Sonntag, 12. Januar 2014

Und plötzlich war es Weihnachten

Es ist schon lange mein Traum endlich  einmal eine richtige Bläsermusik zur Weihnachtszeit zu machen. Ich will es gleich sagen, es gelang uns auch 2013 nicht. Der Weihnachtsmarathon begann eigentlich schon im Oktober. Am zweiten Oktober hatte der Bürgermeister unseren Pfarrer zur Grundsteinlegung für den neuen Kindergarten eingeladen. Auch wenn unser Bürgermeister ein bekennender Atheist ist hat er es sich nicht nehmen lassen den Pfarrer um den Segen zu bitten.  Der Pfarrer hatte den Posaunenchor im Schlepptau. Das war dem Bürgermeister bei dieser Veranstaltung lieber als ein paar Streicher, die sonst verloren gegen den Wind gegeigt hätten. Wir ließen uns nicht nehmen am Vorabend des Tag der Deutschen Einheit unsere Nationalhymne zu spielen. Als wir unsere obligatorische Bratwurst abholten, sagte jemand völlig erstaunt: „Das gab es in Großschwabhausen, so lange ich hier lebe, noch nie: der Pfarrer spricht bei einem öffentlichen Projekt den Segen und die Nationalhymne erklingt.“

Am Reformationstag war Gottesdienst in Großschwabhausen und danach ein Imbiss im Rohbau unserer Pfarrscheune. (Unser Bauprojekt obwohl wir eigentlich kein Geld dafür haben). Die aktiven Baumeister drängelten, dass es endlich weitergehen müsse, sonst erlahmt die Truppe. Die Außenhülle ist ja komplett fertig aber beim Imbiss drin war es noch ganz schön zugig. Wie immer, kein Geld und keine Ahnung wie es weitergeht. Viele Gedanken ans Projekt konnte ich nicht verschwenden, denn der Posaunenchor musste sich auf das feierliche Anläuten der Glocke in Kötschau vorbereiten. Am Martinstag konnte die Glocke  endlich angeläutet werden nachdem sie drei Jahre stumm geblieben war. Dank Lottomittel konnten die Schäden „geheilt“ werden  und einen Läutemotor gab es auch noch dazu. Sonst überlassen wir den Martinstag der Kinderarbeit, die immer mit Laternen von Kötschau nach Hohlstedt zieht um dort in der Kirche, deren historische Glocke ein Relief mit dem heiligen Martin  ziert, Martinshörnchen zu teilen. Dieses Mal, beim Einläuten, mussten wir natürlich dabei sein. Drei Tage später verstarb unser Bläser Eberhart und wir bereiteten uns auf seine Trauerfeier vor.  Wenn es nach unserem Pfarrer gegangen wäre, hätten wir auch noch am Volkstrauertag gespielt. Doch schon die alten Müller sagten immer: „Zuviel zerreißt den Sack“. Am Totensonntag habe ich die Unterstimmen gebeten die Andacht auf dem isserstedter Friedhof zu begleiten. Eigentlich sollten es mehr sein, doch als wir zur Andacht eintrafen, stellte ich fest, dass wir in jeder Stimme nur Einer waren. Das war zwar enttäuschend, doch es war das Beste was uns passieren konnte. Die vier Bläser passten unter das kleine Dach, das auf dem Friedhof gebaut worden war, und sogar unser Pfarrer ging mit drunter.  Die musikalische Stimmung war prima und die Predigt des Pfarrers wurde so auch nicht verwässert. Es war erstaunlich, dass die vielen Besucher sich nicht vom Regen ablenken ließen.  Mittlerweile kam die Botschaft, dass wir die Putzerarbeiten im Inneren des Erdgeschoßes unserer Pfarrscheune kostenlos bekommen insofern wir das Material bezahlen und die Vorarbeiten leisten. Hier zeigt sich wieder, dass das Bibelwort: „Ich will dich segnen in allem was du tun wirst“, mit viel Arbeit zu tun hat.
Während der Proben hatte ich „Joy fort he world“ und „We wish you a merry christmas” aufgelegt. Wir kämpften uns tapfer durch und „Joy fort he world“ war dann die Eröffnung für den musikalischen Startgottesdienst in die Adventszeit am 1. Advent. Am Samstag vorm 2. Advent waren wir zum Weihnachtsmarkt in Lützeroda  eingeladen.
Während der Proben wollten die Bläser unbedingt „Tochter Zion“ mit zwei Oberstimmen üben. Ich habe mich nicht dagegen gesträubt, obwohl es nicht so aussah, dass wir es in diesem Jahr aufführungsreif bekämen. Während der Probe bestanden dann meine Leute darauf, dass wir unbedingt das Medley spielen müssten, dass Frank Plewka für uns geschrieben hat. Eigentlich wollte ich am dritten Advent unsere Weihnachtstour mit gemeinsamen Weihnachtsessen   machen, doch sie fiel mangels Trompetern aus. Einige Bläser spielten zwischendurch beim lebendigen Adventskalender als Begleitung mit. Besonders feierlich ist dabei das letzte Türchen, dann wenn sich die Türe zur Gärtnerei in Großschwabhausen öffnet. Während  der ganzen Zeit musste ich mich  auch noch auf den Gottesdienst am heiligen Abend vorbereiten.  Eigentlich bin ich nicht scharf darauf am Heiligen Abend Gottesdienst zu halten, doch unser Pfarrer hat sich bislang noch nicht klonen lassen… 
Da ich den letzen Gottesdienst im Jahr gern mit meinen Bläsern zusammen bin, und ich dieses Jahr für Isserstedt eingeteilt war,  waren wir dort. Natürlich bereitet man sich so viel Stress, wie es eben geht. Wir Bläser  sitzen ja immer auf unserer Empore und ich fand es blöd ständig zum Altar zu laufen um dann wieder die Treppe hinauf zu den Bläsern zu steigen. Also versuchte ich zu verteilen. Ein Kirchgemeinderat war für Begrüßung und Segen zuständig, ein anderer für die Lesung. Zu allem Unglück haben die Isserstedter einen siebenarmigen Leuchter in ihrem Besitz. Mir fiel ein, dass in unserem Gottesdienstbuch ein Weihnachtsgebet steht, bei dem man, während sieben Bitten, sieben Kerzen anzündet. Und natürlich mussten es dann auch noch sieben Beter sein. Ich fand es toll wenn Krippe und Menora am Ende nebeneinander stehen. Nur wie komme ich zu sieben Betern? Ein Mitarbeiter war bereit die Verantwortung fürs Gebet zu übernehmen. Ganz spontan sprach ich eine Frau an, die ich zum Alphakurs kennengelernt hatte. Damals hatte sie mir erzählt, dass sie vor langer Zeit ihr Geld mit Tabledance verdient hatte.  Das stellte für mich kein Problem dar.  Den Gottesdienst mit den vielen Leuten konnte ich nicht auf Zuruf  organisieren, so musste ich ein Script anfertigen. Als ich das rummailte, bekam ich einen Anruf vom Gebetsverantwortlichen: „Du wusstest wohl nicht, dass die und die eine Prostituierte ist?“ Er sagte nicht: „Was sollen die Leute sagen“ sondern „wir Christen können damit umgehen, aber  an Heilig Abend kommen doch die vielen anderen…“ Und dann noch: „Um sie zu schützen…“ Nach Rücksprache mit unserem Pfarrer haben wir nur eine andere Bitte für die Frau ausgesucht, die, in der es um Menschen geht, die eine Veränderung zum Guten erhoffen. Damit waren alle zufrieden. Da bekommt der Spruch von der Macht des Beters gleich eine andere Bedeutung…
Wie alle Jahre hatten wir am Heiligen Abend Doppelschicht. Tilman, dar Nachbarpfarrer predigte in dem Überfüllten Kirchlein von Lützeroda so volkstümlich, dass mir das Herz in die Hose rutschte. Was werden meine Bläser denken wenn ich dann in Isserstedt die Ansprache halte?   Ich erinnerte mich an die alte Weisheit: „Wenn du es nicht besser machen kannst, dann mache es anders, eben so wie du es kannst.“
In Isserstedt spielten wir noch schnell vor dem Gottesdienst beim querschnittsgelähmten Karlheinz. Wir standen vor seinem Fenster und sahen, wie er uns zuwinkte.
Zum Glück blieb noch ein wenig Zeit um uns mit einem Kaffee aufzuwärmen. Dann ging es los. Zur Generalprobe am Vortag stellten wir fest, dass wir die „Tochter Zion“ doch  auf die Leute loslassen können. Es hat auch gut geklappt. Die Mitwirkung der Gemeindeglieder lief prima und während des Krippenspiels spielte unser Freimut, mit einen 82 Jahren, Flöte. Das Highlight des Krippenspiels war zweifellos der Kaiser Augustus. Ich kenne die Knirpse leider nicht mit Namen, der Augustus war einfach nur klasse. „Ich bin der größte“, deklamierte er, und man nahm es ihm ab. Dann war ich dran. Kurz bevor ich mich zur Treppe begab gingen schon einige der Gottesdienstbesucher.  Da sie vor mir gingen, brauchte ich das nicht persönlich zu nehmen.  Vorn passierte mir ein Missgeschick. Im Vorfeld hatte ich eine Lichtprobe gemacht und festgestellt, dass ich den Bibeltext ohne Brille lesen konnte. Ich dachte aber nicht daran, dass ich die Ansprache mit Buchstaben geschrieben hatte, die eine Nummer kleiner waren. Da das, was ich zu sagen hatte, aus dem Herzen kam, war es nicht so schlimm. Die Botschaft, die ich aus der Weihnachtsgeschichte entnahm war die, dass wir für Gott wichtig und wertvoll, gewollt und geliebt sind.  Obwohl ich es mir eigentlich nicht getraute, forderte ich die Gottesdienstbesucher auf sich das gegenseitig zuzusprechen. Man war das ein Geschnatter in der Kirche. Der kleine Augustus und sein Kumpel, der neben ihm saß, sagten sich das eine um das andere Mal zu wie wichtig und wertvoll, gewollt und geliebt sie sind. Dann wandten sie sich um, um das auch dem Professor zu sagen, der hinter ihnen saß.  Mit dem Satz: „Ich glaube, dass mancher das nach vielen Jahren wieder einmal gehört hat“, ging es im Gottesdienst weiter. Eigentlich war das nur die halbe Predigt, doch das hätte schon gereicht. Nur fiel mir das erst mitten in der Ansprache auf. Das Thema war: „ Liebe deinen  Nächsten wie dich selbst“. Wie kann man seinen Nächsten lieben wenn man sich nicht selber liebt. So musste nach der Zusage, dass  wir für Gott wichtig und wertvoll, gewollt und geliebt sind noch kommen was Selbstliebe ist. Dazu trug ich ein Gedicht von Charlie Chaplin vor. Zum Glück konnte ich es, trotz schlechter Beleuchtung, lesen. Dabei stand ich wie auf Kohlen, denn es erschien mir viel zu lang. Die Kinder in der ersten Reihe blieben zum  Glück ruhig. Vielleicht waren sie noch damit beschäftigt wie wichtig und wertvoll, gewollt und geliebt sie waren. Nach dem Gottesdienst war es gerade dieses Gedicht, das mir positive Rückmeldungen einbrachte. Geschafft ging ich wieder zu meinen Bläsern. Der Gottesdienst lief weiter. Das Gebet kam und der Skandal blieb aus. Jetzt noch der Schluss. Wir begannen mit dem Plewkamedley und es war wie immer. Als wir anfingen setzten sich die Besucher in Bewegung um aus der Kirche zu strömen, doch nach ein paar Takten blieben sie stehen um uns zuzuhören. Die hinteren Besucher drängten auf die Vorderen, doch die blieben standhaft bis zum Schluss. Wir hielten bis zum Ende durch, doch dann hätte kein Ton mehr folgen dürfen. Beim Einpacken sah ich, wie eine Mutter sich, mit Tränen in den Augen, zu ihrer kleinen Tochter beugte: „Jetzt ist Weihnachten“.

2 Kommentare:

  1. Ach, ist das bewegend: Danke, lieber Volker, dass Du uns so Anteil nehmen lässt an Deinem "Advents- und Weihnachts-Marathon" mit vielen schönen Momenten. Ich freue mich schon aufs Wiedersehen mit Dir beim Fasten-Kurs in Germerode! Alles Liebe, Margit

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  2. Lieber Volker, mit viel Interesse lese ich immer Deine Berichte und Geschichten. Das bringt mich dann auch immer wieder in Gedanken zurück zu gewissen gemeinsamen Auftritten in Altengönna.
    Vieles, was Du über die Gottesdienste geschrieben hast, wäre bei uns im Schwabenland so nicht vorstellbar.
    Gespannt warte ich auf Deine nächsten Blogeintragungen. Viele Grüße Eberhard

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