Sonntag, 19. Mai 2013

Der Bart ist ab

`Wenn der Prophet nicht zum Berge kommt, muss der Berg eben zum Propheten kommen´. Dieses Sprichwort ist heutzutage nicht mehr allzu bekannt. Als ich Frank Plewka bat, bei uns ein Bläserseminar durchzuführen, habe ich genau das beherzigt. Meine Bläser haben schon seit langem  die Seminarangebote des Posaunenwerkes bekommen, doch kaum einer hat sich dazu angemeldet.  So kam ich auf die Idee ein Seminar bei uns anzubieten. Frank hat eingewilligt und im Laufe der Zeit hat es sich so entwickelt, dass wir im Dorfgemeinschaftshaus von Großschwabhausen ein Seminar für Posaunenchorbläser geplant haben. Im Zentrum stand Popularmusik. Außerdem würden wir dabei den Bläserdienst für den Kirchentag der EKM in Jena vorbereiten.
Eigentlich wollte ich den Bart, den ich mir seit Anfang des Jahres hatte stehen lassen, nach Ostern wieder abrasieren.  Es gab dazu ganz unterschiedliche Meinungen. Lisas kleine Schwester, die mich zur Probe für den Ostergottesdienst in Lützeroda gesehen hatte, meinte: „Mit Bart siehst du älter aus.“ Kindermund tut Wahrheit kund. Eine flippige Kundin, bei mir auf Arbeit,  erklärte mir ich wäre richtig trendy mit Bart. Ich hatte mich gegen den Jugendwahn entschieden und wollte den Bart stehen lassen, war ja auch praktischer. Doch dann kam das Bläserseminar…  

In der letzten Woche vor dem Seminar musste natürlich einiges vorbereitet werden. Meine Leute waren alle beschäftigt und hatten keine Zeit. Das nervte mich etwas. Sicherlich waren das keine Ausreden, doch warum eigentlich immer ich? Na gut, es war meine Idee und im Grunde war es keine große Belastung. Nur, da ich weiß, dass ich lernen muss die Arbeit zu verteilen,  ist es eben dumm wenn man die Arbeit verteilen will und niemand ist da an den man sie verteilen kann.  Niclas hatte versprochen am Freitagabend gemeinsam mit mir die Stühle zu stellen. Ich sagte zu ihm, dass ich ihn anrufen würde, doch als ich anrief ging niemand ans Telefon.  Also ging ich allein ins Dorfgemeinschaftshaus und begann die Stühle zu rücken. In trübsinnige Gedanken versunken arbeitete ich vor mich hin.  „Hätte gleich eine Uhrzeit ausmachen sollen/  unsere Tagesabläufe sind eben nicht kompatibel/ wer weiß ob man sich überhaupt auf ihn verlassen kann/ wenn man mal jemanden anspricht…    Je tiefer man sich in solche Gedanken verstrickt desto mehr wird man hineingezogen. Plötzlich klopfte es an einem Fenster und Niclas war draußen. „Ich kam gerade aus der Stadt und sah, dass du angerufen hast.“ Kaum zu glauben wie schnell trübsinnige Gedanken verfliegen können.
Am nächsten Morgen kamen die 45 Bläser und Frank legte los. Diese Probe konnte ich als Teilnehmer genießen, abgesehen von einigen Handgriffen.  Aber irgendwie schien das mit dem Genuss nicht zu klappen. So einen miserablen Ansatz hatte ich doch noch nie?  Die Töne, die ich in der Tiefe nicht herausbekam fehlten mir an der Höhe. Mit aller Kraft spielte ich und war froh, dass es wenigstens ein wenig ging. Ich war richtig dankbar, dass ich zwischendurch Kaffee kochen und Essen beschaffen konnte und so eine Pause hatte.  Schön war es die anderen zu hören, doch mitspielen war nicht so prickelnd.  Was war das nur? Es konnte nur der Bart sein. Vielleicht störten die Barthaare den Ansatz. Früher hatte ich schon mal einen Bart doch damals gab es nie solche Probleme. Aber was sollte es sonst sein? Einen Augenblick dachte ich daran während der Fahrt zum Essenholen zu Hause vorbei zu sehen und den Bart abzunehmen, doch ich verwarf diesen Gedanken.  Morgens mit Bart und mittags ohne, das erschien mir wie Kaspertheater. So quälte ich mich mit meiner Posaune rum. Meine Bläser haben dann in der Küche und beim Aufräumen ganz selbstverständlich mitgeholfen, sodass die Organisation wie am Schnürchen lief. Es war sogar sehr gut, dass wir noch gemeinsam aufgeräumt haben, denn dabei konnten wir uns über den Tag austauschen. Alle waren so erfüllt von diesem Seminar und schwärmten mir was vor.  Kann sein, dass das nicht das letzte Seminar war.  Nur ich war mit mir unzufrieden. Als Posaunenchorleiter, der dirigierend vor seinen Leuten steht kommt man eben nicht oft zum Üben und dann noch dieser blöde Bart…
Trotz meines Ärgers hatte ich den Bart noch nicht aufgegeben. Am nächsten Wochenende ging es zu einer Bläserfreizeit mit den Jesinger Bläsern  nach Burg Wernfels. Es war sehr schön dort und die Überakustik im Probenraum ließ nicht sehr auffallen was ich für einen Mist zusammenspielte.  Eigentlich hatte ich gehofft, dass das Übungswochenende zu Hause mir so viel Ansatz gebracht hätte, dass es nun endlich wieder klappte, doch ich spielte aus Leibeskräften und es kamen wieder nur komische Töne. Was haben nur die Jesinger Tenöre gedacht?
So langsam müsste ich doch an den Bart. Ich zauderte immer noch. Dann lag der Himmelfahrtsgottesdienst vor uns und es sah so aus, als ob meine Tenöre anderweitig beschäftig wären. Nun blieb mir nichts anderes übrig und der Bart war nicht mehr. Groß war jedoch mein Erstaunen als ich merkte, dass die Verbesserung nur Nuancen betrug.  Zum Glück waren meine Tenöre dann doch da und zum Glück waren sie auch bei der Konfi am darauffolgenden Sonntag. Doch was geschieht am Pfingstsamstag in Lützeroda? Zu Pfingsten sind die Wintersorgen am geringsten doch die Sorgen des Posaunenchorleiters waren wieder mal sehr groß. Zur letzten Probe, am Montag, hatten wir nicht mal die Lieder und dieses Mal würde ich definitiv abliefern müssen. So nahm ich zu Hause meine Posaune zur Hand und übte.  Das hätte ich schon früher machen sollen. Als ich allein spielte, stellte ich fest, dass der Korken auf der Wasserklappe verloren gegangen war und somit immer ein wenig Luft aus dem  Verschluss pfiff. Vorher, im Kreise der Bläser, hatte ich das nicht gehört.  Kaum war der Schaden behoben konnte ich wieder spielen als ob nichts gewesen wäre. Die tiefen und die hohen Töne kamen  und das  Blasen strengte mich auch nicht mehr an. Ich sollte das beherzigen was ich meinen Leuten immer wieder einmal sage: „Übt das mal zu Hause durch.“
Der Kirchweihgottesdienst in Lützeroda verlief dann auch nicht so wie erwartet. Oder sollte ich sagen er verlief so schlecht wie erwartet? Zum Glück hatten wir eine passable Besetzung zusammen bekommen. Jetzt war ich, dank meiner Entdeckung, wieder voll einsatzfähig. Anfangs- und Schlussstück waren ganz in Ordnung, doch die Lieder…  Eigentlich war ich ganz froh dass wir die Lieder am Montag noch nicht hatten. Frank war zu einer Probe bei uns und das war richtig gut. Es wäre schade um die Übungszeit gewesen wenn wir die(se) Lieder für den Gottesdienst geübt hätten. Am Donnerstag  rief mich die Frau eines Bläsers auf Arbeit an und gab mir die Lieder durch. Ich konnte mir zwar auf die Erklärung, die sie mir gab, keinen Reim machen doch, ich war gespannt was das für Lieder sein würden. Zu Hause traute ich meinen Augen kaum. Das Schlusslied „Bewahre uns Gott“,  das auf der Orgel wie Leierkasten klingt und das jeden Posaunenchor zur musikalischen Apathie treibt, war schon nicht mein Favorit, doch das Predigtlied war die volle Härte. Für „Bewahre uns Gott“ hatte ich die Gitarre eingeplant und das Predigtlied hätte ich gern mit den Bläsern gemacht denn dazu wollte ich partout nicht singen.  
Als ich in Lützeroda ankam begriff ich das Durcheinander. Den Gottesdienst würde der Prädikant halten denn Tilman, der Pfarrer, hatte Gottesdienst mit Konfirmandenabendmahl im Nachbarort.  Der Prädikant ist zwar auch kein junger Hüpfer mehr aber die Liedauswahl erweckte den Eindruck als ob ich er nicht wirklich weiß was er tut. Ich bin zwar niemand, der sich vor Fremden (der Gemeinde)streitet, eigentlich streite ich mich gar nicht, doch der Prädikant hat dann schon gemerkt, dass ich ein etwas angesäuert war, weil wir keine Chance hatten die Lieder in der letzten Probe vorzubereiten.  Wir haben in der letzten halben Stunde vor dem Gottesdienst noch versucht zu retten was zu retten war. Alles fügte sich und es ging auch halbwegs ohne richtiges Programm, nur das Predigtlied war zum verzweifeln. Auf meine Bemerkung, dass das Lied nicht geeignet ist, kam eine eindeutig zweideutige Bemerkung, in dem Sinne, dass er nicht wissen könne, welche Lieder wir spielen können. Außerdem wäre es doch nichts wenn man immer nur „Großer Gott wir loben dich“ singen würde. Ich meinte dann nur kurz, dass wir die Lieder spielen können, wenn wir Zeit zum Einüben hätten und entschied, dass wir das Lied mit Gitarre singen denn die Zeit zum Erarbeiten war mittlerweile verstrichen. (Ich frage mich heute noch wie  das Lied und der Satz den Weg in unser Choralbuch gefunden haben).  Den hochmütigen Unterton in den Worten des Prädikanten hatte ich schon gehört. Ich dachte mir nur: „Klug sind alle, manche vorher, manche hinterher.“
Es kam wie es kommen musste. Bis zur Predigt haben wir ganz gut mitgehalten. Dann kam das Predigtlied. Ein Lied, das mir gänzlich unbekannt ist, auf der Gitarre zu begleiten, ist zwar nicht sehr erbaulich, doch Rhythmus und Griffe hatte ich im Griff. Die ersten zwei Worte hatte ich mitgesungen dann musste der Prädikant alleine sehen wie er klar kam. Während der dritten Strophe kam er ins straucheln und versang sich. Ich spielte tapfer meine Akkorde weiter.  Als die vierte Strophe anfing, hätte er sich vielleicht gewünscht, dass ich abgebrochen hätte, aber war er es nicht, der etwas gegen „Großer Gott wir loben dich“  hatte? 
Nach dem Gottesdienst war der Prädikant ganz  zutraulich. Er fragte welche Lieder denn in der Gemeinde gängig wären. Ich nannte ihm die Lieder, die die zwei großen Sängerinnen der Gemeinde können.  Es gibt da schon mehr als „Großer Gott wir loben dich“.  Manchmal muss man die Karre vor den Baum fahren lassen, dann laufen die Leute wieder in der Spur.  Vermutlich werden wir diesen Gottesdienst noch öfter im Posaunenchor auswerten.
Wenn mich meine Bläser wieder mal ärgern, werde ich damit drohen, dass ich das Predigtlied von Lützeroda auflege.
Und für so etwas hatte ich meinen Bart abrasiert… 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen