Montag, 20. August 2012

Demokratie ist Gift für den Posaunenchor

Im Gebet eines älter werdenden Menschen, der Theresa von Avila gibt es folgende Passage: „Lehre mich schweigen über meine Krankheiten und Beschwerden. Sie nehmen zu – und die Lust, sie zu beschreiben, wächst von Jahr zu Jahr.“ Als ich diesen Blogeintrag bedachte, erinnerte ich mich an diesen Satz. Eigentlich haben wir Ferien. Bei der diesjährigen Bierrettungsaktion, bei der wir wieder, kurz vorm Urlaub, unser Bier weggetrunken haben bevor es das Verfallsdatum erreichte, wurden Stimmen laut die nach einer außerordentlichen Probe während der Ferien riefen. Mandy wurde beauftragt diese Probe organisatorisch in die Hände zu nehmen. Kaum waren die Ferien angebrochen kam ein Hilferuf von Jürgen aus Apolda. Ein Sozialprojekt in Bad Sulza hatte Jubiläum. Jürgen hatte die Verantwortung dafür übernommen, dass Bläser mit von der Partie waren.  Als er diesen Posten übernahm, hatte er nicht geahnt, dass die Bläser aus der Region fast alle in die Ferien fahren. Jürgen lud uns zum  Blasen nach Bergsulza ein und war froh, dass unsere Trompeter zusagten. Mandy organisierte die Probe in der Kötschauer Kirche, damit wir uns vorbereiten konnten. Ich hatte mir vorgenommen nur die Probe zu besuchen, da ich ja krankgeschrieben war, war ich vorsichtig. 
Ein Bläser aus Apolda, vier von uns und Jürgen kamen zusammen, um ein kleines Volksliederprogramm einzuüben. Jürgen hatte den Hut auf und war sehr darauf, bedacht dass wir locker und leicht musizierten. Ich genoss es, dass ich nicht die Leitung hatte. Viele Dinge hätte ich auch so gewollt wie er, hätte es aber anders gesagt. Ich finde es sehr gut auch andere Posaunenchorleiter zu erleben. Manchmal wollen sie dasselbe, erklären es  anders, und die Bläser begreifen endlich was man selbst schon so oft gesagt hat.  Da die Bläser alle schon viel Erfahrung hatten, kam es aber immer wieder mal vor, dass es manche besser wussten als Jürgen. „Heute machen wir es wie Jürgen will, nächste Woche dann wieder anders“, hörte ich mich sagen.   Auf die Bitte Jürgens doch mitzukommen, habe ich meine Bedenken über Bord geworfen. Wenn eine Krankenkasse auf ihrer Homepage über die positive Wirkung der Musik dozieren lässt, dann wird sie sicher nichts dagegen haben wenn ich in der Rekonvaleszenzphase ein wenig musiziere.
In Bergsulza angekommen ging es in einen wunderschönen Hof, gleich neben der Kirche. Der Hof war mit Kalksteinpflster gepflastert, An einer Seite war ein altes Haus, das mehrere Fremdenzimmer,  eine Küche und ein Appartement besitzt. An der Seite zur Kirche hin war eine Bruchsteinmauer und davor ein Laubengang.  Um die Ecke herum war ein überdachter Sitzplatz, die Seitenwände hatten große Öffnungen durch die man über die Weinberge sehen konnte. An einer Seite war eine kleine Bühne, die mit einer Art Glasblume überdacht war.
Der Regen des Tages hatte sich gelegt und es ließ sich an ein schöner Abend zu werden. Im Hof warteten noch ein paar Bläser. Ich traute meinen Augen kaum, dort stand Heike, eine Bläserin aus dem Jenaer Posaunenchor. Der Jenaer Posaunenchor wollte vierzehn Tage vor uns ein großes Jubiläum feiern. In der Woche davor hatte Heike einen schweren Fahrradunfall. Vom Unfall hatte ich im Radio gehört, doch ich hätte nie an Heike gedacht. Manche Ärzte im Krankenhaus erwarteten zu 99 %, dass Heike die Verletzungen nicht überlebt. Das Jubiläum wurde auf den Gottesdienst mit unserer Bischöfin reduziert. Heike ist eine liebenswerte, lebenslustige junge Frau, die viele Freunde hat. Demzufolge war die Zahl derer, die für sie beteten oder gute Gedanken für sie hatten, groß. Sie hat das im Krankenhaus gespürt. Und nun stand sie genesen vor uns. Ein Glück, dass ich mich entschlossen hatte mitzukommen. Wir haben viel miteinander gesprochen. Doch Jürgen musste unser Gespräch natürlich unterbrechen und zur Probe rufen. Während der Probe begannen wieder die musikalischen Diskussionen. „Demokratie ist Gift für den Posaunenchor“, sagte ich laut. „Ach, sie sind wohl auch Posaunenchorleiter“, fragte mich Ines, die neben mir stand. Ines ist die Kantorin von Bad Sulza, die mich nicht gleich erkannt hatte. Nach ein paar Worten gab es ein Hallo. Es entspann sich ein kurzes Gespräch. „Natürlich achte ich auf die Vorlieben und Bedürfnisse meiner Bläser und nehme Ratschläge an, doch es ist  nicht gut wenn man während der Probe Diskussionen führt. Das stört die Probe und erschwert die Arbeit des Posaunenchorleiters.“ Ines pflichtete mir bei.

Der Abend wurde wunderschön. Wir spielten Volkslieder, in der Kirche las der Pfarrer und Schriftsteller Felix Leibrock, dann folgte ein Programmteil mit Pauken und Trompeten. Eine junge Band aus Apolda zeigte anschließend was sie kann. Komisch, seit ich mit Gehhilfen laufe, sehe ich immer mehr Leute, denen es genau so geht. Auch ein Junger Musiker der Band lief mit Krücken. Als Herr Leibrock dann noch eine Geschichte auf der Bühne vorlas, senkte sich die Nacht auf uns nieder und die Stimmung wurde immer heimeliger. Wir spielten im Anschluss noch einige Abendlieder, die in dieser Abendstimmung besonders gut wirkten. Dieser Abend war die reinste Medizin für mich.

Am nächsten Tag stand ich schon wieder vor der Entscheidung, ob ich musiziere oder krank bin. Dieses Mal war in der Nachbargemeinde ein Bläserworkshop. Unser Nachbarpfarrer, Tillmann, meint zwar immer, dass es meine Idee war, doch jedes Mal sage ich dann: „Meine Idee war es nicht, aber ich bin dran Schuld.“ Vor Monaten informierte mich Uwe, aus unserem Posaunenchor, dass im Gemeindekirchenrat der Nachbargemeinde über einen Besuch der Partnergemeinde aus Baden Württemberg gesprochen wird. Er gab mir den Ausdruck der Email mit der Einladung zur Sitzung des Nachbargemeindekirchenrates, die an seine Frau gerichtet war. Vor vier oder fünf Jahren war die Partnergemeinde auch schon zu Gast und der dortige Posaunenchorleiter hielt einen Posaunenchorworkshop in Altengönna ab.  Ich las die Email nicht genau und hatte, statt Besuch, Workshop im Gehirn gespeichert. Als ich Tillmann darauf ansprach, sah er mich an wie ein Auto. Es gab Erklärungsbedarf. Das kommt davon wenn man Emails nicht richtig liest die einen nichts angehen. Tillmann zeigte sich aufgeschlossen für diese Idee und Eberhart, der Posaunenchorleiter der Partnergemeinde und Bezirksposunenwart vom Bezirk Reutlingen, erklärte sich dazu bereit den Workshop zu leiten.
Für mich war dieser Workshop nicht nur bläserisch eine Bereicherung. Die Gespräche mit Eberhard, den ich schon seit fast dreißig Jahren kenne, und der Austausch mit anderen Chorleitern haben mir gut getan. Wieder einmal stellte ich fest, dass es  viele Parallelen zwischen den Marotten der verschiedenen Posaunenchöre gibt. Das ist manchmal ganz tröstlich.
Am Samstagabend war eine musikalische Andacht in Nerkewitz angesetzt. Unsere kleine Bläsergruppe hatte sich schon intensiv darauf vorbereitet. Es waren ein paar Zuhörer mehr als Bläser. Beim letzten Stück kamen wir ins Straucheln. Eberhard dirigierte weiter. Immer mehr Bläser verloren den Faden, Eberhard dirigierte weiter. Nun war Tilmann mit seiner Posaune fast alleine, Eberhard dirigierte immer noch. Wann bricht er ab, fragte ich mich. Eberhard ließ sich nicht beirren.  Die Bläser kamen dann doch wieder ins Stück und am Ende waren wir wieder zusammen. Im Endergebnis war es richtig Eberhard zu vertrauen, denn  die Gemeinde sagte anerkennend: „Das letzte war aber ein sehr schweres Stück.“ Am Sonntag, im Gottesdienst, haben wir die Scharte  wieder ausgewetzt. Ich denke schon, dass musizieren die Gesundheit befördert. Wichtig ist dabei, dass man dem Leiter vertraut und vertrauen kann.

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