Donnerstag, 5. Juli 2012

Wir sind im Radio

Wie meine Freunde wissen, habe ich mir das Sprunggelenk  gebrochen. Samstagnachmittag war es passiert und Sonntagmittag lag ich unter dem Messer. Während man mit Hammer, Zange und Rödeldraht an meiner Malleolengabel hantierte, hätte ich mich eigentlich auf die Chorprobe am Montag vorbereiten wollen. Diese Chorprobe war die letzte vor dem Besuch von Landesposaunenwart Frank Plewka.  Am liebsten suche ich mir Stücke aus, die wir gemeinsam vorbereiten, und an denen wir in der Probe mit Frank richtig arbeiten können.  Mir bedeuten die Proben mit Frank sehr viel. Ich weiß auch, dass es einigen meiner Bläser genau so geht.  Nun lag ich also im Krankenhaus und musste es  Diethart, meinem Stellvertreter, überlassen die Probe vorzubereiten und zu halten. Am Dienstag bekam ich Besuch von zwei meiner Bläser, die mir von der Probe berichteten. Ich freute mich, als ich hörte, dass Diethart seine Sache gut gemacht hat. Das Männchen  in meiner anderen Gehirnhälfte wurde nachdenklich:  „Hoffentlich nicht zu gut“.  Während der Woche im Krankenhaus habe ich mich immer wieder gefragt  ob ich die Probe mit Frank besuchen kann oder nicht. Ich wurde entlassen und hatte auch  zu Hause so gut wie keine Schmerzen, da würde einem Besuch der Chorprobe nichts im Wege stehen. Am Montag besuchte ich meinen Hausarzt, der mir meinen täglichen Tablettencocktail, zusammenstrich. „Das sind alles Schmerzmittel, die verlangsamen nur die Heilung“, meinte er. Kein Wunder, dass ich mich so gut fühlte.  Soll ich mich nun doch zur Probe mitnehmen lassen oder nicht? Eigentlich tut mir immer noch nichts weh. Aber wer kann wissen was kommt? Den Ausschlag gab dann ein Anruf. Eine Journalistin des MDR wollte unsere Chorprobe besuchen und mit mir sprechen. Sie stellte sich vor und erklärte, dass sie einen Beitrag für MDR Figaro vorbereitet.
MDR Figaro ist der Kultursender des Mitteldeutschen Rundfunks.  Kultursender, und mein Posaunenchor, wie passdt denn das zusammen?  Das Posaunenwerk der EKM hat am nächsten Sonntag Landesposaunenfest und wir waren anscheinend der einzige Posaunenchor in der Nähe der Journalistin, dessen sie, noch vor Ausstrahlung des Berichtes, habhaft werden konnte.  Den leitenden Landesposaunenwart, Matthias Schmeiß hatte sie schon interviewt und wir waren wahrscheinich für die Tonkulisse zuständig. Rechtzeitig, um die Stühle in der Isserstedter Kirche zu stellen, traf ich ein. Ich konnte natürlich keine Stühle aufstellen und wurde während unserer Vorbereitungen von der Journalistin interviewt.  Als Diethart die Scheinwerfer aufstellte war sie sichtlich irritiert. „Wir machen doch nur Aufnahmen fürs Radio…“. Ich konnte sie beruhigen, uns war das schon klar. Doch wenn sich während der Probe falsche Töne einschleichen,  dann kann es niemand auf die Lichtverhältnisse schieben. Der Probenbeginn rückte näher und ich wurde langsam unruhig. Normalerweise ist Frank doch schon längst da. Wieso kommt er ausgerechnet heute so spät?  Ich war nicht darauf eingestellt eine Chorprobe zu halten, und dazu in meinem Zustand. Frank kam und mir fiel ein Stein vom Herzen. Nach einer kurzen Abstimmung mit der Journalistin ging es los. Wie immer betete ich ein kurzes Gebet zu Beginn, dann kam das Einblasen und dann ging es schon mit dem ersten Choral los.  Frank hatte „Lobet den Herren“ ausgewählt, um fürs Radio ein typisches Kirchenlied anzubieten. Natürlich konnte niemand wissen, dass das früher einmal das Lieblingslied meiner Jungbläsergewesen  war. Ich war damals selber überrascht als sie es mir sagten. Für den Tonhintergrund  haben wir dann noch ein echt evangelisches Lied geblasen „Ein feste Burg ist unser Gott“.   In unserem Choralbuch gibt es zwei Varianten dieses Liedes. Einige unserer Bläser, sahen sich genötigt einen Kontrollblick  ins Buch des Nachbarn zu  werfen. Schließlich sollten während der Radioaufnahme nicht beide Varianten gleichzeitig  erklingen. Gut, dass wir mal drüber geredet hatten.  Beinahe hätte es geklappt.  Nach den Chorälen ging es mit der eigentlichen Probenarbeit los. Diethart hatte sich das Prelude von Charpentier ausgesucht. Vor vielen Jahren hatten wir das schon einmal gespielt. Damals war ich noch Teenager und wir kannten das Stück aus dem Westfernsehen. Wir liebten es weil es als Eurovisionsfanfare bekannt war. Mit dieser Weise konnten wir so schön versteckt provozieren. Jeder kannte das musikalische Hauptthema als Erkennungsmelodie internationaler westlicher Fernsehevents. Hätte uns aber jemand darauf angesprochen, dann wäre es doch nur ein französischer Komponist gewesen.  Für viele meiner Bläser war das Prelude noch neu und der gesamte Tenor war bei der letzten Probe nicht dabei gewesen. Na, für Tonaufnahmen war das vielleicht doch nicht so gut. Es  ist schon erstaunlich, wenn man eine Weile übt, wird’s besser. Am Ende zückte die Journalistin dann doch das Mikrofon.  Frank spielte zum Schluss sogar noch die kleine Oberstimme. Leider kam der letzte Akkord  nicht besonders gut. Aus Lisa platzte es heraus: „  Das war Herr Plewka“ Ich fühlte mich so wie ein Elternteil  dessen Kinder sich, beim Besuch der Großeltern, gründlich daneben benehmen.  Irgendwann wird sich die Gelegenheit ergeben, da werde ich Lisa erklären müssen, dass eine Oberstimme nur so gut klingen kann wie die Akkorde, die darunter liegen und die von den anderen Bläsern gespielt werden. Als wir Charpentier den Garaus gemacht hatten, war ein neues Stück vom letztwöchentlichen Übungsprogramm dran.  In den Noten meines Nebenmannes sah ich das Rennsteiglied. Da wir im September ein Konzert mit dem Männerchor in Großschwabhausen geben werden, schien mir das keine ganz schlechte Wahl. Frank konnte den Wunsch, nicht wirklich, verstehen. „Im Ruhrgebiet würde kein Bläser so etwas spielen“. Ich bin mir sicher, dass er damit  Recht hat. Aber bei einem Konzert mit dem Großschwabhäuser Männerchor ist das anders. Da singen die Zuhörer wahrscheinlich mit, auch wenn sie nur bis „Klampfe in der Hand“ kommen werden.  Frank ließ sich breitschlagen  und übte mit uns am Rennsteiglied. Auch dieses Üben zeigte Früchte.  Die Journalistin zückte das Mikrofon. Naaaaa  ja!  Nachdem das Rennsteiglied im Kasten war, stand auf Dietharts Plan noch der Triumphmarsch aus Aida.  Diethart ist ein großer Trompeter vor dem Herrn. Mancher Posaunenchorleiter würde mich um so eine erste Stimme beneiden. Ich gehe davon aus, dass ihn das Hauptmotiv dieses Stückes, das seinem Naturell entspricht,  zu dieser Wahl verführt hat. Er konnte die Fallstricke, die darin für meine Bläser verborgen waren nicht  im Vorfeld erkennen.   Armer Frank! Er hatte alle Hände voll zu tun um meinen Leuten eine Ahnung von diesem Stück zu vermitteln.  Ich humpelte mit Krücken um alle noch verfügbaren Lichter anzuzünden. Wenigstens die Beleuchtungssituation sollte optimal sein. So langsam konnte man etwas erahnen. Wenn wir konsequent am Einzugsmarsch arbeiten, könnten wir vielleicht unsere Konfirmanden im nächsten Jahr damit einziehen lassen.  Mal sehen.  Frank hat intensiv daran gearbeitet, doch als er merkte, dass die Konzentration nachließ, legten wir die Noten weg. Als Schlussstück wünschte sich Lisa wieder mal das AIR von Bach. Wenn die Journalistin bis dahin geglaubt hätte, dass wir uns verstellen, jetzt  waren wir garantiert authentisch. Frank.“ Habt ihr noch ein Notenblatt für mich?“  Ich hatte meine Notentasche zu Hause gelassen. In meiner Tasche ist meist noch ein Ersatzexemplar. Bei meinen Bläsern klang das so: „ Wo sind denn nur meine Noten, Pfingsten hatte ich sie noch. „ / „ Sag mal, hatte ich die schon mal bekommen?“ /„ ich habe alles geordnet, ein Griff und die Noten sind da.“ / / „ Wenn wir uns teilen und an die anderen Notenständer stellen, da könnte es doch gehen.“ / „Ich habe ein Exemplar übrig.“/  „ Aber da fehlt doch immer noch eines.“ Als die Notenfrage geklärt war, ging es los. Mit Krücken ging ich durch die Kirche und versuchte zu hören wo das Stück am Besten klang. Die Akustik hätte einen Tontechniker in den Selbstmord getrieben.  Doch egal wo ich stand, der Bass war zu laut. Die Journalistin hielt wieder ihr Mikrofon in der Hand. Ihr hatte es anscheinend gefallen. Wenn sie sich die Aufnahmen anhört, wird sich das schon geben. Traditionell schließen wir mit einem Ohrenreiniger. „Bleib bei uns Herr“, war, wie schon so oft, der musikalische Abschluss vor dem Vaterunser.  Auch hier kam das Mikro wieder in Einsatz.
Nach der Probe hatte die Journalistin noch einige Fragen zum Posaunenwerk und zu den Posaunenchören. Wie geht das zusammen, eine Gemeinschaft neben der Gemeinde. Ich mischte mich ins Gespräch ein denn in den ländlichen Gemeinden hatte ich immer wieder festgestellt, dass gerade die Posaunenchorbläser zum  Rückgrat der Kirchgemeinden gehören.
Jetzt sind die Aufnahmen gemacht und ich bin gespannt was da kommt. Der Beitrag wird nur vier Minuten dauern.  Sie wird uns schon nicht im schlechtesten Licht erscheinen lassen. Schade nur, dass von all denen, die gespielt haben, keiner zum Landesposaunenfest fährt. Ich hatte die Erfordernisse von Posaunenfest,  Gemeinde und Posaunenchor nicht unter einen Hut bekommen.  Da hab ich´s schleifen lassen. Mal sehen, vielleicht sind wir ja beim nächsten Mal dabei.

PS.; Als der Beitrag gesendet wurde lag ich gerade im „medizinischen stand by“. Aber meine Nachbarn haben mir ausrichten lassen, dass sie uns gehört haben.  Sollte ich den Beitrag bekommen, und die Genehmigung dazu. dann stelle ich ihn hier ein.
© Volker Bachmann 2012

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen