Sonntag, 1. Dezember 2013

Swing low sweet chariot

„Am 14. November ist Eberhard heimgerufen worden”. Diese Nachricht traf uns nicht unvorbereitet. Ebs, wie er in der ganzen Region genannt wurde, war ja schon seit 2007 an Krebs erkrankt. Damals 2007 lag er in Jena Lobeda im Klinikum. Man hatte ihm den Magen entfernt. Um ihn zu überraschen stellten wir uns als Posaunenchor in die Kernberge am Rande des Klinikums und spielten ein Ständchen für ihn.
 Die Choräle und Volkslieder schallten durch die Häuserschluchten und beschallten das ganze Stadtviertel. Ebs stand auf dem Balkon und hörte zu. „Hoffentlich hören die bald auf, dachte ich“, sagte er mir später. Aber so war er. Diszipliniert stand er das Ständchen durch, obwohl er viel lieber im Bett gelegen hätte. Vielleicht waren es auch die Lieder, die ihn angestrengt hatten. Er war ein großer Fan von Gospel und Spiritual. Nachdem der Posaunenchor, in dem er vorher gespielt hatte, nicht mehr existierte, kam er zu uns weil er wusste,dass wir auch Spirituals konnten. Er konnte verrückt werden wenn wir zu viele getragene Sachen spielten. „Ihr mit euren Beerdigungsliedern“, sagt er einmal erbost, als wir ein paar Abendlieder zuviel gespielt hatten. Da Gospel und Spiritual seine Leidenschaft waren, hatten wir natürlich welche für seine „Abschiedsveranstaltung“ geprobt. Sein Ortspfarrer hätte gern mit uns gespielt, doch ich bin kein Freund davon, dass die Pfarrer während des Gottesdienstes noch „Nebenjobs“ haben. Zum Glück waren wir nicht zum Blasen in der Kirche eingeteilt worden. Die Kirche war so voll, dass wir nicht mehr hinein konnten. Die Kirche von Hainichen ist zwar nur sehr klein, doch Ebs war in vielen Dingen sehr engagiert und zuverlässig, sodass sich viele von ihm verabschieden wollten. Wir gingen dann langsam zum Friedhof, wo wir unseren Teil zum würdevollen Abschied beitragen wollten. Unterwegs fielen uns die vielen Geschichten ein, die wir mit Eberhard erlebt hatten. Allen voran die Geschichte vom Aussiedlerheim. Wir wollten unsere Adventstour einmal etwas anders gestalten. Es sollte in ganz unbekanntes Terrain gehen. Mit dem Auto ging es nach Nohra. Dort war seinerzeit das Heim für Russlanddeutsche. Dort, wo einst die Russischen Offiziere einquartiert waren die die DDR Bürger bewacht haben, lebten dann Deutsche, die Russland den Rücken gekehrt hatten. Eigentlich wollten wir dort nur ein paar Weihnachtslieder spielen und dann weiterziehen. Wie der Zufall es wollte lief mir der Pfarrer, der sich um die kleine russlanddeutsche Gemeinde kümmerte, über den Weg. „Das trifft sich aber gut, wir haben gerade Gottesdienst, da könnt ihr doch spielen“. Ich wusste nicht worauf ich mich einließ. In Russland kam die Reform des Kirchengesangs Anfang des 20. Jahrhunderts nie an. So sangen die Gemeindeglieder die Lieder im halben Tempo. Für uns Bläser ist das tödlich. Nach der ersten Strophe flüsterte Eberhard unüberhörbar in meine Richtung: „Volker mir tut die Gusche weh.“ Dieser Satz wurde in unserem Posaunenchor zum geflügelten Wort. Das Aussiedlerheim gibt es nicht mehr aber dieser Satz lebt noch bis heute bei uns fort. Manchmal bedarf es trauriger Anlässe, dass man sich mal wiedersieht. Patrick, Eberhards langjähriger Notenständerkamerad, war, trotz Babypause, mit dabei. Gerade in den letzten Jahren in dem es Eberhard manchmal schwer fiel sich zu konzentrieren, fragte er aufgeregt wo wir gerade sind und was zu spielen sei. Patrick, der Schweinehund, fragte manchmal auch Eberhard, um das Durcheinander komplett zu machen. Besonders gefreut habe ich mich, dass Sebastian extra eine Fahrt von 600 Kilometern auf sich genommen hatte. Das Verhältnis von Eberhard zu Sebastian war etwas Besonderes. Als Sebastian studierte war Eberhard gerade selbstständig. Immer wieder haben wir herumgefrözzelt, dass Eberhard die vielen Steuern bezahlen muss um Sebastians Studium zu finanzieren. Die ganze Sache gipfelte darin, dass Sebastian zum Geburtstag ein Shirt geschenkt bekam mit Eberhards Bild darauf. Darunter stand: Sponsoring by Eberhard. Eberhard hat Sebastians Werdegang mit großem Interesse verfolgt. Es ging dabei um Sympathie und nicht um die Frage was aus den Steuergeldern geworden ist. Ich selber erinnere mich noch an eine ganz andere Geschichte. Zu unserer letzten Probe für unser Jubiläum 2011 mit Frank Plewka, kam Eberhard und war vorher in einen Hundehaufen getreten. Er war so rücksichtsvoll und zog die Schuhe aus um uns nicht zu belästigen. Zum Glück hat die Isserstedter Kirche die Gemeinsamkeit mit einer Moschee, dass sie Teppichboden hat. Trotzdem zogen immer wieder Wolken von Hundeduft in meine Nase. Mir fiel es sehr schwer mich zu konzentrieren. Wir haben dann seinen sichtbaren Verfall miterlebt. Mir sagte er im Krankenhaus, dass er sich mit dem Tod abgefunden hat, nur vor dem Sterben hatte er Angst. Als er dann zu Hause Besuch von dem palliativmedizinischen Team aus Jena hatte, und die ihm zusicherten dass sie ihm beistehen würden, war er beruhigt. Zum Glück kam er nicht zum Liegen. Jeden Tag nahm er alle Kräfte zusammen und stand auf, um seinen Lieben nicht zur Last zu fallen. Nur am letzten Tag blieb er im Bett. Ich weiß nicht ob es einen himmlischen Posaunenchor gibt. Wenn man dort Bach spielt, dann wird Eberhard sich bestimmt nicht bewerben. Wenn dort etwas mit richtigem Schwung gespielt wird, dann ist er sicherlich dabei. Als der Zug mit der Urne zum Friedhof kam, spielten wir ein Spiritual. Mit „Christ ist erstanden“ haben wir dann unsere Hoffnung auf die Auferstehung deutlich gemacht. Und nach der Absenkung der Urne haben wir mit „Swing low“ genau das gespielt, was er immer wollte. Gebe es Gott, dass ihn der Himmelswagen ins „gelobte Land“ getragen hat. Man weiß ja viel zu wenig über das Leben nach dem Tode. Reist man sofort in das große Licht, wie es weltweit nach Nahtoderfahrungen beschrieben wird oder sieht man noch Dinge auf der Erde, die man eigentlich gar nicht sehen kann, wie es der kleine Colton Burpo während seiner Nahtoderfahrung gesehen hatte? Man kann nicht wissen ob Eberhard sah, wer ihm die letzte Ehre gab und man weiß nicht ob er hörte, dass wir nicht nur Spirituals spielten sondern auch die üblichen Lieder beim Defilee. Sollte er bei seiner Beerdigung noch dabei gewesen sein, dann weiß ich schon was kommt wenn wir uns wiedersehen.“ „Die Spirituals waren Klasse, (Hoffen wir mal, dass er unser Spielen nicht mit der himmlischen Musik vergleicht), aber die Beerdigungslieder hättet ihr euch sparen können.“ Eberhards Frau hat uns dann alle zum Kaffetrinken eingeladen. Eigentlich wollten wir, in Anbetracht der vielen Trauergäste, nur mit einer Abordnung erscheinen. Überzeugt, dass wir alle kommen müssen hat uns dann der Satz: „Eberhard hat es so gewollt.“ Ja, so war er!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen