Samstag, 21. Juli 2012

Rettet das Deutsche Volkslied

Seit unser Posaunenchor besteht spielen wir Volkslieder.  Nein, das stimmt nicht ganz. Als Jungbläser hatten wir nur ein paar alte Choralbücher, die uns der Jenaer Posaunenchor zur Verfügung gestellt hatte. Noten für Posaunenchöre gab es zu unserer Gründerzeit  in der DDR so gut wie keine.  Später kam das „Lob II“ dazu, Stücke aus dem Frühbarock und solche, die so ähnlich klangen.  1976 war Landesposaunentag in Jena. Damals ging der Landesposaunentag noch über mehrere Tage und die Gemeinden der Umgebung boten den Bläsern Nachtquartier an. Bei uns  schliefen Bläser aus Heubach. Der Heubacher Posaunenchor ist der älteste Thüringens. Die Bläser hatten ein großes Repertoire. An besagtem Wochenende stand bei uns ein Geburtstagsständchen auf dem Programm. Die Heubacher unterstützen uns und spielten fröhliche Volkslieder. Seit dieser Zeit waren wir auf der Suche nach Volksliedersätzen.  Landesposaunenwart Ullmann war ganz stolz, als er uns dann endlich Volksliedernoten vorstellen konnte. Unter Führung der sächsischen Posaunenmission  wurde dem Staat das Erscheinen der Hefte,  die bei uns immer nur Musika 1 und Musika 2 hießen, von den Posaunenwerken, abgetrotzt. Ich höre noch die alten Herren aus dem Jenaer Posaunenchor über die Sätze lästern. Damals gab es in Jena das Buch „an hellen Tagen“. Soweit ich mich erinnere, klangen die Volksliedbearbeitungen in diesem Buch wie eine musikalische Konservierung des Kirchenkampfes. Das war deren Klangideal. Wenn nicht auf solch spröde Satze; dann standen  sie auf Liedbearbeitungen von Johannes Kuhlo.  Später, als wir uns mit dem Jesinger Posaunenchor anfreundeten hatten, haben sie uns das „Rühmet“, von Kuhlo, mitgebracht, das heute noch unser Leib- und Magenbuch ist. Bei jedem Ständchen spielen wir Volkslieder. In letzter Zeit kamen dann noch solche Stücke wie der „Schneewalzer“, die „Caprifischer“, „Tulpen aus Amsterdam“ und der Geburtstagsmarsch dazu. Diese Titel erhöhen die pekuniäre Ausbeute unserer Ständchen.  Wieso jetzt eine Rückbesinnung auf das deutsche Volksliedgut?   
Angefangen hat das alles mit Mandy. Sie Fragte im Frühjahr ob wir auch ein Ständchen außerhalb spielen würden. Was ist außerhalb? Mandys Schwiegereltern hatten diamantene Hochzeit und dieses Fest fand im Vogtland statt.  
Mandy hat in diesem Jahr ihr zehnjähriges Jubiläum im Posaunenchor. Dass sie zu uns kam, lag am Glühwein.  Es war im Jahr 2001, in Hohlstedt  befindet sich einer der ältesten Bauernhöfe Thüringens, der damals sehr verwahrlost war(
http://eulensteinscher-hof.de/ ). Im November gab es einen Arbeitseinsatz bei dem die Gebäude ein Notdach bekamen. Mandy war vor einigen Jahren in unser Dorf gezogen, und diese Arbeit interessierte sie.  Ich bin zwar Vereinsvorsitzender des Trägervereins, doch bei diesem  Arbeitseinsatz konnte ich nicht dabei sein. Am Ende des Tages, es war kalt, hatten unser Doc und Mandy dem Glühwein zugesprochen. Frohgemut lenkten sie ihre Schritte nach Hause. Unterwegs erzählte Mandy, dass sie als junges Mädchen in der Musikschule Trompete gelernt hatte. Sofort empfahl ihr  der Doc den Posaunenchor. 2002 kam Mandy dann zu uns. Bisher hatte sie überhaupt keine Ahnung von kirchlichem Leben, doch das störte weder sie noch uns. Am Anfang hatte sie zwar Umstellungsprobleme von der Notation der Musikschule, doch das dauerte nicht lange. Seitdem sind wir froh, dass wir sie haben.
 Natürlich erklärten wir uns bereit Mandys Schwiegereltern die Freude zu machen.  Die beiden sind noch sehr rüstig und lieben Volksmusik. Zwischen Volksliedern und kommerzieller Volksmusik liegen Welten. Während ich Volkslieder mag, rollen sich mir die Fußnägel bei kommerzieller Volksmusik.  Die beiden lieben alles. Während des Ständchens hörte ich, wie der Schwiegervater voller Rührung sagte: „Das es das heut noch gibt, eine Gruppe, die die alten Volkslieder spielt.“ Das Ständchen kam total gut an. Mandy hat ihren Platz als Lieblingsschwiegertochter erfolgreich verteidigt. (kein Wunder, ihre Schwiegereltern haben nur einen Sohn). 
Der zweite, der bei mir die Rückbesinnung initiierte war Florian. Ende Mai fragte Florian an ob wir ein Ständchen bei einer Hochzeit übernehmen würden. Es stellte sich heraus, dass die Braut mit Florians Freundin verwand ist. Als er erzählte, dass die Feier in der Wasserburg in Kapellendorf, gleich bei uns im Nachbardorf, stattfand, erklärten  wir uns bereit. Der Tag der Hochzeit kam heran und Florian war schon ganz aufgeregt. Er rief vorher bei mir an um zu hören ob alles klar geht, dann fragte er noch nach dem Programm. Schön, wenn die Jugendlichen auch mal nervös werden.  Immer noch war ich auf den Abholdienst angewiesen.  Kurz vor dem Ständchen wurde ich unruhig, da Diethart sich nicht blicken ließ. Es stellte sich heraus, dass er noch arbeitete weil er den Termin verschwitzt hatte. Trotzdem kamen wir pünktlich an, doch dann stellten wir fest, dass wir den Tubist vergessen hatten. Da musste es eben ohne ihn gehen. Ich mag das Freigelände in der Burg.  Es ist ein schöner Platz für solch ein Fest.  Wir stellten uns für das Ständchen auf, für mich wurde ein Stuhl besorgt.  Wie üblich spielten wir am Anfang ein paar Choräle und dann einige Volkslieder.  Den Leuten schien es gefallen zu haben, mir nicht. Ich hatte gedacht, dass uns die Akustik im Burggelände die Töne aus dem Instrument ziehen würde, doch das war nicht der Fall. Mandy meinte, dass es ihr relativ schwer gefallen sei zu spielen. Das hatte man bei ihr nicht gemerkt. Unsere zweite Stimme  hat sich nicht beschwert aber ich wurde ärgerlich, da ich sie kaum gehört hatte. Florian bekam mildernde Umstände, denn er war mordsmäßig  aufgeregt, doch die anderen...  Der Festgesellschaft fandt es anscheinend schön, ich war sehr unzufrieden. Ich habe mich noch am Sonntag geärgert. Am Montag beschloss ich, dass etwas geschehen muss. So ging ich im Internet auf die Suche nach den Musikaheften und wurde fündig.  Die sächsische Posaunenmission hat sie immer noch im Notenangebot.
„Heute habe ich einen Frustkauf getätigt, ich habe Noten für alle bestellt, die sie noch nicht haben“, sagte ich am Abend im Posaunenchor. „Frustkäufe kenne ich“, sagte Mandy, „aber bei mir sind das meistens Schuhe“.  Zur nächsten Probe waren die Hefte da und wir begannen diverse Volkslieder zu üben. Das war auch gut so, denn schon eine Woche drauf konnten wir sie gebrauchen. Liesbeth aus unserer Gemeinde wurde nämlich 90. Beim Übertrag in meine Liste hatte ich diesen Geburtstag übersehen und so hatte der Posaunenchor ihr kein Ständchen gebracht.  Am Sonntag riefen Patricks Eltern an. Liesbeths Kinder hatten nachgefragt, ob der Posaunenchor denn noch kommt. Patricks Eltern wussten von Nichts, da Patrick sich gerade eine Auszeit ,wegen seinen Sohnes, genommen hat.  Unser Bläsernachwuchs ist gerade in die Kinderkrippe gekommen und verträgt das anscheinend nicht so gut. Patrick hat da alle Händevoll mit der Brutpfleg zu tun. Da ich Lisbeths Angehörige nicht erreichen konnte, kam ich am Montag verunsichert zur Probe.  Unser Pfarrer bestätigte mir, dass ich wirklich ein Ständchen unterschlagen hatte. Was tun? Diethart schlug vor, dass wir das Ständchen sofort nachholen. Wieso ist mir das nicht eingefallen? Gesagt, getan, wir zogen los. Nachdem wir ein paar Choräle gespielt hatten, gratulierte unser Pfarrer im Namen des Posaunenchores. Ich stand ja immer noch mit Gehhilfen da und war froh, dass ich überhaupt mitspielen konnte. Jetzt fragte der Pfarrer auch noch nach einem Lieblingslied. „Lobet den Herren“, wünschte sich die Jubilarin. „Das haben wir doch eben gespielt“,  meinte unser Pfarrer irritiert. „Ach Herr Pfarrer, mir sind alle Lieder recht.“ Ich weiß schon warum ich Liedwünsche meide wie der Teufel das Weihwasser. Beim nächsten Mal würden wir einfach noch zwei Strophen spielen, doch wir waren auf so etwas nicht gefasst.  Ich versuchte Lisbeth zu erklären weshalb wir erst ein paar Tage zu spät kamen. „Frieda hatte zu mir gesagt, dass der Posaunenchor zu ihrem neunzigsten gespielt hat. Da hab ich mich schon gewundert…“ Offensichtlich macht die Informationsgesellschaft auch an unseren Senioren nicht halt.  Ein Glück, dass  wir das Ständchen nachgeholt haben.  Bei den diversen Volksliedern, die wir dann gespielt haben, hat Lisbeth fleißig mitgesungen. Als wir, nach dem Ständchen, noch einmal zur Kirche gingen, haben wir uns verabredet beim Gottesdienst zum Gemeindefest am Sonntag zwei Choräle zu spielen und  dann beim Kaffeetrinkern einige Volkslieder.
Am Sonntagvormittag rief ich Diethart an, um mit ihm über den Abholdienst zu sprechen. „Ich weiß noch nicht, ob ich kommen kann“, sagte er und hustete ins Telefon. Ein Glück, dass sich Bazillen nicht durchs Telefon verbreiten.  Was jetzt? Ich musste Mandy anrufen. Mandy war zur letzten Probe nicht da, Dienstreise.  Ich war mir nicht sicher ob sie meine Email gelesen hatte, hatte sie nicht. Trotzdem machte sie es möglich zu kommen, obwohl sie ungern ohne Diethart spielt. Am Sonntagnachmittag humpelte ich in die Isserstedter Kirche. „Was hast denn du gemacht?“ begrüßte mich Ronny, unser Organistennachwuchs.  Ronny liebt die Aufmerksamkeit. Ralf, der ihn noch nicht kennengelernt hatte, fragte mich, als wir uns auf unserem  Lieblingsplatz unter der Orgel versammelt hatten: „ein kleiner Professor?“ Ich nickte mit dem Kopf.  „Ich habe eben Mandy gesehen „ meinte er dann. Ralf ist ein leidenschaftlicher Fahrradfahrer und kam aus Kleinschwabhausen.“ Sie ist eben nach Großschwabhausen gefahren.“  Au man, ich hatte den Ort zwar in der Email bekanntgegeben, doch im Telefonat nichts davon gesagt, dass wir in Isserstedt sind.  Mandy kam trotzdem noch rechtzeitig. „Ich habe dich im letzten Augenblick auf der Straße  gesehen“, sagte Ralf. „Ich dich auch“, erwiderte Mandy, „ich dachte du holst deine Posaune in Isserstedt. Und dann stand ich auch noch an der Bahnschranke.“ Mir war das alles egal, wir mussten die zwei Choräle durchproben denn unsere Besetzung war wieder mal  ein wenig abenteuerlich.  Gerade als wir fertig waren kam Diethart doch noch. Er sah nicht gut aus. Für ihn wäre es besser gewesen daheim zu bleiben.
Die Glocken begannen zu läuten. Da war er wieder, der Running Gag mit dem Programm. Ich wurde unsicher, ob wir die richtigen Lieder geübt hatten weil ich noch kein Programm gesehen hatte. In all der Hektik blieb keine Zeit mit dem Pfarrer Kontakt aufzunehmen und der übte noch mit den Kindern das Anspiel durch. Als ich Ronny mit einem großen Zettel in der Hand sah, fragte ich ihn, ob er ein Programm hätte. Er verneinte, aber der Pfarrer würde noch kommen. Der Pfarrer kam auch noch und mit ihm ein Programmzettel. Er war der Meinung, dass er mir das Programm schon mal gemailt hatte, ich nicht. Aber wegen den zwei Chorälen habe ich mich nicht verrückt gemacht. Die Glocken hörten auf und Ronny begann mit dem Vorspiel.  Es klang recht gut. Aus Ronny kann noch was werden.  Dann kam unser Choral an die Reihe.  Während wir spielten,  fiel mir ein, dass ich in aller Hektik vergessen hatte nachzusehen wie viele Strophen wir zu spielen hatten.  Mitten im Spiel stellte ich fest, dass wir fünf Strophen im Programm hatten. Am Ende der zweiten Strophe gab ich den Trompeten ein deutliches Zeichen und so setzten sie bei der dritten Strophe aus. Fünf Strophen würden sie auch bei idealer Besetzung nicht spielen. Alles ging gut. Nach dem Glaubensbekenntnis sollte das Glaubenslied kommen. Für mich war klar, dass das der Organist übernimmt, denn unser zweites Lied war erst kurz vor  Ende des Gottesdienstes vorgesehen. Unser Pfarrer kündigte das Glaubenslied an, die Gemeinde wartete,  ich dachte Ronny ist dran, der Posaunenchor wartete, Ronny war nicht dran und die Gemeinde wartete immer noch. Plötzlich fiel mir ein, dass Ronny bei der Begrüßung zu mir gesagt hatte, er würde nur Vor- und Nachspiel machen. Schnell forderte ich meine Bläser auf 321 aufzuschlagen. Pech nur, dass die 321 zwei Varianten hat. Wir haben noch nie die Variante I gespielt, doch meine erste Stimme hatte natürlich gerade diese Melodie aufgeschlagen. Nach den ersten Takten brachen wir ab und versuchten es mit Variante II. Der Rest des Gottesdienstes verlief dann ganz gut. 
Im Pfarrgarten sollten anschließend die Volkslieder erklingen. Das Wetter spielte mit, obwohl es die Tage vorher immer wieder geregnet hatte. Unter einem Baum stellten wir Stühle auf, es war sehr gemütlich. Diethart fuhr nach Hause, er konnte nicht mehr. So blieb Mandy als einzige in der ersten Stimme übrig.  Unser Pfarrer kam dazu. Eigentlich spielt er nur zweite Stimme aber er versuchte in der Ersten auszuhelfen.  Sein Problem ist nicht die musikalische Erfahrung sondern der Ansatz.  Ich habe die erste Stimme noch mit der Posaune verstärkt, so ging es einigermaßen. Wieder waren die Musikahefte im Einsatz. Nach einigen Liedern versuchte ich meine Bläser aufzubauen: „Auf der Homepage meiner Krankenkasse steht ein Artikel darüber, dass musizieren sehr gesund sein soll. Es ist gut für das Gehirn und für das allgemeine Wohlbefinden.“
„Und Bläser können Lungenemphyseme bekommen“, Jürgen musst es ja wissen, schließlich ist er Krankenpfleger.
„Geiger haben einen Gehörschaden links und Probleme mit der Halswirbelsäule“, das war Ralf.
Und Florian wusste, dass die Oboisten, durch den  Druck beim Blasen ins Mundstück da so eine komische Stelle im Gehirn bekommen…  
- Gut, dass wir mal drüber gesprochen haben.
- Wie schön ist es doch wenn man um fassend informiert ist.
- Und mit denen wollte ich das Deutsche Volkslied retten…
Nach unseren Posaunenchorferien steht dann ein Volksliederkonzert gemeinsam mit dem Großschwabhäuser Männerchor an.  Mandy hat schon gesagt, dass sie im Urlaub ist…
 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen