Sonntag, 17. August 2014

Hast du Töne?

Eigentlich wollte ich, gemeinsam mit meinen Bläsern, am Sonntag nach Pfingsten mein 30 jähriges Posaunenchorleiterjubiläum feiern. Schon über ein halbes Jahr hatten wir dafür geprobt. Montag vor Pfingsten war unsere letzt Übungsstunde und Maritta fragte noch ob es nicht besser wäre noch eine Sonderprobe vor der Generalprobe einzulegen. Doch dann kam alles ganz anders…
Am Dienstag vor Pfingsten hatte ich gerade Feierabend gemacht. Mit unserem ehemaligen Tubisten hatte ich ein anregendes Telefonat geführt und war nun gerade dabei den Ruhemodus einzuschalten, da klingelte noch einmal das Telefon. „Volker komm mal hinter, Maritta hat sich das Leben genommen“, Diethart mein Cousin und unser erster Trompeter rief an. Das sind Momente, die man kaum beschreiben kann. Es war als hätte ich einen Schlag bekommen. In wenigen Augenblicken war ich dort und hatte das Gefühl mich in einer unwirklichen Situation zu befinden. Vor vielen Jahren hatte ich ein Gedicht von Erich Fried gelesen in dem der Satz „Es ist wie es ist, sagt die Liebe“ kehrversartig wiederkehrt. Mein erster Gedanke als ich den Raum betrat war der Satz: „Es ist wie es ist“. Vielleicht hat mich das bewahrt von dem Leid verschlungen zu werden, dass mir hier entgegenschlug. Marittas Mutter, meine Tante, musste erleben wie ihr Kind leblos im Raum lag und ihr Bruder, der sie abgenommen hatte nahm alle Kräfte zusammen um dieser Situation Herr zu werden. Ich will das alles nicht weiter beschreiben, doch dieser Abend hat unser Leben verändert. Wie sag ich‘s meinen Bläsern? Diese Frage stand am nächsten Tag vor mir. Ein Glück, dass es Email gibt. Persönlich hätte ich das sicher nicht jedem übermitteln können. Nach ein paar Tagen hatte ich dann ein Gespräch mit Bläsern bei denen ich den Eindruck hatte, es ist wichtig mit ihnen zu reden. Als es dann um die Beerdigung ging und um die Frage ob wir am Grab blasen, habe ich eine Email geschickt und alle Bläser aufgerufen auf ihr Herz zu hören. Manchem ist es wichtig noch etwas zu tun um mit seiner Trauer umzugehen, aber manche können, eingedenk der Tatsache, dass wir jahrelang zusammen geblasen haben und das alles so plötzlich und unerwartet ging, nicht spielen ohne sich Gewalt anzutun. Da Diethart und ich, wegen verwandtschaftlichem Verhältnis, ausschieden und die Frage stand ob die anderen Bläser überhaupt können, dachte ich schon, dass an Marittas Grab keine Posaunen ertönen werden. Da erreichte mich die Meldung, dass Freunde aus Kirchheim/ Teck extra ihren Familienurlaub unterbrechen um zu kommen und mitzuspielen. Ich wusste zwar bis zuletzt nicht ob wir genug Bläser zusammen bekommen, doch dann war die Bläsergruppe groß genug und der Abschied würdevoll. Auch für unsern Pfarrer war das eine schwere Beerdigung, saß er doch montags immer unter uns. Er rang einige Male um Fassung. In der Predigt fiel das Wort Depressionen. Wir wussten zwar, dass Maritta sich ihre Wirbelsäule durch die schwere Arbeit kaputt gemacht hat, doch dass sie an Depressionen litt, das hätte keiner geahnt. Ich bin froh, dass unser Pfarrer die Beerdigung gehalten hat. Er hat gute Worte gefunden soweit Worte in dieser Situation überhaupt etwas ausrichten können. Natürlich waren wir wie die aufgescheuchten Hühner und suchten eine Erklärung für das unerklärliche. Mir kam zugute, dass ich mich schon einige Jahre sporadisch mit dem Enneagramm befasst habe. Es gibt nur wenige Menschen, deren Typus mir von außen durch diese Typologie erkennbar wird. Einer der Menschen war Maritta. Zusammen mit Informationen, die ich durch Gespräche nach Marittas Tod bekam, entfaltete sich in mir eine Ahnung von dem was geschah und von den inneren Mechanismen, die abgelaufen sind. Es kann sein, dass ich völlig daneben liege, zumal Depressionen im Spiel waren, mir aber reicht dieses Wissen um mit dem Unerklärlichen fertig zu werden. Ein Todesfall ist immer eine Herausforderung und Stress für die Seele. Nicht umsonst ist der Tod der letzte große Feind. Ein Suizid ist aber noch eine andere Qualität der Herausforderung, dass sollte ich drei Wochen später erfahren. Natürlich hat Marittas Tod die ganze Umgebung verstört, besonders die Verwandtschaft. Mein Vater, Marittas Onkel, war tieftraurig. Trotz dass er sehr gläubig war, hat ihn dieser Schlag unwahrscheinlich getroffen. Er war über achtzig Jahre und nach Marittas Tod sah man wie seine Kraft immer mehr abnahm. Aber das hinderte ihn nicht mit eiserner Energie zu tun was er tun konnte. Am 24.6.2014 war seine Kraft dann zu Ende. Trotz des traurigen Verlustes war der Tag gesegnet. Mein Vater fuhr gegen 11.00 Uhr mit seinem Einachstraktor hinter unseren Wald um etwas am Zaun zu reparieren. Dort angekommen stellte er den Traktor ab. Wahrscheinlich wurde ihm schlecht, er setzte sich auf die Sitzbank des Wagens und verschied. Als meine Mutter, nach langer Zeit, zur Straße ging, weil sie unruhig wurde traf sie auf ein Polizeiauto, dass sie nach dem Großschwabhäuser Weg fragte. Sie wusste dann, dass etwas mit meinem Vater war und lief nach Hause um mich anzurufen. Ich folgte nicht dem ersten Impuls zum Wald zu fahren, sondern fuhr von der Arbeit nach Hause. Dort nahm ich meine Mutter mit. Am Waldrand lag mein Vater zugedeckt da und die Notärztin hat mit uns gesprochen. Wir traten zum Leichnam und meine Mutter bat mich darum, dass wir ein Vaterunser beteten. Während wir beteten schloss sich die Notärztin an. Das hat mich sehr berührt. Der Notarztwagen hat dann gewartet bis der Leichenwagen kam, obwohl er das nicht musste. Wir wollten nicht mit ansehen wie mein Vater in den Sarg gelegt wurde, baten aber darum, dass er noch einmal nach Hause kommt. Als wir zu Hause ankamen war die Frau eines befreundeten Ehepaars da. Sie stand uns bei. Und als der Sarg ankam, ließen wir ihn öffnen und im Hausflur aufstellen. Dort beteten wir die Abschiedsworte und die Aussegnungsgebete aus dem Gesangbuch S. 1431. Das war nicht leicht und von Tränen unterbrochen. Doch hinterher waren wir alle sehr froh, dass wir das gemacht haben. Es hat uns geholfen loszulassen. Dann haben die Träger den Leichnam meines Vaters mitgenommen. Vielleicht sollte ich noch sagen, dass wir am Sonntag davor, entgegen unserer Gewohnheit, gemeinsam Essen gefahren sind. Zu Hause hat mein Vater zu meiner Mutter mehrmals gesagt wie schön die Fahrt durch den Wald gewesen ist, sogar meinem Bruder hat er das erzählt. Ohne es zu wissen hatten wir sogar ein Abschiedsessen. Am nächsten Abend kamen mein Bruder und meine Schwägerin. Mein Bruder schlug mir einen Predigttext vor und da verlor ich die Fassung. 5. Mose 6.4, das "Schma Israel". Es hat mich umgehauen, da ich einige Zeit vorher nachgedacht hatte. Dabei sagte meine innere Stimme, dass das "Schma Israel" an Vaters Sarg gebetet, besser gesungen werden sollte, denn das würde ihm und seinem Glauben entsprechen. Als wir gemeinsam mit unserem Pfarrer den Trauergottesdienst besprochen hatten, habe ich unsere jüdischen Freunde angerufen um vom Tod des Vaters zu berichten. Die Frau war dran und versprach zu tun was sie konnte. Am nächsten Tag sprach ich mit ihrem Mann, der sehr ergriffen meinte, er habe einen Bruder verloren. Er hat den Kantor der jüdischen Gemeinden in unserer Region überredet das Gebet am Sarg zu singen. Sollte der Kantor doch nicht können, dann würde er gemeinsam mit anderen singen. Ich hätte nicht erwartet, dass dieser Gedanke solche Resonanz findet. Danach hat sich eine Frau aus der koreanischen Gemeinde in Weimar angemeldet, die noch ein Lied für Vati singen wollte. Sie kannte ihn aus der Zusammenarbeit in der evangelischen Allianz. Der Trauergottesdienst war wirklich ein Gottesdienst wie er meinem Vater entsprach. „Welch ein Freund ist unser Jesus“ und „Du großer Gott wenn ich die Welt betrachte“, diese alten Heilandslieder haben wir gesungen. Sie gehörten zu seinen Hits. Ich muss zugeben, mein Bruder und ich haben nicht mitgesungen, das war dann doch zu emotional. Die Predigt war auch sehr gut. Einen gläubigen Menschen zu beerdigen, der bis zuletzt aktiv war, sei es im Weimarer Israelkreis, im Christusdienst oder in der evangelischen Allianz, ist viel leichter als jemand, der sich das Leben genommen hat. Draußen, auf dem Friedhof haben meine Bläser gespielt, unterstützt von zwei Bläsern der landeskirchlichen Gemeinschaft in Jena mit denen wir Tage zuvor den Himmelfahrtsgottesdienst gestaltet haben. Der jüdische Kantor sang dann nicht das Sch’ma Israel, das singt man nicht am Grab sondern das Kaddisch. Zuerst las unser Pfarrer den deutschen Text vor und dann sang der Kantor auf Hebräisch. Besonders beeindruckend war die Textstelle Günter, Sohn des Arno. Ohne große Worte konnte man die Kontinuität des Lebens von Generation zu Generation spüren. Am Ende sangen wir „Nun aufwärts froh den Blick gewandt und vorwärts fest den Schritt, wir gehen an unsers Meisters Hand und unser Herr geht mit“. Dieses Lied von August Herrmann Franke, einem Vater der Diakonie, hatte mein Vater gern gesungen. Die Bläser spielten beim Defilee, doch weil es so viele Menschen waren, schafften sie es nicht bis zum Schluss. Als sie einpackten nahm der Doc die Flöte und spielte noch einige Lieder. Das war der beste Schluss der Beerdigung, den man sich wünschen konnte. (Ich muss dazu sagen, dass die Akustik auf dem Kötschauer Friedhof das ermöglicht hat) Natürlich bleibt die Trauer, doch verschiedene Leute haben uns gesagt wie viel ihnen diese Trauerfeier gegeben hat. Ostern spielen wir immer Christ ist erstanden, doch wenn ein naher Angehöriger stirbt, dann bleibt die Frage nach dem Glauben an die Auferstehung des Angehörigen und die eigene. Dass über der Trauerfeier Frieden gelegen hat, haben uns verschiedene Leute berichtet. Sicherlich hängt das damit zusammen dass viele für uns gebetet haben. Bleibt es an uns für Diethart und seine Mutter zu beten, dass Gott aus dem Tod Marittas etwas Gutes erwachsen lässt.

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