Mittwoch, 26. Dezember 2012

1 2 3- vorbei

Schon meine Oma hatte den Eindruck, dass die Zeit von Jahr zu Jahr immer schneller vergeht. Heute geht es mir auch so und ich weiß nicht warum. Vielleicht beschleunigt sich alles, je näher man dem Ende kommt. Bei einem Experiment stellte man fest, dass der Mensch, so er ohne Umwelteinflüsse lebt, einen 25- Stundentag hat. Kann ja sein, dass das davon kommt weil sich Sonne Mond und Sterne seit meiner Kindheit immer schneller bewegen. Wer weiß das schon? Jedenfalls hatten wir, ehe wir uns versahen, schon wieder einmal den ersten Advent.

Bei uns als Posaunenchor war erst einmal der Toten-/ Ewigkeitssonntag dran. Das zweite Mal spielten wir zur Andacht auf dem Isserstedter Friedhof. Es gab Leute in unserer Gemeinde, die den Besucheransturm beim ersten Mal darauf zurückführten, dass manche Gäste von der Andacht überrascht worden waren und sich nicht getrauten zu gehen. Dieses Mal waren jedoch mindestens genau so viele Besucher da wie bei der  Andacht im letzten Jahr. In die Kirche wären sicherlich nie so viele gekommen. Mit dem Totensonntag geht das Kirchenjahr zu Ende. Am ersten Advent beginnt das Neue. Zu welchem Kirchenjahr zählen eigentlich die sechs Tage zwischen den Sonntagen? Ich kam zu keiner befriedigenden Antwort.  Gut, dass es im Himmel eine andere Zeitrechnung gibt, sonst hätten die, die zwischen Totensonntag und erstem Advent sterben, ein Problem mit dem himmlischen Einwohnermeldeamt.
Der erste Advent war da und ich wurde zum Opfer meiner eigenen Grundsätze. Ich bemühe mich immer darum jeden Bläser seine Freiheit zu lassen, und nicht zu drängeln, wenn ich sie brauche. Dabei bin ich natürlich besonders auf die Bläser angewiesen, die viel Pflichtbewusstsein an den Tag legen. Diethart wollte am 1. Advent einmal frei haben. Er ist sonst immer dabei und als erste Stimme eine große Stütze. Blieb mir das Problem, wo ich Ersatz her bekomme. Jürgen aus Apolda konnte nicht und so glühte mein Kopf. Da fiel mir Heike aus Jena ein. Ich weiß, dass sie eine sehr gute Bläserin ist, außerdem hatte sie mir in diesem Jahr schon einmal ihre Hilfe angeboten. Sie machte es möglich uns zu helfen und ich war froh, dass wir in Großschwabhausen, zum Startgottesdienst in den Advent, spielfähig waren. Unsere ständig wechselnden Besetzungen sind manchmal recht abenteuerlich, dieses Mal hatten wir wieder mal eine neue Erfahrung. Während Diethart  die Bläser sonst mit seinem Strahl mitriss, beherrscht Heike die Kunst des Leiseblasens. Mandy, die sich gern an Diethart hält, hörte kaum etwas von Heike, sicher auch weil Mandy ein Flügelhorn hat. So verunsichert spielte auch Mandy leiser als sonst. Anscheinend steckte das leise Spielen auch meine anderen Bläser an.  Ich stand irritiert vor meinem Posaunenchor, fragte mich ob das noch meine Leute sind, und ob man uns eigentlich überall im Saal des Dorfgemeinschaftshauses hört.  Ein paar Mal war ich versucht meine Leute aufzufordern etwas lauter zu spielen. Mit Mühe habe ich mir das verkniffen, denn sonst würden sie mir das auf ewig vorhalten, wenn ich wieder mal über die Lautstärke meckere. Ersatzgeschwächt, wie wir waren, haben wir uns einigermaßen geschlagen.  Im Gottesdienst  haben wir Mandy mit einer silbernen Ehrennadel überrascht. Auch wenn wir nicht zu voller musikalischer Leistung aufgefahren waren, es war für mich ein besonderer Tag. Ich habe das Miteinander der ganzen Gemeinde, das Gewusel der Kinder, die Aktivitäten der Familien, und die Gespräche der Alten, kurz gesagt die Gemeinschaft, genossen.  Wenn ich daran denke, dass wir schon Jahre hatten, in denen der Posaunenchor der einzige Grund war nicht aus der Kirche auszutreten, ist das eine glückliche Entwicklung.
Am zweiten Advent hatten wir uns nichts vorgenommen. Doch vor dem dritten Advent graute mir. Der  Samstag hatte es schon in sich, denn nachdem ich zu Hause viel Arbeit zu bewältigen hatte, sollten wir noch in Isserstedt zum Weihnachtsmarkt spielen. Es ging alles  gut.
Traditionell haben wir am dritten Advent unsere Weihnachtsfeier. Bei uns läuft das so ab, dass wir in verschiedenen Orten blasen und dann gemeinsam Kaffee trinken und Abendbrot essen. Zum Essen sind die Familienmitglieder unserer Bläser mit eingeladen. Während wir uns sonst in Dörfer stellen, in denen wir eigentlich nicht spielen, haben wir uns dieses Mal entschlossen nach Apolda ins Karolinenheim zu fahren. Dort ist jetzt Familie Ullmann eingezogen. Herr Ullmann war viele Jahre Thüringer Landesposaunenwart  und hat uns oft besucht, bzw. betreut. Frau Ullmann hat viel im Hintergrund für die Bläserarbeit getan. Wir waren uns einig, dass wir Ullmanns überraschen. Da bei mir am Samstag viel los war, hatte ich uns nicht im Karolinenheim angekündigt. Wir fuhren frohgemut nach Apolda, packten unsere Instrumente aus und wollten loslegen. Vorher musste ich uns natürlich anmelden. Wie erstaunt war ich, als ich durch die gläserne Eingangstür sah und lauter Rücken erspähte.  Auf den zweiten Blick sah ich unseren Doc. Da war mir klar, der Kleinschwabhäuser Chor singt gerade im Karolinenheim. „Natürlich“, fiel da unserem Pfarrer ein, „meine Frau singt doch mit dem Chor in Apolda“.  So, so, sie sang in Apolda und er spielte in Apolda…  Wir disponierten schnell um, da wir in Rödigsdorf noch ein Ständchen hatten. „Rödigsdorf oder Rödigen“, fragte unserer Pfarrer und spielte damit auf mein Missgeschick vom Oktober an.  
Der Jubilar in Rödigsdorf hat sich sehr gefreut. Er war ein Schulkamerad meines Vaters. Ich hatte den Eindruck, dass er mir gern einen Schwank aus der gemeinsamen Schulzeit erzählt hätte, doch wir mussten weiter.
Wieder in Apolda angekommen, hatte sich der Chor gerade aus dem Staub gemacht. Ullmanns waren noch im Entree des Karolinenheims. Frau Schunack, die Frau unseres verstorbenen Bläsers, die auch dort wohnt, wusste Bescheid, dass wir kommen. Sie hatte  Ullmanns aufgehalten. Wir spielten Ullmanns ein privates Ständchen, dass durch den Hausfunk übertragen wurde. Zuerst spielten wir zwei Erzgebirgslieder,  da wir wussten, dass Ullmanns aus dem Erzgebirge stammen.  Als wir ihnen nach dem Ständchen frohe Weihnachten wünschten, meinte Herr Ulmann, dass wir uns mit den Erzgebirgsliedern aufs Glatteis begeben hätten. Er hatte recht, denn diese Lieder kann man nicht spielen, die muss man empfinden. Ich beschloss, dass unser Pfarrer, ebenfalls ein Erzgebirgler, im nächsten Jahr ein Seminar zum Thema geben muss. Egal ob Glatteis oder nicht, wir sind nicht gestürzt und Frau Ullmann hat von ganzem Herzen mitgesungen. Was will man mehr. In Isserstedt haben wir dann wieder beim Karlheinz gespielt. Er liegt mit Querschnittslähmung im Bett und ein Adventsständchen bei ihm wird wohl Tradition werden.
Die letzte Probe im Jahr war wieder etwas Besonderes. Nicht nur, dass  wir die Probe verkürzten weil zwei Bläser zu ihren Geburtstagen einen ausgaben, wir hatten sechs Trompeten und nur zwei Tenöre und einen Bass. Das war noch nie da. Dafür waren wir zum letzten Geburtstagsständchen fünf Tenöre und nur zwei Trompeten. Und da soll man stabile Leistungen bringen… In der Woche zwischen drittem und viertem Advent haben wir bei unserem Jüngsten Bläser gespielt. Seine Mutter hatte am Abend seines Geburtstags die Gestaltung des lebendigen Adventskalenders übernommen. Klar, dass an diesem Abend Bläser mit von der Partie waren. 
Am Samstag vor dem vierten Advent war dann das Geburtstagsständchen. Nachdem wir Freude verbreitet hatten, sind wir zu unserem Bläser Eberhard, auch Ebs genannt, gefahren. Er ist von einer sehr, sehr schweren Operation nach Hause gekommen um im Neuen Jahr Chemo und Bestrahlung zu bekommen. Wir haben uns extra nicht angemeldet, da wir wissen welche Mühe sich sonst Eberhard und seine Frau gemacht hätten um uns zu bewirten.  Nach vier Liedern hat er gesagt, dass wir Schluss machen sollen. Ebs hat dazugelernt. Vor fünf Jahren, als man ihm in Jena den Magen herausgenommen hatte, hatten wir uns in die Kernberge gestellt und gespielt. Das Ständchen erschallte im ganzen Klinikum. Er stand auf dem Balkon und dachte nur: „Wann hören die endlich auf.“  Eingedenk dieser Geschichte habe ich davon abgesehen noch ein Lied anzustimmen. Die Bläser, die gesundheitlich einwandfrei waren haben ihn dann kurz besucht und ein frohes Fest gewünscht. Wenn ich an seinen Anblick denke kommt mir die Frage: Wie steigert man eigentlich den Satz: „Er sieht aus wie Haut und Knochen“?

Den Heiligabendgottesdienst in Lützeroda wollte ich Diethart überlassen, da ich den darauffolgenden Gottesdienst in Kötschau leiten sollte. Bei der letzten Probe erschien es aber, dass nur wenige Bläser mit nach Lützeroda kommen werden. So habe ich alle Vorbereitungen  umdisponiert, um dort dabei zu sein. Es gelang mir sogar noch am Heiligen Früh zum Friseur zu gehen. In Lützeroda waren  dann doch mehr Bläser als erwartet. Die Kirche war mit Menschen gefüllt, Kinder führten ein Krippenspiel auf und wir spielten die schönen alten Weihnachtslieder. Am Ende bedankte sich die Frau unseres derzeit ältesten Bläsers, die den Laden in Lützeroda am Laufen hält, bei den Akteuren. Dabei meinte sie sagen zu müssen, dass wir jetzt auch zu Lützeroda gehören weil wir mittlerweile eine Gemeinde wären. Bei ihren Ausführungen brachte sie Region und Gemeinde durcheinander. Dabei erinnerte sie mich an meinen schlimmsten Alptraum. Wenn jetzt drei Pfarrer ihre Begehrlichkeiten äußern würden, dann wüsste ich nicht mehr wo mir der Kopf steht. Für den Pfarrer steht die Gemeindearbeit  im Mittelpunkt,  für den Posaunenchorleiter der Posaunenchor. Mit dem jetzigen Pfarrer gibt es ein relativ harmonisches Miteinander, auch wenn er viel von uns fordert. Aber trotzdem muss zwischen den Interessen vermittelt werden. Auch mit dem Pfarrer von Lützeroda kommen wir klar. Das hat seinen Grund darin, dass Bläser von dort bei uns mitspielen.  Zum anderen Nachbarpfarrer ist keine Beziehung gewachsen. Das hat seinen Grund einerseits darin, dass  wir keine Bläser von dort haben und andrerseits, dass er zwar gerne mit uns zusammenarbeiten würde, doch ich Angst davor habe, dass er uns zu sehr vereinnahmt. Bei unserer derzeitigen Personaldecke würde das komplett in die Hose gehen. Der Gemeinde in Lützeroda wird es egal sein, ob wir zu ihrer Gemeinde gehören oder nicht, Hauptsache wir spielen bei ihnen.
In Lützeroda hat sich ein Problem angekündigt, dass gerade Posaunenchöre betrifft, deren Mitglieder langsam in die Jahre kommen, das Brillenproblem. Ich bin froh, dass bei mir die Armlänge die Sehschärfe noch ausgleichen kann. Doch Diethart hatte die falsche Brille dabei. Maritta gab ihm ihre und hat dafür selber zwei Billen übereinander getragen. So bekamen wir diese Schwierigkeiten auch in den Griff.  
Nachdem wir die Christvesper in Lützeroda bestanden hatten, ging es noch nach Kötschau. Auch hier gab es keine freien Plätze mehr in der Kirche. Da wir aber über dem eingebauten Gemeinderaum ein Podium für die Bläser haben, waren die Bedingungen für den letzten Gottesdienst im Jahr ganz gut. Hier hatten zwei Mütter ein Krippenspiel mit den Kindern eingeübt. Besonders schön war es anzusehen, wie der kleine Oberengel Lilly die anderen Engelchen zurecht zupfte bis sie an Ort und Stelle standen. Am Ende des Gottesdienstes, nach dem Segen, bin ich zu meinen Bläsern gegangen um mit ihnen gemeinsam das letzte Lied des Jahres zu spielen. Wie immer war unser Rausschmeißer: „O du fröhliche“. Natürlich haben wir die Bearbeitung, die Frank Plewka für unseren Chor gemacht hat, genommen. Es gibt für mich nichts Besseres. Nach dem furiosen Schluss braucht niemand mehr ein Nachspiel. Dieses Mal hat die Gemeinde spontan geklatscht.  Was will man mehr. Nach einer herzlichen Verabschiedung haben wir uns in die Feiertage entlassen. Am 20. Januar ist der Gottesdienst zum Ende der Weihnachtszeit.  Bis zum nächsten ersten Advent haben wir dann viiieeel Zeit.  ÄÄÄhm, oder auch nicht…..

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