Sonntag, 26. Dezember 2010

Heiligabend 2010

„Scheiß weiße Weihnacht“, mit diesen Worten ärgere ich meine Kollegin schon die ganze Adventszeit und es klappt immer wieder. Ich mag wirklich keinen Schnee, vor allem wegen der Verkehrsverhältnisse. „ Das wichtigste an Weihnachten ist die Christgeburt, dazu brauche ich keinen Schnee“, so argumentiere ich immer. „Ich bin nicht kirchlich und ich finde es schön wenn zur Weihnacht alles so frisch und sauber aussieht und der Dreck unter einer Schneedecke verborgen ist“, erwidert sie dann. Ich kann schon verstehen, dass der frische Schnee ein Gefühl von Reinheit und Unberührtheit vermittelt.  Vielleicht ist das für die Ungläubigen wirklich so etwas wie ein Ersatz fürs Kind in der Krippe, das ja bekanntlich unser Erlöser ist, der uns Reinheit und Unberührtheit zurückbringen will. Ich jedenfalls kann Schnee nicht leiden.

Die Verkehrsverhältnisse an diesem Heiligabend sollten mir Recht geben. 16.30 Uhr war als spätester Treff angesagt. Wir wollten in der Isserstedter Kirche spielen. Irgendwie vergeht die Zeit am Heiligabend besonders schnell. Selbst ich habe mich verspätet. Florian und Phillip hatten die Notenständer vom Pfarrhaus in die Kirche gebracht und waren gerade dabei, angewärmte Sitzkissen für die Bläser zu holen. Langsam trudelten die Bläser und Bläserinnen ein. Ich wurde schon unruhig denn wir mussten uns noch vorbereiten. Die ganze Vorbereitung schien sowieso unter einem ungünstigen Stern zu stehen.  Am Montag rief Diethart, der Stimmführer in der ersten Stimme, an und sagte, dass er die Schnodderseuche hat. Schnell musste ein Plan B her. Ich hatte zwar schon mit dem Pfarrer wegen der Lieder gesprochen, doch ein Programm lag bis zur Übungsstunde nicht vor. „ Vom Himmel hoch“, sollte drankommen. Fleißig haben wir dieses Lied geübt, nicht nur wegen der zwei Jungbläser, die anwesend waren. C- Dur, einer der Feinde des Posaunenchores, zugegeben ein kleiner Feind, den wir, nach anfänglichen Schwierigkeiten bald besiegt hatten.
Am Dienstag war Jungbläserprobe, mittlerweile mit Programm. Zu meinem Erstaunen stellte ich fest, dass „Vom Himmel hoch“ die Engel sangen, sollen die nur, denen ist die Tonart sowieso egal.  Es tat sich aber ein viel größeres Problem auf. Der Pfarrer hat „Herbei oh ihr Gläubigen ins Programm aufgenommen. Im Choralbuch stand es in G- Dur. Eigentlich nicht so problematisch, doch mit den Jungbläsern hatten wir kaum G- Dur geübt, da reichte eine Probe nicht aus, um Sicherheit beim Blasen zu gewinnen. Die andere Variante, die aus dem „Rühmet“, stand in As- Dur. Das ging mit den Jungbläsern gar nicht. Ich hatte das Gefühl als ob ich zwischen Pest und Cholera wählen sollte. Entweder mir fällt bis zum Heiligabend noch ein Plan C ein oder Diethart wird wieder gesund. Natürlich wäre ich froh, wenn alle gesund dabei sind, doch bei Grippe zu viel zu riskieren ist auch nicht gut, es könnte sich sonst ein Herzkasper einstellen. Mandy sollte Diethart ersetzen. Sie hatte schon Urlaub und nutzte ihn, um mit den Jungbläsern zusammen zu üben. Wir waren gerade beim Einblasen, da öffnete sich die Tür und Sigi, der Bewohner des Pfarrhauses sah, mit Janina seiner Tochter auf dem Arm, herein. Janina hat ihren Onkel Flo besonders gern, der  erste Stimme spielt.  Es stellte sich heraus, dass „Nina“ Geburtstag hatte. „Wie alt wirst du denn“, fragte ich. Nina hielt mir ihre Hand hin und spreizte alle Finger: „Fümpf“. Spontan beschloss ich, dass wir Janina ein Ständchen spielen. „Macht hoch die Tür“, stand sowieso auf dem Programm. Hoffen wir, dass das Ständchen keinen bleibenden Einfluss auf Janinas musikalische Entwicklung hat.  Nachdem uns die Jubilarin verlassen hatte fragte Lisa nach, ob wir uns nicht noch richtig einblasen würden. So etwas erfreut das Chorleiterherz. Alles kann ich nicht falsch gemacht haben, wenn die Jungbläser ein ordentliches Einblasen wollen. Es stellte sich auch heraus, dass der Choral nach dem Einblasen viel besser klang.
Kurz vor dem Gottesdienst sitzen wir also  zusammen in der Kirche in Isserstedt und versuchten uns einzublasen. Die Großschwabhäuser fehlten noch. Jürgen sollte kommen und David, den Tubisten mitbringen. Mir lauft die Zeit davon. Mittlerweile füllte sich auch die Kirche.  Wir begannen und endlich kamen die beiden. Wir probten die Vorspiele und ich wies die Jungbläser ein. Plötzlich war Jürgen verschwunden. Außerdem war ich irritiert, weil ich keine Tuba hörte. Da stand ich also wieder einmal vor meinen Leuten und wusste nicht was ich denken sollte. Ich sah aus dem Augenwinkel, dass David spielte doch ich hörte ihn nicht. Gerade wollte ich etwas zu ihm sagen, da fiel mir auf, dass die Tuba mächtig geschrumpft war. Er hatte das Tenorhorn mitgebracht weil ihm das Schleppen der Tuba durch den Schnee zu viel war. Jürgen wiederrum war noch einmal zum Auto gegangen. Er hatte es so nah an der Fahrrinne (Fahrbahn konnte man das nicht nennen) geparkt, dass er zum Verkehrsproblem geworden wäre.
Es war fast 17.00 Uhr. Wir hatten die Vorspiele geübt, die Einsätze abgesprochen, nun konnte nichts mehr schief gehen. Die Kirche war gefüllt mit bekennenden Weihnachtschristen, die gemeinsam dem kollektiven Erinnern an das Christkind frönen wollten. Die Glocken läuteten, die Bläser wurden vermahnt, dass wenigstens sie zur Ruhe kommen sollten. Als die Glocken verklungen waren, begannen wir mit dem Vorspiel. Ich war zufrieden. Jetzt stand auf dem Programm: Begrüßung. Es blieb still. Ich wartete und wartete. Da war er wieder, der Moment in dem Minuten zu Stunden werden. Ich drehte mich von den Bläsern weg in Richtung Altar um und sah - nichts. Wo war der Pfarrer, wo die Krippenspieler? Die Gemeinde war mittlerweile zu einer relativen Ruhe gekommen doch jetzt müsste langsam etwas passieren. Immer noch tat sich nichts. Ich entschloss mich nach dem  rechten zu sehen. Mit Sicherheit war das eine der dümmsten Aktionen, doch ich wusste nicht was ich tun sollte. Ich ging die Treppe herunter, durch das Kirchenschiff, am Altar vorbei und sah hinter die Vorhänge. Wie zu erwarten war, war niemand dahinter. Wieso sollten der Pfarrer und die Krippenspieler auch Verstecken spielen? Irgendetwas musste geschehen. Also, wieder die Treppe hinauf. Ich gab den Bläsern die Anweisung sich ein Lied zu suchen das nicht im Programm steht und zu spielen um dieses Loch zu überbrücken. Ich wieder die Treppe hinunter und durch die Ausgangstür. Irgendwo mussten die doch stecken. Draußen, im Schneegestöber, wäre ich fast über eine Mutter der Krippenspieler gefallen. Der Zug hatte sich gerade formiert und wollte in die Kirche einziehen. Ich also wieder die Treppe hinauf. Der Posaunenchor spielte „Alle Jahre wieder“, ein Lied das ich unter keinen Umständen  für den Gottesdienst ausgesucht hätte. Aber nun war sowieso alles egal, der Gottesdienst begann.


Alles lief wie am Schnürchen. Begrüßung, erstes Lied, Lesung und Beginn des Krippenspiels. Das erste Lied im Krippenspiel war „Vom Himmel hoch“.  Wir waren ja nicht dran. Die Texte waren aufgesagt und es passierte- nichts. Doch da, hinter dem Weihnachtsbaum rührte sich etwas. Die ersten Engel kamen durch den rechten Vorhang. Keiner schien sich nach vorn zu trauen. Für einen Moment dachte ich, dass die Engel durch den Weihnachtsbaum trällern würden, doch da bewegte sich auch der linke Vorhang und auch da kamen Engel heraus. Sicherlich sind die richtigen Engel so vielgestaltig wie unsere beim Krippenspiel. Die Kleinsten waren wohl erst fünf, und stolz darauf mitsingen zu dürfen. Der älteste war ein Vater, unter dessen Gewand sich eine Wohlstandsmurmel abzeichnete. Der würde ohne Zweifel als Erzengel durchgehen.  Beim Gesang der Engel fiel mir auf, dass es besser wäre die Lieder im Krippenspiel ohne Vorspiel anzustimmen. Ich hatte im Programm zwar die Strophen ordentlich eingeteilt, doch nichts von den Vorspielen geschrieben. Mit dieser plötzlichen Programmänderung hatte ich wieder Unruhe in die Bläserschaft gebracht. „Mit Vorspiel, oder ohne“? war ab jetzt die Frage bis zum Schluss des Gottesdienstes.  Das Krippenspiel ging vorüber. Irgendwie war es mir zu perfekt. Ich liebe es wenn die Kinder nicht mehr so recht weiterwissen, wenn sie die Finger ineinander verhakeln und auf den Souffleur warten. Nach der Predigt kam die nächste Überraschung. Ich hatte vergessen das Vorspiel von „Kommt und lasst uns Christum ehren“ zu üben. Schnell gab es die Parole „Abgesang“. Nach kurzer Unsicherheit wusste jeder wo es losging.
Kaum dass er begann, war der Gottesdienst am heiligen Abend vorbei. Zum Abschluss hatte ich mir „Tochter Zion“ ausgesucht. Wir endeten somit nicht nur mit einem Werk des großen Händel, wir hatten gleichzeitig den diesjährigen Renner der Jungbläser auf dem Notenständer. Die Weihnachtsgemeinde war natürlich so groß, dass die zwei Strophen nicht reichten um die Besucher hinaus zu blasen. Nachdem wir „Stille Nacht“ gespielt hatten und auch das nicht ausgereicht hatte, schlossen wir mit „O, du fröhliche“, das Diethart mit einer Oberstimme versah.  Ein wenig traurig war ich am Ende trotzdem. Zum ersten Mal waren wir Bläser am heiligen Abend nicht geschlossen zusammen. Die Lützerodaer und Eberhard spielten für sich. Das hatten wir zwar so ausgemacht, aber ich fand es jetzt doof. Für mich war es immer ein besonderer Augenblick wenn wir uns gemeinsam, Jung und Alt, am Heiligen Abend nach dem Gottesdienst verabschiedeten und ein Jahr gemeinsamer Proben, ein Jahr gefüllt mit Aufs und Abs beendeten.

Was sollte ich von unserem Heiligabendgottesdienst halten? Gott schuf den Menschen aus dem Chaos. Er hat mit ihm ein wahres Wunderwerk vollbracht, doch manchmal schimmert das Chaos ein wenig durch.

Übrigens, in der Nacht zum ersten Weihnachtsfeiertag fiel Schnee, richtig viel Schnee. Dreißig Zentimeter lagen mindestens in meiner Zufahrt, in Schneewehen noch mehr. Ich musste drei Stunden fleißig schippen. „Scheiß weiße Weihnacht“.
©Volker Bachmann Dez. 2010

1 Kommentar:

  1. I'm dreaming of a white Christmas
    Just like the ones I used to know
    Where the treetops glisten,
    and children listen
    To hear sleigh bells in the snow

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