, der schon mit dem Auto wartete  um die drei vom Flughafen abzuholen.
„Das Abenteuer kann beginnen“, sagte Roberto.
„Ach, das Leben mit dem Herrn Jesus ist doch immer ein Abenteuer“, sagte Frau Winter.



  
Franjo und das Friedenslicht XXIV
Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen…
Matthias Claudius

Als Lukas die drei Passagiere und das Gepäck im Auto verstaut hatte, ging es los.
„Fahren wir jetzt nach Jerusalem“, fragte Frau Winter.
„Nein“, antwortete Lukas, „es geht erst mal nach Elat.“
„Ist das weit“, war Frau Winters nächste Frage.
„Etwa 350 Kilometer“, sagte Lukas, Ehe Frau Winter weiterfragen konnte erklärte er:„Es geht immer nach Süden, bis in die südlichste Ecke von Israel. Elat war zwar schon eine Stadt unter König Salomo. 1948 gab es aber dort nur noch ein Haus, nämlich die Zollstation des Osmanischen Reiches. Das osmanische Reich wurde 1918 vom britischen Mandat über Palästina abgelöst. Am  14. Mai 1948, einem Freitag, versammelte sich der Jüdische Nationalrat im Stadtmuseum von Tel Aviv. Um 16 Uhr verlas David Ben Gurion die Unabhängigkeitserklärung. Damit war das heutige Israel gegründet. Noch in der Gründungsnacht erklärten Ägypten, Saudi-Arabien, Jordanien, Libanon, Irak und Syrien dem neuen Staat den Krieg. Dort, wo heute Elat steht, richtete die israelische Armee eine Rollbahn für die Flugzeuge ein, um Truppen in den südlichen Teil des neuen Landes zu bringen. Um die Rollbahn standen die Zelte der Soldaten. Mit der Zeit wurden aus den Zelten Häuser, dann Hochhäuser, Hotels, eben die Stadt Elat. Im Laufe der Zeit wurde die Stadt, wegen ihres Klimas, ein Touristenmagnet. Man macht gern Urlaub in Elat, am Golf von Akaba.  Außerdem gibt es dort einen Hafen. In Sichtnähe liegen Jordanien, Saudi Arabien und  Ägypten.“
„Sagen sie, Frau Winter“, Roberto wollte sie ein wenig necken, „ in welchem Buch der Bibel ist denn eigentlich von Akaba die Rede?“
Frau Winter überlegte eine Weile. „Ach, ich  glaube sie wollen mich veräppeln“, meinte sie. „Akaba kommt doch nicht in der Bibel vor. War das nicht so ein Märchen ,wie das mit Sindbad, oder das mit dem Aladin?“
Roberto fühlte sich erwischt. Um abzulenken fragte er Lukas: „Sag mal ist das überall so dreckig? Hier liegt ja ein Müll rum.“
„Das ist mir auch schon aufgefallen“, mischte sich Frau Winter ein, „überall Plastiktüten. Und überall ist es so trocken.“
„ Glauben sie mir“, sagte Lukas, „früher sah das noch schlimmer aus Mittlerweile hat sich schon viel verbessert. Seit es verrottbare Verpackungen gibt, geht es eigentlich.
Hier im Norden regnet es, wenn es in Europa Winter ist. Im Süden ist es viel trockener. Manches Jahr fällt da überhaupt kein Tropfen Wasser. Im nördlichen Teil der Negevwüste fällt über Nacht der Tau zu Boden. In Elat, im Süden, ist es so trocken, dass es nicht mal den gibt.“
Franjo bekam von der Unterhaltung nichts mit. Er sah sich das unbekannte Land während der Fahrt an Als es zu dämmern begann, schlief er ein. Von weitem sah man die Lichter von Akaba. Endlich fuhren die Reisenden in Elat ein. Das Hotel war zwar geöffnet, doch durch die intefada gab es kaum Touristen. Deshalb war das Restaurant geschlossen und die vier wurden in eine Gaststätte für Einheimische geschickt. Hier war es ganz gemütlich. Ein Problem war die Bestellung. Außer Lukas konnte niemand die Speisekarte verstehen, aber selbst der hatte Probleme damit.  Frau Winter hätte gern ein Schweineschnitzel gehabt, doch Lukas erklärte ihr, dass die Juden kein Schwein essen. Freu Winter fasste sich an den Kopf: „Da lese ich nun schon so viele Jahre die Bibel, aber wenn es darauf ankommt, weiß ich alte Schachtel nicht, was drin steht. Natürlich essen die Juden kein Schwein. Das Schwein ist doch kein Wiederkäuer.“
Franjo interessierte sich nicht für die Diskussion. Er sah sich im Lokal um und zeige bei der Bestellung auf das Essen, das ihm bei den Gästen am Nachbartisch gefiel. So machten es die anderen dann auch. Alle aßen, da rüttelte Franjo plötzlich an Robertos Ärmel. Der blickte auf und sah zwei Soldaten, die sich an einen freien Tisch setzten. Sie hatten zwar eine Uniform an aber Badelatschen an den Füßen. Die Gewehre, die sie mitgebracht hatten, legten sie unter den Tisch.  Roberto schüttelte den Kopf. Die Badelatschen und die Art mit den Waffen umzugehen,  erweckten in ihm ungläubiges Staunen.
Als sie ihre Zimmer bezogen, Roberto und Franjo hatten zusammen ein Zimmer, Frau Winter hatte eines und Lukas übernachtete bei Freunden, klopfte Frau Winter bei Roberto. Ihr Koffer war kaputtgegangen. Roberto versprach ihr, am nächsten Morgen einen neuen zu besorgen.
Früh klopfte Frau Winter wieder. Da Franjo noch schlief, ließen sie ihn schlafen. Sie schrieben ihm einen Zettel, er solle im Zimmer auf sie warten bis sie wiederkämen. Den alten Koffer nahm Roberto mit nach unten und warf ihn in einen Abfallcontainer, der am Rande der schmalen Straße hinter dem Hotel stand.
Als die drei endlich mit dem neuen Koffer zum Hotel zurückkehrten wunderten sie sich, dass die Straße hinter dem Hotel abgesperrt war und eine Menschenmenge an der Absperrung stand. Franjo stand auch dabei und rannte auf die drei zu. „ Frau Winters Koffer“, rief er, „sie sprengen Frau Winters Koffer.“ Roberto fragte sich, wie Franjo zu der Information kam. Egal, stimmte. Wahrscheinlich hatte jemand den Koffer aus dem Container  geholt und, als er feststellte, dass er nicht brauchbar war, auf der Straße stehen gelassen. Jetzt war das Sprengkommando da und entsorgte ihn. Franjo machte heimlich ein Foto. Das würde er noch brauchen, wenn er in der Schule darüber berichtet, wie er das Friedenslicht geholt hat.
Am  Vormittag fuhren die vier zum Baden. Lukas kannte ein Bad, in dem man schnorcheln  konnte. Zwei Stege führten, im Abstand von ca. 100 Metern, ins Meer und dazwischen war ein Seil gespannt. Wenn man von einem Steg ins Meer stieg, trieb einen die Strömung langsam zum anderen Steg. Hatte man dabei Schwierigkeiten, konnte man sich am Seil festhalten. Unterwegs gab es viele schöne bunte Fische zu sehen. Kaum hatte Lukas erklärt wie alles funktionierte, war Franjo schon unterwegs, sich eine Ausrüstung zu holen. Roberto und Lukas staunten, wie selbstbewusst und selbstständig Franjo die Sache anging. Kaum war Franjo im Wasser, fragte Frau Winter: „Ich bin ja eine alte Frau, aber wäre das nicht auch etwas für mich?“
Roberto sah sie ungläubig an. Er schüttelte mit dem Kopf. Lukas aber meinte: „ Probieren geht über studieren.“ Er musste ihr dann dabei helfen, eine Ausrüstung zu borgen doch das war leicht getan. Frau Winter ging sich umziehen. Das dauerte lange. Dafür wurden die beiden Männer für die Warterei mit einem seltenen Anblick belohnt. Frau Winter kam mit einem Badeanzug, der wahrscheinlich vor vierzig Jahren modern gewesen war und mit einer Badekappe, an der ausgestanzte Gummiteilchen befestigt waren, die wie Blümchen aussehen sollten. Roberto hielt sich die Hand vors Gesicht. „Da hast du aber etwas angerichtet“, sagte er zu Lukas. „ ein Glück, dass uns hier niemand kennt. Aber Hauptsache, die ertrinkt uns nicht.“
Frau Winter ertrank nicht. Sie hatte große Freude am Schnorcheln und den schönen Fischen. Sie konnte nicht genug kriegen. Auch Franjo wollte nicht aus dem Wasser. Als die vier sich im Schatten ausruhten zeigte Franjo auf die riesige jordanische Flagge, die auf der anderen Seite der Bucht wehte.
„Ich weiß nicht, ob die Fahne dazu da ist, den Israelis zu zeigen, dass dort Jordanien ist oder ob sie mehr für Saudi Arabien gedacht ist“, sagte Lukas. Mit diesen Worten begann er einiges von der Geschichte zu erzählen. „Die saudischen Herrscher hatten den Jordanischen König vor 100 Jahren von seinem Thron in Saudi Arabien vertrieben und die Engländer gaben ihm die Herrschaft in Transjordanien, dem heutigen Jordanien,  dem Land über dem Jordan. Das jordanische Herrscherhaus sieht sich als Nachkommen des Propheten Mohammeds und als rechtmäßige Herrscher von Saudi Arabien. Demzufolge verstehen sich die Jordanier manchmal besser mit Israel, als mit den Saudis.“ Franjo verstand sowieso nicht, was  Lukas erzählte. Frau Winter war die hohe Politik auch zuviel, da gingen die zwei lieber noch einmal ins Wasser und verabschiedeten sich von den Fischen mit den wunderschönen Farben.
Am Nachmittag fuhren die vier in einen Zoo in der Wüste, in dem Tiere, die in der Bibel vorkamen gezeigt wurden. Als sie im Außengelände des Zoos ankamen, kam eine Herde Strauße auf sie zu. „Frau Winter“, fragte Roberto, „werden in der Bibel eigentlich Strauße erwähnt?“ Frau Winter hatte keine Antwort. Das ärgerte sie, weil sie eigentlich immer auf Fragen über die Bibel eine Antwort wußte. Als die Herde immer näher kam, gab Lukas Gas.  „Warum haust du denn ab, die sehen doch so nett aus“, sagte Roberto. „Das denkst aber auch nur du“, sagte Lukas, „wenn sich ein Strauß in mein Auto verliebt ist es fällig.“
„Warum sollte sich denn ein Strauß in ihr Auto verlieben“, fragte Frau Winter.
„Sehen sie, so ein kleiner Kopf und so ein großer Körper. Das Gehirn im Kopf ist ja noch kleiner, da muss man sich nicht wundern. Strauße sind blöd aber sie haben viel Kraft im Schnabel.“ Auf der Heimfahrt wählte Lukas die Strecke so, dass man die Jordanischen Berge im Abendlicht leuchten sehen konnte.
„ Können sie sich vorstellen welches biblische Volk in den Bergen gelebt hat“, fragte Lukas Frau Winter. Sie musste verneinen und ärgerte sich, dass sie schon wieder eine Frage zur Bibel nicht beantworten konnte. „Die Edomiter“, sagte Lukas. „Edom heißt rot.“
„Wenn man diese Berge sieht, dann versteht man das“, bemerkte Roberto.
„Wenn das mein Herbert noch sehen könnte“, hauchte Frau Winter.
„So eine schöne Reise, der Heiland ist so gut zu uns“, sagte sie dankbar.  


Franjo und das Friedenslicht XXV
Reisen ist tödlich für Vorurteile.
Mark Twain (1835 - 1910)

„Was, zu dir?“ Adrian konnte es nicht glauben, dass Robert die Pfadfinder zum Israelabend eingeladen hatte. Noch nie war einer der Pfadfinder von Robert eingeladen worden und jetzt gleich alle.
„Kommt ihr nun oder kommt ihr nicht?“, fragte Robert.
„Natürlich kommen wir“, sagte Kerstin. Sie wollte nicht nur sehen, was Robert aus dem Internet von Israel herausgesucht hatte, sie war auch neugierig darauf, wie Roberts Familie eingerichtet war.
Am Donnerstag kam die Gruppe geschlossen an.
„Schuhe aus“, kommandierte Robert, „sonst erschlägt mich meine Mutter.“
„Aua“, sagte Leo und duckte sich, als wollte er einem Schlag ausweichen.

Kerstin hatte kein Interesse an solchen Spielen. Sie ließ die Augen in der Wohnung hin und her schweifen und kam aus dem Staunen nicht heraus. Es sah aus wie im Katalog. Die Einrichtung musste richtig teuer gewesen sein.
„„Seid leise, Mutti hat sich hingelegt. Adrian und Leo, könnt ihr mal den Fernseher in mein Zimmer tragen“, fragte Robert.
„Das teure Teil fasse ich nicht an“, sagte Adrian. „Wenn mir das aus der Hand fällt…“
„Hab dich nicht so“, sagte Robert, „ dann gibt es eben ein neues.“
Adrian und Leo nahmen den Fernseher und trugen ihn in Roberts Zimmer.
„Also, zu Hause dürfte ich nicht an so ein teures Teil.“, sagte Leo.
„ Ich borge ihn mir manchmal aus“, erwiderte Robert, „vor allem, wenn ich mit Nils Autorennen spiele.“
Kerstin legte eine Tüte Chips auf den Tisch und die Jungs hatten Cola mitgebracht. Robert verkabelte den Laptop seines Vaters mit dem Fernsehgerät und bereitete die Show vor. Er hatte sich auf einer Internetplattform einige Filme über Jerusalem und Bethlehem und Israel ausgesucht. Die sahen sich die Pfadfinder bei Chips und Cola an.
„Mach das aus“, rief Kerstin und hielt sich die Augen zu. Ein Film zeigte wie ein Attentäter mit einem Bulldozer Autos und Passanten überfuhr, bis ein Sicherheitsbeamter in Zivil in das Fahrzeug kletterte und den Attentäter erschoss. Robert schloss das Bild. Die Stimmung unter den Pfadfindern war gesunken. Dieser Film bedrückte alle, vor allem weil jeder wusste, dass das  kein Spielfilm war, sondern echt. „Und aus diesem Land holt Franjo das Friiiiedenslicht“, Adrian wollte lustig klingen, doch in den Ohren der anderen war das eine berechtigte Frage.
Robert versuchte die Stimmung wieder zu heben indem er nach einer Liveübertragung mittels Webcam suchte. Nach einigem Suchen fand er eine Übertragung von der Klagemauer. Alle sahen gespannt auf das Bild.
„Franio“, schrie auf einmal Kerstin auf. Alle Pfadfinder sprangen von ihren Sitzen auf und eilten zum Bildschirm.
„Nur gut, dass wir den großen genommen haben“, bemerkte Robert.
An der Klagemauer stand jemand, der möglicherweise wie Franjo aussah.
„Glaub ich nicht“, sagte Leo.
„Natürlich“, rief Karsten, „das ist doch seine Jacke.
„ Franjo ist ja auch der einzige in der Welt, der so eine Jacke hat“, sagte Leo höhnisch.
Franjo machte irgendetwas an der Klagemauer, drehte sich um und ging in Richtung Kamera.
Kurz sah man sein Gesicht.
„Da, hab ich es euch nicht gesagt“, rief Kerstin, „sicher hat er meine Zettel in die Ritzen gesteckt.“
„Deinen auch“, riefen die anderen wie aus einem Munde und alle lachten laut.
Roberts Mutter kam ins Zimmer, angelockt durch den Lärm. Im Zimmer saß eine Gruppe fröhlich plappernder Jugendlicher, die immer etwas von einem Franjo erzählten und darüber diskutierten, warum sie einen Roberto nicht sehen würden. Komisch, sie wusste zwar davon, dass Robert zu den Pfadfindern gehörte, doch bis heute hatte sie noch keinen zu Gesicht bekommen.  Sie ging wieder aus dem Zimmer und schloss die Tür leise.
Komisch, dachte sie, eigentlich weiß ich viel zu wenig über meinen Sohn.
Wir sind ja immer so sehr mit der Arbeit beschäftigt, dass kaum Zeit für ihn bleibt.
Roberts Vater ist meist auf Montage und hat immer zu tun, wenn er zu Hause ist. Und die Mutter hat neben ihrer regulären Arbeit noch zwei Nebenjobs.   
Sie machte sich einen Latte Macciato  mit dem neuen Kaffeeautomaten. Dabei sah sie sich um. Schön haben wir es zu Hause, aber das hat eben seinen Preis.  Eigentlich arbeiten wir von früh bis spät. Aber was soll man denn machen, wenn man seinen Lebensstandard halten will?
Es ist schon verrückt, eigentlich hatten wir einen Traumurlaub. Tolles Hotel, wunderschöne Strände, aber mein Mann und ich haben nur geschlafen und Robert hat irgendein Computerspiel gespielt. Ob das nur wirklich richtig ist? Eigentlich haben wir keine Zeit für einander. Klar haben wir alles, was wir wollen. Traumauto, Traumwohnung, Traum Einrichtung. Das Leben vergeht wie im Traum, aber wir  leben nicht wirklich. Ich wusste gar nicht, dass Robert Freunde hat. Bisher kannte ich nur Nils, die Ratte. Der kam zu Robert, fraß ihm die Chips weg und schlug sich den Bauch mit Cola voll. Dann war er wieder weg. Aber er war eben Roberts einziger Freund. Nur gut, dass es diese Computerspiele gab. Aber wer weiß, vielleicht wird er ja noch Computersüchtig. Roberts Mutter bekam einen Schreck.
Mit der Kaffeetasse in der Hand ging sie in Roberts Zimmer und beobachtete die Pfadfinder, die  eifrig diskutierten, ohne sie zu beachten.
„Bevor wir gehen, müssen wir aber noch darum beten, dass Franjo das Friedenslicht heil zu uns bringt.“ Kerstin hatte das gesagt und alle stellten sich im Kreis auf. Jeder bat Gott mit seinen Worten darum und alle sagten Amen. Roberts Mutter wurde es heiß und kalt. Zuerst dachte sie, die Jugendlichen seien einem religiösen Wahn verfallen.  Aber kaum war das Amen verklungen, nahmen die Pfadfinder sie wahr und fragten ob sie am Freitag wiederkommen könnten. Sie wollten mit Roberto  telefonieren. Also auch welche, die meinen Robert ausnutzen, dachte Roberts Mutter. Robert sah ihren komischen Gesichtsausdruck. „Kostet nichts, geht übers Internet, außerdem sind die anderen nicht angemeldet“, beeilet er sich zu sagen. Roberts Mutter sah sich die Chips und die Cola an. Nicht Roberts Marke, dachte sie. Anscheinend sind das doch ganz anständige Kinder. Vielleicht ist das mit dem Beten heutzutage in die Mode gekommen. Ich werde trotzdem mal mit Robert reden.
Am Freitag kamen die Pfadfinder wieder und alle warteten auf die Verbindung. Robert bereitete alles vor. „Voila“, rief er, „hier sind sie.“ Auf dem Bildschirm erschienen Franjo, Frau Winter und Roberto. Roberts Mutter, die auch dabei war, war überrascht, mit welcher Herzlichkeit die drei begrüßt wurden. Franjo zog sich zwar bald zurück, nachdem er ein paar Grimassen gezogen hatte, aber Frau Winter und Roberto sprudelten vor Begeisterung nur so über. Roberts Mutter kannte Frau Winter flüchtig. Ihr wollte es nicht in den Kopf, wie begeistert diese jungen Leute der alten Frau  begegneten, die doch nur im Pfarrhaus ihre knappe Rente aufbesserte. Die Zeit verging und Roberto drängte darauf, dass sie Schluss machten. Er wollte noch vor dem Abendessen mit Miriam telefonieren. „Danke Robert für den Tipp mit dem Internet, ich hätte sonst einen Haufen bezahlen müssen. So haben wir hier bei Lukas alles frei.“ Robert freute sich über das Lob und beendete die Verbindung. Wieder stellten sich die Pfadfinder im Kreis auf und beteten inbrünstig für das Gelingen der Unternehmung. Diesmal war Roberts Mutter nicht so überrascht wie beim ersten mal. Und da sie sich beim Verlassen der Wohnung ein wenig kabbelten, zerstreuten sich die Bedenken von wegen religiösem Wahn oder Sekte.
Frau Winter und Franjo gingen schon ins Hotel, während Roberto mit Miriam telefonierte.
„Geht’s dir gut“, fragte Miriam, „du siehst so schmal aus.“
„Mir geht es prima. Du kannst dir gar nicht vorstellen, was wir alles gesehen haben. Aber am meisten hat mich Frau Winter überrascht. Früher dachte ich, die kennt nur ihren Herrn Jesus und ihre Scheuereimer, aber weit gefehlt. Ich weiß ja nicht, was die zu ihrem Rentnernachmittag machen  aber die kennt sich ja in Israel besser aus als ich zu Hause. Aber weißt du, was am schönsten war? Wir haben einen riesigen Wüstenkrater besucht. Ich dachte schon, er stammt von einem Meteoriten. Aber der ist nur davon entstanden, dass seit jahrtausenden das Wasser aus einem Gebiet von 300 Quadratkilometern alles in diesen Krater fließt und Erde mitnimmt. Wir waren in einem Haus in dem ein riesiges Modell von der Region stand. Als die Vorführung beginnen sollte, fiel das Licht aus. Wir hörten alles, aber sahen nichts. Plötzlich drückte Franjo meine Hand. Er saß ja im Dunkel und konnte auch nichts hören. Irgendwann ließ der Druck nach, und als das Licht anging, lehnte er an Frau Winters Schulter und die beiden waren eingeschlafen.“
„Hast du den Zettel in die Klagemauer gesteckt?“
„Kannst du dir vorstellen, die Pfadfinder haben mich beinahe erwischt.“
„Wieso?“
„Gerade als wir dort waren haben die sich die Klagemauer per Webcam angesehen.“
„Und?“
„Sie haben nicht. Aber du weißt ja, dass ich das mit dem Zettel für Unsinn halte.“
„Kann schon sein, aber wie sagte Leo: In Jerusalem sind Gebete Ortsgespräche. Außerdem kann es ja nichts schaden, wo wir uns doch so sehr ein Kind wünschen.“ 
„Dein Wort in Gottes Ohr“, sagte Roberto.
„Na was denkst du denn“, antwortete Miriam und zeigte ihm ihre gefalteten Hände.“
„Vergiss nicht dafür zu beten, dass diese ganze Geschichte gut ausgeht“, sagte Roberto und schaltete die Verbindung ab.

Franjo und das Friedenslicht XXVI
Vom Glauben zum Schauen

Athanasios, der Stumme, stand in der Kirche und war verzweifelt. Der Mönch war nun schon zwei Wochen hier in der Hochheiligen Geburtskirche und fühlte sich wie ein alter Gegenstand in einer Abstellkammer. Letzte Woche waren hier noch viele Gäste, doch jetzt schien niemand mehr Interesse für die Kirche zu haben. Er wusste nicht, warum Gott ihn hierher verbannt hatte. Irgendwie war alles, wie ein Verhängnis, über ihn gekommen. Seit über fünfzig Jahren war er  in seinem griechischen Bergkloster. Dort war seine Heimat, dort arbeitete er in der Küche und im Garten, fegte den Hof und half den Brüdern, wo er konnte. Dann wurde der Abt krank, sicher würde er sterben. Plötzlich, eines Abends machte man ihm klar, dass er mit einer Gruppe von hohen Würdenträgern auf Reise gehen musste. Er packte seine sieben Sachen und flog mit ihnen ein paar Stunden im Flugzeug. Nach einer aufregenden Fahrt bei Nacht kam er hier, in Bethlehem, an und wurde bei einem Priester und seiner Familie abgegeben. Die Familie des Priesters war freundlich zu ihm, doch niemand verstand ihn. Keiner konnte sich ihm richtig verständlich machen. Er bekam seine Mahlzeiten und man machte dem stummen Mönch klar, dass er in der Kirche Wache halten sollte.
Athanasios war verwirrt und in diesem Zustand kamen ihm alle möglichen Gedanken. Als Kind wuchs er in einem Bergdorf mit Ziegen, Schafen und den anderen Kindern auf.  Die Ziegen und die Schafe konnten mehr mit ihm anfangen als die Kinder. Die Alterskameraden konnten ihn nicht leiden. Er war taub und verstand die anderen nicht. Da war er beim Spielen kaum zu gebrauchen. Manchmal warfen sie Steine nach ihm. Auch seine Eltern konnten nicht richtig damit umgehen, dass er nichts verstand. Sie brauchten ein Kind, das man rufen konnte, das man schicken und mit wenigen Worten zur Arbeit anleiten. Er war eine Enttäuschung für sie. Der einzige, der sich wirklich um ihn kümmerte, war der Priester im Dorf.  Er bemühte sich um Athanasios. Trotz Schelten seiner Frau, die es lieber gesehen hätte, dass er sich mit den eigenen Kindern beschäftigt, und nicht mit so einem Blöden, nahm sich der Priester immer wieder Zeit für Athanasios. Sie lernten sich mit Handzeichen zu verständigen. Der Priester bemerkte, dass Athanasios überhaupt nicht dumm war, sondern nur nichts verstehen konnte. Im Laufe der Jahre brachte er ihm sogar ein wenig Lesen bei. Als Athanasios im richtigen Alter war, beschloss er, seinen Eltern nicht mehr zur Last zu fallen und ging ins Kloster. Am Anfang war er nur Klosterknecht. Einige Mönche dachten, dass er von Gott verflucht sei, weil er taub war. Außerdem wollten sie ihn nicht aufnehmen weil er die heiligen Gesänge nicht mitsingen konnte. Der junge Abt, der jüngste den das Kloster jemals hatte, nahm sich seiner an und beschäftigte sich mit ihm. „Jesus hat die Tauben geheilt, das kann ich nicht“, sagte er immer, „ aber ich kann wenigstens mit ihnen reden.“ Der Abt zeigte ihm auch was es mit dem Singen auf sich hatte. Er nahm Athanasios Hand und legte sie auf seine Brust, kurz unter dem Hals. Dann sang der Abt. Athanasios spürte das Brummen, das dann durch den Hals und den Mund ins Freie drang. Der Abt steckte den Stummen in die Küche und der lernte zu kochen. Er wurde darin richtig gut. Das Kochen brachte ihm ein, dass er dann doch noch Mönch wurde. Eines Tages wurde Athanasios krank. Statt seiner musste Georgios Küchendienst machen. Der heilige Georg, sein Namenspatron war der Drachentöter. Auf den Ikonen sah man immer den heiligen Georg wie er den Drachen erstach. Georgios hatte wohl die Statur eines Drachentöters, aber zubereiten hätte er ihn nicht können. Die Gebete der Mönche um Heilung des Athanasios wurden immer eindringlicher. Als er wieder gesund war, stand nichts, und niemand, einer Aufnahme ins Kloster im Wege. Natürlich hatte er Schwierigkeiten damit, dass er nichts hörte.  Wenn die Mönche am Morgen in der Dunkelheit zum Gebet gerufen wurden, musste man ihn immer extra wecken. Außerdem schlief er während der Morgengesänge immer wieder ein. Man bestimmte einen Bruder, der ihm immer wieder einen kleinen Schlag mit einer Gerte versetzte, um ihn zu wecken. Je nachdem, wie die Stimmung des Bruders war, fielen die Schläge stärker oder weniger stark aus.  Dieses Kloster war seine Heimat und hier wollte er begraben werden. Nur einen Wunsch hatte er: Einmal den Segen sprechen, nur einmal das heilige Kreuzzeichen machen und damit jemanden etwas geben, was nur er, Athanasios der Stumme, geben konnte.
Jetzt, hier in der Kirche in Bethlehem, war er verzweifelt. Demut und Gehorsam hatte er beschworen. Aber seine Wünsche waren hochmütig und ungehorsam. Er hatte sich nicht unter Gottes Willen gestellt, sagte er sich immer wieder, und war der Meinung, dass Gott ihn jetzt bestrafte. Was Athanasios nicht wusste war, der Abt hatte gebeten seinen stummen Bruder auf die Reise ins gelobte Land mitnehmen zu können. Als der Abt krank wurde hatte man ihn trotzdem mitgenommen  und zu spät gemerkt, dass der Mönch ohne seinen Abt hilflos war. So hat man ihn in der Kirche geparkt , bis sein Aufenthalt in Israel zu Ende war.
Franjo, Frau Winter und Roberto saßen auf den Bänken der Geburtskirche in Bethlehem und wussten nicht mehr weiter. Lukas konnte nicht mit und hatte Roberto die Karte von Bethlehem in die Hand gedrückt. Die drei fuhren mit dem israelischen Mietwagen nach Bethlehem. Die erste Hürde war die große Mauer, die das Palästinensergebiet umgab. Man fuhr zum Grenzpunkt und musste lange am Checkpoint warten.  Endlich wurden sie hineingelassen. In Bethlehem hatten sie die Orientierung verloren. Plötzlich setzte sich ein Auto vor sie, weil man ihr israelisches Nummernschild bemerkt hatte. Der Fahrer gab ihnen ein Zeichen, dass sie anhalten sollten.
„Jetzt werden wir entführt“, entfuhr es Frau Winter, die ganz blass wurde. Auch Roberto verlor die Farbe im Gesicht. Es kam aber ganz anders. Der Fahrer des Autos bot ihnen an, sie zum Parkplatz, nahe an der Geburtskirche, zu bringen. Sie fuhren an einer Schule vorbei. Die Kinder, die man sonst im Fernsehen, mit Steinen werfen sah,  nahmen überhaupt keine Notiz von ihnen. Es dauerte gar nicht lange, da waren sie schon angekommen. Frau Winter wollte dem Mann Geld geben, doch der lehnte ab. Sie sollten stattdessen eine Führung durch die Geburtskirche mitmachen, die ihnen ein Cousin des Fahrers aufdrängte. Auch der wollte kein Geld, doch sie sollten im Laden eines anderen Cousins ein Souvenir kaufen. Roberto wurde ungeduldig, denn irgendwann würde die Delegation ankommen, die das Friedenslicht entzündete. Die müsste er ansprechen, damit sie ihnen das Licht geben. Der Laden war nicht weit von der Kirche weg. Aber der Ladenbesitzer war übereifrig und wollte natürlich viel verkaufen. Er sprach ununterbrochen.  In gebrochenem Englisch erzählte er, um Mitleid zu erregen,  dass er fünf Kinder hatte. Nach einer Minute waren es sechs und binnen Kurzem waren es zehn Kinder. Roberto und Frau Winter saßen wie auf Kohlen. Frau Winter entschloss sich eine Krippe aus Olivenholz mit Maria und Joseph zu kaufen. Natürlich war es die größte und teuerste, fühlte sie sich den freundlichen Reiseführern doch verpflichtet. Roberto musste das sperrige Monstrum tragen, denn Frau Winter war es zu schwer. Sie eilten zur Geburtskirche zurück und sahen noch, wie die Delegation der Pfadfinder  aus der Kirche kam. Roberto ging, mit der Krippe im Arm, zu den Leuten, die das Licht schon hatten, um zu fragen ob sie schon mal  vorab das Licht mit Franjo teilen. „Das geht doch nicht, so würden wir doch die ganze Aktion kaputt machen“, war die Antwort. „Nächstes Jahr kommen dann mehr und mit jedem Jahr wächst der Friedenslichttourismus nach Bethlehem. Kommt nächste Woche nach Wien zum Aussendungsgottesdienst.“
Was sollten die drei nun machen? Franjo stand ratlos mit Alfreds Laterne in der Hand herum und weder Frau Winter noch Roberto hatten eine Idee. Gemeinsam gingen sie in die Geburtskirche. Niemand hatte jetzt noch Augen für die Ikonen, die Lampen an den langen Ketten oder die Mosaike. Nach einer Stunde ratlosen Wartens, in der Kirche, sagte Roberto:
„Wir gehen jetzt runter, ich nehme eine Kerze mit und dann holen wir das Licht von der Flamme, in der Geburtsgrotte. Sonst bekommen wir nie Feuer in Alfreds Laterne.“
Franjo schüttelte heftig mit dem Kopf. Das war keine Lösung. Irgendwie kam das auch Frau Winter und Roberto unpassend vor, doch keiner wusste Rat. Frau Winter faltete die Hände und betete: „Herr Jesus, wir wissen nicht weiter, hilf uns doch bitte.“ Der Herr Jesus schien aber auch nicht helfen zu wollen. Wieder verging eine halbe Stunde und Frau Winter war inzwischen geneigt, Robertos Vorschlag  zu unterstützen. Beide redeten auf Franjo ein und zeigten ihm mit Handzeichen, dass sie jetzt zur Grotte gehen und das Licht holen würden. Franjo wehrte sich dagegen. Er war richtig bockig. Das Licht von Bethlehem ist doch nicht irgendein Licht! Die ganze Situation spielte sich fast lautlos, in Gebärden, ab, da Franjo sowieso nichts versteht. Niemanden wäre diese Auseinandersetzung aufgefallen. Es war, bis auf eine Putzfrau, sowieso keiner in der Kirche. Doch, da war noch jemand. Athanasios war immer noch in seine trübsinnigen Gedanken versunken und meditierte wieder darüber, dass der Herr ihn verstoßen hat, weil er nur einmal in seinem Leben den Segen spenden und etwas Besonderes geben, bzw. sein wollte. Plötzlich fiel ihm die kleine Gruppe auf, die sich wild gestikulierend unterhielt. Der Kleine wollte Licht in seine Laterne haben. Sicher von unten, aus der Grotte in der unser hochheiliger Herr geboren wurde. Aber es war keiner da, der es ihm geben konnte. Niemand ist würdig genug diesem Jungen das Licht zu geben. Da entdeckte er, dass er genau verstand, was da vorging. Gleich danach merkte er, dass dieser Junge taub sein musste. Der Kleine war also auch wie er. Auf einmal fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Der, der diesem Jungen das Licht geben musste war er, er Athanasios. Voller Freude nahm er sich eine dünne Kerze, die die Pilger sonst anzündeten, um sie in der Kirche zurückzulassen, eilte zur Gruppe, zupfte Franjo am Ärmel und zog ihn durch das Kirchenschiff und die Treppe hinab zur Geburtsgrotte. Frau Winter und Roberto folgten. Unten angekommen stellte sich Athanasios vor die Stelle, an der der Kupferne Stern auf dem Marmorboden lag, aus dessen Mitte die Flamme schlug. Franjo kniete sich vor den Mönch, der die Kerze am Licht von Bethlehem an der Flamme entzündete und es in Alfreds Laterne gab. Danach legte er die Hände auf Franjos Kopf, segnete ihn, schlug das heilige Kreuzeszeichen und segnete dann auch Frau Winter und Roberto. Er breitete die Arme aus, als ob er der ganzen Welt den göttlichen Segen spenden wollte. Die Zeremonie verlief völlig lautlos, doch war sie unendlich feierlich.  Frau Winter begann auf einmal an zu weinen. Auch aus Athanasios Augen lief eine Träne. Er wusste jetzt, dass Gott ihn nicht verlassen hatte. Irgendwie hatte er das Gefühl, Gott hätte ihm einen Kuss auf die Stirn gegeben.
Roberto war froh, dass die Fotos von der Entzündung des Friedenslichtes ohne Blitzlicht gelungen waren. Er hätte sich geschämt solch einen feierlichen Augenblick mit Blitzlichtgewitter zu stören.
Als die drei wieder im Auto nach Jerusalem fuhren, sagte Roberto:
„ Wenn ich nur wüsste wie wir das Licht ins Flugzeug bekommen. Das wird doch nie etwas.“
Plötzlich schimpfte Frau Winter: „Jetzt wird es aber endlich Zeit, dass sie unserem Herrn Jesus vertrauen, Bruder Fischer!“
„Wenn das nur so einfach wäre…“


Franjo und das Friedenslicht XXVIII
"Um sein Leben zu ändern, ist es nie zu spät." - Sprichwort auf Swahili

„Endlich wieder zu Hause“. Roberto stieg langsam aus dem Auto aus und nahm Franjo vorsichtig Alfreds Laterne mit dem Licht ab. Kaum waren Franjo und Frau Winter ausgestiegen, kam Karsten um die Ecke gerannt und rief: „wir müssen schnell zu Herrn Grosser, er stirbt.“ Franjo und Karsten liefen mit der Laterne in der Hand zu Grossers. Als die beiden in die Stube kamen, hob Herr Grosser den Kopf ein wenig vom Kissen und sah in Richtung Tür. Man konnte erkennen, wie sich das Licht in seinen Augen spiegelte und ein Lächeln um seinen Mund spielte. „Das Licht“, sagte er und: „Alfred“. Dann ließ er den Kopf wieder auf das Kissen fallen und war tot. Es war, als hätte er nur noch auf das Eintreffen des Friedenslichtes gewartet, um dann zu sterben. Nun lag er da und von ihm ging ein Frieden aus, wie man das nicht von einem Toten erwartet hätte. Herrn Grossers Tochter ging zur Nachbarin, die ihr versprochen hatte zu helfen, wenn der Vater stirbt. Franjo stellte das Licht auf den Nachttisch. Karsten und Franjo blieben am Bett stehen. Niemand hatte ihnen erklärt was eine Totenwache ist, und warum man so etwas macht. Die beiden bleiben stehen weil sie das Gefühl hatten, dass es genau das Richtige war, jetzt hier zu sein. Sie waren einfach nur da und überlegten sich nicht ob sie für Herrn Grosser, für Alfred oder für die Menschen standen, die überall auf der Welt bei Kriegen und Revolutionen ermordet worden waren. Sie standen mit dem Friedenslicht an Herrn Grossers Bett und hatten das Gefühl, dass sie etwas Wichtiges taten.  Nach einer halben Stunde kam Frau Grosser und schickte die Jungen heim.
Am Abend trafen sich die Pfadfinder bei Roberto und Miriam,  und die drei Reisenden mussten berichten, was sie erlebt hatten. Franjo erzählte seinen Freunden, dass er jetzt den Vortrag für die Schule machen muss. Robert erklärte sich bereit die Bildbearbeitung zu übernehmen und Frau Winter sagte: „ Mach es wie der Herr Jesus. Der hat eine Geschichte erzählt und alle haben begriffen was er gemeint hat.“ Am Ende hatten sich Robert, Adrian, Leo, Franjo und Frau Winter geeinigt, den Vortrag bei Robert vorzubereiten. Kerstin konnte nicht, weil es ihrem Bruder sehr schlecht ging und Roberto wollte sich nicht einmischen. Außerdem war es ihm wichtig viel Zeit mit Miriam zu verbringen.
Am nächsten Tag war das erste Treffen bei Robert. Robert war ganz eifrig und hatte schon die Fotos von der Datei einsortiert, die Franjo ihm gegeben hatte. Frau Winter staunte über die schöne Wohnung und die teure Einrichtung.  In Roberts Zimmer ging es hoch her. Alle redeten immer wieder durcheinander. Obwohl Franjo hörgeschädigt war, verstand er schon was die Einzelnen wollten und er machte ihnen klar, dass es sein Vortrag war. Als Frau Winter vorschlug die Geschichte des Friedenslichtes zu erzählen und Herrn Grosser, der auf das Licht gewartet hatte in den Mittelpunkt zu stellen, fand das allgemeine Zustimmung. Franjo wollte, dass jeder Pfadfinder erzählte, warum er auf das Friedenslicht wartete. Robert schlug vor, ein Interview mit jedem zu machen und so zu beginnen. Langsam gewann der Vortrag an Gestalt. Roberts Mutter saß auch dabei, weil sie an dieser Friedenslichtgeschichte Interesse hatte. Außerdem sah sie sich gern Bilder an. Als die Pfadfinder wussten, was sie wollten und sich den technischen Details widmeten, lud sie Frau Winter zu einer Tasse Latte macciato ein. „Ich mag keinen Alkohol“, sagte Frau Winter, die nicht wusste was Latte macciato ist. „ Keine Angst, das ist doch nur ein italienischer Milchkaffee.“ „Oh, einen Kaffee könnte ich jetzt gut gebrauchen“, sagte Frau Winter.
Als die beiden beim Kaffee saßen, fragte Roberts Mutter: „Sagen sie mal, Robert hat mir erzählt, sie hätten darum gebetet und dann ist Franjo nach Israel gefahren?“
„Wie meinen sie das?“, fragte Frau Winter.
„ Ja, irgendwie hätten sie gar nicht gekonnt aber durch das Gebet wäre das alles möglich geworden?“
„Also“, sagte Frau Winter, „ so einfach ist das nicht. Ich habe für die Kinder gebetet. Jedes von ihnen hat Probleme und Sorgen. Manchmal haben sie niemand, mit dem sie darüber reden können. Mich hat das alles so traurig gemacht. Als dann Franjo zu mir kam und mir all das erzählte, was ihn bedrückte und was seine Freunde bewegt hat, habe ich mit ihm gebetet und alles nahm seinen Lauf.“
„Wollen sie mir sagen, dass man betet und dann geht alles von allein?“
„Nein überhaupt nicht. So etwas kann passieren, muss aber nicht. Manchmal betet man und hat das Gefühl, dass die Gebete an der Zimmerdecke kleben bleiben.“
„Ach so, darum sind die Kirchen so hoch, da  spürt man das nicht so.“ Roberts Mutter wurde rot, als sie merkte, was sie für einen Stuss geredet hatte.
Frau Winter ließ sich nicht beirren. „Manchmal betet man für eine Sache auch viele Jahre, ehe sich etwas bewegt und in der Bibel steht `Betet und arbeitet´. Martin Luther hat gesagt: `Betet, als ob alles arbeiten nichts nütz und arbeitet, als ob alles Beten nichts nützt´.“
„War denn Martin Luther auch Christ“, fragte Roberts Mutter. Und nach einer Weile fuhr sie fort nachzudenken: „Wenn so ein berühmter Mann so etwas sagt, dann muss ja etwas dran sein.“
Zwei Tage danach kamen Franjos Eltern aus Russland wieder. Franjo war gerade bei Robert.  In der Eile hatte er Alfreds Laterne im Flur auf dem Boden abgestellt, denn am Vormittag hatten die Pfadfinder noch ein Foto mit Alfreds Laterne gemacht.
„Was soll denn das hier? Der Junge spinnt wohl? Wie kann der denn eine Kerze mitten auf den Boden stellen.“
Franjos Vater wollte das Friedenslicht löschen.
„Halt“, rief Franjos Mutter. „Was kann denn Franjo dafür, dass das Geschäft mit den Russen den Bach runter gegangen ist? Du kannst doch jetzt deine schlechte Laune nicht an ihm auslassen. Die Kerze bleibt an.“
„Was soll denn dieser Unsinn? Soll denn die ganze Bude abbrennen?“
„ Mach dir nicht ins Hemd, diese Kerze brennt überhaupt nichts ab. Aber sie zeigt, dass du keine Ahnung von deinem Sohn hast. Seit wir entdeckt hatten, dass er nicht hören kann. ist er Luft für dich und jetzt willst du alles kaputt machen, was er aufgebaut hat.“
Franjos Mutter geriet in Wut. Die beiden hatten sich in Russland nicht gut verstanden, schon bevor das Geschäft geplatzt war. Danach wurde es noch schlechter. „Immer verkriechst du dich in deine Arbeit. Für Franjo und für mich ist ja schon lange kein Platz mehr. Ich bin ja noch schmückendes Beiwerk für dich, doch deinen Sohn versteckst du lieber.“
„Fang jetzt nur nicht mit meiner Arbeit an. Was glaubst du denn, für wen ich mich tagaus tagein abrackere?“
„Für uns jedenfalls nicht. Irgendwann sind wir alt, haben zwar alles, aber wir sind Fremde unter einem Dach. Du weißt nicht, was deinen Sohn mit dieser Laterne und dem Licht darin verbindet. Du hast ja keine Ahnung. Während wir uns in Russland eine blutige Nase geholt haben, hat er das unmögliche möglich gemacht. Ohne Geld und ohne Begleitung ist er nach Bethlehem gefahren und hat in der Geburtskirche dieses Licht entzündet, um es am Heiligen Abend in der Kirche zu verteilen. Aber wie solltest du so etwas auch wissen, dein Sohn ist ja Luft für dich. Und jetzt willst du das alles kaputt machen.“
„Meinst du nicht, dass wir unsere Meinungsverschiedenheiten wie vernünftige Menschen klären sollten?“
„Meinungsverschiedenheiten? Merkst du gar nicht, dass wir nichts Gemeinsames mehr haben als die Tatsache, dass wir die Nacht gemeinsam in diesem Haus verbringen?“
„Ich will gar nichts kaputt machen und ihr seid doch die wichtigsten Menschen in meinem Leben“, erwiderte Franjos Vater, der plötzlich unsicher wurde.
„Dein Sohn interessiert dich nicht und ich? “, sagte Franjos Mutter.
„ Das stimmt ja gar nicht. Mit ihm kann ich nur nichts anfangen. Er versteht mich doch nicht“
„Das ist doch kein Wunder, du gehst ihm doch immer aus dem Weg. Irgendwann könnte es sein, dass du ihn brauchst und er wird sich von dir abwenden, wie von einem Fremden denn ihr seid euch fremd.“
„Und was sollte ich deiner Meinung nach tun?“
„Ich glaube es wird nicht leicht, vielleicht fängst du damit an, ihn nach dem Licht zu fragen.“
Als Franjo nach Hause kam, warteten seine Eltern auf ihn. Er konnte es nicht glauben, dass sein Vater sich für die Reise nach Israel interessierte. Franjo fühlte sich unwohl, da er noch nie erlebt hatte, dass sein Vater etwas von ihm wollte. Als er ihn dann anbot, die Bilder zu bearbeiten und zu drucken, das eine völlig neue Situation für ihn, und er stimmte nur widerwillig zu. Franjos Vater war es ernst damit ,sich von nun an mehr um seinen Sohn zu kümmern. Er nahm sich am nächsten Tag Zeit, obwohl er eigentlich alle Kräfte gebraucht hätte, um die Schlappe mit den Russen auszubügeln. Fast zwei Stunden brauchte er, um die Bilder zu drucken und den Vortrag für die Schule vorzubereiten. Am Ende war er stolz auf den Vortrag. Damit würde sich sein Sohn sehen lassen können. Umso größer war die Enttäuschung als Franjo kategorisch ablehnte den Vortrag seines Vaters zu halten. Franjos Vater begann seinen Sohn anzuschreien. Franjos Mutter lachte, denn Franjo konnte es ja nicht hören. Das Lachen brachte ihn wieder zur Vernunft. „Was soll ich denn machen?“
„Hast du deinen Sohn gefragt ob er deine Hilfe will?“
„Wieso, er ist doch mein Sohn?“
„Du hast dich mehr als zehn Jahre nicht um ihn gekümmert, meinst du das könntest du in zwei Tagen aufholen?“
„Und was sollte ich deiner Meinung nach machen?“
„Gib ihm Zeit, gib uns Zeit. Als erstes könntest du ihn zur Weihnachtsfeier in die Schule begleiten. Die Aula ist nicht groß, da darf immer nur ein Elternteil mitkommen.“
Franjo brauchte etwas Zeit um zu akzeptieren, dass er in diesem Jahr, gerade da wenn er das Friedenslicht austeilen würde, von seinem Vater begleitet wird.
„Oh, es freut mich, dass sie uns die Ehre geben“, sagte der Direktor der Schule zu Franjos Vater. „Bisher hatte ihre Frau sie würdig vertreten…“
„Na ja die Geschäfte…“
„ Umso mehr ehrt es uns, wenn uns unser Hauptsponsor besucht.“
„ Hauptsponsor? Also, die sozialen Sachen macht meine Frau.“
„ Da wissen sie wohl nicht so recht, was sie uns alles Gutes getan haben? Wenn sie wollen, führe ich sie gern durch die Schule.“
„Machen sie sich nur keine Umstände.“
„Das sind keine Umstände. Heute haben wir noch einen Gast, Herrn Dr. Wagner, den Staatssekretär beim Kultusministerium. Er wollte sich unsere Schule ansehen und hat große Interesse an der Sache mit dem Friedenslicht.“
„Wenn das so ist,  wollen wir uns mal ansehen, was wir alles gesponsert haben“, sagte Franjos Vater und zwinkerte mit einem Auge.
Nach dem Rundgang, bei dem die Gäste erfuhren, dass Franjo schon den ganzen Morgen seine Lehrer nervte, um alles perfekt hin zu bekommen, nahmen alle in der Aula Platz.
Endlich war es so weit. Franjos Vortrag konnte beginnen. Er stand auf der Bühne. Der Raum wurde abgedunkelt und Franjo stand in einem Lichtkegel. Für die Gäste, die keine Gebärdensprache konnten übersetzte Franjos Klassenlehrerin, die im Dunkel saß. In Gebärdensprache erzählte seinen Mitschülern vom Friedenslicht. Zuerst wurden die Pfadfinder interviewt. Robert hatte dazu kleine Filme mit dem Videogerät aufgenommen. Sie sagten warum es jedem einzelnen wichtig  war, dass Franjo das Friedenslicht holte, und es in ihren Ort und in ihr Leben kommt. Dann kam die Geschichte von Herrn Grosser. Danach wurde die Reise Bild für Bild erzählt. Besonders berührend war es, als der Mönch Athanasios Franjo die Hände aufgelegt hatte und ihn und das Licht segnete. Franjos Vater hatte auf einmal das Bedürfnis dieses Licht und diesen Segen zu bekommen und das nicht nur äußerlich, er wollte, dass es in ihm drinnen hell würde. Dann berichtete Franjo noch vom Tod des Herrn Grosser und dem Frieden, den er ausstrahlte nachdem er verstorben war. Am Schluss war ein Foto zu sehen auf dem alle Pfadfinder in Pfadfinderuniform hinter dem Licht standen  und jeder eine Öllampe in der Hand hielt, die Frau Winter ihnen aus Israel mitgebracht hatte. Franjo erzählte, dass alle am heiligen Abend das Licht in der Kirche austeilen würden, und dass die Gehörlosen sich die Flamme jetzt schon mitnehmen können. Dann verblasste das Bild und die Projektionswand ging nach oben. Die Laterne mit dem Licht blieb aber immer noch zu sehen, weil sie hinter der Wand aufgestellt war. Franjo und ein Lehrer hatten den ganzen Vormittag gebraucht, um diesen Effekt zu proben und alles genau einzurichten. Die Zuhörer waren sehr beeindruckt. Die, die hören konnten applaudierten kräftig und die Gehörlosen hoben ihre Hände und bewegten die Handflächen in ‚Richtung Bühne, hin und her, um ihren Applaus zu zeigen.
„ Sicher haben sie sich viel Mühe gemacht um ihrem Sohn das vorzubereiten. Aber ich muss ihnen sagen, er hat das klasse präsentiert“, sagte Dr. Wagner zu Franjos Vater.
„ Sie irren sich, den Vortrag, den ich vorbereitet hatte, hat er kategorisch abgelehnt. Soweit ich weiß, hat er sich das mit der Putzfrau der Kirchgemeinde und seinen Pfadfinderfreunden ausgedacht.“
„ Alle Achtung“, sagte Dr. Wagner, „ da können sie aber sehr stolz auf so einen Sohn sein!“
  


Franjo und das Friedenslicht XXIX
Er wird das Herz der Eltern den Kindern zuwenden und das Herz der Kinder den Eltern. Er wird beide mitein-ander versöhnen, damit ich nicht das ganze Volk vernichten muss, wenn ich komme.   Maleachi. 3.24 Die Bibel

Endlich war es so weit. Die Pfadfinder standen aufgeregt in der Sakristei der Kirche und warteten darauf, dass das Krippenspiel begann. Franjo und Karsten holten noch Alfreds Laterne von Herrn Grossers Grab. Am Tag vor Heilig Abend war die Beerdigung und die Pfadfinder hielten es für ihre Pflicht, dabei zu sein. Außer Pfarrer Steinbrecher, Herrn Grossers Tochter und Frau Winter waren nur ein paar alte Leute erschienen. Der Pfarrer hielt eine Predigt, die er noch mit Herrn Grosser besprochen hatte. Dabei erzählte er davon, dass Herr Grosser immer wieder um Christen gebetet hat, die es ernst nehmen mit Gott, die glauben, dass er etwas verändert, wenn man betet, die nicht nur fromme Worte machen, sondern auch für andere einstehen und die  immer wieder aufeinander zugehen, auch wenn sie sich mal streiten. Herr Grosser hatte dafür über dreißig Jahre gebetet. Jetzt, in seiner Trauerpredigt ließ er den Pfadfindern ausrichten, dass sie den Weg, den sie beschritten hatten nicht verlassen sollen. „Wenn ihr eines Tages sterben werdet, und vor euren Schöpfer tretet, werde ich da sein und euch fragen ob ihr den Weg verlassen habt, auf dem ihr jetzt seid“, war das Wort, das Herr Grosser den Pfadfindern noch nach seinem Tod mitgab. Im Pfarrhaus hatten Frau Winter und Herrn Grossers Tochter ein paar belegte Brote vorbereitet. Auf dem Weg dahin sagte Leo: „Wisst ihr wie man so etwas nennt?“
„ Nö“, sagte Kerstin.
„Na Leichenschmaus.“
„Ein Glück, dass wir das nicht wörtlich nehmen müssen“, bemerkte Adrian.
„Iih, du Schwein“, rief Kerstin und stupste ihn mit dem Ellenbogen in die Rippen.
Nach dem Leichenschmaus brachten die Pfadfinder Alfreds Laterne auf den Friedhof und stellten sie auf das Grab, das inzwischen zugeschaufelt worden war. Sie hatten beschlossen das Friedenslicht, das Herrn Grosser so viel bedeutet hat, bis zum Gottesdienst am heiligen Abend auf dem Grab zu lassen. Adrian konnte das Grab von seinem Zimmer aus sehen, so bekam er den Auftrag  ein Auge darauf zu werfen. Zwar gab es Bedenken, jemand könnte das Licht stehlen aber es gab ja noch ein Ersatzlicht bei Roberto und Miriam. Zum Glück kam niemand auf die Idee, die Laterne vom Grab zu nehmen, und das Licht war auch nicht erloschen. Franjo und Karsten kamen kurz vor dem Gottesdienst mit der Laterne in die Kirche. Alle freuten sich nun darauf, dass das Krippenspiel anfangen und dann das Licht ausgeteilt werden sollte.  Nur Kerstin saß missmutig in einer Ecke, ihr war zum Heulen zumute. Roland, ihr Bruder, war heute morgen, wieder wegen dieser blöden Mukoviszidose, ins Krankenhaus eingeliefert worden, es war schon wieder schlimmer geworden. Die Eltern waren natürlich mitgefahren. Sie wussten, dass Kerstin sich selber helfen konnte, und so blieb sie den ganzen Tag allein. Sie hatte die Wohnung geschmückt und sich dann auf den Gottesdienst vorbereitet, da war ihr die Zeit nicht lang geworden. Bisher war sie nur traurig, dass ihre Eltern und ihr Bruder nicht dabei sein würde, wenn sie Maria spielte. Doch nun wusste Kerstin nicht, wo sie den heiligen Abend verbringen wird, das machte sie wütend und traurig  zugleich. Auf alle Andeutungen, die sie Miriam gegenüber gemacht hatte, hatte diese nicht reagiert. Kerstin hatte den Eindruck, dass Roberto und Miriam sie nicht mehr leiden konnten. In ihrer Trauer und Wut kamen ihr die Tränen. Adrian spürte, dass etwas mit seiner Maria nicht stimmte und er sah, dass sie Tränen in den Augen hatte.
„ Fang nur nicht an zu heulen“, sagte er, „ sonst gehst du noch als Maria, die tränenreiche, in unsere Geschichte ein.“
„Hör nur auf, mit deiner großen Klappe, du hast ja keine Ahnung“, fauchte Kerstin ihn an.
Adrian bekam ein schlechtes Gewissen weil sein  Scherz offensichtlich daneben ging.
„Was ist denn los?“, fragte er.
„Ich bin heute Abend ganz allein. Meine Eltern sind bei Roland, im Krankenhaus, und keine Sau interessiert sich für mich.“ Adrian fühlte sich hilflos, ein Gefühl, dass er gar nicht leiden konnte.
„ Ich bin auch nur mit meinem Vater zusammen, meine Mutter muss arbeiten und er bereitet die Predigt für morgen vor, also im Grunde auch allein.“
„ Und ich habe Angst davor mit meinen Eltern zusammen zu sein“, schaltete Leo sich ein, „seit Mutti weg ist, sind die zum ersten Mal wieder zusammen. Ich glaube die wollen wieder zusammen kommen, aber sie stellen sich an…. Das ist auch nicht prickelnd mit den zweien Weihnachten zu feiern.“
„Wie wär’s denn wenn wir uns nachher treffen und unseren eigenen heiligen Abend feiern?“ fragte Adrian, der stolz auf diese Idee war.
„ Achtung! Gleich geht es los“, rief Miriam flüsternd in die Sakristei. Sie hatte noch einmal die Requisiten geprüft und gab jetzt den Startschuss. „ Kerstin, ich habe gerade deine Eltern und deinen Bruder getroffen. Sie sind in der Kirche. Nach dem Gottesdienst müssen sie wieder ins Krankenhaus. Sie wollen dann das Friedenslicht mit in die Klinik nehmen.“
Kerstin strahlte.
Robert lugte noch einmal kurz aus der Sakristeitür. Seine Eltern saßen  in der Kirche und sein Vater hatte die Videokamera in der Hand. Am Nachmittag gab es fast noch Krach wegen der Kamera. Zu den Krippenspielproben hatte Robert die Kamera mitgenommen und die Pfadfinder hatten sich beim Spielen aufgenommen. Das hatte den Krippenspielproben eine ganz andere Dimension gegeben. Jeder konnte sich hinterher selbst beobachten und wusste, was er falsch gemacht hatte. Nachdem die Kamera im Spiel war, gab sich jeder noch mehr Mühe, um das Krippenspiel perfekt vorzubereiten. Roberts Eltern hatten nichts dagegen, dass er die Kamera mitgenommen hatte. Aber als Roberts Vater sie haben wollte, um das Krippenspiel aufzunehmen, musste Robert zugeben, dass er sie im Gemeinderaum liegen gelassen hatte. Es war das erste mal, dass Robert von seinem Vater eine Standpauke bekam. Er musste sich anhören, dass so ein Teil teuer ist und dass seine Eltern dafür  schließlich lange gearbeitet haben. Sein Vater sagte dann, dass es endlich Zeit sei, dass Roberts Eltern nicht immer nur schuften, sondern sie weniger zu arbeiten wollen, um dafür gemeinsam mehr zu unternehmen. Aber dafür muss man sorgsamer mit den Sachen umgehen, weil sie schließlich nicht immer was Neues kaufen können. Robert beeilte sich, die Kamera zu holen. Er war zwar nicht glücklich über den Anschiss, doch darüber, dass seine Eltern jetzt mehr Zeit für ihn haben würden.
Das Krippenspiel lief perfekt. Miriam strahlte über das ganze Gesicht und die Gemeinde applaudierte spontan. Nachdem das Stück vorüber war, verschwanden die Spieler schnell in der Sakristei und Pfarrer Steinbrecher hielt eine kurze Ansprache. Er ging darin auf das Wort: `Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden´ ein, das die Engel gesungen haben, ein. Er brauchte nicht lange, da kam er auf das Friedenslicht.
„ Die Pfadfinder  unterstützen eine Aktion, die der Österreichtische Rundfunk ins Leben gerufen hat. Jedes Jahr wird in der Adventszeit am Geburtsort Jesu ein Licht entzündet, das die Pfadfinder in die Welt hinaus tragen. Kirchen, Schulen, Krankenhäuser, Gemeindebüros, alle sollen etwas vom Licht Jesu abbekommen. Auch die Bahn unterstützt diese Aktion. In unserer Gemeinde gibt es seit diesem Jahr eine Pfadfindergruppe. Diese Gruppe wird in diesem Jahr das Friedenslicht  unter uns verteilen.“
Die Pfadfinder hatten sich schnell umgezogen und kamen, außer Franjo, in Pfadfinderkluft nach vorn. Dabei warf jeder einen verstohlenen Blick auf Roberto, der in der zweiten Reihe, neben Miriam saß.
Roberto wischte sich eine Träne aus dem Auge und sagte zu Miriam: „Die Bande haben sich die Kluft besorgt. Die Überraschung ist ihnen gelungen. Miriam, hast du irgendwas damit zu tun?“
Ehe Miriam antworten konnte, macht Pfarrer Steinbrecher weiter .Die Pfadfinder standen nun vor dem Altar in einer Reihe, nur in der Mitte war ein Platz frei. „ Der Pfadfinder Franz Joseph von Witzenhausen hat das Licht in diesem Jahr, extra für uns, selbst in  Bethlehem geholt.“
„Wer ist denn dieser Franz Joseph“, fragte Robert flüsternd.
„Na Franjo“, flüsterte Kerstin zurück.
„Man, so einen Namen muss man sich erst einmal leisten können“, zischte Leo.
„ Wer kann, der kann“, kam von Adrian.
Frau Winter schickte jetzt Franjo los, der Alfreds Laterne mit dem Friedenslicht in der Hand hielt. Auch er war in Pfadfinderkluft. Langsam ging er im Mittelgang durch die dunkle
Kirche nach vorn. Die Besucher in jeder Bankreihe standen auf, als Franjo sie erreichte. Es war als ob der König einzog. „Mein Sohn“, flüsterte Franjos Vater. Franjos Eltern waren stolz auf ihren Sohn. Franjos Mutter lehnte sich an seine Schulter und schluchzte leise. Es war das erste mal, dass ihr Mann, seit  der Entdeckung von Franjos Hörschädigung wieder: „Mein Sohn“, sagte. Franjo übergab das Friedenslicht Pfarrer Steinbrecher. Der stellte das Licht auf den Altar. Neben dem Altar war eine Bildwand, auf der nun die Geburtsgrotte zu sehen war. Dann erschien der segnende Athanasios, der gerade seine Hände auf Franjos Kopf legte. Danach sah man noch, wie er die Hände segnend hielt, als ob er die Kirchgemeinde segnen wollte. Pfarrer Steinbrecher sprach die Segensworte. Auf dem Altar standen die Öllampen, die Frau Winter mitgebracht hatte. Die entzündete der Pfarrer jetzt an Alfreds Laterne. Mann, der ist ja überhaupt nicht aufgeregt, dachte Adrian. Er war in diesem Augenblick stolz auf seinen Vater. Das Friedenslicht war schnell verteilt und die Kirche erstrahlte plötzlich ganz hell und warm, beleuchtet von vielen Friedenslichtern.
Nach der Kirche standen die Pfadfinder zusammen auf dem Platz vor der Kirchentür. Langsam gesellten sich ihre Eltern dazu und auch Frau Winter kam, nachdem sie die Kollekte gezählt hatte.
„ Es wird kalt, komm wir gehen nach Hause und trinken einen  Glühwein“, sagte Roberto zu Miriam.
„Für mich bitte keinen Glühwein“, sagte Miriam.
„ Wieso, du willst doch sonst immer einen.“
„ Es geht nicht“
„ Schwester Fischer, sind sie schwanger“, fragte Frau Winter.
Miriam nickte. Roberto sah sie ganz verdattert an, doch dann umfasste er ihre Hüften und wirbelte sie, vor Freude, einmal um sich herum. Dabei stieß er sein Friedenslicht, das er kurz vorher auf die Erde gesetzt hatte, um. Alle waren erschrocken. Es war ja nicht schlimm, doch es war irgendwie komisch, dass das Friedenslicht ausgegangen war. Da trat Andreas, der Fußballspieler, auf Roberto zu und fragte: „ Darf ich ihnen von meinem Licht abgeben?“
Roberto zuckte kurz zusammen, dachte an seine blauen Schienbeine und die Pfadfinderstunde bei der Andreas und Thomas so gemein waren. Dann nickte er und sagte: „Aber gerne.“
„Und nächstes Jahr spielen wir wieder gemeinsam Fußball“, rief Thomas, der hinter Andreas stand. „Warum nicht morgen“, fragte Leo.
„Morgen ist der erste Weihnachtstag“, sagte Roberto, „der gehört der Familie.“
„Aber übermorgen könnte ich mir am Vormittag ein Fußballspiel vorstellen“, sagte Pfarrer Steinbrecher, der sich dazu gesellte. Plötzlich waren sich alle einig dass die Pfadfinder mit ihren Eltern zusammen am zweiten Weihnachtstag Fußball spielen würden.
„Aber wieso wussten sie, dass Miriam schwanger ist“, fragte Kerstin.
„Na, wenn Bruder Fischer extra an der Klagemauer dafür betet, da muss es doch klappen“, antwortete Frau Winter.
„Ach, haben wir auch so einen abergläubigen Zettel in die Mauerritzen gesteckt“, fragte Leo und grinste.
„Wieso wussten sie das“, fragte Adrian. Frau Winter zuckte mit den Schultern.
„Auslandsgeheimdienst“, sagte Leo.
„Und Inlandsgeheimdienst“, sagte Kerstin.
„Und alles nur fürs Gebet“, fügte Karsten hinzu. Alle lachten
Der Platz vor der Kirche wurde leer, die Gottesdienstbesucher gingen nach Hause. Es wurde kalt und die Pfadfinder dachten auch daran heim zu gehen. Kerstin hatte jetzt zwar begriffen warum Miriam mit Roberto allein sein wollte, doch das änderte nichts an ihrer Situation.
„Ich muss jetzt allein Weihnachten feiern“, sagte sie, wieder den Tränen nahe.
„ Ach, sagte Adrian, „ ich würde mit dir im Gemeinderaum feiern.“
„Ich auch“, meldete sich Leo
„Aber ihr könnt doch eure Eltern nicht allein lassen“, rief Frau Winter.
„ Wir hätten nichts dagegen mitzukommen“, sagten Leos Eltern wie aus einem Mund.
Miriam und Roberto wollten nach Hause. Die Pfadfinder und ihre Eltern verabredeten sich zum gemeinsamen Heiligen Abend im Gemeinderaum. Jeder brachte etwas mit. Miteinander redeten, sangen und spielten sie. Keiner konnte sich erinnern so einen schönen Heiligen Abend erlebt zu haben. Das Friedenslicht stand auf dem Tisch mitten unter ihnen.
„Was hätten wir nur gemacht wenn Franjo nicht das Friedenslicht geholt hätte“, fragte auf einmal Robert.
„ Keine Ahnung“, sagte Franjos Vater. „Frau Winter“, führte er seine Rede fort, „ darf ich sie morgen zu uns zum Essen einladen? Ich habe viel gut zu machen.“
Jetzt hatte Frau Winter Tränen in den Augen, Tränen des Glückes.


 




 © Volker Bachmann

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