Franjo und
das Friedenslicht XVIII
Mein Gott,
mein Gott, warum hast du mich verlassen?
Eines der
Worte Jesu am Kreuz
Roberto kam
am Montag später nach Hause. Sein Projekt sollte bis zum ersten Advent
abgeschlossen sein, das brachte Überstunden mit sich.
Nachdem er
eine Weile bei Miriam in der Küche saß, fragte er nach Karsten.
„Als ich
vorhin heimkam, war in seinem Zimmer kein Licht. Ist er noch unterwegs?“
„Glaub ich
nicht, sagte Miriam. Er war heute bei diesem Herrn Grosser, der die Laterne für
das Friedenslicht bauen will, und kam, als es dunkel wurde nach Hause. Kerstin
war bei mir, Karsten ging sofort nach oben. Aber, komisch, jetzt wo du es
sagst, er hat überhaupt keine Musik angemacht.“
„Ach,
langsam nervt dich das Geheule wohl auch?“
„Wer
Teenager im Haus hat braucht starke Nerven.“
„ Aber
komisch ist das schon. Er hat überhaupt nichts gesagt?“
„Nein, wenn
ich dir es doch sage. Du, Roberto, hol ihn doch zum Abendessen runter, dann
wissen wir mehr.“
Roberto ging
in die obere Etage. Er klopfte an Karstens Zimmertür.
„Darf ich
hereinkommen?“
„Ja“
„Warum hast
du denn kein Licht an?“
Karsten
blieb stumm.
„Hast du was
dagegen, wenn ich welches anmache?“
„Nein“
Als Roberto
das Licht angeschaltet hatte, sah er Karsten, der blass und verstört auf der
Bettkante saß.
„Du warst
doch heute bei Herrn Grosser?“
Karsten
nickte.
„Was ist
denn passiert?“
Karsten
sagte kein Wort.
„Komm erst
mal runter zum Essen.“
Beide gingen
nach unten. Auch Miriam war erschrocken, als sie Karsten sah.
„Setz dich
erst mal“, sagte sie. Roberto und Miriam setzten sich neben Karsten und
versuchten herauszubekommen, was mit ihm los war.
Erst nach
zehn Minuten konnten sie sich ein Bild machen.
Karsten war
bei Herrn Grosser, wie vereinbart, erschienen.
Es war nicht
schwer, die Laterne zu finden. Seine Tochter nahm ihn mit in die alte
Tischlerwerkstatt. Er war beeindruckt von der Ordnung, die darin herrschte.
Jedes Ding hatte seinen Platz. Es brauchte kaum eine Minute, da waren die
Laternenteile gefunden. Herr Grosser wollte, seiner kleinen Tochter diese
Laterne zum Martinstag bauen. Dazu kam es aus irgendwelchen Gründen damals
nicht mehr und so hatte er die Teile über Jahrzehnte aufgehoben. Das
Zusammensetzen würde keine große Mühe machen, doch Herr Grosser wollte es
unbedingt selber erledigen. Er lag im Bett und war sehr schwach. Zuerst einmal
begann er zu erzählen warum er unbedingt die Laterne bauen wollte. Mit
schwacher Stimme, unterbrochen von vielen Pausen berichtete er:
„Als ich
noch ein kleiner Junge war, hatte ich einen Freund, Alfred. Alfred und ich
waren Nachbarskinder. Seine Eltern hatten einen kleinen Bauernhof, meine die
Tischlerei. Wir wurden am gleichen Tag geboren und waren auch wie Brüder,
vielleicht sogar mehr als das. Viele
Brüder verstehen sich nicht so gut, wie wir uns verstanden. Als wir klein
waren, wollten wir immer im gleichen Zimmer schlafen. Unsere Eltern hatten nicht viel Platz und so kam es, dass wir
manchmal in Alfreds und manchmal in meinem Bett schliefen. Als wir dann in die
Schule mussten hingen wir zusammen wie die Kletten. Damals gab es noch die
Prügelstrafe und wenn einer von uns bestraft werden sollte, ging der andere mit
nach vorn. Und wir mussten oft nach vorn… Unsere Konfirmation feierten wir
gemeinsam. Als wir dann zur Tanzstunde, später zu Tanze gingen, waren wir immer
noch unzertrennlich. Gab es mal eine Rauferei, dann stand einer dem anderen
bei. Dann kam der Krieg und wir mussten nach Russland. Auch dort blieben wir
zusammen. Wir konnten es immer so drehen, dass wir nicht getrennt wurden. So
kam es, dass wir gemeinsam im Schützengraben steckten. Es waren Wochen in
eisiger Kälte. Wir hatten kaum etwas zu essen, und froren. Ständig waren wir in
Angst davor, dass wir von Granatsplittern getroffen werden. Man kann sich nicht
vorstellen, wie schrecklich es ist, in
so einem Schützengraben zu liegen. Um uns gegenseitig Mut zu machen
träumten wir von einer besseren Zukunft. Wir überlegten welche Mädchen wir nach
dem Krieg heiraten würden, wie wir Hof und Tischlerei miteinander verknüpfen
könnten und wie schön es wäre, wenn wir Kinder hätten, die sich dann auch
wieder so gut verstehen würden, wie wir. Vielleicht ein Junge und ein Mädchen,
die dann heiraten könnten. Jeden Tag klammerten wir uns an solche Träume und
machten uns gegenseitig Mut. An einem Morgen fingen unsere Feinde wieder mit
dem Granatbeschuss an und plötzlich wurde ich von einem Granatsplitter
getroffen. Ich konnte mich nicht rühren und rief Alfred zu, dass er zu mir kommen
sollte. Gerade als er mich erreicht hatte, traf ihn ein Querschläger. Er rief
laut „Mutter“ und fiel tot auf mich. Ich lag unter meinem toten besten Freund
und konnte mich nicht rühren. Niemand kam mir zu Hilfe. Da der Beschuss über
Stunden dauerte, spürte ich, wie sein Körper langsam kalt wurde. Er kam mir
immer schwerer vor, bis ich die Besinnung verlor. Ich wachte erst im Lazarett
wieder auf.“
Als die
ganze Geschichte raus war, sagte Roberto:
„Es tut mir
leid, wir hätten dich da nicht hinlassen dürfen. So etwas ist viel zu schwer zu
verkraften für dich.“
„Viel zu
schwer? Viel zu schwer? Weißt du überhaupt was Kinder auf der ganzen Welt
verkraften müssen?“ Miriam schüttelte erregt den Kopf. „Sie gehen mit ihren
Freunden über eine Wiese, da werden sie von einer Landmine zerrissen. Oder sie
heben ein Spielzeug auf, es explodiert und sie verlieren die Hand. Oder sie
werden in eine Uniform gesteckt und müssen auf Menschenschießen? Neulich habe
ich einen Bericht gehört, da wurden Kinder gezwungen ihre eigenen Eltern zu
töten.“
„Ja Miriam
das ist schrecklich, aber da kann doch Karsten nichts dafür.“
„Das weiß
ich, aber ich fühle mich ohnmächtig, wenn ich all das höre und ich habe jetzt
eine riesige Wut im Bauch.“
„Ach, Miri,
wir haben bald Weihnachten. Da feiern wir, dass Gott Mensch wird. Er hat das
alles auch erlebt. Er hat das alles freiwillig mit sich machen lassen, was uns
kaputt macht. Er ließ sich anspucken, verhöhnen, schlagen und töten. Weihnachten
ist etwas völlig anderes als wir es landläufig feiern. Ich glaube, dass ich
dieses Jahr kein Engelchen mit Flügelchen sehen kann, ohne darüber in Wut zu geraten.“
„ Das war
doch noch nicht alles“, sagte Karsten.
„Als Herr Grosser nach Hause kam, hat er immer wieder davon geträumt.
Immer wieder, dass sein toter Freund auf ihm lag und er nichts machen konnte.
Er hat ihn nachts im Schlaf immer wieder schreien hören. Als er fünfzig Jahre
war, wollte er sich das Leben nehmen, weil er es nicht mehr aushalten konnte.
Ordentlich, wie er war, wollte er noch all seine Sachen sortieren. Dabei fiel
ihm seine Konfirmationsbibel in die Hände. Er las einige Geschichten von Jesus.
Dabei fühlte er sich ein wenig ruhiger. Er hatte bis dahin nichts mit dem
Glauben am Hut. Doch als er merkte, dass es ihm gut tat in der Bibel zu lesen,
hat er das jeden Tag gemacht. Später ging er oft zum Pfarrer, um mit ihm zu
reden und zu beten. Aber es brauchte noch viele Jahre bis er keine Alpträume
mehr hatte. Herr Grosser hatte vom Pfarrer erfahren, dass Franjo das
Friedenslicht aus Bethlehem holen will. Nun will er unbedingt die Laterne
beisteuern und außerdem, dass wir das Friedenslicht unter das Kriegerdenkmal
stellen, in dem Alfreds Name eingehauen ist. Er sagt: das ist das Einzigste,
was ich für Alfred machen kann. Er weiß ja nicht mal, wo er beerdigt worden
ist. Vielleicht hat er gar kein Grab. Es ist sein letzter Wunsch und nun hat er
mich darum gebeten, dass wir uns beeilen. Er will das Licht sehen bevor er
stirbt.“ Karsten umarmte Roberto: „Wir müssen das Friedenslicht unbedingt
holen. Wir müssen das schaffen.“
Roberto
sagte: „Ja“ und dachte, wenn ich nur wüsste, wie wir das anstellen sollen.
Franjo und
das Friedenslicht XIX
Wenn du
denkst, du denkst, dann denkst du nur du denkst…
Sprichwort
Endlich
Freitagabend. Roberto kam vom Pfadfindertreffen. Karsten war mit seinem Vater
zu Hause und Roberto und Miriam hielten Dämmerstunde. Auf dem Tisch brannte
eine Kerze und beide hatten eine Tasse mit Robertos Spezialtee in der Hand.
„Ach, bin
ich froh, dass die Woche rum ist. Die blöden Überstunden machen mich ganz
kaputt. Und wenn die Geschichte mit dem Friedenslicht nicht wäre, ginge es mir
auch besser.“ Zur Pfadfinderstunde hatte Karsten die Geschichte von Herrn
Grosser erzählt, obwohl sie sie alle schon kannten, die Telefone der Pfadfinder
waren in der letzten Woche heißgelaufen. Alle waren von der Geschichte ergriffen und wollten, dass die Laterne
„Alfreds Laterne“ hieß. Das war das einzige greifbare Ergebnis. Es gab zwar
viele Diskussionen darüber, was man tun müsste, doch am Ende kam nichts heraus
als ein Gebet, dass alle voller Hingabe beteten.
„Irgendwann
kommt das böse Erwachen wenn sie merken, dass sie kein Stück weiterkommen. Ich
weiß nicht wie ich sie dann auffangen soll.“, stöhnte Roberto.
„Ach mach
dich nicht verrückt, kommt Zeit, kommt Rat“, sagte ‚’Miriam.
Draußen
klingelte es.
„Erwartest
du jemand?“, fragte Miriam.
„Du etwa?“
Beide
schüttelten den Kopf.
Roberto ging
an die Tür und draußen stand Robert.
„Du, ich muss
mal mit dir reden.“
„Komm rein,
was hast du denn?“
„Ich habe da mal im Internet nachgesehen.“
„Setz dich.
Trinkst du einen Tee mit“, Miriam sah Robert an, Robert verneinte.
„Also, ich
habe verschiedene Hotels rausgesucht. Am Besten wird es sein, wenn ihr in der
Umgebung von Jerusalem übernachtet. Die Kibbuzhotels sind teilweise recht
günstig. Schätze mal, dass ihr mindestens drei Tage braucht, vielleicht auch
vier.“
„Moment
mal“, sagte Roberto, „ wer ist ihr? Ich fahre nicht mit. Ich habe ab ersten
Advent ein neues Projekt. Da ist
überhaupt nichts drin.“
„Na, dann
eben die, die fahren. Irgendjemand wird sich schon finden, der mit Franjo
mitfährt. Ich habe auch schon die Autovermietungen abgeklappert. Eigentlich
könnte ich schon alles festmachen.“
„Wie alt
bist du“, fragte Roberto.
„Na zwölf:“
„Robert, du
bist doch überhaupt nicht geschäftsfähig“, rief Miriam.
„Na das ist
doch prima. Wenn es nicht klappt brauch´ ich keine Strafe zu bezahlen.“
„Sag mal,
spinnst du“, fragte Roberto erschrocken. „Wenn man Aufträge erteilt, die man
nicht bezahlen kann, dann ist das eine Sauerei. Das gehört sich nicht, vor
allem nicht für Pfadfinder.“
„Ich hab’s
ja nur gut gemeint“, sagte Robert kleinlaut.
„Das
Gegenteil von gut ist gut gemeint“, bemerkte Roberto.
„Bist eben
mal übers Ziel hinausgeschossen“, beschwichtigte Miriam, „aber trotzdem gut,
dass du dir Gedanken gemacht hast.“
„Ich habe mich auch schon mal erkundigt“,
sagte Roberto, „ Ich habe einen Pfadfinder in Jerusalem, der würde alles organisieren.
Ihm kommt es zwar komisch vor, dass Franjo nach Bethlehem will, aber mir
zuliebe…“
„Ach deshalb
war unsere Telefonrechnung, trotz Flatrate
so hoch.“ Miriam sah zu Roberto.
„Telefonierst
du nicht über das Internet“, wunderte sich Robert, „da kann man doch kostenlos
telefonieren. Ich bin bei Skype in der Community, da habe ich gleich noch
Bildübertragung dabei. Wenn du willst, installiere ich dir das.“
Miriam
lächelte Roberto an. „Tja, wir werden alt.“
„Wenn ich
dich brauche, gebe ich Bescheid“, sagte Roberto.
Robert
verabschiedete sich.
Kaum war er
weg, klingelte es schon wieder.
„Na, was
vergessen?“, Roberto grinste und öffnete die Tür. Vor ihm stand aber nicht
Robert sondern Pfarrer Steinbrecher.
„Bruder
Fischer, ich wollte noch mal mit ihnen reden.“
„Kommen sie
doch herein und sagen sie lieber Roberto zu mir.“
Als der
Pfarrer sich gesetzt hatte, wusste er nicht so recht wie er anfangen sollte.
„ Ich weiß
ja, dass sie die Sache mit dem Friedenslicht nicht gutheißen, aber ich wollte
ihnen sagen. Dass sie sich keine Sorgen machen müssen.“
„Keine
Sorgen machen müssen?“, Roberto regte sich auf, „Ich kann sie nicht verstehen.
Sehen sie denn nicht wohin dass alles läuft? Ich bin doch auch Christ, deshalb
muss ich doch diesen Wahnsinn nicht mitmachen. Die Kinder beten und beten und
meinen, Gott müsse ihre Schnapsidee wahr machen. Lässt sie das denn kalt?“
Roberto war
bei diesen Worten laut geworden, Miriam legte ihre Hand auf seinen Arm.
„Ich kann
sie vollkommen verstehen. Trotzdem sage ich ihnen, am Heiligen Abend bringt
Franjo das Friedenslicht, das er in Bethlehem geholt hat, zum Altar.“
Hätte
Roberto einen Keks gegessen, wäre der ihm aus dem Gesicht gefallen. Sein Mund
stand offen. Er schlug die Hände vors
Gesicht.
„ Bin ich
denn der einzig Normale hier?“
„Ich kann
sie gut verstehen. Aber glauben sie mir, es wird so kommen.“
„Wie kommen
sie denn darauf“, Miriam mischte sich ein.
„ Es gab in
meinem Leben ein paar Augenblicke, da wusste ich, dass Gott etwas will. Das war
nicht oft, aber jedes Mal traf es ein. Das ist so ein Augenblick.“
Roberto
schüttelte den Kopf.
„ Ach Bruder
Fischer, ähm Roberto, ich bin so froh, dass Franjo das Licht holen will. Adrian
leidet sehr darunter, dass ich Pfarrer bin. Manchmal glaube ich, er hasst mich,
er hasst meinen Beruf und er hasst Gott.
Als er mir vom Friedenslicht erzählte, sah ich dem Triumph in seinen
Augen. Es ist als wolle er mir sagen, ich kann auch beten und Gott hört jetzt
auch auf mich. Und glauben sie, er spricht wieder viel öfter mit mir als
bisher. Selbst wenn es für ihn jetzt ein Konkurrenzkampf zwischen uns zu sein
scheint, er beginnt eine Beziehung zu Gott aufzubauen. Das macht mich so froh.“
„Ihren
Glauben möchte ich haben“, stöhnte Roberto.
„ Sein sie
froh, dass sie das nicht müssen. Morgen muss ich eine Mutter von zwei kleinen
Kindern beerdigen. Wir haben am Krankenbett gebetet dass Gott hilft. Und er hat
nicht eingegriffen. Ich weiß nicht, was ich morgen sagen soll. Vor allem macht
mir zu schaffen, dass Gott das Gebet eines kleinen Jungen erhört, ein Flämmchen
aus Bethlehem zu holen, während die
junge Mutter sterben musste.“
Der Pfarrer
verabschiedete sich und Roberto konnte nicht glauben was der gesagt hatte.
„Der spinnt.
Ganz eindeutig hat der eine Meise!“
„ Weißt du,
dass du in guter Gesellschaft bist“, fragte Miriam.
„In was für
eine Gesellschaft bin ich denn geraten?“
„ Du
könntest eigentlich Thomas heißen.“
„Kannst du
dich auch mal normal mit mir unterhalten?“
„Thomas
heißt: der Zweifler. Einer der zwölf Jünger hieß Thomas und der zweifelte
daran, dass Jesus auferstanden war. Erst als Jesus ihm das bewiesen hatte,
hörte Thomas mit zweifeln auf.“
„Wenn die
Probleme gelöst werden und das Friedenslicht am heiligen Abend in der Kirche leuchtet,
kannst du Thomas zu mir sagen.“
Draußen
klingelte es schon wieder.
„Thomas?“,
fragte Miriam.Franjo und das Friedenslicht XX
Die Menschen
stolpern gelegentlich über die Wahrheit, aber die meisten lesen sich selbst
wieder auf und eilen davon, als ob nichts geschehen wäre.
Winston Churchill
Winston Churchill
„Thomas?“,
fragte Miriam und sah Roberto lächelnd an.
„ Es
klingelt, und ich weiß zwar nicht wer kommt“, sagte Roberto, „ doch mit
Bethlehem hat es sicherlich nichts zu tun.“
Roberto ging
zur Tür. Draußen stand Franjos Mutter.
„Sie?“,
Roberto war überrascht.
„Kommen sie
doch herein.“
Einen Tee
wollte Roberto nicht mehr anbieten, der war inzwischen kalt geworden.
„Nehmen sie
doch Platz, was führt sie zu uns?“
„Es ist so“,
Franjos Mutter wusste nicht, wie sie anfangen sollte. „Mein Sohn, ähm, ich
fange noch mal anders an. Mein Mann muss dringend auf eine Geschäftsreise nach
Russland. Die Geschäftspartner legen großen Wert darauf, dass ich, als seine
Ehefrau, mitkomme. Als ich in der Schule fragte ob sie Franjo drei Wochen
schulfrei geben, damit er auch mit kann, hat der Direktor abgelehnt. Ich kann
das ja auch verstehen. Deshalb hatte ich ihm vorgeschlagen, dass er ein
Schülerprojekt über Russland machen könnte. Drei Wochen sind zu viel, er wäre
vielleicht bereit Franjo für eine Woche zu beurlauben. Ich weiß, es klingt
komisch, da fiel mir ein, dass mir mein Sohn von der Sache mit dem
Friedenslicht erzählt hat. Ich habe mich zwar gefragt, warum sie ihm diesen
Floh ins Ohr gesetzt haben, doch ich habe dem Direktor davon erzählt. Eine Kerze in Bethlehem zu entzünden und das
Licht dann in der Kirche zu verteilen das ist in meinen Augen völlig
unsinnig. Doch dem Direktor hat die
Geschichte mit dem Friedenslicht gefallen. Wenn das klappt, bekommt Franjo eine
Woche frei, aber er muss das Licht und ein paar Fotos mit in die Schule
bringen. Ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass er es bis Bethlehem schafft,
aber von mir aus kann er dort hin, wenn er das Geld dazu aufbringt und ihn
jemand begleitet. Von uns bekommt er dafür nichts. Angst habe ich keine, ich
glaube wenn wir in Russland sind, kann ihm genau so viel passieren wie in
Israel.“
„Entschuldigen
sie mal“, sagte Roberto, der erst jetzt zu Wort kam, „ich habe ihm diesen Floh
nicht ins Ohr gesetzt. Seit ich vom Friedenslicht erzählt habe. will er
unbedingt nach Bethlehem und lässt sich nicht mehr von dieser Schnapsidee
abbringen.“
„ Oh, das
habe ich nicht gewusst, entschuldigen sie bitte“, sagte Franjos Mutter, „ich
habe aber trotzdem ein großes Anliegen an sie.“
Roberto
spitzte die Ohren.
„Eigentlich
wäre meine Freundin in den nächsten drei Wochen bei Franjo geblieben aber sie
ist krank geworden. Einen Babysitter für
so eine lange Zeit habe ich auch nicht auftreiben können. Jetzt weiß ich nicht,
wohin mit ihm. Da der Junge immer so begeistert von ihnen spricht, hätte ich
die Bitte, dass sie ihn in den nächsten drei Wochen aufnehmen. Wenn das mit der
Reise nach Bethlehem doch noch klappen sollte, bräuchten sie nur noch in der
Schule anzurufen. Sie müssen sich auch keine Sorgen um die Kosten für Kost und
Logis zu machen. Das ist überhaupt kein Problem. Wir kommen für alles auf.“
Ehe Roberto
etwas sagen konnte, bekam er einen Tritt unter dem Tisch. „Ihr Vertrauen ehrt
uns“, sagte Miriam, „natürlich nehmen wir Franjo auf, wenn er bei uns bleiben
möchte.“
Die Frauen
unterhielten sich noch eine Weile über die Details. Auch darüber unter welchen
Bedingungen Franjo nach Bethlehem reisen darf. Als Franjos Mutter gegangen war,
sagte Miriam triumphierend: „Streich schon mal den Punkt Schule von deiner
Liste.“
„Egal was du
auch sagst, das war Zufall. Franjo wird es nicht bis Bethlehem schaffen “,
sagte Roberto, „Ich gehe jetzt ins Bett, denn morgen muss ich bis Mittag
arbeiten. Aber dann ist das Projekt wenigstens abgeschlossen.“
„Gute Nacht,
und vergiss nicht vom Friedenslicht zu träumen.“, lachte Miriam.
„Ich
befürchte, ich bekomme eher Alpträume.“
„Wieso
dass?“
„Heute war
der Chef der Firma bei uns, die für uns das neue Projekt hat.“
„Na und?“
„Ich habe
ein ganz dummes Gefühl dabei. So lange er da war, hatte ich das Gefühl, dass
jemand neben mir steht und ständig Lügner, Lügner flüstert.“
„Hast du das
deinem Chef gesagt?“
„Ja und der
hat mich beschuldigt ich hätte zur Arbeit keine Lust.“
Am
Samstagmittag kam Roberto völlig geschafft nach Hause.
„Wie siehst
du denn aus? Ich denke, du hast das Projekt abgeschlossen. Wieso bist du dann
nicht froh und glücklich wie immer?.“
„Ich kann
mich überhaupt nicht freuen. Der komische Auftrag geht mir nicht aus dem Kopf.
Der Chef hat sich zwar über die Firma erkundigt, und alles scheint sauber zu
sein, aber ich glaub nicht dran. Wenn mit dem Auftrag etwas schief geht, geht
unsere Firma den Bach runter. Ich weiß nicht, was ich machen soll.“
„Wenn du`s
nicht weißt? Wer ist denn von uns der Pfadfinder?“
„Das ist es!
Danke, Schatz.“
Roberto
sprang auf, lies den Teller halb voll stehen, gab Miriam einen flüchtigen Kuss
und verschwand in seinem Büro.
Nachdem sie
eine halbe Stunde gewartet hatte, wollte Miriam nach dem Rechten sehen.
Vielleicht war Roberto im Büro eingeschlafen. Gerade wollte sie leise die
Bürotür öffnen, da hörte sie wie Roberto schrie: „ Die Drecksau.“
Miriam zog
es vor wieder nach unten zu gehen und zu warten bis Roberto aus dem Büro kam.
Nach zwei
Stunden kam Roberto die Treppe herunter.
„Du kannst
dir nicht vorstellen was ich rausbekommen habe. Diese D…“
„Du kannst
mir das alles auch ohne Kraftausdrücke erzählen.“, fiel ihm Miriam ins Wort.
„Ja, ja, ich
weiß, bei uns zu Hause nicht. Also,
dieser Lump hat schon einige Firmen auf dem Gewissen. Er ist aber so gerissen,
dass ihm keiner was nachweisen kann.“
„Und woher
weißt du das?“
„Habe ich
dir schon mal von meinem Freund Hubs erzählt? Ich war mit ihm bei verschiedenen
Pfadfinderleiterseminaren zusammen. Frag mich, was wir zusammen angestellt
haben.“
„Was habt
ihr denn zusammen angestellt?“
„Ach, frag
lieber nicht. Also, Hubs ist ehrenamtlicher Stadtrat in der Stadt, in der die
Firma sitzt. Wir zwei hatten uns zwar aus den Augen verloren aber nach einigen
Telefonaten hatte ich seine Nummer. Dann stellte sich heraus, dass er diese
Firma schon lange auf der Liste hat. So ein schwarzes Schaf ist nicht gut fürs
Image der Stadt. Jedenfalls hat er einen Ordner mit Zeitungsartikeln und
verschiedenen internen Papieren des Stadtrates angelegt. Als ich ihn anrief,
konnte er mir genau sagen, mit welchem Trick dieser Lump seine Geschäftspartner
aufs Kreuz legt.“
„ Hast du
deinen Chef informiert?“
„ Na der war
vielleicht sauer.“
„ Auf den
Betrüger?“
„Nein auf
mich. Er dachte, ich wolle ihm nur den Auftrag vermiesen. Zum Glück hat Hubs
mir verschiedene Sachen rübergemailt. Ich habe sie gleich weitergeleitet.
Glaubst du, ich konnte ihn kaum überreden, den Computer anzuwerfen und die
Sachen durchzulesen. Ich habe ihm eindrücklich sagen müssen, dass er alles
einbüßt wenn er sich auf die Sau einlässt.“ Miriam sah Roberto strafend an.
„Tschuldige. Dann jedenfalls war klar,
dass ich die Wahrheit sage.“
„Und nun“,
fragte Miriam.
„Der Chef
lässt am Montag die Vertragsunterzeichnung platzen. Da er keine unnötigen
Diskussionen will, werde ich in der nächsten Woche meinen Schreibtisch leer
arbeiten und dann bekomme ich bis
Neujahr frei. Resturlaub, Überstunden und ein paar geschenkte Tage für meine Verdienste. Somit hat er keine
Kapazitäten für den Auftrag.“
Miriam holte
tief Luft.
„Sag mal
Schatz“, sagte sie nach einer Weile, „ wenn du Urlaub hast, könntest du doch
Franjo nach Bethlehem begleiten?“
„Natürlich“,
sagte Roberto im Überschwang. Er freute sich, dass er diesen Betrüger entlarvt
hatte. „außerdem wird es nicht dazu kommen, vergiss nicht wir haben kein Geld
für die Reise.“
„Thomas?“,
fragte Miriam.
Wenn du Gott lachen hören willst, dann erzähl ihm von deinen
Plänen.
Arno Backhaus
Arno Backhaus
„Also dieses Wochenende geht in die Geschichte ein“, Roberto
wollte endlich den gemütlichen Abend mit Miriam nachholen, den sie am Freitag
verpasst hatten, da klingelte es schon wieder.
„Schatz, freundlich lächeln und daran denken, dass du bald
Urlaub hast“, sagte Miriam.
An der Tür stand Frau Winter. Roberto traute seinen Augen
kaum. Frau Winter, die sonst so korrekt auftrat, stand vor ihm mit wirrem Haar
und eigenartigem Blick. Jetzt ist sie durchgedreht, war sein erster Gedanke.
„Ach, Bruder Fischer, ich bin ja so durcheinander.“
Beinahe hätte Roberto gesagt:“ Das sehe ich.“ Im letzten
Moment riss er sich zusammen und bat Frau Winter herein.
Auch Miriam erschrak bei ihrem Anblick. „Können wir ihnen
helfen? Soll ich ihnen einen Tee machen?“
„Ach ja, irgendetwas Warmes kann ich gebrauchen. Ich hätte
auch nichts gegen einen Schnaps.“
Frau Winter trinkt Schnaps? Roberto konnte es nicht fassen.
Nachdem Miriam in ihren Vorräten Eierlikör gefunden, und
einen Tee gekocht hatte, ging sie wieder ins Wohnzimmer wo Frau Winter und
Roberto schweigend saßen.
„Eigentlich trinke ich gar nicht und wenn, dann nur
Eierlikör. Aber hätten sie nicht etwas Stärkeres?“
Roberto und Miriam sahen sich an. Das hätten sie Frau Winter
nicht zugetraut. Roberto bot ihr einen Whisky an, da entschied sie sich dann doch
lieber für Eierlikör. Endlich war sie so weit, zu erzählen, was los war.
„Wissen sie, ich komme aus einer gläubigen Familie. Für
meine Eltern war es Sünde Lotto zu spielen. Meine Mutter sagte immer: Wer Lotto
spielt ist auf dem breiten Weg direkt in die Hölle. Ich glaube nicht daran,
aber ich spiele auch kein Lotto. Sehen sie, Gott hat mich immer versorgt, da erscheint
mir es undankbar zu sein, wenn ich ihm mit Lottospielen nachhelfe. Ich arbeite
lieber und vertraue darauf, dass der Herr Jesus mich versorgt und spiele
nicht.“
Miriam und Roberto sahen sich fragend an. Keiner wusste,
worauf Frau Winter hinauswollte.
„Heute habe ich im Lotto gewonnen.“
„Aber ich denke, sie spielen nicht“, fragte Miriam.
„Mache ich ja auch nicht“, antwortete Frau Winter.
Roberto dachte, jetzt ist sie doch durchgedreht.
Als Frau Winter in die Gesichter der beiden blickte, merkte
sie, dass sie in Rätseln sprach.
„Achso, also: Mein Mann, der Herbert, war ein ganz lieber
Kerl. Wir hatten jung geheiratet. Kurz nach unserer Hochzeit hatte er einen
Unfall und konnte seitdem nicht mehr arbeiten und Geld verdienen. Wir waren trotzdem
glücklich miteinander. Seine kleine Invalidenrente und mein kleines Gehalt
haben gerade so gereicht. Große Sprünge konnten wir nicht machen, aber wir
haben uns bis zu seinem Tode immer gut verstanden. Das war mir mehr wert als
alles Geld. Leider haben wir keine Kinder, das war das einzige, das mir gefehlt
hat. Wie gesagt, Herbert konnte seit seinem Unfall nicht für mich sorgen und
hat darunter gelitten. So kam er darauf, dass er pro Woche einen Tipp in der
Lotterie gemacht hat, damit er mir auch mal das bieten kann, was andere Männer
ihren Frauen bieten können. Jede Woche hat er gespielt, bis zu seinem
Tode. Samstag für Samstag gab er seinen
Tipp ab und sagte dann: Wirst sehen, diese Woche klappts. Ich kann mich daran
erinnern, dass er sich immer auf den Gewinn gefreut hat wie ein Kind auf den
Weihnachtsmann. Wenn er dann am Montag die Lottozahlen erfahren hat, und merkte, dass es wieder nichts geworden war,
sagte er: Liebling, hat nicht geklappt aber beim nächsten Mal. Jetzt ist er schon einige Jahre tot. Jedes Jahr,
am Samstag vor seinem Geburtstag, spiele ich einen Tipp und höre ihn sagen: Wirst
sehen, diese Woche klappts. Am darauf folgenden Samstag gehe ich immer in die
Annahmestelle und lasse den Schein kontrollieren. Die Verkäuferin sagt mir dann
immer: Leider kein Gewinn. Da höre ich Herbert sagen: Liebling, hat nicht geklappt aber beim
nächsten Mal. Ich habe dann immer das Gefühl, dass er noch bei mir ist. Nur dieses Mal war es anders. Dieses Mal hat
sie gesagt, dass ich gewonnen habe. Was soll ich nur mit all dem Geld machen?
Ich habe schon überlegt es „Brot für die Welt“ zu geben. Aber ich bin so
durcheinander. Da dachte ich, ich frage sie erstmal.“
„Kommen sie, Frau Winter, wir trinken noch einen Eierlikör
zusammen und mein Mann und ich machen das Abendessen. Sie bleiben doch zum
Essen?“
Frau Winter nickte. Auch zum Eierlikör sagte sie nicht nein.
In der Küche sagte Roberto zu Miriam.
„ Also, ich weiß nicht, jetzt müssen wir uns die Geschichte
vom seligen Herbert anhören und vom Lottogewinn. Ich hatte nicht vor den ganzen
Abend, wegen Zweieurofünfzig, mit Frau Winter zu verbringen.“
„Man, manchmal bist du richtig herzlos. Ich finde das ist
eine richtig tolle Geschichte. Wenn ich mal alt bin, wäre ich froh, ich könnte
sagen, dass du mich so geliebt hast, wie der selige Herbert seine Frau. Merkst
du denn nicht, dass die Frau, die sich uneigennützig um alle kümmert, einsam
ist?“
Roberto zuckte mit den Achseln. Miriam hatte Recht. Wenn man jung ist, hat man
vielleicht nicht immer das richtige Verständnis für so etwas. Als die beiden in
der Stube erschienen, hatte sich Frau Winter langsam entspannt.
„Sie wollen wohl gar nicht wissen wie viel Geld es ist?“
Beinahe hätte Roberto gesagt: „Es wird schon in ihr
Portmonee passen“, da ereilte ihn ein Blick von Miriam. Frau Winter zeigte
Miriam den Zettel, auf dem die Verkäuferin die Summe geschrieben hatte. Miriam
wurde blass. Sie musste sich setzen. Jetzt wurde Roberto neugierig. Als er die
Summe sah, blieb auch ihm die Spucke weg.
Es dauerte einige Zeit bis jemand etwas sagen konnte.
„Ganz schönes Sümmchen“, meinte Roberto. „Was wollten sie
damit machen?“
„Eigentlich wollte ich das Geld spenden. Der Herr wird auch
ohne Lottogewinn für mich sorgen. Wenn ich das Geld annehme, hätte ich das
Gefühl, ich würde Gott nicht mehr vertrauen.“
„Was wäre denn, wenn sie das Geld Franjo und seinem
Begleiter zur Verfügung stellen würden“, fragte Miriam. Über Frau Winters
Gesicht fuhr ein Leuchten.
„Na, das Geld würde auch bequem für drei reichen“, bemerkte
Roberto. „eigentlich müssten sie auch mitkommen, aber sicherlich haben sie
keinen Pass.“
„Doch, ich habe einen Pass. Kurz vor Herberts Tod wollten
wir ins Ausland fahren. Dafür hatte ich
den Pass machen lassen. Leider starb er vorher.“
„Da könnten sie doch mit nach Bethlehem“, sagte Miriam.
„ Ach, Schwester Fischer, ich weiß nicht. Ich bin eine alte
Frau, das ist doch nichts mehr für mich.“
Miriam spürte, dass Frau Winter eigentlich doch gern
mitwollte.
„Frau Winter, wie viele Jahre haben sie für wenig Geld in
der Kirchgemeinde sauber gemacht? Für wie viele Menschen haben sie sich
aufgeopfert und keiner hat ihnen das gedankt?“
„ Ja wenn sie das so sehen? Ich habe oft geputzt und
gerackert und keiner hat’s gemerkt. Wenn jemand einen Kuchen oder einen Salat
mitgebracht hat, haben alle gesagt: Der schmeckt aber gut. Wenn jemand ein Lied
gesungen hat, dann wurde er gelobt. Zu mir hat noch niemand gesagt: Du hast die
Toiletten aber schön sauber gemacht. Die Putzfrau bekommt nur zu hören, wenn
sie etwas nicht richtig gemacht hat.“
„Sehen sie, ich glaube, der Herr Jesus zeigt ihnen mit dem
Lottogewinn, dass er genau sieht wie sie sich aufgeopfert haben und dass sie
die Toiletten mit Liebe geputzt haben. Fahren sie nur mit ruhigem Gewissen mit.
Wir essen noch gemeinsam, dann bringt sie Roberto nach Hause und sieht nach, ob
ihr Pass noch gültig ist.“
Roberto sah nicht glücklich aus als er wieder zu Hause ankam.
Die Aussicht, Frau Winter mitnehmen zu müssen, schien ihn gar nicht zu
gefallen. Zu Miriam sagte er: „ Wir müssen mindestens eine Woche fahren. Der
Pass muss bei Einreise wenigstens noch ein halbes Jahr gültig sein. Wenn wir
nicht sechs Tage vor Entzündung des Lichtes in Israel sind, lassen die Frau
Winter nicht rein. Ich hätte nichts dagegen, wenn sie zu Hause bliebe, aber du
hast ihr so viel Hoffnung gemacht, da müssen wir sie doch mitnehmen.“
„Habe ich dir eigentlich schon gesagt, dass die Finanzierung
der Fahrt gesichert ist“, fragte Miriam.
„Wir haben das Friedenslicht noch lange nicht hier“, sagte
Roberto.
„Na stell dich schon mal darauf ein, dass wir dich umtaufen
in Thomas“
„Das könnte dir so passen
Franjo und
das Friedenslicht XXII
Mut
ist, wenn man Todesangst hat, aber sich trotzdem in den Sattel schwingt.
Miriam stand
am Bügelbrett. Bald würde Roberto nach Hause kommen. Heute ist sein letzter Tag
auf Arbeit, morgen eingemeinsamer Tag daheim, dann wird er nach Israel reisen.
Sie hatte das Radio an. Die leise Musik versetzte sie in eine fröhliche
Stimmung.
Platzsch,
machte es und Miriam fuhr aus ihren Gedanken auf. Franjo hatte wieder mal einen
Salto gemacht. Da er mit nackten Füßen auf die Fliesen in der Küche aufkam, gab
es dieses Geräusch.
„Franjo, wie
oft habe ich dir gesagt, dass du keinen Salto im Haus machen sollst.“
Seit Franjo
im Sportunterricht gelernt hatte, wie man einen Salto macht, machte er immer
einen, wenn er sich freute. Miriam fiel ein, dass der kleine Schelm nicht hören
konnte, was sie sagte. Obwohl, sicher war sie sich nicht. Sie wusste, dass er
ein wenig hören kann und manches mitbekam, wenn er die Lippen der Sprechenden
sah. Aber wenn er etwas nicht mitbekommen wollte, dann verstand er überhaupt
nichts. Na warte, dachte sie sich, diesen Zahn werde ich dir ziehen. Sie ging
auf Franjo zu, zog ihm am Ärmel, legte die Hände auf seine Schultern, sah ihm
in die Augen und sprach langsam: „Du sollst im Haus keinen Salto machen. Ist
das klar.“ Franjo sah sie an, als ob er nichts verstanden hätte. Miriam nahm
ihre Hände zu Hilfe. Auch wenn sie keine Gebärdensprache konnte, waren ihre
Handbewegungen eindeutig. Beim zweiten:“
Ist das klar“, nickte Franjo. „So und jetzt ab in die Dusche, bevor Roberto und
Karsten heimkommen.“ Er hätte ja gern noch mal einen Salto probiert doch, in
Miriams Gegenwart traute er sich nicht, so ging er in die Dusche. Voller Stolz
über diesen Erfolg ging Miriam wieder an ihr Bügelbrett. Da wurde sie
aufmerksam auf das, was der Nachrichtensprecher sagte: „Tel Aviv: Die Anzahl
der Toten nach dem gestrigen Terroranschlag auf eine Diskothek stieg auf
vierzig. Laut Nachrichtenagentur Reuters bekannte sich die radikalislamische
Hamas zu diesem Anschlag. Ein Sprecher der Hamas wird mit den Worten zitiert: Dies
war nur der Anfang. Israel wird in den nächsten Wochen eine intefada erleben
wie sie bis dahin noch nie da gewesen
ist.“ Miriam wurden die Beine schwach. Zum Glück hatte sie ihren Bügelstuhl
sonst wäre sie vielleicht gefallen. Übermorgen werden Roberto, Franjo und Frau
Winter in dieses Land reisen. Was, wenn sie nun Opfer eines Terroranschlages
würden? Miriam schossen die Tränen in die Augen. Plötzlich war sie nicht mehr
sicher, ob die Sache mit dem Friedenslicht wirklich so eine gute Idee war. Sie hatte
das Gefühl als wenn ihr jemand den Boden unter den Füßen wegzog. Wenn doch
Roberto schon da wäre, da hörte sie den Schlüssel in der Haustür.
Karsten war,
wie jeden Tag, bei Herrn Grosser. Er hätte sich nie gedacht, dass er eines
Tages freiwillig bei einem alten Mann sitzen würde, um ihm Gesellschaft zu
leisten. Nach der Schule kam Karsten und half Herrn Grossers Tochter, ihn zu
waschen. Die intensive Pflege, die er seit einigen Wochen brauchte, hatte an
ihren Kräften gezehrt. Sie war froh, dass Karsten ihr half. Nach dem Waschen
war Herr Grosser erschöpft und musste
ruhen. Karsten machte dann seine Hausaufgaben. Herrn Grossers Tochter war froh,
dass Karsten da war, denn ihr Vater wollte nicht mehr allein sein. So lange
Karsten ihm Gesellschaft leistete, konnte sie ihre Aufgaben erledigen oder mal
zur Nachbarin gehen, um mit ihr zu reden und sich ein wenig zu erholen. Wenn
Herr Grosser wieder zu Kräften kam, war Karsten meist mit seinen Aufgaben
fertig und die beiden redeten miteinander. Karsten hatte eigentlich keine
Großeltern. Die Eltern seines Vaters waren schon tot, und die Eltern seiner
Mutter hatten nur einen Lieblingsenkel, Karstens Cousine. Die Gespräche mit
Herrn Grosser waren für ihn etwas Besonderes. Er war zwar körperlich schwach, aber geistig völlig klar. Wenn
Karsten redete, hörte er genau zu und unterbrach ihn nur gelegentlich, um
nachzufragen. Meist sagte er wenig, doch das Wenige hatte es in sich. Außerdem
tat es Karsten gut, endlich mal jemanden zu haben, der nur für ihn da war und
zuhörte. An diesem Abend sprach Herr Grosser mehr als gewöhnlich. Er erzählte
Karsten, dass er schon über dreißig Jahre für eine bestimmte Sache betete. Er
bat Gott um eine kleine Gemeinde von Christen, die Gott wirklich ernst nahmen.
Keine Gläubigen, die sich von frommen Sprüchen einlullen ließen, eher solch,
die jedes Wort nachprüften. „Gegen Pfarrer Steinbrecher würde ich nie etwas
sagen, aber ich habe schon andere erlebt, die meinten sie könnten die Gläubigen
mit salbungsvollen Worten einseifen,
aber in Wirklichkeit war nichts dahinter“, sagte Herr Grosser und warnte
Karsten vor solchen Leuten. „Als mir der Herr Pfarrer von den Pfadfindern
erzählte, hatte ich das Gefühl, dass der
Herr mein Gebet erhört hat.“ Karsten konnte es kaum glauben. Er dachte an Adrian,
der bestimmt kein Musterchrist war und an Kerstin, die ab und zu rumzickte. An
Leos Zweifel wollte er sich gar nicht erinnern und über Robert könnte er auch
nichts Positives sagen. Herr Grosser
merkte, dass Karsten anderer Meinung war. „Junge, nicht die, die ihre
Frömmigkeit zu Markte tragen sind die, von denen ich spreche. Zweifel gehören
zum Glauben, genau wie Angst und Schuld. Die, die wissen wohin mit Zweifel,
Angst, Problemen und Schuld sind die, die ich meine. Eine Gruppe, die
zusammenkommt und sich gegenseitig akzeptiert und hilft, das habe ich mir immer
gewünscht. Jeder einzelne ist unvollkommen, das wird auch so bleiben.
Hauptsache man reicht sich immer wieder die Hand und vergisst nicht, dass wir
den Herrn Jesus brauchen um miteinander klar zu kommen. Selbst die großen
Männer in der Bibel haben Mist gebaut, aber sie haben sich trotzdem an Gott
gehalten. Wenn ihr das macht, gibt es vielleicht so manches Gewitter unter
euch, aber am Ende seid ihr doch die Gemeinschaft, die ich in euch sehe. Karsten
war nachdenklich geworden. Herr Grosser setzte in die Pfadfinder großes
Vertrauen, obwohl er sie doch gar nicht richtig kannte. Könnte es sein, dass
gerade solches Vertrauen einem Mensch oder einer Gruppe dabei hilft über sich hinauszuwachsen? Wird ein Mensch
vielleicht ein anderer, wenn man ihn so behandelt, wie er erst werden soll?
„Karsten, es
ist schon dunkel, du musst heim“, Herrn Grossers Tochter kam herein. Karsten
packte seine Sachen und ging. Jedes Mal wenn er ging, dachte er daran, dass
Franjo das Friedenslicht für Herrn Grosser holen würde.
Als er zu
Hause ankam sah er, wie Roberto in der Küche neben Miriam saß und Miriam
heulte. Es dauerte nicht lange, da wusste er warum. „Was ist denn, wenn man
euch erschießt? Ich will dich nicht verlieren. Meinst du, dass das so leicht
ist, und was sage ich dann Franjos Eltern?“, Miriam schnäuzte in ihr
Taschentuch.
„Weißt du,
bis jetzt habt ihr mir gesagt, ich müsse auf Gott vertrauen. Guter Ratschlag,
aber wenn man dann selber vertrauen soll, dann ist das was anderes“, sagte
Roberto.
„Aber wenn
ihr in Israel umkommt?“
„Weißt du,
am Sonntag haben wir in der Kirche gesungen:
Der Wolken
Luft und Winden gibt Wege Lauf und Bahn, der wird auch Wege finden, da dein Fuß
gehen kann.“
„Am
Schreibtisch kann man solche Lieder schön dichten.“
„Nichts, am
Schreibtisch, der, der das gedichtet hatte, hat während des dreißigjährigen
Krieges gelebt. Er hatte den Krieg praktisch vor der Haustür. Ich glaube, der
wusste was es heißt auf Gott zu vertrauen.“ Robertos Worte schienen nicht zu
fruchten. Karsten war klar, dass Roberto nicht fahren würde, wenn Miriam etwas
dagegen hat. So rief er die Pfadfinder an und binnen zehn Minuten saßen sie
alle am Küchentisch. Alle redeten durcheinander. Plötzlich schlug Robert mit
der flachen Hand auf den Tisch. Alle waren still.
„Habt ihr
denn noch nie Angst gehabt? Ich kann verstehen, dass Miriam Angst hat. Und wenn
Roberto und Franjo einem Anschlag zum Opfer fallen, was dann?“
Alle sahen
Robert an, das hätte ihm keiner zugetraut.
„Ach, du, du
hast ja noch nie viel vom Friedenslicht gehalten. Du bist nur ein Mitläufer, da
fällt es auch leicht so etwas zu sagen“, giftete Kerstin Robert an. Beinahe hätte sie: „Du Fettsack“ angefügt,
doch zum Glück konnte sie sich beherrschen.
„Aber auch
wenn wir uns das noch so wünschen“, sagte Leo, „das müssen Miriam und Roberto
selbst entscheiden. Es kann doch sein, dass sie sterben. Wenn wir sie überredet
haben und sie werden erschossen, dann werden wir auch nie wieder froh.“
„Und
Franjo“, fragte Karsten, „was sagt eigentlich Franjo dazu?“
Franjo kam
gerade aus der Dusche und wunderte sich, dass plötzlich ein Pfadfindertreffen
in der Küche stattfand. „Ist heute schon
Freitag“, fragte er.
Kerstin
stand auf und erklärte ihm die Situation. Franjo nickte zum Zeichen, dass er
alles verstanden hatte. „Willst du jetzt noch nach Bethlehem?“
Franjo senkte den Kopf, er blickte zu Roberto. Der sah zu Miriam und alle
Pfadfinder wussten, dass es jetzt von ihr abhing, ob die beiden nach Israel
fahren würden oder nicht. Es Franjo und das Friedenslicht XXIIMut ist, wenn man Todesangst hat, aber sich trotzdem in den Sattel schwingt.
John Wayne
Miriam stand am Bügelbrett. Bald würde Roberto nach Hause kommen. Heute ist sein letzter Tag auf Arbeit, morgen eingemeinsamer Tag daheim, dann wird er nach Israel reisen. Sie hatte das Radio an. Die leise Musik versetzte sie in eine fröhliche Stimmung.
Platzsch, machte es und Miriam fuhr aus ihren Gedanken auf. Franjo hatte wieder mal einen Salto gemacht. Da er mit nackten Füßen auf die Fliesen in der Küche aufkam, gab es dieses Geräusch.
„Franjo, wie oft habe ich dir gesagt, dass du keinen Salto im Haus machen sollst.“
Seit Franjo im Sportunterricht gelernt hatte, wie man einen Salto macht, machte er immer einen, wenn er sich freute. Miriam fiel ein, dass der kleine Schelm nicht hören konnte, was sie sagte. Obwohl, sicher war sie sich nicht. Sie wusste, dass er ein wenig hören kann und manches mitbekam, wenn er die Lippen der Sprechenden sah. Aber wenn er etwas nicht mitbekommen wollte, dann verstand er überhaupt nichts. Na warte, dachte sie sich, diesen Zahn werde ich dir ziehen. Sie ging auf Franjo zu, zog ihm am Ärmel, legte die Hände auf seine Schultern, sah ihm in die Augen und sprach langsam: „Du sollst im Haus keinen Salto machen. Ist das klar.“ Franjo sah sie an, als ob er nichts verstanden hätte. Miriam nahm ihre Hände zu Hilfe. Auch wenn sie keine Gebärdensprache konnte, waren ihre Handbewegungen eindeutig. Beim zweiten:“ Ist das klar“, nickte Franjo. „So und jetzt ab in die Dusche, bevor Roberto und Karsten heimkommen.“ Er hätte ja gern noch mal einen Salto probiert doch, in Miriams Gegenwart traute er sich nicht, so ging er in die Dusche. Voller Stolz über diesen Erfolg ging Miriam wieder an ihr Bügelbrett. Da wurde sie aufmerksam auf das, was der Nachrichtensprecher sagte: „Tel Aviv: Die Anzahl der Toten nach dem gestrigen Terroranschlag auf eine Diskothek stieg auf vierzig. Laut Nachrichtenagentur Reuters bekannte sich die radikalislamische Hamas zu diesem Anschlag. Ein Sprecher der Hamas wird mit den Worten zitiert: Dies war nur der Anfang. Israel wird in den nächsten Wochen eine intefada erleben wie sie bis dahin noch nie da gewesen ist.“ Miriam wurden die Beine schwach. Zum Glück hatte sie ihren Bügelstuhl sonst wäre sie vielleicht gefallen. Übermorgen werden Roberto, Franjo und Frau Winter in dieses Land reisen. Was, wenn sie nun Opfer eines Terroranschlages würden? Miriam schossen die Tränen in die Augen. Plötzlich war sie nicht mehr sicher, ob die Sache mit dem Friedenslicht wirklich so eine gute Idee war. Sie hatte das Gefühl als wenn ihr jemand den Boden unter den Füßen wegzog. Wenn doch Roberto schon da wäre, da hörte sie den Schlüssel in der Haustür.
Karsten war, wie jeden Tag, bei Herrn Grosser. Er hätte sich nie gedacht, dass er eines Tages freiwillig bei einem alten Mann sitzen würde, um ihm Gesellschaft zu leisten. Nach der Schule kam Karsten und half Herrn Grossers Tochter, ihn zu waschen. Die intensive Pflege, die er seit einigen Wochen brauchte, hatte an ihren Kräften gezehrt. Sie war froh, dass Karsten ihr half. Nach dem Waschen war Herr Grosser erschöpft und musste ruhen. Karsten machte dann seine Hausaufgaben. Herrn Grossers Tochter war froh, dass Karsten da war, denn ihr Vater wollte nicht mehr allein sein. So lange Karsten ihm Gesellschaft leistete, konnte sie ihre Aufgaben erledigen oder mal zur Nachbarin gehen, um mit ihr zu reden und sich ein wenig zu erholen. Wenn Herr Grosser wieder zu Kräften kam, war Karsten meist mit seinen Aufgaben fertig und die beiden redeten miteinander. Karsten hatte eigentlich keine Großeltern. Die Eltern seines Vaters waren schon tot, und die Eltern seiner Mutter hatten nur einen Lieblingsenkel, Karstens Cousine. Die Gespräche mit Herrn Grosser waren für ihn etwas Besonderes. Er war zwar körperlich schwach, aber geistig völlig klar. Wenn Karsten redete, hörte er genau zu und unterbrach ihn nur gelegentlich, um nachzufragen. Meist sagte er wenig, doch das Wenige hatte es in sich. Außerdem tat es Karsten gut, endlich mal jemanden zu haben, der nur für ihn da war und zuhörte. An diesem Abend sprach Herr Grosser mehr als gewöhnlich. Er erzählte Karsten, dass er schon über dreißig Jahre für eine bestimmte Sache betete. Er bat Gott um eine kleine Gemeinde von Christen, die Gott wirklich ernst nahmen. Keine Gläubigen, die sich von frommen Sprüchen einlullen ließen, eher solch, die jedes Wort nachprüften. „Gegen Pfarrer Steinbrecher würde ich nie etwas sagen, aber ich habe schon andere erlebt, die meinten sie könnten die Gläubigen mit salbungsvollen Worten einseifen, aber in Wirklichkeit war nichts dahinter“, sagte Herr Grosser und warnte Karsten vor solchen Leuten. „Als mir der Herr Pfarrer von den Pfadfindern erzählte, hatte ich das Gefühl, dass der Herr mein Gebet erhört hat.“ Karsten konnte es kaum glauben. Er dachte an Adrian, der bestimmt kein Musterchrist war und an Kerstin, die ab und zu rumzickte. An Leos Zweifel wollte er sich gar nicht erinnern und über Robert könnte er auch nichts Positives sagen. Herr Grosser merkte, dass Karsten anderer Meinung war. „Junge, nicht die, die ihre Frömmigkeit zu Markte tragen sind die, von denen ich spreche. Zweifel gehören zum Glauben, genau wie Angst und Schuld. Die, die wissen wohin mit Zweifel, Angst, Problemen und Schuld sind die, die ich meine. Eine Gruppe, die zusammenkommt und sich gegenseitig akzeptiert und hilft, das habe ich mir immer gewünscht. Jeder einzelne ist unvollkommen, das wird auch so bleiben. Hauptsache man reicht sich immer wieder die Hand und vergisst nicht, dass wir den Herrn Jesus brauchen um miteinander klar zu kommen. Selbst die großen Männer in der Bibel haben Mist gebaut, aber sie haben sich trotzdem an Gott gehalten. Wenn ihr das macht, gibt es vielleicht so manches Gewitter unter euch, aber am Ende seid ihr doch die Gemeinschaft, die ich in euch sehe. Karsten war nachdenklich geworden. Herr Grosser setzte in die Pfadfinder großes Vertrauen, obwohl er sie doch gar nicht richtig kannte. Könnte es sein, dass gerade solches Vertrauen einem Mensch oder einer Gruppe dabei hilft über sich hinauszuwachsen? Wird ein Mensch vielleicht ein anderer, wenn man ihn so behandelt, wie er erst werden soll?
„Karsten, es ist schon dunkel, du musst heim“, Herrn Grossers Tochter kam herein. Karsten packte seine Sachen und ging. Jedes Mal wenn er ging, dachte er daran, dass Franjo das Friedenslicht für Herrn Grosser holen würde.
Als er zu Hause ankam sah er, wie Roberto in der Küche neben Miriam saß und Miriam heulte. Es dauerte nicht lange, da wusste er warum. „Was ist denn, wenn man euch erschießt? Ich will dich nicht verlieren. Meinst du, dass das so leicht ist, und was sage ich dann Franjos Eltern?“, Miriam schnäuzte in ihr Taschentuch.
„Weißt du, bis jetzt habt ihr mir gesagt, ich müsse auf Gott vertrauen. Guter Ratschlag, aber wenn man dann selber vertrauen soll, dann ist das was anderes“, sagte Roberto.
„Aber wenn ihr in Israel umkommt?“
„Weißt du, am Sonntag haben wir in der Kirche gesungen:
Der Wolken Luft und Winden gibt Wege Lauf und Bahn, der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann.“
„Am Schreibtisch kann man solche Lieder schön dichten.“
„Nichts, am Schreibtisch, der, der das gedichtet hatte, hat während des dreißigjährigen Krieges gelebt. Er hatte den Krieg praktisch vor der Haustür. Ich glaube, der wusste was es heißt auf Gott zu vertrauen.“ Robertos Worte schienen nicht zu fruchten. Karsten war klar, dass Roberto nicht fahren würde, wenn Miriam etwas dagegen hat. So rief er die Pfadfinder an und binnen zehn Minuten saßen sie alle am Küchentisch. Alle redeten durcheinander. Plötzlich schlug Robert mit der flachen Hand auf den Tisch. Alle waren still.
„Habt ihr denn noch nie Angst gehabt? Ich kann verstehen, dass Miriam Angst hat. Und wenn Roberto und Franjo einem Anschlag zum Opfer fallen, was dann?“
Alle sahen Robert an, das hätte ihm keiner zugetraut.
„Ach, du, du hast ja noch nie viel vom Friedenslicht gehalten. Du bist nur ein Mitläufer, da fällt es auch leicht so etwas zu sagen“, giftete Kerstin Robert an. Beinahe hätte sie: „Du Fettsack“ angefügt, doch zum Glück konnte sie sich beherrschen.
„Aber auch wenn wir uns das noch so wünschen“, sagte Leo, „das müssen Miriam und Roberto selbst entscheiden. Es kann doch sein, dass sie sterben. Wenn wir sie überredet haben und sie werden erschossen, dann werden wir auch nie wieder froh.“
„Und Franjo“, fragte Karsten, „was sagt eigentlich Franjo dazu?“
Franjo kam gerade aus der Dusche und wunderte sich, dass plötzlich ein Pfadfindertreffen in der Küche stattfand. „Ist heute schon Freitag“, fragte er.
Kerstin stand auf und erklärte ihm die Situation. Franjo nickte zum Zeichen, dass er alles verstanden hatte. „Willst du jetzt noch nach Bethlehem?“
Franjo senkte den Kopf, er blickte zu Roberto. Der sah zu Miriam und alle Pfadfinder wussten, dass es jetzt von ihr abhing, ob die beiden nach Israel fahren würden oder nicht. Es war still im Raum. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Sekunde um Sekunde verrann, es kam allen wie eine Ewigkeit vor.
Auf einmal stimmte Roberto das Lied an: „Der Wolken Luft und Winden gibt Wege Lauf und Bahn, der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann.“
Wieder war es still im Raum. Dann nickte Miriam, mit Tränen in den Augen. Die Pfadfinder atmeten erleichtert auf.
war still im
Raum. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Sekunde um Sekunde
verrann, es kam allen wie eine Ewigkeit vor.
Auf einmal
stimmte Roberto das Lied an: „Der Wolken Luft und Winden gibt Wege Lauf und
Bahn, der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann.“
Wieder war
es still im Raum. Dann nickte Miriam, mit Tränen in den Augen. Die Pfadfinder
atmeten erleichtert auf.
Franjo und
das Friedenslicht XXIII
Verstehen
kann man das Leben nur rückwärts. Leben muss man es vorwärts.
Søren Kierkegaard
Søren Kierkegaard
„Morgen
fliegen sie.“ Adrian war schon vorzeitig in der Bushaltestelle, um auf die
anderen zu warten.
„Ich wäre
auch gern dabei“, sagte Kerstin. Auch sie war zu früh am Treffpunkt. Bei Adrian
zu Hause war dicke Luft. Seine Mutter hatte schlechte Laune, da war es ihm
lieber in der kalten Bushaltestelle auf die anderen zu warten. Kerstin hielt es
zu Hause auch nicht aus. Ihr Bruder hatte schon wieder einen schweren Anfall
und bekam fast keine Luft. Alles drehte sich um ihn und ihre Eltern waren
fruchtbar aufgeregt. Ach, wenn der doch endlich diese Kur bekommen würde, da
könnten sich alle etwas erholen.
„Bist du
sauer, dass ich dieses Jahr im Krippenspiel Maria mache?“ Als feststand, dass
Miriam dieses Jahr das Krippenspiel leiten würde, hatten sich die Pfadfinder
bereit erklärt mitzumachen. Kerstin fiel die Maria zu.
„Ach, ich
habe schon mit Hässlicheren zusammen gespielt, außerdem ist das immer noch
besser als wenn Robert die Rolle übernommen hätte.“ Kerstin wusste nicht, was
sie von diesen Worten halten sollte. Da aber niemand dabei war, war das keine
von Adrians üblichen Frechheiten, vielleicht sogar, für seine Verhältnisse, ein
Kompliment. Sie beschloss das so zu bewerten.
„Bei Robert
bräuchte man weinigsten kein Kissen unterzuschieben. Aber danke für das
Kompliment.“
Adrian war
froh, dass es im Bushäuschen wenig Licht gab, so konnte Kerstin nicht sehen,
dass er rot wurde. Er hatte auf einmal den Wunsch ihr den Arm um die Schultern
zu legen. Aber er traute sich nicht. Die beiden schwiegen und die Stille wurde
bedrückend.
„Sag mal,
ist das immer noch so schlimm mit deinem Vater“, fragte Kerstin nach einer
Weile.
„Was heißt
schon schlimm, er schlägt mich nicht und sonst tut er mir ja auch nichts.“
„Du weißt
schon, ich habe gemeint, weil er Pfarrer ist.“
„Naja, dafür
kann er doch nichts. Und was soll er schon machen, er hat doch nichts anderes
gelernt.“
„ Ist ja
fast so wie bei mir“, sagte Kerstin, „mein Bruder hat sich die blöde
Mukoviszidose auch nicht ausgesucht.“
„Na, mein
Vater wollte Pfarrer werden, das ist schon ein Unterschied. Aber damals hat es
mich noch nicht gegeben.“ Adrian hatte keine Lust weiter darüber zu reden und
war froh, als er hörte, dass die anderen kamen. Miriam, Roberto, Karsten und
Franjo kamen gemeinsam und brachten Frau Winter mit. Seit sich herumgesprochen
hatte, dass sie Franjos und Robertos Reise bezahlt, und mitfährt, hatten die
Pfadis sie zur Ehrenpfadfinderin gemacht. Robert kam auch noch angehetzt. Er
hatte den Laptop seines Vaters unter dem Arm. Jetzt fehlte nur noch Leo. Als
der eintrudelte, gingen sie gemeinsam ins Pfarrhaus. Im Pfarrhaus angekommen,
stürmten sie in den Gemeinderaum. Leo hatte schmutzige Schuhe an, doch dieses
Mal würdigte Frau Winter dies keines Blickes. Robert schaltete den Laptop an und
zeigte was er im Internet gefunden hatte.
„Man, so ein
teures Teil, da würde mir mein Vater aber was erzählen“, sagte Adrian.
„Ach, meine
Eltern sagen da nichts“, erwiderte Robert. Er hatte sich die Sache richtig gut
ausgedacht. Er zeigte über Google Earth die Weltkugel und man sah Deutschland
und Israel. Robert stellte die Erdkugel auf Israel ein und es ging immer tiefer. Leider konnte er
Bethlehem nicht gleich finden. Nichts leichter als das, dachte er und gab Bethlehem
in das Suchfeld ein. Auf einmal drehte sich die Erdkugel und man landete in
Amerika.
„Ooch, du
hast aber ein blödes Programm“, maulte Adrian.
„Sei froh,
dass er sich die Mühe macht, du hast so was nicht drauf“, fauchte Kerstin, die
sich über Adrians Genöle ärgerte.
Robert
suchte noch ein wenig. Um Adrians Gemaule aus dem Weg zu gehen, drehte er das
Bild zurück nach Jerusalem und zeigte verschiedene Fotos von der Stadt.
„Das hier
ist die Klagemauer“, sagte er.
„Was hängen
da für komische Pflanzen raus“, fragte Kerstin.
„Das sind
Kapern, hat mir mein Freund Lukas erzählt, der schon einige Jahre in Jerusalem
wohnt und arbeitet.“, antwortete Roberto. „ Die Kapernpflanze ist bei den
Beduinen etwas ganz besonderes. Sie wächst an Felsen in der Wüste und hat schon
manchmal Leben gerettet. Man sagt, wer eine Kapernpflanze zerstört ist des
Todes.“
Robert
zeigte noch etliche Bilder von der Klagemauer, da meldete sich Frau Winter zu
Wort: „Ich habe mal in einem Vortrag gehört, dass die Besucher in die Ritzen
der Klagemauer Zettel mit Bitten stecken.“
„So was habe
ich auch schon gehört, aber ich halte das für Aberglaube“, sagte Roberto
barsch.
„Ist das
sowas, wie Weihnachten, wo man einen Wunschzettel schreibt“, fragte Robert.
„Ich denke
nicht“, erwiderte Frau Winter, „Schau mal, Weihnachten wünscht man sich eine
Puppe, ein neues Fahrrad oder ein Spiel“.
„oder
Playmobil, eine Playstation, eine x-Box oder ein Handy“, ergänzte Leo.
„Hier
handelt es sich aber um Gebete“, erläuterte Frau Winter, „wenn jemand krank ist
oder wenn sich Eltern ein Kind wünschen
oder wenn man Sorgen hat oder wenn sich jemand um den Weltfrieden sorgt.“
„Was ist
denn daran Aberglaube“, fragte Kerstin, „ man kann doch Gott bitten wenn man
ein Problem hat, und danken wenn es das Gebet hilft.“
„Ja,
natürlich kann und soll man das. Mit Aberglauben meinte ich, dass die Zettel in
der Klagemauer besonders erhört werden sollen“, sagte Roberto.
„ In dem
Vortrag im Seniorenkreis hieß es, dass die Klagemauer die Rückseite des alten
Tempels ist, der vor 2000 Jahren hier gestanden hat. Und die Stelle, an der die
Männer beten, ist die Rückseite es Allerheiligsten Raumes, der Gott und in dem
der Hohepriester, der nur ein Mal im Jahr in diesem Raum sein durfte.“
„Was, Gott
darf nur einmal im Jahr in das Allerheiligste?“, fragte Kersten.
„Quatsch, der
Hohepriester“, mischte sich Adrian ein.
„ Die Frauen
beten zwar auch an der Klagemauer, aber sie haben daneben ihren eigenen Platz,
etwas weiter weg vom Allerheiligsten. Ich weiß aber nicht, ob man bei den
Frauen auch Zettel in die Mauerritzen steckt“, fuhr Frau Winter fort.
„Da haben
wir es wieder, die Männer, immer wieder die Männer. So eine Ungerechtigkeit“,
Kerstin ereiferte sich.
„Ach, unsere
Emanze schon wieder“, lachte Adrian.
„Adrian
Steinbrecher, ich hasse dich.“ Adrian winkte nur ab. Im Stillen tat es ihm
Leid, das er schon wieder mit Kerstin aneinander geraten war.
Leo mischte
sich ein: „Sag mal Roberto, man sagt doch auch, dass Jerusalem die Stadt Gottes
ist?“
„Ja“,
Roberto wurde hellhörig, denn in Leos Stimme war so etwas…
„ Na, dann
ist das doch ein Ortsgespräch, wenn man mit Gott in Jerusalem redet?“
Am nächsten
Morgen brachten die Pfadfinder Frau Winter, Franjo und Roberto zum Zug.
Natürlich waren alle vorsichtshalber zu früh im Bahnhof.
„Wo steckt
denn Franjo schon wieder“, fragte Roberto ärgerlich.
„Kerstin ist
auch weg“, sagte Miriam.
„Die sind
wahrscheinlich auf dem Klo“, sagte Leo beiläufig.
„Zusammen“,
fragte Roberto, aber da kamen sie gemeinsam wieder.
„ Man wo
steckt denn Franjo jetzt schon wieder“, regte sich Roberto ein wenig später
auf, doch da kam er mit Leo zur Gruppe zurück.
„ Also, ich
werde noch verrückt, der ist schon wieder weg“, Roberto wurde richtig laut.
Dieses Mal kam Franjo mit Adrian zurück.
„ Noch ein
Mal und wir bleiben zu Hause“, sagte Roberto.
Endlich kam
der Zug. Alle verabschiedeten sich, als würden die drei auf Weltreise gehen.
Miriam hatte Tränen in den Augen. Sie umarmte und küsste Roberto und flüsterte
ihn ins Ohr: „Vergiss den Zettel nicht.“
Im Flughafen
war es, besonders für Frau Winter, aufregend. Durch den Bombenanschlag und die
Ankündigung der Hamas waren die Sicherheitsvorschriften verschärft worden.
Jeder musste zwei Mal durch die Sicherheitskontrolle. Frau Winter hatte eine
Trinkflasche mit Wasser dabei. Das Wasser musste sie austrinken, denn es hätte
eine explosive Flüssigkeit sein können. Dann musste sie auch noch zur
Leibesvisitation. Zum Glück passte Alfreds Laterne in Robertos
Hartschalenkoffer, das brachte keine Probleme mit sich. Roberto fragte sich,
was das wohl werden wird, wenn sie wieder
zurück fliegen. Im Flugzeug hatten sie dann ihre Plätze eingenommen. Als die
Triebwerke aufheulten, krallte sich Frau Winter am Vordersitz fest und sah ganz
ängstlich aus.
„Ach, Frau
Winter, sie brauchen keine Angst zu haben“, sagte Roberto, „ bis jetzt sind
alle Flugzeuge wieder runtergekommen.“ Sie sah ihn mit großen Augen an, dann
lachte sie ein wenig und entspannte sich. Franjo war Fliegen gewöhnt, er hatte
einen Fensterplatz und sah interessiert nach draußen.
Endlich
setzte das Flugzeug zur Landung an. Frau Winter taten, vom langen Sitzen, die
Beine weh. Als sie ausgestiegen waren, war sie froh endlich wieder festen Boden
unter den Füßen zu haben.
Hoffentlich
kniet sie jetzt nicht nieder, um das heilige Land zu küssen, dachte Roberto.
Frau Winter sah aber irgendwie enttäuscht aus. Die Rollbahn aus Beton, in der
Ferne ein paar Palmen, in absehbarer Nähe die Abfertigungshalle, all das
hinterließ einen unheiligen, tristen Eindruck bei ihr.
„Keine
Angst, das ist nicht das ganze heilige Land, es wird schon noch schöner.“
„Ach, wissen
sie, Bruder Fischer, das ist ja dumm von mir. Irgendwie habe ich mir das
heilige Land anders vorgestellt, aber hier, wo die Flugzeuge starten und landen
kann ja keine Kirche stehen.“
„Meinen sie
denn, dass das Land heilig ist, wenn an jeder Ecke eine Kirche steht?“
„Das nicht“,
sagte sie, „aber der erste Eindruck hat so gar nicht meinen Erwartungen
entsprochen. Nun ja, schön warm haben die es ja hier.“
Die
Abfertigung bei der Einreise war ganz schön schwierig. Schon im Flugzeug wurden
Fragebögen ausgeteilt. Da sie in Englisch waren, musste Roberto alle drei
ausfüllen. Bei Frau Winter achtete man besonders darauf, ob sie vor 1928
geboren wurde, doch dafür war sie zu jung. Robertos Freund, Lukas, der in
Jerusalem lebte und arbeitete, hatte die Reise organisiert und keine
Reiseorganisation, deshalb fiel die Befragung durch die Beamten besonders
gründlich aus. Man hatte derzeit besonders viel Angst vor Terroranschlägen. Da
half es nichts, dass die drei so harmlos aussahen. Endlich waren sie aus dem
Flughafengebäude heraus. Franjo machte einen Salto. Man, wenn der auf den Kopf
fällt, dachte Roberto, da fiel ihm ein, dass sie keine Reisekrankenversicherung
hatten. Hoffentlich geht das alles gut.
„Herzlich
willkommen in Israel“, rief Lukas, der schon mit dem Auto wartete um die drei vom Flughafen abzuholen.
„Das
Abenteuer kann beginnen“, sagte Roberto.
„Ach, das
Leben mit dem Herrn Jesus ist doch immer ein Abenteuer“, sagte Frau Winter.
Franjo und
das Friedenslicht XXIV
Wenn einer
eine Reise tut, dann kann er was erzählen…
Matthias
Claudius
Als Lukas
die drei Passagiere und das Gepäck im Auto verstaut hatte, ging es los.
„Fahren wir
jetzt nach Jerusalem“, fragte Frau Winter.
„Nein“, antwortete
Lukas, „es geht erst mal nach Elat.“
„Ist das
weit“, war Frau Winters nächste Frage.
„Etwa 350
Kilometer“, sagte Lukas, Ehe Frau Winter weiterfragen konnte erklärte er:„Es
geht immer nach Süden, bis in die südlichste Ecke von Israel. Elat war zwar
schon eine Stadt unter König Salomo. 1948 gab es aber dort nur noch ein Haus,
nämlich die Zollstation des Osmanischen Reiches. Das osmanische Reich wurde
1918 vom britischen Mandat über Palästina abgelöst. Am 14. Mai 1948, einem Freitag, versammelte sich
der Jüdische Nationalrat im Stadtmuseum von Tel Aviv. Um 16 Uhr verlas David
Ben Gurion die Unabhängigkeitserklärung.
Damit war das heutige Israel gegründet. Noch in der Gründungsnacht erklärten
Ägypten, Saudi-Arabien, Jordanien, Libanon, Irak und Syrien dem neuen
Staat den Krieg. Dort, wo heute Elat steht, richtete die israelische Armee eine
Rollbahn für die Flugzeuge ein, um Truppen in den südlichen Teil des neuen
Landes zu bringen. Um die Rollbahn standen die Zelte der Soldaten. Mit der Zeit
wurden aus den Zelten Häuser, dann Hochhäuser, Hotels, eben die Stadt Elat. Im
Laufe der Zeit wurde die Stadt, wegen ihres Klimas, ein Touristenmagnet. Man
macht gern Urlaub in Elat, am Golf von Akaba.
Außerdem gibt es dort einen Hafen. In Sichtnähe liegen Jordanien, Saudi
Arabien und Ägypten.“
„Sagen sie,
Frau Winter“, Roberto wollte sie ein wenig necken, „ in welchem Buch der Bibel
ist denn eigentlich von Akaba die Rede?“
Frau Winter
überlegte eine Weile. „Ach, ich glaube
sie wollen mich veräppeln“, meinte sie. „Akaba kommt doch nicht in der Bibel
vor. War das nicht so ein Märchen ,wie das mit Sindbad, oder das mit dem
Aladin?“
Roberto
fühlte sich erwischt. Um abzulenken fragte er Lukas: „Sag mal ist das überall
so dreckig? Hier liegt ja ein Müll rum.“
„Das ist mir
auch schon aufgefallen“, mischte sich Frau Winter ein, „überall Plastiktüten.
Und überall ist es so trocken.“
„ Glauben
sie mir“, sagte Lukas, „früher sah das noch schlimmer aus Mittlerweile hat sich
schon viel verbessert. Seit es verrottbare Verpackungen gibt, geht es
eigentlich.
Hier im
Norden regnet es, wenn es in Europa Winter ist. Im Süden ist es viel trockener.
Manches Jahr fällt da überhaupt kein Tropfen Wasser. Im nördlichen Teil der
Negevwüste fällt über Nacht der Tau zu Boden. In Elat, im Süden, ist es so
trocken, dass es nicht mal den gibt.“
Franjo bekam
von der Unterhaltung nichts mit. Er sah sich das unbekannte Land während der
Fahrt an Als es zu dämmern begann, schlief er ein. Von weitem sah man die
Lichter von Akaba. Endlich fuhren die Reisenden in Elat ein. Das Hotel war zwar
geöffnet, doch durch die intefada gab es kaum Touristen. Deshalb war das
Restaurant geschlossen und die vier wurden in eine Gaststätte für Einheimische
geschickt. Hier war es ganz gemütlich. Ein Problem war die Bestellung. Außer
Lukas konnte niemand die Speisekarte verstehen, aber selbst der hatte Probleme
damit. Frau Winter hätte gern ein Schweineschnitzel
gehabt, doch Lukas erklärte ihr, dass die Juden kein Schwein essen. Freu Winter
fasste sich an den Kopf: „Da lese ich nun schon so viele Jahre die Bibel, aber
wenn es darauf ankommt, weiß ich alte Schachtel nicht, was drin steht.
Natürlich essen die Juden kein Schwein. Das Schwein ist doch kein Wiederkäuer.“
Franjo
interessierte sich nicht für die Diskussion. Er sah sich im Lokal um und zeige
bei der Bestellung auf das Essen, das ihm bei den Gästen am Nachbartisch
gefiel. So machten es die anderen dann auch. Alle aßen, da rüttelte Franjo
plötzlich an Robertos Ärmel. Der blickte auf und sah zwei Soldaten, die sich an
einen freien Tisch setzten. Sie hatten zwar eine Uniform an aber Badelatschen
an den Füßen. Die Gewehre, die sie mitgebracht hatten, legten sie unter den
Tisch. Roberto schüttelte den Kopf. Die
Badelatschen und die Art mit den Waffen umzugehen, erweckten in ihm ungläubiges Staunen.
Als sie ihre
Zimmer bezogen, Roberto und Franjo hatten zusammen ein Zimmer, Frau Winter
hatte eines und Lukas übernachtete bei Freunden, klopfte Frau Winter bei
Roberto. Ihr Koffer war kaputtgegangen. Roberto versprach ihr, am nächsten
Morgen einen neuen zu besorgen.
Früh klopfte
Frau Winter wieder. Da Franjo noch schlief, ließen sie ihn schlafen. Sie
schrieben ihm einen Zettel, er solle im Zimmer auf sie warten bis sie
wiederkämen. Den alten Koffer nahm Roberto mit nach unten und warf ihn in einen
Abfallcontainer, der am Rande der schmalen Straße hinter dem Hotel stand.
Als die drei
endlich mit dem neuen Koffer zum Hotel zurückkehrten wunderten sie sich, dass
die Straße hinter dem Hotel abgesperrt war und eine Menschenmenge an der
Absperrung stand. Franjo stand auch dabei und rannte auf die drei zu. „ Frau
Winters Koffer“, rief er, „sie sprengen Frau Winters Koffer.“ Roberto fragte
sich, wie Franjo zu der Information kam. Egal, stimmte. Wahrscheinlich hatte
jemand den Koffer aus dem Container
geholt und, als er feststellte, dass er nicht brauchbar war, auf der
Straße stehen gelassen. Jetzt war das Sprengkommando da und entsorgte ihn.
Franjo machte heimlich ein Foto. Das würde er noch brauchen, wenn er in der
Schule darüber berichtet, wie er das Friedenslicht geholt hat.
Am Vormittag fuhren die vier zum Baden. Lukas
kannte ein Bad, in dem man schnorcheln
konnte. Zwei Stege führten, im Abstand von ca. 100 Metern, ins Meer und
dazwischen war ein Seil gespannt. Wenn man von einem Steg ins Meer stieg, trieb
einen die Strömung langsam zum anderen Steg. Hatte man dabei Schwierigkeiten,
konnte man sich am Seil festhalten. Unterwegs gab es viele schöne bunte Fische
zu sehen. Kaum hatte Lukas erklärt wie alles funktionierte, war Franjo schon
unterwegs, sich eine Ausrüstung zu holen. Roberto und Lukas staunten, wie
selbstbewusst und selbstständig Franjo die Sache anging. Kaum war Franjo im
Wasser, fragte Frau Winter: „Ich bin ja eine alte Frau, aber wäre das nicht
auch etwas für mich?“
Roberto sah
sie ungläubig an. Er schüttelte mit dem Kopf. Lukas aber meinte: „ Probieren
geht über studieren.“ Er musste ihr dann dabei helfen, eine Ausrüstung zu
borgen doch das war leicht getan. Frau Winter ging sich umziehen. Das dauerte
lange. Dafür wurden die beiden Männer für die Warterei mit einem seltenen
Anblick belohnt. Frau Winter kam mit einem Badeanzug, der wahrscheinlich vor
vierzig Jahren modern gewesen war und mit einer Badekappe, an der ausgestanzte
Gummiteilchen befestigt waren, die wie Blümchen aussehen sollten. Roberto hielt
sich die Hand vors Gesicht. „Da hast du aber etwas angerichtet“, sagte er zu
Lukas. „ ein Glück, dass uns hier niemand kennt. Aber Hauptsache, die ertrinkt
uns nicht.“
Frau Winter
ertrank nicht. Sie hatte große Freude am Schnorcheln und den schönen Fischen.
Sie konnte nicht genug kriegen. Auch Franjo wollte nicht aus dem Wasser. Als
die vier sich im Schatten ausruhten zeigte Franjo auf die riesige jordanische
Flagge, die auf der anderen Seite der Bucht wehte.
„Ich weiß
nicht, ob die Fahne dazu da ist, den Israelis zu zeigen, dass dort Jordanien
ist oder ob sie mehr für Saudi Arabien gedacht ist“, sagte Lukas. Mit diesen
Worten begann er einiges von der Geschichte zu erzählen. „Die saudischen
Herrscher hatten den Jordanischen König vor 100 Jahren von seinem Thron in
Saudi Arabien vertrieben und die Engländer gaben ihm die Herrschaft in
Transjordanien, dem heutigen Jordanien,
dem Land über dem Jordan. Das jordanische Herrscherhaus sieht sich als
Nachkommen des Propheten Mohammeds und als rechtmäßige Herrscher von Saudi
Arabien. Demzufolge verstehen sich die Jordanier manchmal besser mit Israel,
als mit den Saudis.“ Franjo verstand sowieso nicht, was Lukas erzählte. Frau Winter war die hohe
Politik auch zuviel, da gingen die zwei lieber noch einmal ins Wasser und
verabschiedeten sich von den Fischen mit den wunderschönen Farben.
Am
Nachmittag fuhren die vier in einen Zoo in der Wüste, in dem Tiere, die in der
Bibel vorkamen gezeigt wurden. Als sie im Außengelände des Zoos ankamen, kam
eine Herde Strauße auf sie zu. „Frau Winter“, fragte Roberto, „werden in der
Bibel eigentlich Strauße erwähnt?“ Frau Winter hatte keine Antwort. Das ärgerte
sie, weil sie eigentlich immer auf Fragen über die Bibel eine Antwort wußte.
Als die Herde immer näher kam, gab Lukas Gas.
„Warum haust du denn ab, die sehen doch so nett aus“, sagte Roberto.
„Das denkst aber auch nur du“, sagte Lukas, „wenn sich ein Strauß in mein Auto
verliebt ist es fällig.“
„Warum
sollte sich denn ein Strauß in ihr Auto verlieben“, fragte Frau Winter.
„Sehen sie,
so ein kleiner Kopf und so ein großer Körper. Das Gehirn im Kopf ist ja noch
kleiner, da muss man sich nicht wundern. Strauße sind blöd aber sie haben viel
Kraft im Schnabel.“ Auf der Heimfahrt wählte Lukas die Strecke so, dass man die
Jordanischen Berge im Abendlicht leuchten sehen konnte.
„ Können sie
sich vorstellen welches biblische Volk in den Bergen gelebt hat“, fragte Lukas
Frau Winter. Sie musste verneinen und ärgerte sich, dass sie schon wieder eine
Frage zur Bibel nicht beantworten konnte. „Die Edomiter“, sagte Lukas. „Edom
heißt rot.“
„Wenn man
diese Berge sieht, dann versteht man das“, bemerkte Roberto.
„Wenn das mein
Herbert noch sehen könnte“, hauchte Frau Winter.
„So eine
schöne Reise, der Heiland ist so gut zu uns“, sagte sie dankbar.
Franjo und
das Friedenslicht XXV
Reisen ist tödlich für
Vorurteile.
Mark Twain (1835 - 1910)
Mark Twain (1835 - 1910)
„Was, zu
dir?“ Adrian konnte es nicht glauben, dass Robert die Pfadfinder zum
Israelabend eingeladen hatte. Noch nie war einer der Pfadfinder von Robert
eingeladen worden und jetzt gleich alle.
„Kommt ihr
nun oder kommt ihr nicht?“, fragte Robert.
„Natürlich
kommen wir“, sagte Kerstin. Sie wollte nicht nur sehen, was Robert aus dem
Internet von Israel herausgesucht hatte, sie war auch neugierig darauf, wie
Roberts Familie eingerichtet war.
Am
Donnerstag kam die Gruppe geschlossen an.
„Schuhe
aus“, kommandierte Robert, „sonst erschlägt mich meine Mutter.“
„Aua“, sagte
Leo und duckte sich, als wollte er einem Schlag ausweichen.
Kerstin
hatte kein Interesse an solchen Spielen. Sie ließ die Augen in der Wohnung hin
und her schweifen und kam aus dem Staunen nicht heraus. Es sah aus wie im
Katalog. Die Einrichtung musste richtig teuer gewesen sein.
„„Seid
leise, Mutti hat sich hingelegt. Adrian und Leo, könnt ihr mal den Fernseher in
mein Zimmer tragen“, fragte Robert.
„Das teure
Teil fasse ich nicht an“, sagte Adrian. „Wenn mir das aus der Hand fällt…“
„Hab dich
nicht so“, sagte Robert, „ dann gibt es eben ein neues.“
Adrian und
Leo nahmen den Fernseher und trugen ihn in Roberts Zimmer.
„Also, zu
Hause dürfte ich nicht an so ein teures Teil.“, sagte Leo.
„ Ich borge
ihn mir manchmal aus“, erwiderte Robert, „vor allem, wenn ich mit Nils
Autorennen spiele.“
Kerstin
legte eine Tüte Chips auf den Tisch und die Jungs hatten Cola mitgebracht.
Robert verkabelte den Laptop seines Vaters mit dem Fernsehgerät und bereitete
die Show vor. Er hatte sich auf einer Internetplattform einige Filme über
Jerusalem und Bethlehem und Israel ausgesucht. Die sahen sich die Pfadfinder
bei Chips und Cola an.
„Mach das
aus“, rief Kerstin und hielt sich die Augen zu. Ein Film zeigte wie ein
Attentäter mit einem Bulldozer Autos und Passanten überfuhr, bis ein
Sicherheitsbeamter in Zivil in das Fahrzeug kletterte und den Attentäter
erschoss. Robert schloss das Bild. Die Stimmung unter den Pfadfindern war
gesunken. Dieser Film bedrückte alle, vor allem weil jeder wusste, dass
das kein Spielfilm war, sondern echt.
„Und aus diesem Land holt Franjo das Friiiiedenslicht“, Adrian wollte lustig
klingen, doch in den Ohren der anderen war das eine berechtigte Frage.
Robert versuchte
die Stimmung wieder zu heben indem er nach einer Liveübertragung mittels Webcam
suchte. Nach einigem Suchen fand er eine Übertragung von der Klagemauer. Alle
sahen gespannt auf das Bild.
„Franio“,
schrie auf einmal Kerstin auf. Alle Pfadfinder sprangen von ihren Sitzen auf
und eilten zum Bildschirm.
„Nur gut,
dass wir den großen genommen haben“, bemerkte Robert.
An der
Klagemauer stand jemand, der möglicherweise wie Franjo aussah.
„Glaub ich
nicht“, sagte Leo.
„Natürlich“,
rief Karsten, „das ist doch seine Jacke.
„ Franjo ist
ja auch der einzige in der Welt, der so eine Jacke hat“, sagte Leo höhnisch.
Franjo
machte irgendetwas an der Klagemauer, drehte sich um und ging in Richtung
Kamera.
Kurz sah man
sein Gesicht.
„Da, hab ich
es euch nicht gesagt“, rief Kerstin, „sicher hat er meine Zettel in die Ritzen
gesteckt.“
„Deinen
auch“, riefen die anderen wie aus einem Munde und alle lachten laut.
Roberts
Mutter kam ins Zimmer, angelockt durch den Lärm. Im Zimmer saß eine Gruppe
fröhlich plappernder Jugendlicher, die immer etwas von einem Franjo erzählten
und darüber diskutierten, warum sie einen Roberto nicht sehen würden. Komisch,
sie wusste zwar davon, dass Robert zu den Pfadfindern gehörte, doch bis heute
hatte sie noch keinen zu Gesicht bekommen.
Sie ging wieder aus dem Zimmer und schloss die Tür leise.
Komisch,
dachte sie, eigentlich weiß ich viel zu wenig über meinen Sohn.
Wir sind ja
immer so sehr mit der Arbeit beschäftigt, dass kaum Zeit für ihn bleibt.
Roberts
Vater ist meist auf Montage und hat immer zu tun, wenn er zu Hause ist. Und die
Mutter hat neben ihrer regulären Arbeit noch zwei Nebenjobs.
Sie machte
sich einen Latte Macciato mit dem neuen
Kaffeeautomaten. Dabei sah sie sich um. Schön haben wir es zu Hause, aber das
hat eben seinen Preis. Eigentlich
arbeiten wir von früh bis spät. Aber was soll man denn machen, wenn man seinen
Lebensstandard halten will?
Es ist schon
verrückt, eigentlich hatten wir einen Traumurlaub. Tolles Hotel, wunderschöne
Strände, aber mein Mann und ich haben nur geschlafen und Robert hat irgendein
Computerspiel gespielt. Ob das nur wirklich richtig ist? Eigentlich haben wir
keine Zeit für einander. Klar haben wir alles, was wir wollen. Traumauto, Traumwohnung,
Traum Einrichtung. Das Leben vergeht wie im Traum, aber wir leben nicht wirklich. Ich wusste gar nicht,
dass Robert Freunde hat. Bisher kannte ich nur Nils, die Ratte. Der kam zu
Robert, fraß ihm die Chips weg und schlug sich den Bauch mit Cola voll. Dann
war er wieder weg. Aber er war eben Roberts einziger Freund. Nur gut, dass es
diese Computerspiele gab. Aber wer weiß, vielleicht wird er ja noch
Computersüchtig. Roberts Mutter bekam einen Schreck.
Mit der
Kaffeetasse in der Hand ging sie in Roberts Zimmer und beobachtete die
Pfadfinder, die eifrig diskutierten,
ohne sie zu beachten.
„Bevor wir
gehen, müssen wir aber noch darum beten, dass Franjo das Friedenslicht heil zu
uns bringt.“ Kerstin hatte das gesagt und alle stellten sich im Kreis auf.
Jeder bat Gott mit seinen Worten darum und alle sagten Amen. Roberts Mutter
wurde es heiß und kalt. Zuerst dachte sie, die Jugendlichen seien einem
religiösen Wahn verfallen. Aber kaum war
das Amen verklungen, nahmen die Pfadfinder sie wahr und fragten ob sie am
Freitag wiederkommen könnten. Sie wollten mit Roberto telefonieren. Also auch welche, die meinen
Robert ausnutzen, dachte Roberts Mutter. Robert sah ihren komischen
Gesichtsausdruck. „Kostet nichts, geht übers Internet, außerdem sind die anderen
nicht angemeldet“, beeilet er sich zu sagen. Roberts Mutter sah sich die Chips
und die Cola an. Nicht Roberts Marke, dachte sie. Anscheinend sind das doch
ganz anständige Kinder. Vielleicht ist das mit dem Beten heutzutage in die Mode
gekommen. Ich werde trotzdem mal mit Robert reden.
Am Freitag
kamen die Pfadfinder wieder und alle warteten auf die Verbindung. Robert
bereitete alles vor. „Voila“, rief er, „hier sind sie.“ Auf dem Bildschirm
erschienen Franjo, Frau Winter und Roberto. Roberts Mutter, die auch dabei war,
war überrascht, mit welcher Herzlichkeit die drei begrüßt wurden. Franjo zog
sich zwar bald zurück, nachdem er ein paar Grimassen gezogen hatte, aber Frau
Winter und Roberto sprudelten vor Begeisterung nur so über. Roberts Mutter
kannte Frau Winter flüchtig. Ihr wollte es nicht in den Kopf, wie begeistert
diese jungen Leute der alten Frau
begegneten, die doch nur im Pfarrhaus ihre knappe Rente aufbesserte. Die
Zeit verging und Roberto drängte darauf, dass sie Schluss machten. Er wollte noch
vor dem Abendessen mit Miriam telefonieren. „Danke Robert für den Tipp mit dem
Internet, ich hätte sonst einen Haufen bezahlen müssen. So haben wir hier bei
Lukas alles frei.“ Robert freute sich über das Lob und beendete die Verbindung.
Wieder stellten sich die Pfadfinder im Kreis auf und beteten inbrünstig für das
Gelingen der Unternehmung. Diesmal war Roberts Mutter nicht so überrascht wie
beim ersten mal. Und da sie sich beim Verlassen der Wohnung ein wenig
kabbelten, zerstreuten sich die Bedenken von wegen religiösem Wahn oder Sekte.
Frau Winter
und Franjo gingen schon ins Hotel, während Roberto mit Miriam telefonierte.
„Geht’s dir
gut“, fragte Miriam, „du siehst so schmal aus.“
„Mir geht es
prima. Du kannst dir gar nicht vorstellen, was wir alles gesehen haben. Aber am
meisten hat mich Frau Winter überrascht. Früher dachte ich, die kennt nur ihren
Herrn Jesus und ihre Scheuereimer, aber weit gefehlt. Ich weiß ja nicht, was
die zu ihrem Rentnernachmittag machen aber
die kennt sich ja in Israel besser aus als ich zu Hause. Aber weißt du, was am
schönsten war? Wir haben einen riesigen Wüstenkrater besucht. Ich dachte schon,
er stammt von einem Meteoriten. Aber der ist nur davon entstanden, dass seit
jahrtausenden das Wasser aus einem Gebiet von 300 Quadratkilometern alles in
diesen Krater fließt und Erde mitnimmt. Wir waren in einem Haus in dem ein
riesiges Modell von der Region stand. Als die Vorführung beginnen sollte, fiel
das Licht aus. Wir hörten alles, aber sahen nichts. Plötzlich drückte Franjo meine
Hand. Er saß ja im Dunkel und konnte auch nichts hören. Irgendwann ließ der
Druck nach, und als das Licht anging, lehnte er an Frau Winters Schulter und
die beiden waren eingeschlafen.“
„Hast du den
Zettel in die Klagemauer gesteckt?“
„Kannst du
dir vorstellen, die Pfadfinder haben mich beinahe erwischt.“
„Wieso?“
„Gerade als
wir dort waren haben die sich die Klagemauer per Webcam angesehen.“
„Und?“
„Sie haben
nicht. Aber du weißt ja, dass ich das mit dem Zettel für Unsinn halte.“
„Kann schon
sein, aber wie sagte Leo: In Jerusalem sind Gebete Ortsgespräche. Außerdem kann
es ja nichts schaden, wo wir uns doch so sehr ein Kind wünschen.“
„Dein Wort
in Gottes Ohr“, sagte Roberto.
„Na was
denkst du denn“, antwortete Miriam und zeigte ihm ihre gefalteten Hände.“
„Vergiss
nicht dafür zu beten, dass diese ganze Geschichte gut ausgeht“, sagte Roberto
und schaltete die Verbindung ab.
Franjo und
das Friedenslicht XXVI
Vom Glauben
zum Schauen
Athanasios,
der Stumme, stand in der Kirche und war verzweifelt. Der Mönch war nun schon
zwei Wochen hier in der Hochheiligen Geburtskirche und fühlte sich wie ein
alter Gegenstand in einer Abstellkammer. Letzte Woche waren hier noch viele
Gäste, doch jetzt schien niemand mehr Interesse für die Kirche zu haben. Er
wusste nicht, warum Gott ihn hierher verbannt hatte. Irgendwie war alles, wie
ein Verhängnis, über ihn gekommen. Seit über fünfzig Jahren war er in seinem griechischen Bergkloster. Dort war
seine Heimat, dort arbeitete er in der Küche und im Garten, fegte den Hof und
half den Brüdern, wo er konnte. Dann wurde der Abt krank, sicher würde er
sterben. Plötzlich, eines Abends machte man ihm klar, dass er mit einer Gruppe
von hohen Würdenträgern auf Reise gehen musste. Er packte seine sieben Sachen
und flog mit ihnen ein paar Stunden im Flugzeug. Nach einer aufregenden Fahrt
bei Nacht kam er hier, in Bethlehem, an und wurde bei einem Priester und seiner
Familie abgegeben. Die Familie des Priesters war freundlich zu ihm, doch
niemand verstand ihn. Keiner konnte sich ihm richtig verständlich machen. Er
bekam seine Mahlzeiten und man machte dem stummen Mönch klar, dass er in der
Kirche Wache halten sollte.
Athanasios
war verwirrt und in diesem Zustand kamen ihm alle möglichen Gedanken. Als Kind
wuchs er in einem Bergdorf mit Ziegen, Schafen und den anderen Kindern
auf. Die Ziegen und die Schafe konnten
mehr mit ihm anfangen als die Kinder. Die Alterskameraden konnten ihn nicht
leiden. Er war taub und verstand die anderen nicht. Da war er beim Spielen kaum
zu gebrauchen. Manchmal warfen sie Steine nach ihm. Auch seine Eltern konnten
nicht richtig damit umgehen, dass er nichts verstand. Sie brauchten ein Kind,
das man rufen konnte, das man schicken und mit wenigen Worten zur Arbeit
anleiten. Er war eine Enttäuschung für sie. Der einzige, der sich wirklich um
ihn kümmerte, war der Priester im Dorf.
Er bemühte sich um Athanasios. Trotz Schelten seiner Frau, die es lieber
gesehen hätte, dass er sich mit den eigenen Kindern beschäftigt, und nicht mit
so einem Blöden, nahm sich der Priester immer wieder Zeit für Athanasios. Sie
lernten sich mit Handzeichen zu verständigen. Der Priester bemerkte, dass
Athanasios überhaupt nicht dumm war, sondern nur nichts verstehen konnte. Im
Laufe der Jahre brachte er ihm sogar ein wenig Lesen bei. Als Athanasios im
richtigen Alter war, beschloss er, seinen Eltern nicht mehr zur Last zu fallen
und ging ins Kloster. Am Anfang war er nur Klosterknecht. Einige Mönche
dachten, dass er von Gott verflucht sei, weil er taub war. Außerdem wollten sie
ihn nicht aufnehmen weil er die heiligen Gesänge nicht mitsingen konnte. Der
junge Abt, der jüngste den das Kloster jemals hatte, nahm sich seiner an und
beschäftigte sich mit ihm. „Jesus hat die Tauben geheilt, das kann ich nicht“,
sagte er immer, „ aber ich kann wenigstens mit ihnen reden.“ Der Abt zeigte ihm
auch was es mit dem Singen auf sich hatte. Er nahm Athanasios Hand und legte
sie auf seine Brust, kurz unter dem Hals. Dann sang der Abt. Athanasios spürte
das Brummen, das dann durch den Hals und den Mund ins Freie drang. Der Abt
steckte den Stummen in die Küche und der lernte zu kochen. Er wurde darin
richtig gut. Das Kochen brachte ihm ein, dass er dann doch noch Mönch wurde.
Eines Tages wurde Athanasios krank. Statt seiner musste Georgios Küchendienst machen.
Der heilige Georg, sein Namenspatron war der Drachentöter. Auf den Ikonen sah
man immer den heiligen Georg wie er den Drachen erstach. Georgios hatte wohl
die Statur eines Drachentöters, aber zubereiten hätte er ihn nicht können. Die
Gebete der Mönche um Heilung des Athanasios wurden immer eindringlicher. Als er
wieder gesund war, stand nichts, und niemand, einer Aufnahme ins Kloster im
Wege. Natürlich hatte er Schwierigkeiten damit, dass er nichts hörte. Wenn die Mönche am Morgen in der Dunkelheit zum
Gebet gerufen wurden, musste man ihn immer extra wecken. Außerdem schlief er
während der Morgengesänge immer wieder ein. Man bestimmte einen Bruder, der ihm
immer wieder einen kleinen Schlag mit einer Gerte versetzte, um ihn zu wecken.
Je nachdem, wie die Stimmung des Bruders war, fielen die Schläge stärker oder
weniger stark aus. Dieses Kloster war
seine Heimat und hier wollte er begraben werden. Nur einen Wunsch hatte er:
Einmal den Segen sprechen, nur einmal das heilige Kreuzzeichen machen und damit
jemanden etwas geben, was nur er, Athanasios der Stumme, geben konnte.
Jetzt, hier
in der Kirche in Bethlehem, war er verzweifelt. Demut und Gehorsam hatte er
beschworen. Aber seine Wünsche waren hochmütig und ungehorsam. Er hatte sich
nicht unter Gottes Willen gestellt, sagte er sich immer wieder, und war der
Meinung, dass Gott ihn jetzt bestrafte. Was Athanasios nicht wusste war, der
Abt hatte gebeten seinen stummen Bruder auf die Reise ins gelobte Land
mitnehmen zu können. Als der Abt krank wurde hatte man ihn trotzdem
mitgenommen und zu spät gemerkt, dass
der Mönch ohne seinen Abt hilflos war. So hat man ihn in der Kirche geparkt ,
bis sein Aufenthalt in Israel zu Ende war.
Franjo, Frau
Winter und Roberto saßen auf den Bänken der Geburtskirche in Bethlehem und
wussten nicht mehr weiter. Lukas konnte nicht mit und hatte Roberto die Karte
von Bethlehem in die Hand gedrückt. Die drei fuhren mit dem israelischen
Mietwagen nach Bethlehem. Die erste Hürde war die große Mauer, die das
Palästinensergebiet umgab. Man fuhr zum Grenzpunkt und musste lange am
Checkpoint warten. Endlich wurden sie
hineingelassen. In Bethlehem hatten sie die Orientierung verloren. Plötzlich
setzte sich ein Auto vor sie, weil man ihr israelisches Nummernschild bemerkt
hatte. Der Fahrer gab ihnen ein Zeichen, dass sie anhalten sollten.
„Jetzt
werden wir entführt“, entfuhr es Frau Winter, die ganz blass wurde. Auch
Roberto verlor die Farbe im Gesicht. Es kam aber ganz anders. Der Fahrer des
Autos bot ihnen an, sie zum Parkplatz, nahe an der Geburtskirche, zu bringen.
Sie fuhren an einer Schule vorbei. Die Kinder, die man sonst im Fernsehen, mit
Steinen werfen sah, nahmen überhaupt
keine Notiz von ihnen. Es dauerte gar nicht lange, da waren sie schon
angekommen. Frau Winter wollte dem Mann Geld geben, doch der lehnte ab. Sie
sollten stattdessen eine Führung durch die Geburtskirche mitmachen, die ihnen
ein Cousin des Fahrers aufdrängte. Auch der wollte kein Geld, doch sie sollten
im Laden eines anderen Cousins ein Souvenir kaufen. Roberto wurde ungeduldig,
denn irgendwann würde die Delegation ankommen, die das Friedenslicht
entzündete. Die müsste er ansprechen, damit sie ihnen das Licht geben. Der
Laden war nicht weit von der Kirche weg. Aber der Ladenbesitzer war übereifrig
und wollte natürlich viel verkaufen. Er sprach ununterbrochen. In gebrochenem Englisch erzählte er, um
Mitleid zu erregen, dass er fünf Kinder
hatte. Nach einer Minute waren es sechs und binnen Kurzem waren es zehn Kinder.
Roberto und Frau Winter saßen wie auf Kohlen. Frau Winter entschloss sich eine
Krippe aus Olivenholz mit Maria und Joseph zu kaufen. Natürlich war es die
größte und teuerste, fühlte sie sich den freundlichen Reiseführern doch
verpflichtet. Roberto musste das sperrige Monstrum tragen, denn Frau Winter war
es zu schwer. Sie eilten zur Geburtskirche zurück und sahen noch, wie die
Delegation der Pfadfinder aus der Kirche
kam. Roberto ging, mit der Krippe im Arm, zu den Leuten, die das Licht schon
hatten, um zu fragen ob sie schon mal
vorab das Licht mit Franjo teilen. „Das geht doch nicht, so würden wir
doch die ganze Aktion kaputt machen“, war die Antwort. „Nächstes Jahr kommen
dann mehr und mit jedem Jahr wächst der Friedenslichttourismus nach Bethlehem.
Kommt nächste Woche nach Wien zum Aussendungsgottesdienst.“
Was sollten
die drei nun machen? Franjo stand ratlos mit Alfreds Laterne in der Hand herum
und weder Frau Winter noch Roberto hatten eine Idee. Gemeinsam gingen sie in
die Geburtskirche. Niemand hatte jetzt noch Augen für die Ikonen, die Lampen an
den langen Ketten oder die Mosaike. Nach einer Stunde ratlosen Wartens, in der
Kirche, sagte Roberto:
„Wir gehen
jetzt runter, ich nehme eine Kerze mit und dann holen wir das Licht von der
Flamme, in der Geburtsgrotte. Sonst bekommen wir nie Feuer in Alfreds Laterne.“
Franjo
schüttelte heftig mit dem Kopf. Das war keine Lösung. Irgendwie kam das auch
Frau Winter und Roberto unpassend vor, doch keiner wusste Rat. Frau Winter
faltete die Hände und betete: „Herr Jesus, wir wissen nicht weiter, hilf uns
doch bitte.“ Der Herr Jesus schien aber auch nicht helfen zu wollen. Wieder
verging eine halbe Stunde und Frau Winter war inzwischen geneigt, Robertos
Vorschlag zu unterstützen. Beide redeten
auf Franjo ein und zeigten ihm mit Handzeichen, dass sie jetzt zur Grotte gehen
und das Licht holen würden. Franjo wehrte sich dagegen. Er war richtig bockig.
Das Licht von Bethlehem ist doch nicht irgendein Licht! Die ganze Situation
spielte sich fast lautlos, in Gebärden, ab, da Franjo sowieso nichts versteht.
Niemanden wäre diese Auseinandersetzung aufgefallen. Es war, bis auf eine
Putzfrau, sowieso keiner in der Kirche. Doch, da war noch jemand. Athanasios
war immer noch in seine trübsinnigen Gedanken versunken und meditierte wieder
darüber, dass der Herr ihn verstoßen hat, weil er nur einmal in seinem Leben
den Segen spenden und etwas Besonderes geben, bzw. sein wollte. Plötzlich fiel
ihm die kleine Gruppe auf, die sich wild gestikulierend unterhielt. Der Kleine
wollte Licht in seine Laterne haben. Sicher von unten, aus der Grotte in der
unser hochheiliger Herr geboren wurde. Aber es war keiner da, der es ihm geben
konnte. Niemand ist würdig genug diesem Jungen das Licht zu geben. Da entdeckte
er, dass er genau verstand, was da vorging. Gleich danach merkte er, dass
dieser Junge taub sein musste. Der Kleine war also auch wie er. Auf einmal fiel
es ihm wie Schuppen von den Augen. Der, der diesem Jungen das Licht geben
musste war er, er Athanasios. Voller Freude nahm er sich eine dünne Kerze, die
die Pilger sonst anzündeten, um sie in der Kirche zurückzulassen, eilte zur
Gruppe, zupfte Franjo am Ärmel und zog ihn durch das Kirchenschiff und die
Treppe hinab zur Geburtsgrotte. Frau Winter und Roberto folgten. Unten
angekommen stellte sich Athanasios vor die Stelle, an der der Kupferne Stern
auf dem Marmorboden lag, aus dessen Mitte die Flamme schlug. Franjo kniete sich
vor den Mönch, der die Kerze am Licht von Bethlehem an der Flamme entzündete
und es in Alfreds Laterne gab. Danach legte er die Hände auf Franjos Kopf,
segnete ihn, schlug das heilige Kreuzeszeichen und segnete dann auch Frau
Winter und Roberto. Er breitete die Arme aus, als ob er der ganzen Welt den
göttlichen Segen spenden wollte. Die Zeremonie verlief völlig lautlos, doch war
sie unendlich feierlich. Frau Winter
begann auf einmal an zu weinen. Auch aus Athanasios Augen lief eine Träne. Er
wusste jetzt, dass Gott ihn nicht verlassen hatte. Irgendwie hatte er das
Gefühl, Gott hätte ihm einen Kuss auf die Stirn gegeben.
Roberto war
froh, dass die Fotos von der Entzündung des Friedenslichtes ohne Blitzlicht
gelungen waren. Er hätte sich geschämt solch einen feierlichen Augenblick mit
Blitzlichtgewitter zu stören.
Als die drei
wieder im Auto nach Jerusalem fuhren, sagte Roberto:
„ Wenn ich
nur wüsste wie wir das Licht ins Flugzeug bekommen. Das wird doch nie etwas.“
Plötzlich
schimpfte Frau Winter: „Jetzt wird es aber endlich Zeit, dass sie unserem Herrn
Jesus vertrauen, Bruder Fischer!“
„Wenn das
nur so einfach wäre…“
Franjo und
das Friedenslicht XXVIII
„Endlich wieder zu Hause“. Roberto stieg langsam aus dem Auto aus und
nahm Franjo vorsichtig Alfreds Laterne mit dem Licht ab. Kaum waren Franjo und
Frau Winter ausgestiegen, kam Karsten um die Ecke gerannt und rief: „wir müssen
schnell zu Herrn Grosser, er stirbt.“ Franjo und Karsten liefen mit der Laterne
in der Hand zu Grossers. Als die beiden in die Stube kamen, hob Herr Grosser
den Kopf ein wenig vom Kissen und sah in Richtung Tür. Man konnte erkennen, wie
sich das Licht in seinen Augen spiegelte und ein Lächeln um seinen Mund spielte.
„Das Licht“, sagte er und: „Alfred“. Dann ließ er den Kopf wieder auf das
Kissen fallen und war tot. Es war, als hätte er nur noch auf das Eintreffen des
Friedenslichtes gewartet, um dann zu sterben. Nun lag er da und von ihm ging
ein Frieden aus, wie man das nicht von einem Toten erwartet hätte. Herrn
Grossers Tochter ging zur Nachbarin, die ihr versprochen hatte zu helfen, wenn
der Vater stirbt. Franjo stellte das Licht auf den Nachttisch. Karsten und
Franjo blieben am Bett stehen. Niemand hatte ihnen erklärt was eine Totenwache
ist, und warum man so etwas macht. Die beiden bleiben stehen weil sie das
Gefühl hatten, dass es genau das Richtige war, jetzt hier zu sein. Sie waren
einfach nur da und überlegten sich nicht ob sie für Herrn Grosser, für Alfred oder
für die Menschen standen, die überall auf der Welt bei Kriegen und Revolutionen
ermordet worden waren. Sie standen mit dem Friedenslicht an Herrn Grossers Bett
und hatten das Gefühl, dass sie etwas Wichtiges taten. Nach einer halben Stunde kam Frau Grosser und
schickte die Jungen heim.
Am Abend trafen sich die Pfadfinder bei Roberto und Miriam, und die drei Reisenden mussten berichten, was
sie erlebt hatten. Franjo erzählte seinen Freunden, dass er jetzt den Vortrag
für die Schule machen muss. Robert erklärte sich bereit die Bildbearbeitung zu
übernehmen und Frau Winter sagte: „ Mach es wie der Herr Jesus. Der hat eine
Geschichte erzählt und alle haben begriffen was er gemeint hat.“ Am Ende hatten
sich Robert, Adrian, Leo, Franjo und Frau Winter geeinigt, den Vortrag bei
Robert vorzubereiten. Kerstin konnte nicht, weil es ihrem Bruder sehr schlecht
ging und Roberto wollte sich nicht einmischen. Außerdem war es ihm wichtig viel
Zeit mit Miriam zu verbringen.
Am nächsten Tag war das erste Treffen bei Robert. Robert war ganz
eifrig und hatte schon die Fotos von der Datei einsortiert, die Franjo ihm
gegeben hatte. Frau Winter staunte über die schöne Wohnung und die teure
Einrichtung. In Roberts Zimmer ging es
hoch her. Alle redeten immer wieder durcheinander. Obwohl Franjo hörgeschädigt
war, verstand er schon was die Einzelnen wollten und er machte ihnen klar, dass
es sein Vortrag war. Als Frau Winter vorschlug die Geschichte des
Friedenslichtes zu erzählen und Herrn Grosser, der auf das Licht gewartet hatte
in den Mittelpunkt zu stellen, fand das allgemeine Zustimmung. Franjo wollte,
dass jeder Pfadfinder erzählte, warum er auf das Friedenslicht wartete. Robert
schlug vor, ein Interview mit jedem zu machen und so zu beginnen. Langsam
gewann der Vortrag an Gestalt. Roberts Mutter saß auch dabei, weil sie an
dieser Friedenslichtgeschichte Interesse hatte. Außerdem sah sie sich gern
Bilder an. Als die Pfadfinder wussten, was sie wollten und sich den technischen
Details widmeten, lud sie Frau Winter zu einer Tasse Latte macciato ein. „Ich
mag keinen Alkohol“, sagte Frau Winter, die nicht wusste was Latte macciato
ist. „ Keine Angst, das ist doch nur ein italienischer Milchkaffee.“ „Oh, einen
Kaffee könnte ich jetzt gut gebrauchen“, sagte Frau Winter.
Als die beiden beim Kaffee saßen, fragte Roberts Mutter: „Sagen sie
mal, Robert hat mir erzählt, sie hätten darum gebetet und dann ist Franjo nach
Israel gefahren?“
„Wie meinen sie das?“, fragte Frau Winter.
„ Ja, irgendwie hätten sie gar nicht gekonnt aber durch das Gebet wäre
das alles möglich geworden?“
„Also“, sagte Frau Winter, „ so einfach ist das nicht. Ich habe für die
Kinder gebetet. Jedes von ihnen hat Probleme und Sorgen. Manchmal haben sie
niemand, mit dem sie darüber reden können. Mich hat das alles so traurig
gemacht. Als dann Franjo zu mir kam und mir all das erzählte, was ihn bedrückte
und was seine Freunde bewegt hat, habe ich mit ihm gebetet und alles nahm
seinen Lauf.“
„Wollen sie mir sagen, dass man betet und dann geht alles von allein?“
„Nein überhaupt nicht. So etwas kann passieren, muss aber nicht.
Manchmal betet man und hat das Gefühl, dass die Gebete an der Zimmerdecke
kleben bleiben.“
„Ach so, darum sind die Kirchen so hoch, da spürt man das nicht so.“ Roberts Mutter wurde
rot, als sie merkte, was sie für einen Stuss geredet hatte.
Frau Winter ließ sich nicht beirren. „Manchmal betet man für eine Sache
auch viele Jahre, ehe sich etwas bewegt und in der Bibel steht `Betet und
arbeitet´. Martin Luther hat gesagt: `Betet, als ob alles arbeiten nichts nütz
und arbeitet, als ob alles Beten nichts nützt´.“
„War denn Martin Luther auch Christ“, fragte Roberts Mutter. Und nach
einer Weile fuhr sie fort nachzudenken: „Wenn so ein berühmter Mann so etwas
sagt, dann muss ja etwas dran sein.“
Zwei Tage danach kamen Franjos Eltern aus Russland wieder. Franjo war
gerade bei Robert. In der Eile hatte er
Alfreds Laterne im Flur auf dem Boden abgestellt, denn am Vormittag hatten die
Pfadfinder noch ein Foto mit Alfreds Laterne gemacht.
„Was soll denn das hier? Der Junge spinnt wohl? Wie kann der denn eine
Kerze mitten auf den Boden stellen.“
Franjos Vater wollte das Friedenslicht löschen.
„Halt“, rief Franjos Mutter. „Was kann denn Franjo dafür, dass das
Geschäft mit den Russen den Bach runter gegangen ist? Du kannst doch jetzt
deine schlechte Laune nicht an ihm auslassen. Die Kerze bleibt an.“
„Was soll denn dieser Unsinn? Soll denn die ganze Bude abbrennen?“
„ Mach dir nicht ins Hemd, diese Kerze brennt überhaupt nichts ab. Aber
sie zeigt, dass du keine Ahnung von deinem Sohn hast. Seit wir entdeckt hatten,
dass er nicht hören kann. ist er Luft für dich und jetzt willst du alles kaputt
machen, was er aufgebaut hat.“
Franjos Mutter geriet in Wut. Die beiden hatten sich in Russland nicht
gut verstanden, schon bevor das Geschäft geplatzt war. Danach wurde es noch
schlechter. „Immer verkriechst du dich in deine Arbeit. Für Franjo und für mich
ist ja schon lange kein Platz mehr. Ich bin ja noch schmückendes Beiwerk für
dich, doch deinen Sohn versteckst du lieber.“
„Fang jetzt nur nicht mit meiner Arbeit an. Was glaubst du denn, für
wen ich mich tagaus tagein abrackere?“
„Für uns jedenfalls nicht. Irgendwann sind wir alt, haben zwar alles,
aber wir sind Fremde unter einem Dach. Du weißt nicht, was deinen Sohn mit
dieser Laterne und dem Licht darin verbindet. Du hast ja keine Ahnung. Während
wir uns in Russland eine blutige Nase geholt haben, hat er das unmögliche
möglich gemacht. Ohne Geld und ohne Begleitung ist er nach Bethlehem gefahren
und hat in der Geburtskirche dieses Licht entzündet, um es am Heiligen Abend in
der Kirche zu verteilen. Aber wie solltest du so etwas auch wissen, dein Sohn
ist ja Luft für dich. Und jetzt willst du das alles kaputt machen.“
„Meinst du nicht, dass wir unsere Meinungsverschiedenheiten wie
vernünftige Menschen klären sollten?“
„Meinungsverschiedenheiten? Merkst du gar nicht, dass wir nichts
Gemeinsames mehr haben als die Tatsache, dass wir die Nacht gemeinsam in diesem
Haus verbringen?“
„Ich will gar nichts kaputt machen und ihr seid doch die wichtigsten
Menschen in meinem Leben“, erwiderte Franjos Vater, der plötzlich unsicher
wurde.
„Dein Sohn interessiert dich nicht und ich? “, sagte Franjos Mutter.
„ Das stimmt ja gar nicht. Mit ihm kann ich nur nichts anfangen. Er
versteht mich doch nicht“
„Das ist doch kein Wunder, du gehst ihm doch immer aus dem Weg.
Irgendwann könnte es sein, dass du ihn brauchst und er wird sich von dir
abwenden, wie von einem Fremden denn ihr seid euch fremd.“
„Und was sollte ich deiner Meinung nach tun?“
„Ich glaube es wird nicht leicht, vielleicht fängst du damit an, ihn
nach dem Licht zu fragen.“
Als Franjo nach Hause kam, warteten seine Eltern auf ihn. Er konnte es
nicht glauben, dass sein Vater sich für die Reise nach Israel interessierte.
Franjo fühlte sich unwohl, da er noch nie erlebt hatte, dass sein Vater etwas
von ihm wollte. Als er ihn dann anbot, die Bilder zu bearbeiten und zu drucken,
das eine völlig neue Situation für ihn, und er stimmte nur widerwillig zu.
Franjos Vater war es ernst damit ,sich von nun an mehr um seinen Sohn zu
kümmern. Er nahm sich am nächsten Tag Zeit, obwohl er eigentlich alle Kräfte
gebraucht hätte, um die Schlappe mit den Russen auszubügeln. Fast zwei Stunden
brauchte er, um die Bilder zu drucken und den Vortrag für die Schule
vorzubereiten. Am Ende war er stolz auf den Vortrag. Damit würde sich sein Sohn
sehen lassen können. Umso größer war die Enttäuschung als Franjo kategorisch
ablehnte den Vortrag seines Vaters zu halten. Franjos Vater begann seinen Sohn
anzuschreien. Franjos Mutter lachte, denn Franjo konnte es ja nicht hören. Das
Lachen brachte ihn wieder zur Vernunft. „Was soll ich denn machen?“
„Hast du deinen Sohn gefragt ob er deine Hilfe will?“
„Wieso, er ist doch mein Sohn?“
„Du hast dich mehr als zehn Jahre nicht um ihn gekümmert, meinst du das
könntest du in zwei Tagen aufholen?“
„Und was sollte ich deiner Meinung nach machen?“
„Gib ihm Zeit, gib uns Zeit. Als erstes könntest du ihn zur
Weihnachtsfeier in die Schule begleiten. Die Aula ist nicht groß, da darf immer
nur ein Elternteil mitkommen.“
Franjo brauchte etwas Zeit um zu akzeptieren, dass er in diesem Jahr,
gerade da wenn er das Friedenslicht austeilen würde, von seinem Vater begleitet
wird.
„Oh, es freut mich, dass sie uns die Ehre geben“, sagte der Direktor
der Schule zu Franjos Vater. „Bisher hatte ihre Frau sie würdig vertreten…“
„Na ja die Geschäfte…“
„ Umso mehr ehrt es uns, wenn uns unser Hauptsponsor besucht.“
„ Hauptsponsor? Also, die sozialen Sachen macht meine Frau.“
„ Da wissen sie wohl nicht so recht, was sie uns alles Gutes getan
haben? Wenn sie wollen, führe ich sie gern durch die Schule.“
„Machen sie sich nur keine Umstände.“
„Das sind keine Umstände. Heute haben wir noch einen Gast, Herrn Dr.
Wagner, den Staatssekretär beim Kultusministerium. Er wollte sich unsere Schule
ansehen und hat große Interesse an der Sache mit dem Friedenslicht.“
„Wenn das so ist, wollen wir uns
mal ansehen, was wir alles gesponsert haben“, sagte Franjos Vater und zwinkerte
mit einem Auge.
Nach dem Rundgang, bei dem die Gäste erfuhren, dass Franjo schon den
ganzen Morgen seine Lehrer nervte, um alles perfekt hin zu bekommen, nahmen
alle in der Aula Platz.
Endlich war es so weit. Franjos Vortrag konnte beginnen. Er stand auf
der Bühne. Der Raum wurde abgedunkelt und Franjo stand in einem Lichtkegel. Für
die Gäste, die keine Gebärdensprache konnten übersetzte Franjos
Klassenlehrerin, die im Dunkel saß. In Gebärdensprache erzählte seinen
Mitschülern vom Friedenslicht. Zuerst wurden die Pfadfinder interviewt. Robert
hatte dazu kleine Filme mit dem Videogerät aufgenommen. Sie sagten warum es
jedem einzelnen wichtig war, dass Franjo
das Friedenslicht holte, und es in ihren Ort und in ihr Leben kommt. Dann kam
die Geschichte von Herrn Grosser. Danach wurde die Reise Bild für Bild erzählt.
Besonders berührend war es, als der Mönch Athanasios Franjo die Hände aufgelegt
hatte und ihn und das Licht segnete. Franjos Vater hatte auf einmal das
Bedürfnis dieses Licht und diesen Segen zu bekommen und das nicht nur
äußerlich, er wollte, dass es in ihm drinnen hell würde. Dann berichtete Franjo
noch vom Tod des Herrn Grosser und dem Frieden, den er ausstrahlte nachdem er
verstorben war. Am Schluss war ein Foto zu sehen auf dem alle Pfadfinder in
Pfadfinderuniform hinter dem Licht standen
und jeder eine Öllampe in der Hand hielt, die Frau Winter ihnen aus
Israel mitgebracht hatte. Franjo erzählte, dass alle am heiligen Abend das
Licht in der Kirche austeilen würden, und dass die Gehörlosen sich die Flamme
jetzt schon mitnehmen können. Dann verblasste das Bild und die Projektionswand
ging nach oben. Die Laterne mit dem Licht blieb aber immer noch zu sehen, weil
sie hinter der Wand aufgestellt war. Franjo und ein Lehrer hatten den ganzen
Vormittag gebraucht, um diesen Effekt zu proben und alles genau einzurichten.
Die Zuhörer waren sehr beeindruckt. Die, die hören konnten applaudierten
kräftig und die Gehörlosen hoben ihre Hände und bewegten die Handflächen in
‚Richtung Bühne, hin und her, um ihren Applaus zu zeigen.
„ Sicher haben sie sich viel Mühe gemacht um ihrem Sohn das
vorzubereiten. Aber ich muss ihnen sagen, er hat das klasse präsentiert“, sagte
Dr. Wagner zu Franjos Vater.
„ Sie irren sich, den Vortrag, den ich vorbereitet hatte, hat er
kategorisch abgelehnt. Soweit ich weiß, hat er sich das mit der Putzfrau der
Kirchgemeinde und seinen Pfadfinderfreunden ausgedacht.“
„ Alle Achtung“, sagte Dr. Wagner, „ da können sie aber sehr stolz auf
so einen Sohn sein!“
Franjo und
das Friedenslicht XXIX
Er wird das
Herz der Eltern den Kindern zuwenden und das Herz der Kinder den Eltern. Er
wird beide mitein-ander versöhnen, damit ich nicht das ganze Volk vernichten
muss, wenn ich komme. Maleachi. 3.24
Die Bibel
Endlich war
es so weit. Die Pfadfinder standen aufgeregt in der Sakristei der Kirche und
warteten darauf, dass das Krippenspiel begann. Franjo und Karsten holten noch
Alfreds Laterne von Herrn Grossers Grab. Am Tag vor Heilig Abend war die
Beerdigung und die Pfadfinder hielten es für ihre Pflicht, dabei zu sein. Außer
Pfarrer Steinbrecher, Herrn Grossers Tochter und Frau Winter waren nur ein paar
alte Leute erschienen. Der Pfarrer hielt eine Predigt, die er noch mit Herrn
Grosser besprochen hatte. Dabei erzählte er davon, dass Herr Grosser immer
wieder um Christen gebetet hat, die es ernst nehmen mit Gott, die glauben, dass
er etwas verändert, wenn man betet, die nicht nur fromme Worte machen, sondern
auch für andere einstehen und die immer
wieder aufeinander zugehen, auch wenn sie sich mal streiten. Herr Grosser hatte
dafür über dreißig Jahre gebetet. Jetzt, in seiner Trauerpredigt ließ er den
Pfadfindern ausrichten, dass sie den Weg, den sie beschritten hatten nicht
verlassen sollen. „Wenn ihr eines Tages sterben werdet, und vor euren Schöpfer
tretet, werde ich da sein und euch fragen ob ihr den Weg verlassen habt, auf
dem ihr jetzt seid“, war das Wort, das Herr Grosser den Pfadfindern noch nach
seinem Tod mitgab. Im Pfarrhaus hatten Frau Winter und Herrn Grossers Tochter
ein paar belegte Brote vorbereitet. Auf dem Weg dahin sagte Leo: „Wisst ihr wie
man so etwas nennt?“
„ Nö“, sagte
Kerstin.
„Na
Leichenschmaus.“
„Ein Glück,
dass wir das nicht wörtlich nehmen müssen“, bemerkte Adrian.
„Iih, du
Schwein“, rief Kerstin und stupste ihn mit dem Ellenbogen in die Rippen.
Nach dem
Leichenschmaus brachten die Pfadfinder Alfreds Laterne auf den Friedhof und
stellten sie auf das Grab, das inzwischen zugeschaufelt worden war. Sie hatten
beschlossen das Friedenslicht, das Herrn Grosser so viel bedeutet hat, bis zum
Gottesdienst am heiligen Abend auf dem Grab zu lassen. Adrian konnte das Grab
von seinem Zimmer aus sehen, so bekam er den Auftrag ein Auge darauf zu werfen. Zwar gab es
Bedenken, jemand könnte das Licht stehlen aber es gab ja noch ein Ersatzlicht
bei Roberto und Miriam. Zum Glück kam niemand auf die Idee, die Laterne vom
Grab zu nehmen, und das Licht war auch nicht erloschen. Franjo und Karsten
kamen kurz vor dem Gottesdienst mit der Laterne in die Kirche. Alle freuten
sich nun darauf, dass das Krippenspiel anfangen und dann das Licht ausgeteilt
werden sollte. Nur Kerstin saß missmutig
in einer Ecke, ihr war zum Heulen zumute. Roland, ihr Bruder, war heute morgen,
wieder wegen dieser blöden Mukoviszidose, ins Krankenhaus eingeliefert worden,
es war schon wieder schlimmer geworden. Die Eltern waren natürlich mitgefahren.
Sie wussten, dass Kerstin sich selber helfen konnte, und so blieb sie den
ganzen Tag allein. Sie hatte die Wohnung geschmückt und sich dann auf den
Gottesdienst vorbereitet, da war ihr die Zeit nicht lang geworden. Bisher war
sie nur traurig, dass ihre Eltern und ihr Bruder nicht dabei sein würde, wenn
sie Maria spielte. Doch nun wusste Kerstin nicht, wo sie den heiligen Abend
verbringen wird, das machte sie wütend und traurig zugleich. Auf alle Andeutungen, die sie
Miriam gegenüber gemacht hatte, hatte diese nicht reagiert. Kerstin hatte den
Eindruck, dass Roberto und Miriam sie nicht mehr leiden konnten. In ihrer
Trauer und Wut kamen ihr die Tränen. Adrian spürte, dass etwas mit seiner Maria
nicht stimmte und er sah, dass sie Tränen in den Augen hatte.
„ Fang nur
nicht an zu heulen“, sagte er, „ sonst gehst du noch als Maria, die
tränenreiche, in unsere Geschichte ein.“
„Hör nur
auf, mit deiner großen Klappe, du hast ja keine Ahnung“, fauchte Kerstin ihn
an.
Adrian bekam
ein schlechtes Gewissen weil sein Scherz
offensichtlich daneben ging.
„Was ist
denn los?“, fragte er.
„Ich bin
heute Abend ganz allein. Meine Eltern sind bei Roland, im Krankenhaus, und
keine Sau interessiert sich für mich.“ Adrian fühlte sich hilflos, ein Gefühl,
dass er gar nicht leiden konnte.
„ Ich bin
auch nur mit meinem Vater zusammen, meine Mutter muss arbeiten und er bereitet
die Predigt für morgen vor, also im Grunde auch allein.“
„ Und ich
habe Angst davor mit meinen Eltern zusammen zu sein“, schaltete Leo sich ein,
„seit Mutti weg ist, sind die zum ersten Mal wieder zusammen. Ich glaube die
wollen wieder zusammen kommen, aber sie stellen sich an…. Das ist auch nicht
prickelnd mit den zweien Weihnachten zu feiern.“
„Wie wär’s
denn wenn wir uns nachher treffen und unseren eigenen heiligen Abend feiern?“
fragte Adrian, der stolz auf diese Idee war.
„ Achtung!
Gleich geht es los“, rief Miriam flüsternd in die Sakristei. Sie hatte noch
einmal die Requisiten geprüft und gab jetzt den Startschuss. „ Kerstin, ich
habe gerade deine Eltern und deinen Bruder getroffen. Sie sind in der Kirche.
Nach dem Gottesdienst müssen sie wieder ins Krankenhaus. Sie wollen dann das
Friedenslicht mit in die Klinik nehmen.“
Kerstin
strahlte.
Robert lugte
noch einmal kurz aus der Sakristeitür. Seine Eltern saßen in der Kirche und sein Vater hatte die
Videokamera in der Hand. Am Nachmittag gab es fast noch Krach wegen der Kamera.
Zu den Krippenspielproben hatte Robert die Kamera mitgenommen und die
Pfadfinder hatten sich beim Spielen aufgenommen. Das hatte den
Krippenspielproben eine ganz andere Dimension gegeben. Jeder konnte sich
hinterher selbst beobachten und wusste, was er falsch gemacht hatte. Nachdem
die Kamera im Spiel war, gab sich jeder noch mehr Mühe, um das Krippenspiel
perfekt vorzubereiten. Roberts Eltern hatten nichts dagegen, dass er die Kamera
mitgenommen hatte. Aber als Roberts Vater sie haben wollte, um das Krippenspiel
aufzunehmen, musste Robert zugeben, dass er sie im Gemeinderaum liegen gelassen
hatte. Es war das erste mal, dass Robert von seinem Vater eine Standpauke
bekam. Er musste sich anhören, dass so ein Teil teuer ist und dass seine Eltern
dafür schließlich lange gearbeitet
haben. Sein Vater sagte dann, dass es endlich Zeit sei, dass Roberts Eltern
nicht immer nur schuften, sondern sie weniger zu arbeiten wollen, um dafür
gemeinsam mehr zu unternehmen. Aber dafür muss man sorgsamer mit den Sachen umgehen,
weil sie schließlich nicht immer was Neues kaufen können. Robert beeilte sich,
die Kamera zu holen. Er war zwar nicht glücklich über den Anschiss, doch
darüber, dass seine Eltern jetzt mehr Zeit für ihn haben würden.
Das
Krippenspiel lief perfekt. Miriam strahlte über das ganze Gesicht und die
Gemeinde applaudierte spontan. Nachdem das Stück vorüber war, verschwanden die
Spieler schnell in der Sakristei und Pfarrer Steinbrecher hielt eine kurze
Ansprache. Er ging darin auf das Wort: `Ehre sei Gott in der Höhe und Friede
auf Erden´ ein, das die Engel gesungen haben, ein. Er brauchte nicht lange, da
kam er auf das Friedenslicht.
„ Die
Pfadfinder unterstützen eine Aktion, die
der Österreichtische Rundfunk ins Leben gerufen hat. Jedes Jahr wird in der
Adventszeit am Geburtsort Jesu ein Licht entzündet, das die Pfadfinder in die
Welt hinaus tragen. Kirchen, Schulen, Krankenhäuser, Gemeindebüros, alle sollen
etwas vom Licht Jesu abbekommen. Auch die Bahn unterstützt diese Aktion. In
unserer Gemeinde gibt es seit diesem Jahr eine Pfadfindergruppe. Diese Gruppe
wird in diesem Jahr das Friedenslicht
unter uns verteilen.“
Die
Pfadfinder hatten sich schnell umgezogen und kamen, außer Franjo, in
Pfadfinderkluft nach vorn. Dabei warf jeder einen verstohlenen Blick auf
Roberto, der in der zweiten Reihe, neben Miriam saß.
Roberto
wischte sich eine Träne aus dem Auge und sagte zu Miriam: „Die Bande haben sich
die Kluft besorgt. Die Überraschung ist ihnen gelungen. Miriam, hast du irgendwas
damit zu tun?“
Ehe Miriam
antworten konnte, macht Pfarrer Steinbrecher weiter .Die Pfadfinder standen nun
vor dem Altar in einer Reihe, nur in der Mitte war ein Platz frei. „ Der
Pfadfinder Franz Joseph von Witzenhausen hat das Licht in diesem Jahr, extra
für uns, selbst in Bethlehem geholt.“
„Wer ist
denn dieser Franz Joseph“, fragte Robert flüsternd.
„Na Franjo“,
flüsterte Kerstin zurück.
„Man, so
einen Namen muss man sich erst einmal leisten können“, zischte Leo.
„ Wer kann,
der kann“, kam von Adrian.
Frau Winter
schickte jetzt Franjo los, der Alfreds Laterne mit dem Friedenslicht in der
Hand hielt. Auch er war in Pfadfinderkluft. Langsam ging er im Mittelgang durch
die dunkle
Kirche nach
vorn. Die Besucher in jeder Bankreihe standen auf, als Franjo sie erreichte. Es
war als ob der König einzog. „Mein Sohn“, flüsterte Franjos Vater. Franjos
Eltern waren stolz auf ihren Sohn. Franjos Mutter lehnte sich an seine Schulter
und schluchzte leise. Es war das erste mal, dass ihr Mann, seit der Entdeckung von Franjos Hörschädigung
wieder: „Mein Sohn“, sagte. Franjo übergab das Friedenslicht Pfarrer
Steinbrecher. Der stellte das Licht auf den Altar. Neben dem Altar war eine
Bildwand, auf der nun die Geburtsgrotte zu sehen war. Dann erschien der
segnende Athanasios, der gerade seine Hände auf Franjos Kopf legte. Danach sah
man noch, wie er die Hände segnend hielt, als ob er die Kirchgemeinde segnen
wollte. Pfarrer Steinbrecher sprach die Segensworte. Auf dem Altar standen die
Öllampen, die Frau Winter mitgebracht hatte. Die entzündete der Pfarrer jetzt
an Alfreds Laterne. Mann, der ist ja überhaupt nicht aufgeregt, dachte Adrian.
Er war in diesem Augenblick stolz auf seinen Vater. Das Friedenslicht war
schnell verteilt und die Kirche erstrahlte plötzlich ganz hell und warm,
beleuchtet von vielen Friedenslichtern.
Nach der
Kirche standen die Pfadfinder zusammen auf dem Platz vor der Kirchentür.
Langsam gesellten sich ihre Eltern dazu und auch Frau Winter kam, nachdem sie
die Kollekte gezählt hatte.
„ Es wird
kalt, komm wir gehen nach Hause und trinken einen Glühwein“, sagte Roberto zu Miriam.
„Für mich
bitte keinen Glühwein“, sagte Miriam.
„ Wieso, du
willst doch sonst immer einen.“
„ Es geht
nicht“
„ Schwester
Fischer, sind sie schwanger“, fragte Frau Winter.
Miriam
nickte. Roberto sah sie ganz verdattert an, doch dann umfasste er ihre Hüften
und wirbelte sie, vor Freude, einmal um sich herum. Dabei stieß er sein
Friedenslicht, das er kurz vorher auf die Erde gesetzt hatte, um. Alle waren
erschrocken. Es war ja nicht schlimm, doch es war irgendwie komisch, dass das
Friedenslicht ausgegangen war. Da trat Andreas, der Fußballspieler, auf Roberto
zu und fragte: „ Darf ich ihnen von meinem Licht abgeben?“
Roberto
zuckte kurz zusammen, dachte an seine blauen Schienbeine und die
Pfadfinderstunde bei der Andreas und Thomas so gemein waren. Dann nickte er und
sagte: „Aber gerne.“
„Und
nächstes Jahr spielen wir wieder gemeinsam Fußball“, rief Thomas, der hinter
Andreas stand. „Warum nicht morgen“, fragte Leo.
„Morgen ist
der erste Weihnachtstag“, sagte Roberto, „der gehört der Familie.“
„Aber
übermorgen könnte ich mir am Vormittag ein Fußballspiel vorstellen“, sagte
Pfarrer Steinbrecher, der sich dazu gesellte. Plötzlich waren sich alle einig
dass die Pfadfinder mit ihren Eltern zusammen am zweiten Weihnachtstag Fußball
spielen würden.
„Aber wieso
wussten sie, dass Miriam schwanger ist“, fragte Kerstin.
„Na, wenn
Bruder Fischer extra an der Klagemauer dafür betet, da muss es doch klappen“,
antwortete Frau Winter.
„Ach, haben
wir auch so einen abergläubigen Zettel in die Mauerritzen gesteckt“, fragte Leo
und grinste.
„Wieso
wussten sie das“, fragte Adrian. Frau Winter zuckte mit den Schultern.
„Auslandsgeheimdienst“,
sagte Leo.
„Und
Inlandsgeheimdienst“, sagte Kerstin.
„Und alles
nur fürs Gebet“, fügte Karsten hinzu. Alle lachten
Der Platz
vor der Kirche wurde leer, die Gottesdienstbesucher gingen nach Hause. Es wurde
kalt und die Pfadfinder dachten auch daran heim zu gehen. Kerstin hatte jetzt
zwar begriffen warum Miriam mit Roberto allein sein wollte, doch das änderte
nichts an ihrer Situation.
„Ich muss
jetzt allein Weihnachten feiern“, sagte sie, wieder den Tränen nahe.
„ Ach, sagte
Adrian, „ ich würde mit dir im Gemeinderaum feiern.“
„Ich auch“,
meldete sich Leo
„Aber ihr
könnt doch eure Eltern nicht allein lassen“, rief Frau Winter.
„ Wir hätten
nichts dagegen mitzukommen“, sagten Leos Eltern wie aus einem Mund.
Miriam und
Roberto wollten nach Hause. Die Pfadfinder und ihre Eltern verabredeten sich
zum gemeinsamen Heiligen Abend im Gemeinderaum. Jeder brachte etwas mit.
Miteinander redeten, sangen und spielten sie. Keiner konnte sich erinnern so
einen schönen Heiligen Abend erlebt zu haben. Das Friedenslicht stand auf dem
Tisch mitten unter ihnen.
„Was hätten
wir nur gemacht wenn Franjo nicht das Friedenslicht geholt hätte“, fragte auf
einmal Robert.
„ Keine
Ahnung“, sagte Franjos Vater. „Frau Winter“, führte er seine Rede fort, „ darf
ich sie morgen zu uns zum Essen einladen? Ich habe viel gut zu machen.“
Jetzt hatte
Frau Winter Tränen in den Augen, Tränen des Glückes.
© Volker
Bachmann
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